Einige Worte vorweg...
Von Seiten der rot-grünen Bundesregierung wird Rechtsextremismus derzeit allenfalls verwaltet. Mit der halbherzigen Weiterführung des Bundesprogramms CIVITAS meint man offenbar, der Imagepflege für eine liberale Öffentlichkeit genüge getan zu haben. Derzeit überwiegt der Diskurs um »Zuwanderungsbegrenzung«. Dieser definiert gleichzeitig die gesellschaftliche Stellung der potenziellen Opfer: Als Menschen zweiter Klasse ohne gleiche Rechte. Damit liefert man den rechten »Vollstreckern des Volkswillens« ausreichend Legitimation zum Zuschlagen, ohne auf offen rassistische Kampagnen wie Anfang der neunziger Jahre setzen zu müssen.
So verwundert es auch kaum, dass rassistisch motivierte Angriffe den Medien derzeit in den meisten Fällen nur noch Randnotizen wert sind. Dabei hat sich die Zahl der Vorfälle – allen gegenteiligen offiziellen Verlautbarungen zum Trotz – auf gleichbleibend hohem Niveau stabilisiert. Ein Blick in die Nachrichtenagenturen macht deutlich, dass rechte Gewalt in den alten und neuen Bundesländern gleichermaßen nach wie vor zum Alltag gehört.
Ganz normal?
Eine Gruppe von ca. 20 Neonazis randalierte im nordrhein-westfälischen Hamminkeln und verletzte dabei einen Türken schwer, meldete dpa am 1. September. Zwei Tage später werden im brandenburgischen Cottbus ein jordanischer Arzt und seine Tochter von fünf Neonaziskins vor einem Supermarkt rassistisch beschimpft und geschlagen. Die Staatsanwaltschaft Cottbus leugnet zunächst jeglichen rassistischen Hintergrund.
Am 18. September stößt eine Gruppe junger Männer auf dem Bahnhof der brandenburgischen Kleinstadt Perleberg einen 25jährigen algerischen Asylbewerber aus einem Regionalzug und treten auf den Mann ein. Zuvor hatte die Gruppe dessen deutsche Freundin beschimpft.
In der Nacht zum 1. Oktober werfen Unbekannte zwei Molotow-Cocktails in die Räume eines deutsch-türkischen Kulturvereins im niedersächsischen Nordenham und sprühen Hakenkreuze an die Hauswand. Bei dem Brandanschlag entsteht ein Sachschaden von 75.000 Euro, fünf Bewohner des Hauses können sich unverletzt retten.
Vier Tage später werden in Mönchengladbach zwei Russlanddeutsche von drei Männern im Alter zwischen 22 und 41 Jahren zunächst mit rassistischen Sprüchen beleidigt und dann angegriffen. Die Opfer erleiden Platz- und Schnitt-wunden.
Diejenigen, die tagtäglich mit den Betroffenen in den neuen Bundesländern und Berlin arbeiten, kommen in den nachfolgenden Artikeln selbst zu Wort.1
Eineinhalb Jahre nach Einrichtung dieser professionellen Initiativen für die explizite Unterstützung von Opfern rassistischer und antisemitischer Gewalt, fallen drei Aspekte besonders auf: Der Bedarf an Unterstützung ist so groß, dass die MitarbeiterInnen der Projekte ständig am Rand der Überlastung arbeiten.
Zum anderen bedingen sich institutioneller Rassismus und Rechtsextremismus bei den Fragen, wer Opfer rechter Gewalt wird und welche Möglichkeiten die Betroffenen haben. Die Arbeitsgemeinschaft der Beratungsstellen für Opfer rassistischer, rechtsextremer und antisemitischer Gewalt (agOra) fordert daher zu Recht als ersten Schritt ein Bleiberecht für die Betroffenen.2
Kaum Unterstützung für Opfer im Westen
Dritter und wichtigster Aspekt ist, dass es in den alten Bundesländern keinerlei professionell arbeitenden Strukturen zur Unterstützung von Opfern rassistischer und rechter Gewalt gibt. Frei nach dem Mythos »im Osten ist alles viel schlimmer« ignorieren Öffentlichkeit und Politik die Fakten: Die Überreste der Zivilgesellschaft im Westen lassen die Opfer rechter Gewalt im Stich. Hier hat das jahrelang transportierte Bild, wonach Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in erster Linie ein »ostdeutsches Phänomen« seien, fatale Folgen.
Veröffentlichungen, die das Gegenteil nachweisen – wie die jüngst veröffentliche Studie »Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland« – werden kaum zur Kenntnis genommen. Dabei ist das Ergebnis der Umfrage unter 2051 Personen in Ost und West erschreckend. So stimmten 43 Prozent aller Befragten der Aussage zu, »Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen«. Der Aussage, »die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet« stimmten 37 Prozent aus dem Westen und 42 Prozent aus dem Osten zu.3
Die logische Konsequenz für eine antifaschistische Bewegung sollte es sein, aus eigener Kraft Strukturen aufzubauen, die den Opfern der herrschenden Meinungen zur Seite stehen – unabhängig von einer staatlichen Finanzierung.
- 1Im Dezember 2002 werden die Projekte die gemeinsame Broschüre »Beraten und Intervenieren« veröffentlichen, in der sie ihre Arbeit ausführlich darstellen. Die Broschüre kann über die Beratungsstellen bestellt werden.
- 2http://www.agora-info.de.
- 3Gemeinsam veröffentlicht von der Universität Leipzig und dem Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermeyer. http://www.uni-leipzig.de/ presse2002/bild/pdf/rechts-extremismus.pdf