Gewalt und Diskrimierung. Fehlende Alternativen in Mecklenburg-Vorpommern
Glaubt man dem Bundesverfassungsschutzbericht, gab es in Mecklenburg-Vorpommern im ganzen Jahr 2001 keine einzige rechte Gewalttat. Dass es sich dabei um eine unglaubliche Verfälschung der Realität handelt, können die haupt- und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen von LOBBI e.V., dem Verein für »landesweite Opferberatung, Beistand und Information für Betroffene rechter Gewalt« in Mecklenburg-Vorpommern seit Projektbeginn Anfang Juli 2001 tagtäglich feststellen.
Finanziert wurden die Einrichtung der drei LOBBI-Büros, die Anstellungen der MitarbeiterInnen und die Sachmittel für eine kontinuierliche Arbeit durch das Bundesprogramm CIVITAS. Diese Form der Finanzierung ermöglicht einerseits einen qualitativen Fortschritt für die Opferberatung und bei dem Versuch, politische Ziele anzugehen. Andererseits entstehen dadurch aber in der Arbeit nicht unwesentliche Probleme, die für uns einige Reibungspunkte aufmachen.
Da die Art der Fälle und die Form der Arbeit sehr unterschiedlich sind, halten wir es für schwierig, anhand eines Beispiels die Tätigkeit von LOBBI e.V. zu beschreiben. Die Unterschiedlichkeit der Situationen, die wir in den ländlichen Regionen, den Dörfern, Kleinstädten und wenigen größeren Städten Mecklenburg-Vorpommerns vorfinden und mit denen sich die MitarbeiterInnen des Vereins konfrontiert sehen, ist sehr groß. Das beginnt oftmals schon damit, dass genau beachtet werden muss, wer die Betroffenen sind, und welche Bedürfnisse sie nach einem Angriff haben bzw. in welchen aktuellen Lebenssituationen und Alltagsumständen sie sich befinden.
MigrantInnen beispielsweise müssen sich sowohl mit permanenten fremdenfeindlichen Beleidigungen als auch den Einschränkungen und Diskriminierungen durch die rassistischen Asyl- und Ausländergesetzgebung auseinander setzen. Die rassistisch motivierte Gewalttat bedeutet für Menschen nicht-deutscher Herkunft oftmals nur die Spitze des Eisberges. Ihr Bedürfnis ist oftmals mehr darauf ausgerichtet, ihre grundsätzlichen Lebensbedingungen zu verbessern, als auf eine Aufklärung der Tat oder beispielsweise die Verurteilung der TäterInnen.
Minderheiten ohne Lobby
In Mecklenburg-Vorpommern existieren aber nur in wenigen Städten und Regionen Initiativen, die Flüchtlinge unterstützen und ihre Selbstorganisation stärken. Ausländerbeauftragte oder kommunale Asylberatungsstellen sind nicht überall vorhanden. Deshalb sehen sich die BeraterInnen von LOBBI häufig in dem Konflikt, weit über das Angebot von »Opferberatung« hinaus Flüchtlingsarbeit leisten zu müssen. Als eine Konsequenz aus dieser Situation entstand beispielsweise eine Rundreise mit VertreterInnen der Flüchtlingsinitiative Brandenburg durch AsylbewerberInnenheime in Mecklenburg-Vorpommern. Ziel war es, Anregungen zur Selbstorganisierung von Flüchtlingen von Betroffenen an Betroffene zu geben.
Eine weitere wichtige Gruppe der von LOBBI Beratenen sind nicht-rechte Jugendliche. Gerade in ländlichen Regionen ist diese Gruppe alltäglichen Bedrohungen und Übergriffen einer starken und oftmals tonangebenden rechten Szene ausgesetzt. Nicht-rechte Jugendliche werden als AbweichlerInnen oder politisch Andersdenkende gejagt, weil sie meist schlicht »einfach keinen Bock auf Nazis« haben, sich deren Cliquen nicht anschließen und deren Normen nicht akzeptieren wollen. Ein gravierendes Problem in Regionen wie beispielsweise Nord-Vorpommern ist, dass es kaum attraktive kulturelle Angebote für nichtrechte oder alternative Jugendliche gibt. Mangels alternativer Angebote können rechte Kameradschaften und Gruppen eine hohe Anziehungskraft auf die Jugendlichen vor Ort ausüben.
Übrig bleiben dann diejenigen, die nicht in diesem braunen Strom mitschwimmen wollen. Aber als Minderheit ohne eigene Räume und eine gesellschaftliche Lobby fällt es schwer, die eigenen Interessen durchzusetzen bzw. überhaupt Möglichkeiten zu haben, diese zu äußern. Also sehen wir nach einem rechten Angriff neben der »klassischen« Opferberatung unsere Aufgabe auch darin, auf die Belange der marginalisierten Jugendlichen einzugehen und sie in ihren Forderungen z.B. gegenüber der Kommune zu unterstützen.
Wichtige Vernetzung
Einen wesentlichen Schritt und Aufgabenschwerpunkt in der Bekämpfung und Zurückdrängung der rechten Dominanz sehen wir in der Förderung und Vernetzung einer alternativen Gegenkultur. Ein Beispiel hierfür ist neben der Arbeit vor Ort das erste Alternative Jugendcamp (AJUCA) im August 2002 in Mecklenburg-Vorpommern. Das Camp wurde von den MitarbeiterInnen des LOBBI e.V. angeregt und mitorganisiert. Ziel war es, den betroffenen Jugendlichen einen Austausch über die jeweilige Situation vor Ort zu ermöglichen und mit verschiedenen Workshops und Informationsveranstaltungen Tipps für die Arbeit gegen Rechts und zur Um- und Durchsetzung eigener Ziele und Forderungen aufzuzeigen.
Neben den nicht-deutschen und nicht-rechten Jugendlichen bearbeiten wir Fälle, in denen Homosexuelle, Behinderte, Linke oder AntifaschistInnen sowie DrogenkonsumentInnen von rechter Gewalt betroffen sind. Hinzu kommt eine zunehmende Anzahl antisemitischer Schändungen und Gewalttaten – auf jüdische Einrichtungen wie Friedhöfe sowie Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Die antisemitischen Angriffe zielen explizit auf eine Verherrlichung des nationalsozialistischen Holocaust und propagieren einen eliminatorischen Antisemitismus. Für die kleine jüdische Landesgemeinde in Mecklenburg-Vorpommern, deren Mitglieder vor allem EmigrantInnen aus den ehemaligen GUS-Staaten sind und ohnehin schon mit vielen Diskriminierungen zu kämpfen haben, bedeuten diese Angriffe eine existenzielle Bedrohung.
Gerade angesichts der Tatsache, dass Übergriffe, Bedrohungen und Diskriminierungen nicht nur von Rechtsextremisten, sondern ebenso von Angehörigen der sogenannten Mitte der Gesellschaft verübt werden, sehen sich die LOBBI- MitarbeiterInnen mit weiteren Problemen konfrontiert. Sind die TäterInnen mal keine Glatzen mit Bomberjacken und anderen auf den ersten Blick sichtbaren Insignien der organisierten rechten Szene, wird ein Angriff gerne verharmlost: Die Verlautbarungen von Polizei und KommunalpolitikerInnen sprechen dann gerne davon, es sei nicht von einem rechts motivierten Angriff auszugehen, weil die TäterInnen keine organisierten Rechtsextremisten seien. Gerade unter Polizeibeamten, in Behörden und bei PolitikerInnen herrschen rassistische und fremdenfeindliche Einstellungen und Verhaltensmuster vor, die die Arbeit der BeraterInnen und ein notwendiges Vertrauen der Betroffenen in die Akteure erheblich behindern.
Nicht nur Sozialarbeit
Eines der erschreckendsten Beispiele hierfür ist die Situation in Ducherow. Aufgrund eines vom Innenministerium verabschiedeten Erlasses sollen die Flüchtlinge aus Heimen in den Wäldern bei Garz (Insel Usedom) und Anklam nach Ducherow verlegt werden. Kreistagsabgeordnete, KommunalpolitikerInnen, DorfbewohnerInnen und Neonazis waren sich darin einig, die Einrichtung eines solchen Heimes in ihrer Stadt zu verhindern. Die rassistischen Hetztiraden machten selbst vor Morddrohungen nicht Halt. Aufgrund der zugespitzten Situation sah sich LOBBI dazu gezwungen, von der Einrichtung des Heimes in Ducherow abzuraten, da der Verein die Sicherheit der Flüchtlinge nicht mehr garantiert sah. Für uns blieb als einzige logische Konsequenz, allgemein eine dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen zu fordern.
Neben der Opferberatung und Unterstützung der potenziell Betroffenen stellen auch Präventions- und Informationsarbeit sowie die Vernetzung von entsprechenden Initiativen wichtige Bestandteile der Arbeit dar. Eine gesellschaftliche Veränderung im Sinne der Betroffenen rechter Gewalt und Diskriminierungen ist ebenso wichtig wie eine konkrete Unterstützung. Da wir uns als politisch handelnde Menschen verstehen, dürfen wir die Arbeit nicht auf den Wirkungskreis von Sozialarbeit reduzieren.
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