…kein problem
LOBBI e.V.Eine Reportage über die Situation in Ostvorpommern aus der neuen Broschüre »Beratung für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern« des Vereins LOBBI.
Blonde Stoppelfrisur und ein sauberes Marken – Sweatshirt, ein dalmatinerbraun gefärbter Haarschopf und löcherige Jeans, eine schwarze Wollmütze und weite Schlabberhosen: Mathias, Ringo und André, die auf der Bank im Ueckerpark sitzen, könnten nicht unterschiedlicher aussehen. »Punk-Musik höre ich nie.« sagt Mathias. Ringo, der seinen Irokesen-Haarschnitt unter einem Basecap verbirgt, kontert: »Hip Hop ist doch langweilig.« Einig sind sich die 14- bis 16-jährigen Schüler lediglich in einem: Nicht rechts zu sein. Und das hat Konsequenzen.
Bis zum Dezember 2001 traf sich die Clique von Mathias und André in einer leerstehenden Garage direkt neben der Anlegestelle für Ausflugsdampfer. Heute liegen die Bretter der von den Jugendlichen selbstgebauten Theke verstreut über den nackten Betonfußboden, in den Fensterrahmen hängen die letzten Glassplitter. An die Wand haben Unbekannte einen Ku-Klux-Mann geschmiert. »Eigentlich war es ein ganz normaler Abend, wir saßen zusammen, als die Tür aufgetreten wurde,« erinnert sich André. Die Naziskins zerschlugen Mobiliar und Flaschen. Einige aus der Clique wurden an die Wand geschleudert. Gewehrt hat sich niemand der Angegriffenen. Mathias und André meinen, dass sie Glück gehabt haben an diesem Abend. Einen Treffpunkt wie die Garage haben sie jetzt nicht mehr. Während die anderen erzählen, dass sie trotz Drohungen bei der Polizei ausgesagt haben, streicht sich Ringo gedankenverloren über die vernarbte Nase. Er kennt das Gefühl, ohmächtig einer Gruppe von Rechten ausgeliefert zu sein. Zusammen mit einem Freund wurde er in einem Wohngebiet überfallen. Die beiden Punks blieben schwer verletzt liegen – mit Fäusten und Ketten geschlagen, mit Füßen getreten. Eingegriffen hat niemand. Ein anderes mal wurde Ringo von Naziskins mit dem Auto durch Stadt gejagt. Oft wird er angepöbelt – auch von ganz normalen Ueckermündern.
Dann nimmt Ringo das Basecap ab und sagt: »Ich habe keine Lust mehr mich zu verstecken.« Doch auch er dreht sich wie Mathias und André reflexartig nach jedem Auto um, das langsam an der Parkbank vorbeifährt. Ueckermünde, eine Zone der Angst? Diese Auffassung wird in der Stadt am Haff nicht von vielen geteilt, geschweige denn gibt es eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema. Das müssen auch die MitarbeiterInnen der LOBBI feststellen, die seit über einem Jahr in Kontakt mit den Neonazi-Opfern in Ueckermünde stehen. Recherchen zur rechten Szene vor Ort, Gespräche mit Betroffenen und Kooperationspartnern gehören zur Basis der Beratungstätigkeit, auch in anderen Städten. Dabei entsteht häufig ein anderes Bild der Kommune als in der Wahrnehmung von Verwaltung, Lokalpolitik, Sozialarbeit oder Polizei.
Die jungen Männer, die sich Freitag Nachmittag vor einer der unzähligen Garagen im Plattenbaugebiet »Ost« treffen, können ohne Angst überall durch Ueckermünde laufen. Die schwarz-weiss-rote Fahne auf dem Garagendach und eine Reichskriegsflagge an der Wand markieren die »nationale Gesinnung«. Aus der Anlage dröhnt laut Musik der Neonaziband »Landser«. »Stress haben wir nur manchmal, wenn die Polizei wegen Ruhestörung kommt«, sagt einer und lässt betont lässig eine Zigarre zwischen den mit HASS und SKINHEAD tätowierten Fingern baumeln. Neben den Treffs in den gekauft en Garagen, gehören auch Live-Konzerte im Umland zur der rechten Erlebniswelt. In Szeneläden, wie dem »New Dawn« im nahegelegenen Anklam bekommen die Neonazis alle Accessoires zum rechten Lifestyle. Kameradschaften wie die »National-Germanische-Bruderschaft« organisieren im Netzwerk mit anderen Neonazi-Gruppen und NPD-Verbänden politische Schulungen und Fahrten zu rechten Aufmärschen. »Die meisten von uns haben Arbeit. Wir sind ganz normal« sagt der Mann mit der Hass-Tätowierung.
Die Normalisierung des »Rechts-Seins« in Gemeinden und Wohnvierteln ist mit einem sinkenden Problembewußtsein gegenüber rassistischen, antisemitischen, neonazistischen Gruppen verbunden. Auf die Frage einer Journalistin nach den Kameradschaften zuckt Ueckermündes Bürgermeister Westphal mit den Schultern. »Die Organisationsnamen habe ich noch nie gehört.« Die rechten Treffs in Ost sind ihm bekannt, »aber solange ich weiss, wo die sind und die Polizei ein Auge darauf hat, ist das kein Problem.« Das finden auch Nachbarn aus der Plattenbausiedlung von gegenüber. »Seitdem die Jungs da sind, trauen sich die Asylanten nicht mehr, unsere Autos zu klauen« sagt ein Nachbar. Er habe gehört, dass sie auch »Müllsündern« im Garagenkomplex Strafen androhen und gegen »Kiffer« vorgehen. Neonazis als Ordnungsmacht. Was passieren wird, wenn wie vom Landratsamt geplant ab 2004 ein Flüchtlingsheim in die Plattenbausiedlung einzieht, ist leicht vorherhersehbar.
Für die nichtrechten Jugendlichen vom Ueckerpark besteht das Problem schon jetzt. Und sie sind nicht die einzigen Leidtragenden rechter Gewalt in der Stadt. Angehörige einer religiösen Gruppe wurden von Neonazis mit Steinen beworfen, Flüchtlingen berichten von andauerndem rassistischen Mobbing, bei einem Schülerstand zum Tag der Menschenrechte auf dem Markt tauchten schwarz-vermummte Rechte auf, Aussteiger werden attackiert, Mahnmale werden beschädigt...
Nicht nur in Ueckermünde ist die LOBBI damit konfrontiert, dass sich die Wahrnehmung in Kommunen deutlich von der realen Situation unterscheidet. »Rechte Gewalt? So etwas gibt es bei uns nicht«, heißt es auch anderswo. Sicher wird es schwieriger, die Szene zu erkennen. Rechte entsprechen nicht mehr nur dem Medienbild des martialischen Skinheads – das taten sie nie. Sie tragen andere Kleidung und orientieren sich auch am modischen Outfit anderer Jugendkulturen. Auch gehört es zur Strategie rechter Gruppen, Bürgernähe zu demonstrieren, ordentlich zu sein und für Ordnung zu sorgen. Themen, die bei der Bevölkerung gut ankommen, werden von Rechts besetzt. Doch rechte Einstellungen sind auch erkennbar, wenn sie nicht in einer Bomberjacke verpackt sind. Die Chronologie der Neonaziangriff spricht für sich. Vielerorts wird das Problem als gelöst angesehen, wenn sich die rechten Gruppen nicht allzu auffällig treffen, nichts kaputt machen, dem Tourismus nicht schaden und nicht mehr in der Zeitung stehen. Diese »Idylle« hilft den alternativen Jugendlichen, Flüchtlingen und anderen, die zu den Feinbilder der Rechten gehören, nicht. Die fehlende Unterstützung der Öffentlichkeit während und nach der Tat, wird von der Opfern der Angriffe als Zustimmung gewertet.
Unwissenheit dürfte zumindest in Ueckermünde nicht mehr als Argument für eine fehlende Auseinandersetzung mit dem Thema angeführt werden. Die LOBBI informierte in einem Zeitungsartikel über die Kette rechter Angriffe in der Uecker-Randow-Stadt. LOBBI-Mitarbeiter sprachen mit SozialarbeiterInnen, dem Ordnungsamt und informierten den Sozialausschuss. Wenn die Opfer der rechten Angriffe keine Solidarisierung erfahren – aus Angst, Gleichgültigkeit oder aus Zustimmung – wird es weiter zu schweren Gewalttaten kommen.
LOBBI e.V.
Landesweite Opferberatung, Beistand und Information für Betroffene rechter Gewalt in M-V
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