Nazikonzert im Elsaß und in Hessen
Selbst das Bundesamt für Verfassungsschutz musste im Jahresbericht 2002 einräumen, dass die Zahl von neonazistischen Konzerten im Jahr 2002 erstmals seit 1999 wieder angestiegen sei. 112 Konzerte zählten die Schlapphüte – mit steigenden Teilnehmerzahlen. Dass von einer hohen Dunkelziffer nicht erfasster – oder gemeldeter – Konzerte und Liederabende ausgegangen werden muss, wird zu Beginn der »Konzertsaison 2003« deutlich.
Beispielhaft sind die Ereignisse im Elsaß am 19. April und am 12. April in Hessen: Um Mitternacht wurde die Stille im Tal des kleinen elsässischen Ringendorfes mit minutenlangem »Sieg Heil« Rufen gestört. Seit dem frühen Abend hatten sich in der örtlichen Gemeindehalle ca. 1500 Nazis versammelt, um einen Tag vor dem 20. April den Geburtstag Adolf Hitlers zu feiern. Als es dann um Mitternacht soweit war, huldigten sie unter Führung der gerade spielenden Band ihrem »Führer«. Über ein von Deutschen besetztes Infotelefon wurden die Interessierten auf einen Autobahnparkplatz geleitet. Dort hatten sich bereits in den frühen Abendstunden mehrere hundert hauptsächlich deutsche Neonazis versammelt, um zu dem Konzert nach Ringendorf gelotst zu werden. Die Veranstaltung fand unter der »Fahne« der Hammerskins Frankreich statt. 1 Um Ausweichmöglichkeiten zu haben, gab es zeitgleich im nördlichen Elsaß mehrere Saalanmietungen.
Anschließend klagte der Ringendorfer Bürgermeister in der Regionalzeitung »DNA«: 14 Tage vor dem Konzert hätte der deutsche Organisator Kontakt zu ihm aufgenommen, »er sagte, dass seine Verlobte in Goetzenbrück und er in Deutschland wohne, und man wolle das Fest in der Mitte, quasi auf halber Strecke, veranstalten. Da hätte jeder drauf rein fallen können«. Auch die Bewohner des Dorfes hatten Grund zum Klagen: »Ich hatte befürchtet, die Hauswand oder das Auto würden beschmiert, man weiß ja nie (...) Die Ersten sind gegen 17.30 Uhr gekommen. Es waren viele Autos mit vier oder fünf Personen. Sie hatten alle Glatzen rasiert und trugen Bomberjacken und Springerstiefel. Es kamen sogar zwei Reisebusse. Es waren viele junge Leute, aber kaum Mädchen«. Zehn Stunden zuvor hatten auf der deutschen Seite der Grenze Christian Worch und Horst Mahler zu einem Aufmarsch gegen das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Hanau aufgerufen. Dort fanden sich aber nur 60 Neonazis ein. Obwohl die Stadt auf dem Weg vieler Konzertteilnehmer lag, interessierte sich kaum jemand für die politische Veranstaltung. Viele Neonazis hatten offenbar keine Lust mehr, sich unter Polizeischutz und Protesten von AntifaschistInnen langweilige Reden anzuhören. Scheinbar zieht der »Spaßfaktor« derartiger Konzerte mehr als die reine Politik.
Einen weiteren Beitrag zur hohen Mobilisierungsfähigkeit leistet sicherlich auch die konspirative Vorbereitung solcher Konzerte, die den Teilnehmern ein »aufregenderes« Erlebnis verspricht als eine durchschnittliche Demonstration. Zudem können sie auf diesen Konzerten weitestgehend unbehelligt Kleidungsstücke tragen, die ihnen auf Demonstrationen sofort ein Strafverfahren einbringen würde. Konzerte sind schon seit längerem ein wichtiger Faktor in der Nazi-Szene, der unter anderem für den internen Zusammenhalt sorgt. Trotz Konzerterlassen ist es den Neonazis möglich, ihre Veranstaltungen unter anderem in Baden-Württemberg und Rheinlandpfalz ohne größere Störungen von staatlicher oder antifaschistischer Seite abzuhalten. So konnte bereits eine Woche zuvor in Mörstadt/Rheinhessen ein ortsbekannter Jugendlicher mit demselben Trick am 12. April die dortige Halle vom Bürgermeister anmieten. Den Anwohner blieb nur noch, empört mit ernsthaften Konsequenzen für den jungen Mann zu drohen, der durch das Neonazikonzert »Schande über seine Familie und die Dorfgemeinschaft« gebracht habe.
- 1Die Hammerskins Frankreich (Carlemagne Hammerskins) bestehen seit 1992. Als eine Führungsperson soll innerhalb der Szene Didier Magnien auftreten.