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»morto per la liberta«

Einleitung

Seit mehr als 10 Jahren findet im italienischen Reggio nell Emilia die »Sentieri Partigiani« statt. Rund 70 TeilnehmerInnen wandern dabei auf den Wegen, auf denen die PartisanInnen während der deutschen Besatzung gegangen waren. An verschiedenen Plätzen treffen sie dann ehemalige Mitglieder der Resistenza und ZeitzeugInnen, die ihre Erlebnisse erzählen. Organisiert wird das alljährliche Treffen vom »Institut für die Geschichte der Resistenza und für Zeitgeschichte« (ISTORECO).

Bild: sentieripartigiani.it

Das 1965 gegründete ISTORECO in Reggio nell Emilia besitzt mehr als 100.000 Originaldokumente aus der Zeit der Resistenza und gehört zu einem Netz von 60 weiteren Geschichtsinstituten. Die Bestände werden ausgewertet und dienen als Grundlage weiterer Projekte. Eines davon ist die »Sentieri Partigiani«, die jedes Jahr um den 8. September stattfindet.

Der Tag ist kein Zufall, denn am 8. September 1943 besetzten deutsche Truppen Italien nach der Waffenstillstandserklärung gegenüber den Alliierten. Vorausgegangen war die Absetzung und Inhaftierung Mussolinis im Juli 1943. Bereits kurz nach der Besatzung regte sich erster Widerstand, wenn auch noch nicht so zahlreich und organisiert wie wenig später.

Weite Teile der Bevölkerung standen vor der Wahl, mit den Nazis zu kollaborieren oder illegal Widerstand zu leisten. Dieser »Moment der Entscheidung« führte dazu, dass tausende – darunter viele sehr junge – Menschen sich zum Widerstand entschieden und in der Resistenza aktiv wurden. Sei es als bewaffnete PartisanInnen, sei es als Stafetten, sei es als BürgerInnen, die Nahrung, Kleidung und Unterschlupf boten.1

Einige der ehemaligen PartisanInnen sind nun bei der »Sentieri Partigiani« dabei. Sie erzählen von ihren Motivationen, ihren Aktionen aber auch ihren Ängsten. Heldengeschichten oder Kriegsromantik gibt es nicht. Einer von ihnen ist Pierino Beggi, der als Stadtguerilla in Reggio nell Emilia aktiv war. In einer »Nacht und Nebel«-Aktion versteckten sie den historischen Hauptvorhang des Valli-Stadttheaters, welcher als Kunstraub nach Nazideutschland gebracht werden sollte. Dazu rollten sie den gemalten Vorhang in einem 28 Meter langem Kupferrohr zusammen und brachten ihn so in den Keller einer stadtauswärts gelegenen Villa. Nach Kriegsende konnte er ans Theater zurück gegeben werden, wo er bis heute zu sehen ist.

Giacomina Castagnetti war eine der zehntausenden Frauen, die den bewaffneten Widerstand unterstützten. Die heute 82-jährige war 18 Jahre,  als sie begann für Nahrung, für Kleidung, für Waffen und Informationen zu sorgen. »Es war eine Armee ohne Uniform und ohne Nachschub und Nahrungsmittel, es war eine Armee ohne alles. Sie hatten nichts von dem, was eine reguläre Armee hat. Also versuchten wir Frauen, die kleinen Dinge zu besorgen. Für euch mag das heute nichts bedeuten, aber für uns bedeutete es, sein Leben aufs Spiel zu setzen, wenn man von Haus zu Haus ging, um die Familien um eine Hose, Handschuhe, Pullover oder ein paar Schuhe zu bitten, ...2

Diese Dienste waren nicht nur äußerst wichtig, sondern auch gefährlich. Enttarnte wurden gefoltert oder ermordet. Eine der häufigsten Methoden der Faschisten war die Folter mit heißen Bügeleisen. Viele Racheaktionen richteten sich gegen die Zivilbevölkerung in den kleinen Dörfern. Die größten Massaker in Italien verübten deutsche Truppen in St. Anna di Stazzema und Marzabotto. Bei letzterem wurden vom 29. September bis 5. Oktober 1944 770 Menschen auf brutalste Weise ermordet. Auch für Kleinkinder gab es kein Erbarmen. In mehreren Fällen wurden schwangeren Frauen der Bauch aufgeschlitzt und die Föten als Zielscheiben in die Luft geworfen.  Bereits einige Jahre zuvor beginnt die systematische Verfolgung von Jüdinnen und Juden. Von den rund 40.000 in Italien lebenden werden mehr als 8500 verhaftet und deportiert.

Das Lager Fossoli

Dabei spielt das Lager Fossoli bei Carpi, unweit von Reggio nell Emilia, eine wichtige Rolle. Durch die gute Anbindung an das Eisenbahnnetz dient es als Durchgangslager. Auch der bekannte italienische Autor Primo Levi zählte zu den dortigen Inhaftierten. Seine Aufzeichnungen in dem Buch »Ist das ein Mensch?« zählen zu den wenigen Berichten über das Lager. Er wurde zusammen mit den Jüdinnen und Juden aus Reggio nell Emilia nach Auschwitz deportiert und überlebte als einer von Wenigen.

Dagegen galt es zu kämpfen und viele junge Leute zogen in die Berge. Waren es anfangs erst Einzelne, die begannen die Struktur und Organisation des Widerstands zu organisieren, wurden es im Zuge der Besatzung immer mehr. Die Dimension, welche die Resistenza erreichte, belegen eindrucksvoll die Zahlen der nach dem Krieg als kämpfende PartisanInnen anerkannten Menschen. Unter den 185.000 befanden sich 35.000 Frauen.3 Sie zeigten, dass es möglich war, sich gegen ein menschenverachtendes Regime aufzulehnen.

Giacomo Notari (80), der heute Vorsitzender des PartisanInnenverbandes Associazione Nazionale Partigiani d’Itali (A.N.P.I) in Reggio nell Emilia ist, redete auf der Abschlussveranstaltung der »Sentieri Partigiani« in Casina, einem kleinen Ort im Apennin. Die TeilnehmerInnen, die seit drei Tagen durch das Gebirge wanderten und mehrere hundert Höhenmeter beschritten hatten, sind auch während des letzten Zeitzeugengespräches noch aufmerksam. Viele von ihnen haben zum ersten Mal an der Wanderung teilgenommen und viele von ihnen werden auch nächstes Jahr wieder dabei sein. 

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte und die Diskussionen zwischen jungen AntifaschistInnen und ehemaligen WiderstandskämpferInnen werden hoffentlich auch in Zukunft noch als wichtig und notwendig erachtet, geben sie doch nicht nur Kraft, sondern auch die Möglichkeit eigenes Handeln zu reflektieren.

Notari sprach auch davon, dass er Mitte September als Zeuge in einem Gerichtsverfahren am Militärgericht La Spezia auftreten wird. Dort vertritt er den A.N.P.I., der in diesem Verfahren erstmalig als Nebenkläger zugelassen wurde. Im selben Gericht waren auch die Mörder von St. Anna di Stazzema verurteilt worden, die nach wie vor in Deutschland unbehelligt leben. Notari sprach von der Hoffnung, dass so viele Jahre danach, die Mörder ihre Strafe erhalten und doch noch Gerechtigkeit walten möge. Es ist Auftrag und Vermächtnis der jungen AntifaschistInnen, dafür einzutreten.

  • 1Stafetten waren vorwiegend Frauen, die nicht bewaffnet waren. Sie leisteten die überlebenswichtige »Hintergrundarbeit«, welche logistischer und organisatorischer Natur war. Stafetten versorgten beispielsweise die einzelnen Partisanengruppen mit Informationen, Waffen und Lebensmitteln.
  • 2www.resistance-archive.org
  • 3ebenda