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Leere Anklagebänke

Marianne Wienemann und Matthias Durchfeld
Einleitung

Sieben deutsche Wehrmachtsangehörige wurden in Italien zu lebenslanger Haft verurteilt

Bild: istoreco.re.it

Faschistische Truppen in Piazza della Vittoria (1967).

Am 6. Juli 2011 um 21 Uhr ist es endlich soweit: Im Militärgericht von Verona spricht der Gerichtspräsident nach über 50 Sitzungen das Urteil: sieben Mal lebenslängliche Haft, zwei Freisprüche. Außerdem müssen die Verurteilten Entschädigungen zahlen und die Kosten des Verfahrens tragen. Beifall im Zuhörer_innenraum, aber auch Tränen und Umarmungen bei den Überlebenden und den Familienangehörigen der Opfer. Siebenundsechzig Jahre lang mussten sie auf diesen Moment warten; darauf, dass die Gesellschaft diese Verbrechen als solche brandmarkt und die Verbrecher beim Namen nennt.

Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die Verurteilten des gemeinschaftlich begangenen, fortgesetzten Mordes an nicht kriegsbeteiligten Zivilist_innen schuldig sind. Die Taten geschahen im Zeitraum vom 18. März bis zum 5. Mai 1944. In dieser kurzen Zeit überfielen Einheiten der Division »Hermann Göring«, unterstützt durch faschistische italienische Milizen, mehrere Dörfer in den Bergen der Toskana und Emilia-Romagna, töteten deren Bewohner_innen, darunter zahlreiche Kinder unter 14 Jahren, Greis_innen und Pfarrer, insgesamt circa 400 Menschen. Bei den Dörfern handelt es sich um Monchio, Susano, Costrignano (Provinz Modena), Cervarolo und Civago (Provinz Reggio-Emilia), Ceppetto, Cerreto Maggio (Provinz Florenz), Vallucciole, Stia, Pratovecchio, Partina, Moscaio, Castagno d’ Andrea, Badia a Prataglia, Caprese (Provinz Arezzo), Mommio (Provinz Massa-Carrara).

Prozessiert wurde gegen zwölf Wehrmachtsangehörige der Division »Hermann Göring«, die meisten davon Offiziere und Unteroffiziere der Fallschirm-Panzer-Aufklärungsabteilung. Drei Angeklagte starben während des Prozesses, ein weiterer kurz vor dem Urteilsspruch. Keiner der Angeklagten ist vor Gericht erschienen. Sie wurden durch Wahl- oder Pflichtverteidiger_innen vertreten. Da die Bundesrepublik Deutschland aus Gründen der zivilrechtlichen Haftung auch auf der Anklagebank saß, hatte die deutsche Botschaft in Rom ebenfalls einen Wahlverteidiger geschickt.

Erschütternd waren die Zeug_innenaussagen der zahlreichen Frauen und Männer, die selbst die Massaker überlebt hatten, aber mit ansehen mussten, wie ihre Familienangehörigen oder andere Menschen aus dem Dorf misshandelt, vergewaltigt, ermordet wurden. Sie mussten miterleben, wie ihre Häuser, ihr Vieh, ihre gesamten Lebensgrundlagen niedergebrannt und zerstört wurden. Beeindruckend auch die Aussagen der Kinder und Enkel der Opfer, die berichteten, wie die Verarmung, aber vor allem die Traumatisierung der Eltern, Großeltern, Onkel und Tanten das tägliche Familienleben beeinflusst hat, und das oft über Jahrzehnte hinweg bis heute.

Die Beweisaufnahmen zu diesem Prozess begann im Jahr 2005. Die deutschen Ermittlungsbehörden übergaben der italienischen Staatsanwaltschaft im Zuge der Amtshilfe umfangreiche Materialien. Außerdem 180 Protokolle von Telefongesprächen der Verdächtigen, die drei Monate lang abgehört worden waren. Der Leiter der ermittelnden italienischen Militärpolizei bemerkte dazu im Gerichtssaal, es sei auffällig, dass keiner der Verdächtigen auch nur eine Andeutung von Reue geäußert habe.

Am Ende des Prozesses hält das italienische Militärgericht es anhand der Beweismittel und Zeugenaussagen als erwiesen an, dass die Verurteilten als Offiziere und Unteroffiziere an der Planung der Massaker beteiligt waren, sich am Ort des Geschehens befanden und als Kommandanten der eingesetzten Truppen Verantwortung für deren Tötungsaktionen tragen.
Die Frage steht im Raum, warum dieser und andere Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrecher erst 60 Jahre und länger nach den Massakern stattfinden? Während des Priebke-Prozesses in Rom werden 1994 bei der Generalmilitär-Staatsanwaltschaft 695 Akten über deutsche Kriegsverbrechen gefunden, die detaillierte Angaben über die Täter enthielten. Der Schrank, in dem sie vor unbefugten Augen verborgen lagen, wird in Italien »Schrank der Schande« genannt. Da die Taten nicht verjähren, werden die Akten an die zuständigen Militärstaatsanwaltschaften zur Bearbeitung gegeben. In der Folgezeit kommt es zu mehreren Prozessen und Verurteilungen.

Wer oder was hat die italienischen Militärjustizbehörden zu dieser »Versteckaktion« veranlasst? In einem Brief vom 10. Oktober 1956 schreibt der Verteidigungsminister Paolo Emilio Taviani an den Außenminister Gaetano Martino, dass er dagegen ist, von Seiten Italiens Anträge auf die Auslieferung von Kriegsverbrechern an Deutschland zu stellen, um keinen Riss im atlantischen Bündnis zu provozieren und um den in letzter Zeit erstarkten Polemiken in Deutschland gegen die deutsche Wiederbewaffnung im Rahmen der NATO keine Nahrung zu geben. Dieses Akzeptanzproblem der Bundeswehr wurde gelöst. Die Akten verschwanden und damit für die Öffentlichkeit auch das Thema deutsche Kriegsverbrechen in Italien.

Zur aktuellen Situation, diesmal der Vollstreckung dieses Urteils und anderer der gleichen Art. Die deutsche Justiz hat auf diesem Feld verschiedene Möglichkeiten. Sie könnte zum Beispiel, wie im Fall Scheungraber (vgl. AIB 81 und 84) geschehen, ein Gerichtsverfahren gegen die Verurteilten und Tatverdächtigen einleiten. Macht sie aber nicht, weil nach ihrer Sichtweise die Beweismittel dafür nicht ausreichen. Als nächstes könnte sie die Verurteilten ausliefern, das Europarecht sieht das vor. Macht sie aber nur dann, wenn die Täter dem zustimmen, was diese in allen Fällen nicht getan haben. Danach besteht die Möglichkeit, die italienischen Urteile in Deutschland zu vollstrecken. Der zuständige italienische Militärstaatsanwalt Marco De Paolis hat entsprechende Anträge auf den Weg gebracht, wartet aber seit Jahren auf Antwort. Es ist nicht klar, wo die Anträge versandet sind – im italienischen Justizministerium oder in den zuständigen deutschen Landesjustizministerien. Haben wir es hier mit einem neuen »Schrank der Schande« zu tun?

In jedem Fall könnte die Bundesregierung unmittelbar handeln: sie könnte den Opfern der Massaker die Entschädigungen zahlen, die Gerichte ihnen zugesprochen haben. Statt dessen hat sie beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag den Antrag gestellt, dass es den italienischen Gerichten verboten werden soll, den deutschen Staat zu Schadensersatzzahlungen zu verurteilen. Die italienischen Gerichte hatten ihre Urteile damit begründet, dass es sich hier um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt, und dies schwerer wiegt als die »Staatenimmunität«. Dazu sagte der Verteidiger der BRD im Verona-Prozess: »Dann könnten ja einzelne geschädigte vietnamesische Bürger die USA wegen Napalmbomben vor Gericht ziehen und Entschädigungen fordern.« Und ebenso die Opfer aus den aktuellen und zukünftigen Kriegen. Deshalb: besser nicht an der Staatenimmunität rühren.

Wir finden: Besser die Verbrecher bestrafen, die Opfer entschädigen und den nächsten Krieg ausfallen lassen!

Die Autor_innen arbeiten für das »Istoreco- Institut für die Geschichte der Resistenza und für Zeitgeschichte«.
www.istoreco.re.it