Der Kampf gegen die »Feindpresse«
JournalistInnen die Neonaziaufmärsche dokumentieren, sind nicht nur Beschimpfungen ausgesetzt, sondern werden auch immer wieder bedroht und angegriffen. Mit den Übergriffen auf Pressevertreter bei einer Neonazi-Demonstration am 1. Mai 2008 in Hamburg erreichte die Gewalt eine Dimension, die aufhorchen ließ. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen der gezielten Attacken.
1. Mai Hamburg
Während die ersten Neonazis am Treffpunkt eintreffen, steigen am Hamburger Himmel dicke Rauchschwaden eines brennenden Reifenlagers auf und mehrere 1.000 Menschen protestieren in den umliegenden Straßen. Viele Vertreter der Presse sind vor Ort um den Aufmarsch der Neonazis zu dokumentieren. Nachdem der Großteil der 1.000 Teilnehmer am Auftaktkundgebungsort eingetroffen ist, brüllt der Hamburger Neonazi Thomas Wulff seinen Kameraden per Megafon zu: »Wer uns zu nahe kommt, der wird unsere Gegenwehr spüren«.
Das lässt sich eine beachtliche Zahl der Neonazis nicht zweimal sagen. Kurz bevor die Demonstration sich formiert, stürmt ein Mob aus dem Umfeld der »autonomen Nationalisten« eine brachliegende Fläche, von der aus mehrere Journalisten die Demonstration beobachten. Ein Fotograf wird von ihnen angegriffen und mit Steinen beworfen. Zudem entwenden die Angreifer seine Kameraausrüstung. Andere Fotografen fliehen über anliegende Bahngleise und werden von den Verfolgern mit Steinen und Flaschen beworfen. Nur wenige Minuten vorher wird ein Kamera-Team des ARD, welches zu diesem Zeitpunkt ein Interview mit dem Hamburger Neonazi Christian Worch führt, von Demonstrations-Teilnehmern unter Anwendung körperlicher Gewalt aus ihren Reihen gedrängt. Wenige hundert Meter nach Beginn des Aufmarsches wird ein weiterer Fotograf am Rande der Demonstration von mehreren Personen gezielt angegriffen und verletzt. Journalisten vor Ort sprechen von einer neuen Qualität der Aggressivität. Kameras und Zubehör im Wert von mehreren tausend Euro wurden zerstört.
Drohung und Einschüchterung
Bereits wenige Tage nach den Angriffen laufen in Videoportalen wie Youtube die ersten Filme, in denen sich die Neonazis mit ihren Aktionen brüsten. Es werden Fotos von Journalisten gezeigt mit dem Hinweis »Gesichter zum merken«. In einschlägigen Szeneinterneteforen feiern sie die Gewalt und rufen offen dazu auf: »Schlagt die Journaille, wo ihr sie trefft!«. In den letzten Jahren drohten Neonazis Journalisten immer wieder und veröffentlichten Namen und Adressen. Auch zu Übergriffen bei Recherchen kam es. So wurde die Journalistin Andrea Röpke bei einer Veranstaltung der »Heimattreuen deutschen Jugend« (HDJ) in Blankenfelde (Brandenburg) im November 2006 in Begleitung eines Fotografen angegriffen und geschlagen. Aus Sicherheitsgründen dokumentierten die beiden das Treffen aus scheinbar sicherer Entfernung, denn die Journalistin war bereits bei anderen Recherchen von Neonazis angegriffen worden. Trotz der Vorsichtsmaßnahme seien sie aber bemerkt worden, so Röpke. Drei Neonazis gingen zum Angriff über, Röpke und ihr Begleiter flüchteten in einen Supermarkt. Dort schubsten die Neonazis die Journalistin mehrmals zu Boden und schlugen ihr ins Gesicht. Auch der Kameramann wurde geschlagen und gewürgt. Nach der Tat habe es rund 45 Minuten gedauert, bis die Polizei eintraf, berichteten Röpke und ihr Begleiter gegenüber tagesschau.de.
Kein Ende der Gewalt
Zur Beerdigung des letzten Bundesvorsitzenden der 1995 verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP), Friedhelm Busse, auf dem Dorffriedhof St. Korona bei Passau kamen insgesamt 90 führende Köpfe der deutschen Neonaziszene. Thomas Wulff moderierte und ließ die Versammelten »Ich hatt’ einen Kameraden« und das Staffellied der SS anstimmen, bevor er auf Busses Sarg eine Version der Reichskriegsflagge mit unübersehbarem Hakenkreuz ablegte. Zum Ende der Beerdigung formierten sich die anwesenden Neonazis in Zweier- und Dreierreihen zu einem Aufmarsch. Als der anwesende Journalist Robert Andreasch das Geschehen dokumentieren will, wird er von mehreren Teilnehmern angegriffen und zum Teil schwer verletzt. Die Angreifer brachen ihm zwei Rippen, fügten ihm Schürfwunden und Prellungen zu und zerstörten seine Kamera im Wert von etwa 500 Euro.
Auch wegen des Zusammenwirkens von Unwille und Unfähigkeit bei der Polizei häufen sich in den vergangenen Monaten die Meldungen von schweren und gezielten Übergriffen auf PressevertreterInnen. So zogen am 21. Juni 2008 mehrere hundert Neonazis ungehindert durch die Dresdner Innenstadt, nachdem die Behörden den »Sachsentag« der NPD-Jugendorganisation JN kurzfristig untersagt hatten. Deutsche und tschechische Neonazis verprügelten den Fotografen Stanlislav Kruppar und zerstörten seine Kamera.
Ideologisch unterfütterte Gewalt
»Die Hetzjournalisten der liberalen Presse mit ihrer tendenziösen ›Berichterstattung‹ stehen gegen die Lebensinteressen des deutschen Volkes und für die globalen Interessen der Fremdbestimmung«, heißt es in den »Leitlinien Feindpresse«, herausgegeben in der Neonazi-Vierteljahresschrift »Volk in Bewegung«. Im Kampf gegen die »Nachrichtenagenten der Fremdbestimmung« sollen die Neonazis jede Zurückhaltung ablegen: »Wer die Gefahr der vierten Gewalt im Staat für das Fortbestehen des deutschen Volkes erkannt hat, und dagegen glaubt, nur mit halben Entschlüssen und Maßnahmen vorzugehen, ist feige und dumm. Die Mutigen wenden durchgreifende Radikalmittel an.«
Nach jedem neuen Übergriff auf Journalisten feiern sich die Neonazis im Internet und benennen die nächsten möglichen Ziele. Sie feiern ihre Angriffe als Erfolge im Kampf gegen die verhasste »Judenpresse« und geben sich selbstbewusst. Die Berichterstattung wird nicht nur für antifaschistische FachjournalistInnen immer gefährlicher. Nichtsdestotrotz gehören Öffentlichkeitsarbeit und Recherche zu den Grundpfeilern antifaschistischer Arbeit. Dass die Bennenung neonazistischer Akteure und Strategien die Szene stört, bezeugt deren große Aggression.