Skip to main content

Schwieriges Terrain

Magnus Benine
Einleitung

Die antifaschistische Linke und die Forschung zur extremen Rechten

Geht man heute in eine gut sortierte politische oder wissenschaftliche Buchhandlung, so wird man dort zumindest einige der Bücher finden, die jedes Jahr in der Bundesrepublik Deutschland zum Thema extreme Rechte erscheinen. Ob zu einzelnen Organisationen der extremen Rechten, ihrer Weltanschauung und Wählerstruktur, zu Geschlechterbildern, der parlamentarischen Arbeit oder zu internationalen Vernetzungen, ob zu Aussteigern oder zu Fragen von Strategie und Taktik – das Angebot an Veröffentlichungen ist umfangreich und vielseitig. Es reicht von Einführungsliteratur über eng geführte disziplinäre Arbeiten bis hin zu Handlungsleitfäden wie in der Kommune, an der Schule oder am Arbeitsplatz wirksam gegen das Auftreten der extremen Rechten politisch gearbeitet werden kann.

Die Zahl der (neu erscheinenden) Publikationen im Auge zu behalten, ist selbst für ExpertInnen kaum möglich – schließlich führen heute viele große sozialwissenschaftliche Verlage zahlreiche einschlägige Titel in ihrem Sortiment; dann gibt es die vielen Verlage, die wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten verlegen, und auch eine Reihe meist kleiner linker Verlagsprojekte, die Literatur zur extremen Rechten, aber auch zur Geschichtspolitik u.ä. veröffentlichen – Unrast (Münster) und RAT (Hamburg) mögen hier als Beispiele genügen. Dennoch muss aus der Perspektive eines linken Antifaschismus, der sich nicht nur am aktuellen Auftreten extrem rechter Organisationen abarbeiten will, sondern auch die gesellschaftlichen Ursachen des Auftretens und möglicherweise Erstarkens der extremen Rechten verstehen will, festgestellt werden, dass hierzu wenig fundierte Literatur zu finden ist.

Sicher, es gibt die Klassiker – u.a. Dimitroff, Thalheimer, Adorno, Poulantzas, Opitz, … – aber eine auf    fundierter gesellschaftstheoretischer Analyse fußende Beurteilung der gegenwärtigen extremen Rechten, der Ursachen ihres Erstarkens und eine Prognose der weiteren Entwicklung gibt es nicht. Schlimmer noch: es gibt im Grunde nicht einmal Ansätze einer Debatte innerhalb der radikalen Linken bzw. der antifaschistischen Linken um solche Fragen, häufig sogar völliges Desinteresse. Ein erheblicher Teil derjenigen, die den verdienstvollen Kampf auf der Straße führen, hält solche Fragen für entbehrlich, für zu mühsam, für Ablenkung von dem, was man als eigentlich wichtige Aufgaben ansieht, nämlich den nächsten Aufmarsch zu verhindern oder die nächsten Aktionen gegen den Nazi-Laden um die Ecke vorzubereiten.

Andere glauben, dass Aspekte klassischer Faschismustheorien (z.B. ›Hinter dem Faschismus steht das Kapital‹) noch immer ungebrochen gültig sein müssen. Wie aber sieht das Verhältnis des Kapitals (oder der einzelnen Kapitalfraktionen) zu den verschiedenen Strömungen der extremen Rechten unter den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen tatsächlich aus? Was hat sich daran angesichts der wirtschaftlichen Krise verändert? Welche (objektiven) Interessen teilen diese Akteure, welche sind widersprüchlich – und welche Verschiebungen der Interessenlagen sind in der Zukunft zu erwarten? Welche Gruppen in der Bevölkerung sind im Kontext der Krise möglicherweise besonders gut für faschistische Agitation ansprechbar – und wie kann die antifaschistische Linke dagegen kämpfen? Das alles sind zentrale Fragen für die antifaschistische Bewegung – ihr tatsächlicher Stellenwert in der antifaschistischen Politik ist hingegen derzeit gering.

Selbstverständlich ist die genannte Aufgabe kein leichtes Unterfangen. Aber insbesondere in der augenblicklichen Situation der tiefen ökonomischen – und möglicherweise in Zukunft auch politischen – Krise gewinnt die Berücksichtigung der genannten Fragen an Bedeutung. Nun ist es ja nicht so, dass es in den Reihen derjenigen, die zum Thema ›extreme Rechte‹ heute in der Bundesrepublik wissenschaftlich publizieren, nicht auch eine Reihe von AutorInnen gibt, die in der antifaschistischen Bewegung aktiv waren oder ihr noch mehr oder weniger eng verbunden sind. Soweit sie sich für eine akademische Karriere entschieden haben, haben sie freilich nicht nur mit den im akademischen Feld gängigen Belastungen und Unsicherheiten zu kämpfen, sie können auch sicher sein, dass eine dezidiert links positionierte Faschismusanalyse einem beruflichen Vorankommen nicht unbedingt förderlich ist.

Im Markt der Forschungen zur extremen Rechten nehmen extremismustheoretische Ansätze, deren einflussreichste Vertreter Backes, Jesse, Pfahl-Traughber oder Grumke heißen, einen prominenten Platz ein; dort gibt es starke Überschneidungen zur Arbeit der Geheimdienste, die sich auch Wissenschaftler eingekauft hat, die sich bereits vor ihrem Dienstantritt mit der Thematik ›extreme Rechte‹ befasst haben. Mit dem Eintritt in die Behörde wird die Wissenschaftlichkeit der Arbeiten jedoch unter Vorbehalt gestellt. Diese Arbeiten werden von der antifaschistischen Linken und einem Teil der WissenschaftlerInnen, die sich mit der extremen Rechten beschäftigen, daher zu Recht als wissenschaftlich unzureichend und politisch desorientierend kritisiert, auch wenn einzelne Forschungsergebnisse durchaus interessant sein können.

Diese defensive Position ist jedoch nicht ausreichend. So, wie es in den letzten Jahren gelungen ist, in den Aktionen und Kampagnen gegen faschistische Aktivitäten die Erkenntnis zu verbreiten, dass Faschismus keine Meinung, sondern ein Verbrechen ist, und auch die Bereitschaft vieler antifaschistisch gesinnter Menschen gewachsen ist, sich den FaschistInnen auch direkt in den Weg zu stellen, so bedarf es auch verstärkter Anstrengungen, eine aktuelle Faschismusanalyse auf den Weg zu bringen. Dies ist keine rein theoretische Angelegenheit, sondern ist ohne die Erfahrungen aus der konkreten Praxis nicht vorstellbar. Gleichwohl fehlt es für eine entsprechende Verständigung im Moment sowohl an Gelegenheit als auch an Initiative. Eine entsprechender Diskussions- und Arbeitszusammenhang der systematischen – auch wissenschaftlichen – Beschäftigung mit den Entwicklungen der extremen Rechten und deren gesellschaftlichen Ursachen aus antifaschistischer linker Perspektive wäre aber dringend nötig. Dies gilt umso mehr als auf der rechten Seite eine systematische Nachwuchsförderung und damit Schulenbildung betrieben wird und so neben der Publikationslandschaft mittelfristig auch Hochschulstellen besetzt und Forschungsmittel gebunden werden.

In diesem Sinne bedarf es also zweierlei: Innerhalb der antifaschistischen Bewegung muss für die Aufwertung theoretischer Arbeit gestritten werden, ohne dabei die konkrete Kampagnenarbeit und antifaschistische Intervention vor Ort abzuwerten, damit das Verständnis für die Entwicklung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse und strategische politische Intervention verbessert wird. Und die – im Vergleich zum mainstream der Forschung zur extremen Rechten und den Bedingungsfaktoren ihres Erfolges – ohne Zweifel kleine Zahl der WissenschaftlerInnen, die sich der antifaschistischen Linken/Bewegung verbunden fühlen, sollten darüber nachdenken, wie sie sich sinnvoll vernetzen und wissenschaftspolitisch strategisch aufstellen können, wo Kooperationen geboten und gemeinsames Auftreten sinnvoll ist.