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»Autonome Nationalisten« in der Ukraine

Einleitung

Seit Anfang 2009 haben »Autonome Nationalisten« (AN) Konjunktur in der ukrainischen Neonaziszene. In dem neuen Netzwerk treten im Gegensatz zu anderen Teilen der Szene (ukrainische) Sprache und Religion als identitätsstiftende Bezugspunkte in den Hintergrund. Stattdessen stehen nationalrevolutionärer Populismus, rassistische Hetze gegen Immigrant_innen und der Kampf gegen Linke auf der Agenda. Es gibt keinen offiziellen Dachverband der Bewegung, als Plattform dient vor allem die Website »reactor«.

Bild: flickr.com/Vasyl` Babych/CC BY-SA 3.0

Kundgebung von »Swoboda«-Anhängern am 9. Juni 2009 in Kiew.

Die Gründe für das Entstehen und Erstarken der »Autonomen Nationalisten« (AN) sind darin zu sehen, dass die jungen Neonazi-Aktivisten europäischen Vorbildern nacheifern und ein moderneres Image suchen. Glücklicherweise ist es den AN seit über einem Jahr nicht gelungen, ihre Basis zu verbreitern. Die neue ideologische Breite erlaubt es ihnen aber, verschiedene Fußballfangruppen/Hooligans, andere Neonazis bis hin zu traditionellen Nationalisten zu vereinen. Die neue Ausrichtung der Faschisten wurde durch den Zusammenbruch der »Ukrajins'ka Nacional-Trudova Partija« (Ukrainische Nationale Arbeiterpartei,  UNTP) möglich, die vor allem ein Sammelbecken für auf der Straße aktive Neonazis dargestellt hatte, gleichzeitig aber auch Einfluss auf die offizielle Politik nehmen wollte. Aufgrund ihrer organisatorischen und finanziellen Schwäche hatte die UNTP nie den Status einer Partei erlangt, wurde offiziell aber auch nicht als extremistische Organisation gelistet. Ehemalige Führungspersonen der UNTP finden sich heute in den Reihen der AN.

Die proklamierte »Autonomie« ist reine Augenwischerei: Die AN arbeiten sehr eng mit extrem rechten Parteien zusammen wie »Social-Patriotyãna Asambleja Slov'jan« (Sozial-Patriotische Versammlung der Slawen) des Oles' Vahnij, mit »Bratstvo«-(Bruderschaft), der Organisation des Dmytro Korãyns'kyj, der über gute Kontakte zu einflussreichen Politikern verfügt, vor allem aber mit der Partei »Swoboda« (Freiheit) des Oleh Tjahnybok.

Einer der Geldgeber der Neonazis ist Serhiy Kyryãenko, Mitglied im Stadtrat von Cherson. Er führt eine lokale Organisation namens »Bürgerkontrolle« und die lokale Gewerkschaft »Volkskontrolle« an. Am 1. Mai 2010 zahlte er die Reisekosten für die Fahrt etwa 50 extrem rechter Fans des FC Krystal nach Kiew, um an der Demonstration des »autonomen Widerstands« »gegen Kapitalismus« teilzunehmen.

Ideologie

Die Ideologie der ukrainischen AN ist sehr breit angelegt und anpassungsfähig. Sie basiert auf Rassismus, Antisemitismus, Militarismus und Demokratiefeindschaft, verknüpft mit Sozialdemagogie. Grundlegend ist der Bezug auf Dmytro Dontsovs ukrainischen ganzheitlichen Nationalismus und den ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera. Die Ideologie der AN hat auch Bezugspunkte, die der klassischen Querfrontstrategie folgen. Diese Ideen überfordern die Basis zum Teil, dementsprechend sind auf den Theorieseminaren der AN selten mehr als ein Dutzend Leute anwesend. Ein weiterer ideologischer Bezugspunkt ist der sozial- und ethno-rassistische Kampf für die »Gesundheit der Nation«. Sie fordern die Sterilisierung von »Familien mit defektem Erbgut«.

Faschistische Symbolik, Ästhetik und Musikkultur

Die AN distanzieren sich stärker vom Nazi-Faschismus als andere faschistische Organisationen in der Ukraine. Viele ihrer Anhänger verhehlen jedoch auch bei öffentlichen Auftritten ihre Sympathie für den klassischen Nationalsozialismus nicht. In Kiew rufen allerdings Neonazi-Führer mittlerweile dazu auf, wegen der anwesenden Presse während öffentlicher Aktionen nicht mehr den »Hitler-Gruß« zu verwenden. Traditionelle, in den Augen der AN eher moderate ukrainische Nationalisten, die meist älter sind,  werfen den jungen Neonazis vor, durch den Hitler-Gruß die nationale Bewegung insgesamt zu diskreditieren. Eine bemerkenswerte Neuerung des Images der Faschisten ist das Kopieren linker Taktiken wie z.B. des Schwarzen Blocks. Neonazis treten vermehrt in schwarz und vermummt auf. Trotz ihres aggressiven Habitus halten sich die »Autonomen Nationalisten« bei ihren Demonstrationen an die Anweisungen der Polizei: Der Black Block ist ein rein ästhetisches Mittel. Insgesamt verändert sich das Outfit in Richtung »autonomer Style«: Fast niemand kleidet sich mehr wie ein klassischer Neonazi-Skinhead. Auch der Kampf gegen »ideologisch feindliche« Subkulturen scheint nicht mehr aktuell, so dass sich Neonazis mittlerweile unter Punks, Rappern und Hardcore-Anhängern finden lassen.

Als neuester kultureller Trend bei den AN muss man die gestiegene Popularität der Hardcore-Musik, von ihnen selbst als »Hatecore« bezeichnet, erwähnen. Auch diesen Trend übernahmen die AN von ihren »westlichen Kameraden«. Zudem gibt es die Tendenz in der Bewegung, »Straight Edge«-Prinzipien und teilweise Vegetarismus zu propagieren. Da es insgesamt noch nicht viele dieser Bands gibt, kommen sie für Konzerte oft aus dem Ausland. Im Jahr 2010 wurde eine Reihe von Konzerten mit Bands wie »Antisystem« (Russland), »Brigade M« (Niederlande), »Moshpit« (Deutschland) und »Project Vandal« (Slowakei) organisiert. Im Rahmen der AN sind die Gruppen »9th Val« (Donezk-Region) und »White Lions« (Sevastopol) entstanden. Trotzdem sich »9th Val«  als konzeptionell neue rechte Formation begreift – sie selbst bezeichnet ihre Musik als »NS-Crust« – sind  ihre Texte voller klassischer Nazi-Klischee.

Ähnlich sieht es mit Bands aus, die »sozialrevolutionäre« Liedertexte verwenden. Vermutlich war das einer der Gründe, die White Power-Rock-Band »Faustrecht« (Deutschland) zu einem Konzert am 1. Mai 2010 in Kiew im Zusammenhang mit einem geplanten Aufmarsch einzuladen. Im Interview mit dem ukrainischen NS-Magazin »Strayk« vom Dezember 2009, sagte der Musiker Norbert »Nogge« Lecheler, dass sie seit längerer Zeit »linke Nationalsozialisten« sind und die Idee des Klassenkampfes befürworten.

Aktivitäten

Aktionsformen der ukrainischen AN sind meist Farbangriffe auf sowjetische Denkmäler, Brandanschläge auf das Eigentum von Migrant_innen und brutale Angriffe auf Antifaschist_innen. Das Mobilisierungspotenzial der AN kann bis zu 2000 Menschen betragen, wenn politische Parteien sie dabei finanziell unterstützen. Die Zentren der AN-Tätigkeiten sind vor allem große Städte wie Kiew, Odessa und L'viv, wo sie Unterstützung durch lokale Behörden erhalten. In der Westukraine ist Swoboda stark in den Stadträten vertreten, in Ternopil/ Westukraine erhielten sie 2009 bei den Regionalwahlen sogar 34 Prozent. In vielen Städten gibt es inzwischen sogenannte »autonome Zellen« der AN, deren Stärke zwischen fünf bis fünfzig Personen liegt.

Mit Aktionen wie die Reinigung von Parks oder (nationalistischer) historischer Denkmäler versuchen sie sich als gesellschaftlich verantwortliche Kraft darzustellen, die aber bei Bedarf zu weitergehenden Mitteln greift. Der »linke Flügel« der ANs in Kiew bekannte sich  z.B. zu einer Tierrechtsaktion, bei der sie ein Pelzgeschäft mit Farbe und Feuerwerk angriffen. Diese Aktion kritisierten die meisten AN aber als zu »linkslastig«.

Seit April 2010 agitieren die  AN gegen die Verabschiedung eines neuen Arbeitsgesetzes. Bei den Aktivitäten der AN ist die intensive Zusammenarbeit mit Swoboda von großer Bedeutung. Fast alle landesweiten gesellschaftspolitischen Kampagnen der AN haben einen Vorläufer in Aktionen von Swoboda. Eine zentrale Rolle nimmt die Geschichtspolitik ein. Ständig wiederkehrende Anlässe für gemeinsame öffentliche Aufmärsche und Demonstrationen sind nationalistische Gedenktage.

Die Zusammenarbeit mit den »älteren Kameraden« an diesen Veranstaltungen ist für die AN auch eine Möglichkeit, ihre regionalen Aktivitäten zu finanzieren. Konfliktpunkte sind beispielsweise 1. Mai Demonstrationen, bei denen sich die Versatzstücke »linker« Rhetorik der AN deutlich mit dem rechtskonservativen bis faschistischen Inhalt von Swoboda beißen. Die für den Herbst 2010 anstehenden Regionalwahlen lassen befürchten, dass der insbesondere in der Westukraine zu erwartende Wahlerfolg von Swoboda auch zu einem weiteren Erstarken der AN führen wird.