Prozess gegen neun neonazistische „Hertha-Fans'“
Am Mittwoch den 5. Juli 1989 ging vor dem Westberliner Jugendgericht ein zweitägiger Prozeß gegen neun extrem rechte Hertha BSC-Fans zu Ende. Die neun Beteiligten sollen sich in unterschiedlicher Besetzung an verschiedene Schlägereien, Beleidigungen, Sachbeschädigungen, Volksverhetzung und an der Verwendung von Symbolen verbotener Organisationen beteiligt haben.
Meistens legten die Beschuldigten nach den Spielen ihres Berliner Fußball-Vereins Hertha BSC los. Zum Beispiel sangen sie nach einem Hertha-Spiel am 5. August 1988 in der U-Bahn „die ganz normalen Hertha-Lieder“ wie das „Horst-Wessel-Lied“ und Sprechgesänge mit dem Text „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus - für jeden toten Türken geb ich einen aus“. Erst nachdem ein beherzter Mitfahrer das Personal der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) verständigte, wurden drei dieser Fans festgenommen. Fünf Tage später nahm die Polizei zwei der Angeklagten bei einem Fußballspiel im Olympiastadion fest, wo die beiden den gleichen Sprechgesang anstimmten und sich nicht entblödeten den deutschen Schlager „Mamor, Stein und Eisen bricht (aber unsere Hertha nicht)“, mit einem „Sieg Heil“ und dem entsprechenden Gruß zu versehen. Die Liste derartigen Auftretens ließe sich noch um etliche Fälle verlängern. Die Ereignisse während und nach den Hertha-Spielen zum Ende der letzten Saison bestätigen dies auf traurige Art und Weise. Da wurden in der Innenstadt regelrechte Schlachten gegen AusländerInnen geschlagen.
"Wir wollten unser eigenes Süppchen kochen"
Ein kleiner Einblick in die „Nationalistische Arbeiterjugend Deutschlands“ (NAD) um den bekannten Westberliner Neonazi-Aktivisten Hans Christian Wendt wurde durch Prozeß gegen die neonazistischen Hertha-Fans der Öffentlichkeit möglich. Christian Wendt war, wie alle anderen Angeklagten auch, bei diversen rassistischen Ausschreitungen vor und nach Fußballspielen dabei. Hierbei machte er nie einen Hehl aus seiner politischen Einstellung. Mal war es ein Hitler- Gruß, mal ein „Sieg Heil“-Ruf. Im vergangenen Jahr scharte er einige einschlägig bekannte und auch vorbestrafte Neonazis um sich, die sich dann „Nationalistische Arbeiterjugend Deutschlands“ (NAD) nannten. Allerdings „war es nicht so weit her mit der Organisationsstruktur“ wie er selbst bemerken mußte. Trotz strenger Geheimhalterei hatte einer seiner Kameraden die Einladung zu einem „Kameradschaftstreffen“ am 4. November 1988 in einem Kopierladen vergessen. In einem anderen Kopierladen ließ sich Wendt zusammen mit seinem Mitstreiter Christian Andreas W. erwischen, als sie das Titelblatt ("40 Jahre Judenrepublik') des NAD- Organs "Der Sturm" kopierten. Beide Male waren die Kopien mit allerlei, nach § 86a verbotenen, Zeichen und Symbolen (Hakenkreuze, Wolfsangel ect.) versehen.
Am Abend des 13. Februars 1989 versuchte Christian Wendt der Polizei klarzumachen, warum er und seine Kameraden u. a. einen Karton mit über 250 Aurklebern der „NSDAP/AO“ („Wir sind wieder da!“ / „Trotz Verbot nicht tot!“) und mehrere Ausgaben des „NS-Kampfruf“ mit sich herumschleppten. Angeblich wollte er seine Kameradschaft um sich versammeln, „um nach dem Verbot der „Nationalen Sammlung“ in Westdeutschland, die Berliner Kameradschaft der NAD aufzulösen und das Propagandamaterial in einer Zeremonie zu vernichten“. Der stadtbekannte Neonazi Oliver Schweigert hatte bezüglich des Verbots der „Nationalen Sammlung“ (NS)1 an die Polizei geschrieben, daß es 1. Eine Berliner Ortsgruppe der 'NS' nicht gab, daß 2. die Berliner Ortsgruppe der 'NS' sich aufgelöst habe, und daß 3. die Berliner Ortsgruppe der 'NS' nicht in den Untergrund gehen werde. Dieser sinnige Brief von Oliver Schweigert befand sich unter dem am selben Abend von der Polizei beschlagnahmten Propagandamaterial. Dieser Abend endete für Christian Wendt und seinen einschlägig vorbestraften Kameraden Martin N. auf einem Polizeiabschnitt.
Nur einen Tag später landete Christian Wendt erneut auf einem Polizeiabschnitt. Im Olympiastadion hatte er wieder die „üblichen Hertha-Lieder“ mitgesungen und zum „Hitler-Gruß'“ das entsprechende „Sieg Heil“ durchs Stadion gebrüllt. Im Prozeß versuchte die Jugendgerichtshilfe den Großteil der Angeklagten in die Ecke der typischen Fälle von sozial schwierigen Jugendlichen zu stecken. Ihre Urteilsvorschläge bewegten sich alle im Rahmen des sogenannten Erziehungsgedankens (Freizeitarbeiten, Wochenendarreste, etc.). Der Staatsanwalt forderte allerdings wesentlich schärfere Strafen, die nach Meinung des Jugendgerichtshelfers „weit am erzieherischen Gedanken vorbei zielten“. Auch ließ es sich der Staatsanwalt nicht nehmen, drei Zeugen zu belehren, welche von einigen der Angeklagten auf einem U-Bahnhof zusammengeschlagen worden waren: „Wer Rechtsextreme und Rechtsradikale als 'Faschos' bezeichnet, der macht sein eigenes unreflektiertes Schubladendenken deutlich. Faschisten waren etwas anderes“.
Urteile
Schlußendlich gab es für mehrere der Angeklagten (Torsten H., Andreas Sch., Christian Andreas W., Sascha A., Robert K.) gegen Geld-Zahlung, Freizeitarbeiten und Freizeitarreste, das Angebot zur Einstellung des Verfahrens. Robert St. wurde freigesprochen, da er angeblich Aufgrund polizeilichen Übereifers auf die Anklagebank geraten war. Martin N. erhielt wegen der Schwere seiner Taten zwei Jahre Jugendarrest. Für Carsten N. gab es acht Monate Jugendstrafe auf drei Jahre Bewährung. Christian Wendt erhielt ein Jahr Jugendstrafe, das nach einer Verbüßung von noch fünf Monaten abzusitzender Jugendstrafe auf Bewährung ausgesetzt werden kann, wenn er sich sechs Monate straffrei hält. Hans Christian Wendt wurde am 18. März 1988 bereits zu 10 Monaten Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Bewährung wurde im Februar 1989 widerufen, er sitzt jetzt bis Dezember 1989 in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee.
Der Volljährige Martin N. wurde im August 1988 zu zehn Jugendarbeiten und 300,- DM verurteilt. Die zehn Jugendarbeiten hat er nicht abgearbeitet. Martin N. ist am 4. Juli 1989 verhaftet worden und sitzt seit dem 5. Juli in Untersuchungshaft.
- 1Das Innenministerium in Bonn verbot im Februar 1989 wegen Verfassungsfeindlichkeit die Nationale Sammlung (N.S.) des Neonazis Michael Kühnen. Die Mini-Partei (170 Mitglieder) hatte er nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis gegründet, um in Hessen mit den Kandidaten Heinz Reisz, Thomas Bohl und Rainer Sonntag in den Kommunalwahlkampf zu ziehen.