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Tatmotiv: »Ausländerhass«

Einleitung

Das Urteil im Prozess um den Mord an dem 19-jährigen Kamal Kilade in Leipzig am 24. Oktober 2010 ist bemerkenswert. Nach fünf Verhandlungstagen kam die Schwurgerichtskammer am Landgericht Leipzig zu der Überzeugung, dass die beiden angeklagten Neonazis Daniel Kappe (29) und Marcus Eckardt (33) »nicht wahllos irgendein Opfer« gesucht hätten, »um Aggressionen abzubauen«. Vielmehr hätten sie »ein in ihr Welt- und Feindbild passendes Opfer gesucht und in Kamal Kilade gefunden«.

Srceenshot: Bild.de vom 08.07.2011. Zu sehen Marcus Eckardt.

Den »Ausländerhass« des bekennenden Neonazis Marcus Eckardt, der erst zehn Tage vor dem Angriff auf Kamal aus der Haft entlassen worden war, hielt das Landgericht Leipzig für das »tragende Motiv« für den tödlichen Messerstich gegen den jungen irakischen Migranten – auch wenn während der Tat an sich keine rassistischen Beleidigungen gefallen waren. Entsprechend wurde der einschlägig vorbestraften Marcus Eckardt am 8. Juli 2011 dann auch wegen Mordes zu dreizehn Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Sein Mittäter Daniel Kappe kam dagegen mit drei Jahren Haft wegen vorsätzlicher Körperverletzung glimpflich davon, obwohl er es gewesen war, der den Angriff auf Kamal begonnen hatte. Mit dem Urteil setzte sich die Kammer gleich in zweifacher Hinsicht über die Staatsanwaltschaft Leipzig hinweg: Diese hatte ein politisch rechtes und rassistisches Motiv in allen öffentlichen Stellungnahmen und in der Anklageschrift konsequent verneint und für den Haupttäter lediglich auf eine Verurteilung wegen Totschlags plädiert.

Zum Tathergang stellte das Gericht fest, dass sich Eckardt und Kappe am Abend des 24. Oktober 2010 mit einem ehemaligen Kameraden auf Sauftour begeben hatten, um Eckardts Haftentlassung zu feiern. Am Ende der Nacht ließen sich Eckardt und Kappe bewusst auf der Suche nach »Feinden wie Junkies oder Ausländern« – so der Vorsitzende bei der Urteilsverkündung – von ihrem Begleiter zu einem kleinen Park am Leipziger Hauptbahnhof fahren. Dort wurden die beiden Neonazis auf Kamal wohl deshalb aufmerksam, weil der sich gerade mit seiner Freundin stritt, während ein jüngerer russlanddeutscher Freund etwas abseits auf einer Parkbank den Streit verfolgte. »Gibt es ein Problem?« soll der 19jährige Kamal noch gefragt haben, als er sah, dass die beiden Neonazis zunächst auf seinen Freund einredeten. »Jetzt ja«, antwortete Daniel Kappe nach Überzeugung des Gerichts und ging dann direkt mit Faustschlägen auf den Teenager los. Dem gelang es zunächst noch auszuweichen. Dann jedoch setzte Kappe Pfefferspray ein und Kamal konnte sich nicht mehr wehren. Währenddessen hatte Marcus Eckardt zunächst den 17-jährigen Freund von Kamal bedroht und stach schließlich mit seinem Messer auf Kamal ein.

Neonazi-Hegemonie in Knästen

Anhand der knapp zwei Jahrzehnte umfassenden Knastkarriere des 1978 in Erfurt geborenen Marcus Eckardt wird u.a. deutlich, wie wirkungslos die akzeptierende Sozialarbeit der frühen 1990er Jahre war und wie umfassend die Hegemonie der extremen Rechten in vielen Jugendknästen und Haftanstalten in Thüringen und Sachsen seit Jahren ist. Der von Kopf bis Fuß mit neonazistischen Parolen wie »White Power« und Symbolen wie Hakenkreuzen und SS-Runen tätowierte Eckardt schloss sich bereits 1992 als Dreizehnjähriger der rechten Szene in Erfurt an. Erste Straftaten führten dann u.a. dazu, dass er – unterbrochen von Jugendhaftanstalten – in ein Erfurter Jugendwohnheim zog und von dort aus im Rahmen einer »erlebnispädagogischen Maßnahme« auf eine neunmonatige begleitete Schiffsreise ins Mittelmeer starten durfte. Ab 1998 bis zum 14. Oktober 2010 war Eckardt ununterbrochen in Haft – u.a. in Erfurt, Weimar, Ichtershausen in Thüringen sowie in Tonna, Bautzen und Waldheim in Sachsen. 

Die Haftzeit nutzte Eckardt vor allem dazu, sich fester an die Neonaziszene zu binden. In einem angehaltenen Brief aus der Haftanstalt Waldheim berichtete er, er erhalte Unterstützung von »Kameraden«, höre viel »patriotische Musik« und befinde sich seit ca. »acht Jahren in der Bewegung«. Während seiner Haftzeit in der thüringischen Jugendstrafanstalt Ichtershausen wurde Eckardt von der jüngst verbotenen neonazistischen »Hilfsorganisation für nationale Gefangene und deren Angehörige« (HNG)1 in deren monatlicher »Gefangenenliste« aufgeführt (vgl. AIB Nr. 80). Und während seiner Inhaftierung in der JVA Tonna im Jahr 2007 wurden in seiner Zelle eine Bauanleitung für einen Brandsatz und eine schwarz-weiß-rote Fahne beschlagnahmt. Abweichler, vermeintliche Sexualstraftäter und Nicht-Deutsche erniedrigte und misshandelte er. Wegen Vergewaltigung in drei Fällen, gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen und Körperverletzung in zwei Fällen – das Opfer war dabei immer ein Mithäftling in der Jugendhaftanstalt Gotha, der von Eckardt und weiteren Mithäftlingen durch gezieltes Verbrühen und Verbrennen mit heißem Wasser und Tauchsiedern regelrecht gefoltert wurde – sowie wegen weiterer Gewaltdelikte u.a. gegen einen Mithäftling, weil dieser nicht »gut genug Deutsch« sprach, verbüßte Eckardt bis zum Oktober 2010 eine Gesamtfreiheitsstrafe von achteinhalb Jahren. Nach seiner Festnahme wegen des Mordes an Kamal fanden die Ermittler in seiner neuen Erfurter Wohnung zwar keine Möbel, aber drei Kisten voller neonazistischer Propaganda und einschlägiger Musik, die aus seiner Haftzeit stammten.

Wenige Tage nach seiner Haftentlassung hatte sich Eckardt eigens in einem Erfurter Waffengeschäft ein Messer mit einer 8,5 cm langen Klinge und ein Pfefferspray besorgt. Dann begab er sich auf Besuchsreise bei »Kameraden«. Die erste Station: Leipzig. Dort wollte er seinen Knastkameraden Daniel Kappe besuchen, den er in der JVA Waldheim kennengelernt hatte.

Unter Neonazi-Schlägern

Daniel Kappes Weg in die Neonaziszene hatte als Teenager in seiner Geburtsstadt Leipzig begonnen; nach einem Umzug nach Aachen im Jahr 2001 schloss sich der Sohn eines sächsischen Polizeibeamten mit enger Elternbindung der Kameradschaft Aachener Land (KAL) an (vgl. AIB Nr. 91). Dort fiel er vor allem als brutaler Schläger gegen Linke, aber auch szeneintern auf. Strafrechtliche Konsequenzen hatte sein Verhalten in drei Fällen. Im Oktober 2005 hatte Kappe in Langerwehe bei Aachen einen nicht-rechten Jugendlichen u.a. als »Scheiß Zecke« beschimpft und ihn körperlich bedroht. Im Februar 2007 verurteilte das Landgericht Aachen Kappe wegen unterlassener Hilfeleistung; er hatte tatenlos zugesehen, als eine junge Frau aus dem Umfeld der KAL von zwei Kameradschaftsaktivisten misshandelt wurde. Im gleichen Jahr verurteilte das Landgericht Aachen ihn wegen Geiselnahme und gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren Haft. Gemeinsam mit anderen Neonazis hatte Kappe bei einer kameradschaftsinternen Racheaktion zunächst die Schwester eines »Kameraden« über Stunden entführt, um dessen Aufenthaltsort zu erfahren, und war dann über den Mann hergefallen. Absitzen musste Kappe die Strafe u.a. in der sächsischen Haftanstalt Waldheim, wo er dann auch Marcus Eckardt kennenlernte.

Im April 2010 setzte das Landgericht Chemnitz die Verbüßung von Kappes Reststrafe auf dessen Antrag hin zur Bewährung aus und bescheinigte ihm trotz fortgesetzter Kontakte zur Neonaziszene eine »günstige Sozialprognose«. Im Prozess vor dem Landgericht Leipzig bemühte sich der 29-jährige Kappe sehr, sich als Aussteiger aus der Neonazi-Szene zu präsentieren. So behauptete er beispielsweise, nach seiner Haftentlassung im Mai 2010 kein Geld gehabt zu haben, um sich »neutrale« Kleidung zu kaufen. Nur deshalb habe er am Tatabend ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Kick off, Antifascists« sowie eine Thor-Steinar-Jacke getragen.

In seinem Teilgeständnis griff er zudem tief in die Mottenkiste der altbekannten Entlastungsstereotype. Er sei am Tatabend betrunken gewesen, Neonazi sei er nur geworden, weil er als Sachse in Aachen keine andere Wahl gehabt hätte, sich irgendwo anzuschließen. Ausländerfeindlich sei er auch nicht, weil er bei seinem Job  auch einen kubanischen Kollegen habe. Das Gericht überzeugte Kappe damit zwar nicht, dennoch verzichteten die Richter darauf, der Frage der engagierten und angesichts des staatsanwaltschaftlichen Desinteresses unverzichtbaren Nebenklage nachzugehen, wer Kappes Wohnung nach dessen Festnahme im Fall Kamal Kilade und vor Eintreffen der Durchsuchungsbeamten »gesäubert« hatte. Dubios auch, dass die durchsuchenden Beamten bei ihm lediglich einige neonazistische Pins feststellten, einschlägige Szenekleidung aber mit dem Hinweis, sie hätten nur nach »verbotenen Symbolen« gesucht, schlichtweg ignorierten.

Während Kappe das Urteil annahm und nun auf seinen erneuten Haftantritt wartet, hat Eckardt Rechtsmittel gegen seine Verurteilung eingelegt, über die der Bundesgerichtshof entscheiden muss. Abzuwarten bleibt, ob die sächsische Landesregierung und die Bundesregierung Kamal Kilade nun als Opfer rechter Gewalt anerkennen – bislang war das nicht der Fall.

  • 1Hilfsorganisation für nationale Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) (Hrsg.): Nachrichten der HNG, Nr. 231/2000, S. 4.