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Neonazi-Hochburg Aachener Land

Michael Klarmann
Einleitung

Radikalisierte Szene im Raum Aachen, Düren und Heinsberg

Rene Laube als Redner auf der Kundgebung "Die Rechten gegen Schächten" im Februar 2002 in Stolberg.

Geplant war am 26. Juli 2009 ein Fußball-Freundschaftsspiel der U19 von Alemannia Aachen und der U21 des griechischen Clubs PAOK Thessaloniki. Da es im Vorfeld in der Region Düren zu rechten Vorfällen gekommen war, stand das Spiel unter dem Motto: »Gegen Rassismus und Gewalt!« Die Partie symbolisch anstoßen sollte der CDU Bürgermeister. Doch als die Veranstalter der Initiative »Fußballvereine gegen Rechts« den Fußballplatz betraten, waren sie geschockt. Neonazis hatten das Kürzel KAL und ein etwa 1,50 mal 1,50 Meter großes Hakenkreuz in den Rasenplatz des Dorfes gegraben. In beiden Strafräumen waren zudem massenhaft Glasscherben verstreut und in den Boden getreten worden.

Kameradschaft Aachener Land

Die Buchstabenfolge KAL ist in der Region Aachen und den Kreisen Düren und Heinsberg seit 2001 bekannt. Es ist das Kürzel der »Kameradschaft Aachener Land«, einer Neonazi-Gruppe im Rheinland mit geschätzten 30 bis 60 Mitgliedern, »Anwärtern« und sonstigen Interessierten im Umfeld. Als am 20. April 2011 Neonazis in der Region Parolen wie »Adolf Hitler, alles Gute!« und »122 Jahre« sprühten, war neben der Webadresse der »Kameradschaft« auch das KAL-Kürzel dabei: »Alles Gute Adolf, wünscht KAL!«

Die Gruppe wurde 2001 gegründet, nennt aber 2002 als Gründungsjahr. Die KAL verfügt über feste Strukturen. Die Mitglieder treffen sich regelmäßig, um Aktionen und Strategien zu beraten. Brisante Aktionen oder gezielte Angriffe werden nur im kleinen Kreis besonders eingeschworener »Kameraden« geplant und durchgeführt. Einmal im Jahr findet eine Jahreshauptversammlung statt, für 2012 soll eine »10-Jahresfeier« mit Besuchern aus ganz Europa und rechten Kultbands geplant sein. Im Jahre 2010 gab es einen hohen Ermittlungsdruck seitens der Landeskriminalämter NRW und Berlin, des Landesverfassungsschutzes und der Polizei Aachen. Der regionale Polizeipräsident erklärte im Herbst 2010, seine Behörde nehme die KAL zwar »sehr ernst«, ein Verbot der KAL sei indes »eine schwierige rechtliche Frage.« Neonazi-»Kameradschaften« hätten keine festen Strukturen, »und deshalb gibt es auch nichts zu verbieten. Das ist eine formale, aber vorhandene Problematik.« Zu jenem Zeitpunkt war die KAL wegen zahlreicher Hausdurchsuchungen für einige Wochen kaum handlungsfähig.

In den Monaten zuvor war es zu zahlreichen Straftaten von KAL-Leuten und Neonazis aus deren Umfeld gekommen. Am 20. April 2010 hatte die KAL z.B. auf ihrer Homepage Adolf Hitler zum »121. Geburtstag« gratuliert. Ein KAL-Mitglied bastelte mittels Silvesterböllern und Glasscherben Sprengsätze und nahm diese mit zu einem Aufmarsch in Berlin am 1. Mai, vermutlich sollten damit Gegendemonstranten oder Polizisten attackiert werden. Über Monate wurden Nazigegner oder Bürger, die Neonazis für ihre Gegner hielten, mit Angriffen und Sprühaktionen – darunter Morddrohungen nebst KAL-Kürzel – terrorisiert.

Es fand ein Brandanschlag auf das »Autonome Zentrum« (AZ) in Aachen statt, Besucher wurden auf dessen Vorplatz von Neonazis mit einer Zwille und Stahlkugeln sowie einer Gaspistole beschossen. Eine an die Antifa adressierte Paketbomben-Attrappe wurde vor dem AZ abgelegt. Anfang August kam es zu einer Serie von Schmierereien, unter anderem wurde auf der Außenmauer des jüdischen Friedhofes in Aachen auf rund 15 Metern Länge die Parole »Juden den Gashahn aufdrehen« angebracht.

Im Februar 2011 griffen rund fünfzehn Neonazis und KAL-Leute gezielt eine Rockkneipe in Wassenberg (Kreis Heinsberg) an, weil man ihnen nach vorangegangenen Provokationen Hausverbot erteilt hatte.

Radikalisierte NPD Strukturen

Neben Dortmund und den angrenzenden Kleinstädten im östlichen Ruhrgebiet gilt die Region Aachen als zweite Hochburg der Neonazi-Szene in NRW. Bis zu internen Machtkämpfen mit dem NPD-Landesverband galt auch der NPD-Kreisverband Düren als einer der aktivsten und aggressivsten NPD-Gliederungen in NRW. Bis Mitte 2010 fungierte Ingo Haller (Niederzier-Hambach) als Mitglied im Landesvorstand und Kreischef im Raum Düren; Haller war 2009 für die NPD in den Kreistag Düren gewählt worden. Hallers Stellvertreter im Kreisverband waren bis Mitte 2010 René Rothhanns (Merzenich), der im Stadtrat von Düren sitzt, und René Laube (Vettweiß-Kelz), der KAL-»Kameradschaftsführer«.

Vierter einflussreicher Kader ist der Neonazi Axel Reitz (Pulheim). Reitz und Laube saßen auch in jenem Bus, in dem in der Nacht auf den 1. Mai 2010 die selbst gebastelten Sprengvorrichtungen nach Berlin transportiert wurden. Laube, Reitz, Haller und Rothhanns scheiterten Mitte 2010 mit dem Vorhaben, den NPD-Landesverband NRW auf einen offen nationalsozialistischen Kurs trimmen zu wollen. Gegen Haller, Laube und Rothhanns wurden am Ende eines gescheiterten Parteiausschlussverfahrens deswegen zwar »Ordnungsmaßnahmen« verhängt. Jedoch unterlag in der Region Aachen-Düren die Landes-NPD in dem Machtkampf den radikalen, militanten und aktionistischen Kräften rund um das Quartett.

Etabliertes Aktionsgebiet

Die Region gilt auch als Hochburg der Neonazis, weil seit Ende 2006 zahlreiche Veranstaltungen und Aufmärsche stattfanden. Redner-Abende, Sommerfeste, »Heldengedenken« und ein Fußballturnier fanden statt, zudem organisiert die KAL regelmäßig im Mai mit Neonazis wie Sven Skoda, Christian Malcoci und Ralph Tegethoff das »Schlageter-Treffen« zu Ehren des im »Dritten Reich« als Märtyrer verehrten Albert Leo Schlageter. Neben Aufmärschen in Aachen, Düren und Heinsberg organisieren Haller, Reitz und Laube seit 2008 im April »Trauermärsche« in Stolberg zum »Gedenken« an einen von einem Migranten erstochenen 19-jährigen Berufsschüler.

Besucht werden die fremdenfeindlichen Aufmärsche von Neonazis aus ganz Deutschland und Teilen Europas. Dass sie in die westliche Kleinstadt anreisen, hat einen Grund: in den ersten Monaten nach der Tat hatte das Trio das Opfer ohne Rücksicht auf die trauernde Familie zu Propaganda-Zwecken zum »Kameraden« und »Märtyrer der Bewegung« verklärt. Letztlich geht es bei der Aufmarschserie jedoch darum, Fremdenhass offen ausleben zu können.

Offene Hetze

Haller hatte etwa in einer Rede am 4. April 2009 vor rund 530 »Kameraden« den »Nationalen Widerstand« in der multikulturell geprägten Demokratie mit einem Bauern verglichen, der sein Land bestellt. Gelegentlich, sagte Haller, müsse der Bauer dann auch »Unkrautvernichter« einsetzen, um »unerwünschte Gäste« – gemeint waren der Analogie folgend MigrantInnen – zu bekämpfen.

Mitorganisator Reitz rief bei einem Fackelmarsch an Karfreitag 2010 den »lieben Kameradinnen und Kameraden« zu, eines Tages werde man ein »Flächenbrand« sein, der »all das Kranke, all das Zersetzende, all das Dekadente aus unserem Volk« heraus brennen werde. Und Manfred Breidbach, stellvertretender Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Düsseldorf/Mettmann, wetterte am 9. April 2011 gegen die »multikulturelle Pest«. Doch eines Tages werde Deutschland »im Glanze brennender Moscheen« erstrahlen.

Zum Autor:
Michael Klarmann ist seit Mitte 2000 freischaffender Journalist in Aachen. Zeitweise redaktioneller Mitarbeiter bei Tageszeitungen und Musikmagazinen, Stadt- und Fachzeitschriften. In seinem Arbeitsschwerpunkt Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zudem als Berater und Referent für Redaktionen, Behörden und Bildungseinrichtungen tätig.