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Razzia im Hinterland – Das Ende des Aktionsbüro Mittelrhein

LOTTA (Gastbeitrag)
Einleitung

»Polizei stürmt Braunes Haus – 24 Verhaftungen« – Schlagzeilen wie diese waren es, die das Mediengeschehen am 13. März 2012 bestimmten. In vier Bundesländern fanden bei über 30 Neonazis Hausdurchsuchungen im nördlichen Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen (NRW) statt, jeweils eine Durchsuchung gab es in Thüringen und Baden-Württemberg.

Foto: Max Bassin

Kundgebung auf dem »Rheinwiesenlager«, Remagen 2011.

Der Schwerpunkt lag dabei im Hinterland zwischen Koblenz und Bonn, aber auch Köln und Düsseldorf waren Ziel der 300 Einsatzkräfte. Nachdem die Neonazis vom Aktionsbüro Mittelrhein (AMR) jahrelang ungestört von jedweden Ermittlungen agieren konnten, waren sie in der letzten Zeit ins Visier der Staatsanwaltschaft Koblenz gerückt. Die ermittelnden Behörden verweisen in ihren Erklärungen darauf, dass sich ab Mitte des Jahres 2010 die Hinweise verdichteten, dass es sich bei dem AMR um eine kriminelle Vereinigung handeln würde, der 28 Neonazis zugerechnet werden. Weitere Vorwürfe die im Raum stehen sind gefährliche Körperverletzung, schwerer Landfriedensbruch und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Insbesondere wurde von Seiten der Ermittlungsbehörden die sogenannte Anti-Antifa-Arbeit der Neonazis betont, die Angsträume geschaffen habe. Weitere Anschuldigungen sind die Beteiligung von 15 Neonazis des AMR an einem Angriff auf das alternative Wohnprojekt »Praxis« sowie Busse antifaschistischer DemonstrantInnen im Zuge der Neonazigroßdemonstration in Dresden 2011 und schwere Übergriffe in Wuppertal. Die führenden Kräfte der Kameradschaft Köln, Axel Reitz, Paul Breuer und Sebastian Ziesemann wurden ebenfalls festgenommen, sie werden der Unterstützung dieser kriminellen Vereinigung beschuldigt. Als Zentrale diente den Neonazis der AMR dabei das »Braune Haus«, ein Wohnhaus in Bad Neuenahr, dass diese seit Dezember 2009 angemietet hatten. Auch der Düsseldorfer Neonazi Sven Skoda hatte dorthin im August 2011 seine Meldeadresse verlegt.

Vorgeschichte

Von antifaschistischer Seite wird seit geraumer Zeit darauf hingewiesen, dass der harte Kern des AMR bereits seit 2004 aktiv sei. Der Ursprung des »Aktionsbüros« dürfte jedoch noch ein Jahr vorher liegen. Bei dem damals in Brüssel stationierten Soldaten Sven Lobeck aus Koblenz wurden am 22. Februar 2003 mehrere scharfe großkalibrige Handfeuerwaffen gefunden. Lobeck flog aus der Bundeswehr und begann bei neonazistischen Demonstrationen aufzutauchen. Als »Aktionsfront Mittelrhein« trat Lobeck ab 2004 mit genau jenen »Kameraden« in Erscheinung, die bis in die jüngsten Tage beim AMR aktiv waren. 2005 öffnete sich der rheinland-pfälzische Landesverband der NPD gezielt für Freie Kameradschaften, worauf hin sich die Neonazis des AMR der NPD anschlossen. Lobeck wurde Kreisvorsitzender der NPD, trat als Kandidat zu den Landtagswahlen an und bezeichnete sich öffentlich als »Betreiber des Aktionsbüro Mittelrhein« – Aktionsfront war gegen Aktionsbüro ausgetauscht worden. Nachdem sich ein Ende der seit 2003 stattfindenden Demonstrationen in dem kleinen Dorf Marienfels (Rhein-Lahn-Kreis) für die Erhaltung bzw. den Wiederaufbau eines »Ehrenmals« für die »1. Leibstandarte Adolf Hitler«, eine Einheit der Waffen-SS, abzeichnete, waren die Neonazis des AMR auf der Suche nach einem neuen Themenfeld. Dies fanden sie mit den Rheinwiesenlagern, Kriegsgefangenenlagern der Alliierten, die nach dem Zusammenbruch der Westfront entlang des Rheins eingerichtet worden waren. Ab 2009 fand  jährlich im November in Remagen eine Demonstration statt, die auch vom Landesverband der rheinland-pfälzischen NPD unterstützt wurde.

Antifaschistische Aufklärungsarbeit

In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen im rheinland-pfälzischen Landtag hatte das Mainzer Innenministerium im Dezember 2011 noch bekannt gegeben, dass das AMR erstmals Ende 2007 bekannt geworden sei und derzeit aus 14 Personen bestehe. In Berichten des Rheinland-pfälzischen Inlandsgeheimdienstes wird 2010 der Schluss gezogen, dass sich ein »Aktionsbüro Mittelrhein« gebildet habe. Schon ab 2008 berichteten antifaschistische Medien ausführlich über die Neonazis vom Aktionsbüro Mittelrhein und deren Vorgeschichte. Antifaschistische Jugendliche veranstalteten im Februar 2009 eine Demonstration in Remagen, um auf die zunehmende Neonazigewalt in der Region hinzuweisen. Sie fanden jedoch kein Gehör und wurden nicht ernst genommen, im Gegenteil: die Polizei machte sich geradezu über sie lustig und erklärte, dass »nichts bekannt sei«, es in der Vergangenheit aber »Unruhe« durch die »Punkerszene« gegeben habe. Seit Dezember 2009 verfügten die Neonazis über das »Braune Haus« in Bad Neuenahr. Dort fanden seitdem auch Partys und Rechts-Rock-Konzerte. statt Für Aufsehen sorgte ein von AntifaschistInnen veröffentlichter Partyflyer, der sich positiv auf den NSU bezog: Unter dem Motto »2 Jahre Braunes Haus – Jetzt knallts richtig« hatten die Neonazis zu einer Silvesterparty geladen, die Buchstaben »NSU« waren dabei farblich abgehoben.

Staatliche Repression gegen Neonazis

Die Staatsanwaltschaft ging nicht zum ersten Mal derartig gegen eine neonazistische Struktur vor. In den letzten zwei Jahren dürften es etwa 50 Neonazis sein, die durch Haftbefehle aus dem Verkehr gezogen und inhaftiert wurden. Bereits 2005 wurde die Kameradschaft Westerwald als kriminelle Vereinigung eingestuft. Nach mehreren Hausdurchsuchungen, wurde die Homepage der Kameradschaft abgeschaltet und Besucher auf die Seite der »NPD Rheinland-Pfalz« verwiesen.  Die jetzt festgenommenen Neonazis des AMR hatten sich fast schon zielstrebig mit den Koblenzer Ermittlungsbehörden angelegt. Neben Twitter Nachrichten wie »Mit Richtern redet man nicht, auf Richter schießt man« wurden ZeugInnen im Zuge von Gerichtsprozessen bedroht. Ein »Verräter« wurde Ende 2010 zu einer Grillhütte im Westerwald gelockt und dort halb totgeschlagen. Einer der Haupttäter wohnte im »Braunen Haus« und wurde ein halbes Jahr später selber wegen seiner Zusammenarbeit mit Behörden aus der Szene ausgeschlossen und zum »Freiwild« erklärt. Durch die breit angelegten Gegenproteste junger Antifaschist_innen aus der Region, der verstärkten Aufmerksamkeit der Zivilbevölkerung und den zu erwartenden Maßnahmen der Staatsanwaltschaft, war das Ende des AMR seit mindestens einem Jahr abzusehen.

Ausblick

Dass die Razzia zum jetzigen Zeitpunkt stattfand, dürfte kein Zufall sein. Spätestens mit bekannt werden des NSU hatte die regionale Presse angefangen, ausführlich über Neonazis und ihre Aktivitäten zu berichten. Antifaschistische Gruppen waren zudem in die Offensive gegangen und hatten eine breite Bündnisdemonstration in Ahrweiler, der »Homezone« des AMR angekündigt. Dies führte dazu, dass den Behörden in der Öffentlichkeit die Deutungshoheit mehr und mehr entglitt. Die zentralen Figuren des AMR und des »Braunen Hauses« sind erst mal aus dem Verkehr gezogen und ebenso sitzt das Führungspersonal zweier Kreisverbände der NPD fast vollständig hinter Gittern. Keine guten Voraussetzungen in Zeiten der von der NPD angestrebten »seriösen Radikalität«. AntifaschistInnen dürfte jedoch auch in den nächsten Jahren nicht langweilig werden.  Neben dem geplanten Aufmarsch der Neonazis am 1. Mai in Bonn, steht die Diskussion darüber an, warum alle paar Jahre jeweils einige Kilometer weiter eine neue neonazistische Gruppe auftaucht, an Bedeutung gewinnt und zum Problem in der jeweiligen Region wird.