Skip to main content

Verfassungsschutz auflösen – Rassismus bekämpfen!

Ein Beitrag von AKKU (Antifaschistische Koordination Köln + Umland)
Einleitung

Warum die antifaschistische Linke diese Forderung weiterhin in die Öffentlichkeit tragen sollte

Der ehemalige Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Heinz Fromm am 5. Juli 2012 vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundes­tages. Im Hintergund sein Nachfolger Hans-Georg Maaßen.

Im November 2012 jährt sich das Bekanntwerden der über sieben Jahre andauernden Mord- und Anschlagsserie des Nationalsozialistischen Untergrun­des (NSU) um Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt, welche ungehindert von Sicherheits­behörden mindestens zehn Menschen ermorden und mindestens zwei Bombenanschlä­ge verüben konnten. Fast täglich werden neue Details über die Verstrickungen der Geheimdienste mit dem NSU und seinem Unterstützer_innennetzwerk sowie über die rassistischen Praktiken der Polizei bekannt. Das tat­sächliche Ausmaß des Beziehungsgeflechtes zwischen Staat und Neonazis ist bis heute noch nicht abzusehen. Es wird gelogen, verschwiegen und vertuscht.

Doch auch wenn das öffentliche Interesse zurzeit immens ist, bleibt der Ruf nach Konsequenzen, die eine Kritik an der Verfasstheit der Behörden und den gesellschaftlichen Bedingungen einbeziehen – die den NSU ermög­licht haben – aus. Genau dort müssen Interventionen in den Diskurs erfolgen, Forderungen und Kritik­punkte über Rücktritte der Verantwortlichen und Reformierungen bundesdeutscher Sicherheitsarchitektur hinaus formuliert werden. Köln als Ort zu wählen, um eine erste, öffentlich wirksame, tiefergehende Kritik zu üben, bietet sich aus verschiedenen Gründen an. So haben hier nicht nur das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst (MAD) ihren Sitz – jene Einrichtungen, welche die Offenlegung aller Informationen über den NSU und seine Beziehungen zu V-Leuten verweigern und eine Strategie des Verheimlichens, Vertuschens und Verleugnens verfolgen, – Köln ist auch die Stadt, in der in den Jahren 2001 und 2004 Bombenanschläge durch den NSU verübt wurden und so mehr als 20 Menschen teilweise lebensgefährlich verletzt wurden.

Verfassungsschutz und NSU

Die Fakten sind – so weit bekannt – alle schon im »Antifaschistischen Info­blatt« veröffentlicht worden: Die politische Sozialisation des NSU erfolgte in den neonazistischen Milieus der 1990er-Jahre in Thüringen, die sich verfestigen konnten ohne nachhaltige Sanktionierungen fürchten zu müssen. Obgleich bereits im Blickfeld der Behörden gelang es Böhnhardt, Mund­los und Zschäpe 1998 abzutauchen. Unterstützung erhielten sie aus den Kameradschaftsstrukturen des »Thüringer Heimatschutzes« (THS), mit denen sie sich an Aktionen der Neonaziszene beteiligt hatten. Nicht obwohl, sondern vielleicht sogar weil im THS bis zu 40 Spitzel (Vertrauenspersonen) tätig waren. Es gibt etliche Berüh­rungs­punkte zwischen VS und NSU: Über den V-Mann Tino Brandt wurde offensichtlich versucht Gelder an die terroristische Struktur weiterzuleiten; ein Mitarbeiter des VS (bekannt als »Klein Adolf«) war in der Nähe des Tatortes als Halit Yozgat in Kassel erschossen wurde. Der Neonazi Thomas Starke hatte dem NSU Sprengstoff übergeben und war als V-Person in den Diensten des Berliner LKA. Die Liste ließe sich immer weiter führen.

Auf der anderen Seite wurde alles dafür getan, dass die Mordserie des NSU nicht aufgeklärt werden konnte. Rechtsterrorismus gebe es in der Bundesrepublik nicht, so das Credo des Verfassungsschutzes. Die Polizei schloss rassistische Hintergründe aus – obwohl die Angehörigen der Opfer immer wieder auf ein solches Motiv verwiesen hatten und es zahlreiche Spuren und Zeug_innenaussagen in diese Richtung gegeben hatte. Die Ermittler_innen waren fest davon überzeugt, es mit migrantischen Täter_innen im Bereich Schutzgelderpressung und organisierter Kriminalität zu tun zu haben. So standen die Betroffenen jahrelang unter dem Verdacht, selbst schuld daran gewesen zu sein, dass sie Opfer eines Verbrechens geworden waren.

Der Rassismus in der Mitte der  Gesellschaft

Doch genauso wenig, wie das Versagen der Polizei beim NSU allein auf Pech, Informationsdefizite oder Inkompetenz zurückgeführt werden kann, sollte das Agieren des Verfassungsschutzes nur mit Dilletantismus erklärt werden. Auch die historischen Kontinuitäten des Inlandsgeheimdienstes, dessen Aufbau maßgeblich von ehemaligen Gestapo-Beamten und anderen Neonazis mitbetrieben wurde, und der seinen Auftrag in der Abwehr einer Bedrohung von Links sah, können als Erklärung nicht ausreichen. Vielmehr spiegelt sich in diesen – der demokratischen Kontrolle vielfach entzogenen – Behörden vor allem ein in die bundesdeutschen gesellschaftliche Strukturen eingewobenes Denken wieder: Die Hierarchisierung verschiedener Gruppen anhand ethnischer Trennlinien, die Ausgrenzungen und die ungleiche Verteilung von Rechten sowie die weite Verbreitung rassistischer und nationalistischer Einstellungsmus­ter. So wurde den beispielsweise als »Türken« wahrgenommenen Migran­t_innen wie selbstverständlich ein kriminelles Verhalten zugeschrieben. Ihren Ausdruck findet diese Diskriminierung in Bezeichnungen wie »SOKO Bosporus« oder der durch Polizeikreise kolportierte und von den Medien aufgenommen Begriff der »Döner-Morde«. Die Blindheit und Igno­ranz, die im Fall des NSU zutage traten, sind nicht allein ein individuelles Fehlverhalten, sondern ein gesellschaftliches Problem.

Es stellt sich die Frage, ob sich diese Trennlinien nicht ebenso in der vielerorts ausbleibenden zivilgesellschaftlichen Empörung nach Bekanntwerden der NSU-Morde oder den mangelnden Solidarisierungsversuchen auch auf Seiten der Antifa zeigen.

Staatliche Reaktion

Mit Einleitung von § 129-Verfahren wie beim neonazistischen »Aktionsbüro Mittelrhein«, den kürzlich durchgeführten Razzien und Verboten von Kamerad­schaften in Dortmund und Aachen oder der Verbunddatei Rechtsextremismus geben Politik und Institutionen ein entschiedenes »Vorgehen gegen Rechts« als Konsequenz aus dem NSU vor. Dieses öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzte staatliche Handeln geschieht jedoch weiterhin auf der Folie der Extremismusdoktrin. Dabei werden antifaschistische Gruppen durch eine Gleichsetzung mit Neonazis nicht nur ideologisch diskreditiert; sie verspüren den Repressionsdruck auch praktisch. Sei es bei Demonstrationen gegen Rechts oder beim Antifa-Camp in Dortmund, das – trotz Zusammenarbeit der Veranstalter_innen mit Stadt und Behörden – kurzerhand verboten wurde. Mit diesem Staat ist kein Antifaschismus zu machen.

Gesellschaftliche Verhältnisse aufbrechen

Der Umgang mit dem NSU ist keine Panne im System, es ist vielmehr das System, das versagt – was nun immer offensichtlicher wird. Köln ist der Ort, an dem die Betroffenen und ihre Angehörigen (wie auch in anderen Städten) durch die rassistischen Ermittlungen der Polizei ein zweites Mal zu Opfern gemacht wurden. Eine Entschädigung für die diffamierenden polizeilichen Ermittlungen, sowie ein freier Zugang zu allen Informationen zum Fall NSU blieben jedoch aus. Deshalb geht es nicht darum, dass die Polizei etwas weniger rassistisch agieren sollte, sondern darum, die rassistischen Verhältnisse zu überwinden. So steht auch nicht zur Debatte, den Verfassungsschutz zu reformieren, vielmehr muss die Abschaffung aller Geheimdienste erfolgen.

Wir laden alle ein, sich am 10. November 2012 in Köln an einer Demonstration unter dem Motto »Verfassungsschutz auflösen – Rassismus bekämpfen« zu beteiligen.