Ein starkes Symbol des Bedauerns?
Straßennamen als Medien des Gedenkens an die Opfer von Rassismus und rechter Gewalt
Am Ende blieb nur noch das Eingeständnis der Niederlage. Zuvor hatte Norbert Wett, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Rat der Stadt Kassel alles versucht, eine Entscheidung des Magistrats von Anfang November 2012 zu torpedieren, die Straßenbahnhaltestelle »Mombachstraße« in »Haltiplatz/Philipp-Scheidemann-Haus« umzubenennen. Diese ist nun, wie auch der angrenzende kleine Platz, Halit Yozgat gewidmet, der am 6. April 2006 in seinem Internetcafé von den Mördern des Nationalsozialistischen Untergrunds erschossen worden war.
Wett wollte jedoch die Mehrheitsentscheidung des Magistrats nicht mittragen. Durch die Einweihung des Halitplatzes am 1. Oktober 2012 sei »dem Andenken der NSU-Opfer genüge getan« worden. Die Umbenennung der Straßenbahnhaltestelle sei von den BürgerInnen nicht gewollt, argumentierte Wett und scheute daher auch nicht davor zurück, die Kasseler Verkehrsbetriebe in einem Schreiben aufzufordern, die Entscheidung des Magistrats nicht umzusetzen. Diese lehnten allerdings das Anliegen der CDU-Fraktion ab und verwiesen darauf, als kommunales Unternehmen, Mehrheitsbeschlüssen des Rates selbstverständlich nachzukommen. Damit hatte Wett freilich rechnen müssen, gleichwohl rechtfertigte er seinen Vorstoß auch in der Rückschau mit den Worten: »Einen Versuch war's wert.«
Den Aktionismus, den die Kasseler CDU-Fraktion entwickelte, um die Setzung eines wahrnehmbaren Erinnerungszeichens für ein zumal jahrelang missachtetes Opfer rechter Gewalt im Straßenbild der Stadt zu verhindern, war bemerkenswert, wurden hier doch die ansonsten ausgerechnet von der Union hochgehaltenen Verfahrenswege der parlamentarischen Demokratie durch den Verweis auf deren angeblich mangelnde »Bürgernähe« in Frage gestellt. Dennoch wäre es verkürzt die Auseinandersetzung um die Straßenbahnhaltestelle »Halitplatz« als Lokalsposse aus der hessischen Provinz abzutun. Vielmehr stoßen Initiativen und Bündnisse, die sich für ein würdiges und angemessenes Gedenken an die Opfer des Rassismus und der rechten Gewalt in Deutschland seit 1945 im öffentlichen Raum engagieren, regelmäßig auf Ignoranz und bisweilen unverhohlene Anfeindungen.
Besonders heftige Kontroversen entzünden sich nicht zuletzt an den Vorhaben, den Mordopfern, Straßen oder Plätze, aber auch Mahnmale und Gedenktafeln zu widmen. Organisierte Neonazis und RechtspopulistInnen spielen in diesen Debatten indessen allenfalls eine untergeordnet Rolle. Massive Widerstände gegen die Gedenkinitiativen formieren sich in der Regel in der »Mitte der Gesellschaft«. Es sind meist AnwohnerInnen oder wie in Kassel, VertreterInnen demokratischer Parteien, die mit immer wieder ähnlichen Argumentationsmustern gegen noch so zaghaft geäußerte Straßenumbenennungsvorschläge zu Felde ziehen.
Verdrängt und Vergessen: Opfer rechter und rassistischer Gewalt in Deutschland
Insofern verwundert es nicht, dass die Anzahl der Straßen und Plätze in der Bundesrepublik, die Opfern rechter und rassistischer Gewalt gewidmet sind, verschwindend gering ist. Im Frankfurter Stadtteil Bockenheim wurde im Jahr 1998 der Hülya-Platz eingeweiht, benannt nach Hülya Genç, die als 9 jähriges Mädchen durch den Brandanschlag in Solingen am 29. Mai 1993 zusammen mit vier weiteren Menschen ums Leben gekommen war. In Kiel und Köln erinnern ein Platz und eine Straße an Bahide Arslan, die zusammen mit den Yeliz Arslan und Ayşe Yılmaz in den Flammen des am 23. November 1992 von Neonazis angezündeten Hauses in Mölln gestorben ist. In Dresden wurde auf Initiative des Ausländerbeirats dem an Ostern 1991 ermordeten Mosambikaners Jorge Gomondai im Jahr 2007 ein Platz in unmittelbarer Nähe des Tatorts gewidmet. Im April 2012 entschied die Bezirksverordnetenversammlung Kreuzberg-Friedrichshain mit großer Mehrheit, die von einem breiten antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Bündnis erhobenen Forderung umzusetzen, die Gabelsberger-Straße nach dem am 21. November 1992 von einem Neonazi erstochenen Silvio Meier zu benennen.
Diese Widmungen, denen bisweilen zähe Auseinandersetzungen vorausgingen, sind zweifellos erfreulich und das Resultat hartnäckigen Engagements. Sie dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass an den allergrößten Teil der mindestens 180 Todesopfer rechter und rassistischer Gewalt in Deutschland seit 1990 weder Gedenktafeln noch Straßennamen oder sonstige Zeichen im öffentlichen Raum erinnern. Auch ein Jahr nach dem zufälligen Bekanntwerden der NSU-Morde und den in diesem Kontext allenthalben formulierten wohlfeilen Appellen, die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds sowie die zahlreichen weiteren während der vergangenen Jahre Ermordeten angemessen zu würdigen, hat sich an den Ressentiments und den Widerständen mit denen sich überall in der Bundesrepublik Gedenkinitiativen konfrontiert sehen kaum etwas geändert.
In Kassel war bereits vor der Umbenennung der Straßenbahnhaltestelle die Einweihung des »Halitplatzes« keineswegs auf einhellige Zustimmung gestoßen. Seit einigen Jahren wird in Eberswalde darum gerungen, eine Straße nach Amadeu Antonio zu benennen, der in der brandenburgischen Stadt in der Nacht zum 25. November 1990 von einer Gruppe Neonazis erschlagen worden war. In Dresden entzündete sich in diesem Jahr eine heftige Debatte um den Vorschlag ein Teilstück der am Landgericht gelegenen Florian-Geyer-Straße der am 1. Juli 2009 im Gerichtsaal von einem antimuslimisch eingestellten Täter erstochenen Marwa El-Sherbini zu widmen. Anhand der Kontroversen in Kassel, Eberswalde und Dresden lassen sich wie unter einem Brennglas in idealtypischer Weise die Argumentationsmuster darstellen, die für die ablehnenden Haltungen und regelrechte Abwehrstrategien gegenüber antifaschistischen und rassismuskritischen erinnerungskulturelle Initiativen charakteristisch sind.
Geschichtspolitische Straßenkämpfe
Deutlich wird hier, dass das Medium Straße als zentraler Träger wie auch umstrittenes Terrain unterschiedlicher Erinnerungs- und Gedenkkulturen firmiert. In den Kontroversen um sich Kämpfe um Deutungsmacht. Diese zeigen sich nicht nur in den Auseinandersetzungen um die Würdigung von Opfern rechter und rassistischer Gewalt im Straßenbild. Ein Großteil der gegenwärtigen Debatten entzündet sich an zweifelhaften NamensgeberInnen, deren Nähe zum deutschen Kolonialismus, den antidemokratischen und militaristischen Strömungen der Zwischenkriegszeit und nicht zuletzt zum Nationalsozialismus zunehmend kritisch hinterfragt wird. Zunächst waren es seit den späten 1970er Jahren vor allem die im Kontext der Neuen Sozialen Bewegungen entstandenen Geschichtsinitiativen, die sich den verschütteten Spuren etwa der »vergessenen Opfer« der nationalsozialistischen Verfolgung »vor Ort« widmeten, gleichzeitig aber auf die vielfach durch Straßennamen geehrten WegbereiterInnen, HandlangerInnen oder MittäterInnen der Verbrechen in den lokalen Geschichtskulturen hinwiesen und das darin aufscheinende Traditionsverständnis zur Diskussion stellten. Mittlerweile haben auch einige Städte, wie in jüngster Zeit beispielsweise Oldenburg, Münster oder Freiburg damit begonnen, die Gesamtheit ihrer Straßen auf aus heutiger Sicht nicht mehr ehrwürdige NamensgeberInnen hin untersuchen zu lassen.
Straßenumbenennungen: »Verlust der Heimat«?
Ob und welche Straßen letztendlich umbenannt werden bleibt freilich Gegenstand politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, die an vielen Orten bisweilen Züge eines »Kulturkampfes« annehmen. So führte in Münster die vom Rat der Stadt im März 2012 nach langen Diskussionen mehrheitlich getroffene Entscheidung, den zentral gelegenen Hindenburgplatz in Schlossplatz umzubenennen zur Gründung einer vor allem vom rechten Flügel der CDU sowie der Jungen Union getragenen Bürgerinitiative mit dem Ziel den Ratsbeschluss rückgängig zu machen. Deren ProtagonistInnen vermuteten »linke Tendenzhistoriker« als Stichwortgeber der SchlossplatzbefürworterInnen, verteidigten Hindenburg gegen den in der seriösen Forschung kaum mehr umstrittenen Befund, Adolf Hitler als Steigbügelhalter auf dem Weg zur Macht gedient zu haben und lamentierten nicht zuletzt als Interviewpartner der Jungen Freiheit über die angeblich im Zeichen der »political correctness« betriebene Entsorgung der städtischen Erinnerungskultur, die zudem den Verlust eines »Stücks Heimat« bedeuten würde – eine Argumentationslinie, die in Teilen der Bevölkerung durchaus auf Zustimmung stieß. Die Auseinandersetzung gipfelte schließlich in einem Bürgerentscheid im September 2012, den die AnhängerInnen des Hindenburgplatzes jedoch deutlich verloren. Auch im Essener Stadtteil Rüttenscheid sorgte der mehrheitliche Beschluss der Bezirksvertretung, die seit 1937 nach den der Weimarer Republik ablehnend gegenüberstehenden Generälen Karl von Einem und Hans von Seeckt, die benannten Straßen umzubenennen für einen Aufschrei der örtlichen CDU und AnwohnerInnen, die sich zu einer Bürgerinitiative »Pro von« formierten.
Die stellvertretende Bezirksbürgermeistern Heidemarie von Münchhausen (CDU) wetterte gegen »sinnlose Straßenumbenennungen« und wollte diese als »Teil einer schleichenden Ideologisierung« erkannt haben. Von Seeckt und von Einem seien »Männer ihrer Zeit, Monarchisten und damit nicht automatisch Verbrecher« gewesen. Über ähnlich lautende Reflexe können auch die anti- und post-kolonialen Initiativen, beispielsweise in München, Hamburg, Köln, Berlin oder Freiburg berichten, die seit einigen Jahren für eine »Entkolonialisierung« des deutschen Straßenbildes eintreten. Die Ressentiments und Widerstände gegen eine kritische Auseinandersetzung mit den sich in den jeweiligen Straßennamen spiegelnden Ehrbezeugungen rekurrieren im wesentlichen auf vier ständig wiederkehrende Argumentationsfiguren, die auch die Abwehrreflexe gegenüber den erinnerungskulturellen Initiativen für die Würdigung der Opfer rechter und rassistischer Gewalt kennzeichnen.
»Nun ist auch mal gut« – Abwehrreflexe gegen Straßenumbenennungen
Erstens wird demnach häufig die Behauptung angeführt, die Umbenennung von Straßen und Plätzen würde einen unzulässigen Eingriff in eine angeblich organisch gewachsene lokale Geschichtskultur bedeuten, die auch und besonders in einem spezifischen Straßennamenprofil zum Ausdruck komme. Auf die von zahlreichen Dresdner Professoren in einem Offenen Brief vom Januar 2012 unterstützte Initiative einen Straßenabschnitt in unmittelbarer Nähe des Landgerichts nach Marwa El-Sherbini zu benennen, um auf diese Weise »ein starkes Symbol des Bedauerns in die Stadt und nach außen zu tragen« und zu verhindern, dass »die Person und das Ereignis in Vergessenheit geraten« reagierte Georg Böhme-Korn, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Rat der Stadt ablehnend, indem er auf eine »gewisse Tradition in der Benennung von Straßen« in der sächsischen Landeshauptstadt verwies. Diese sehe vor, in erster Linie solche Persönlichkeiten im Straßenbild zu ehren, die der Stadt »durch ihre langjährige Tätigkeit für Dresden, zumindest aber in Dresden« verbunden sind. In selteneren Fällen könnten Benennungen auch Menschen gewidmet sein, die sich durch »herausragende Leistungen« ausgezeichnet haben und somit als »universelles Vorbild« fungieren.
Diese Sichtweise enthält freilich eine ziemlich positivistische Vorstellung von »Geschichte«. Denn was als »«herausragende Leistung»« qualifiziert wird, ist ebenso Zeit- und Akteursgebunden, wie die angeführte »Tradition«, der die Straßenbenennungspraxis in Dresden angeblich folgt. Tatsächlich bilden Straßennamen nicht ein gleichsam übergreifendes und zeitloses Gedächtnis der Stadt ab, sondern geben, wie der Münsteraner Historiker Matthias Frese betont, »zunächst die Erinnerung der herrschenden, Namen gebenden Gruppen, Institutionen und Einrichtungen zu einem bestimmten Zeitpunkt« wieder. In ihnen spiegelt sich der der »öffentliche Gebrauch von Geschichte durch Deutungseliten.« Wer durch Straßenbenennungen, Gedenktafeln und Denkmale geehrt wird und auf diesem Wege im öffentlichen Bewusstsein zumindest namentlich präsent bleibt, ist somit vor allem von den politischen Machtkonstellationen abhängig. Es ist daher auch kein Zufall, dass die Unterlegenen der jeweiligen Herrschaftsverhältnisse, nur selten im Straßenbild repräsentiert sind. So fanden beispielsweise die gescheiterten ProtagonistInnen der Revolution von 1848 in der hegemonialen Straßenbenennungspolitik der Restaurationsphase seit den 1850er Jahren und der Zeit des Kaiserreichs ebenso wenig Beachtung, wie in der Bundesrepublik die über Jahrzehnte hinweg marginalisierten Opfer des Nationalsozialismus oder gegenwärtig die Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt.
Zweitens wird argumentiert, bestehe die Gefahr, dass einmal in Angriff genommene Straßenumbenennungen Präzendenzfälle schaffen würden, die, wie etwa die BefürworterInnen des Hindenburgplatzes in Münster behaupteten, in einer regelrechten »Bilderstürmerei« im Zeichen des (natürlich »links« stehenden) politischen Zeitgeistes gipfeln könnten. Im Zusammenhang mit den Diskussionen Straßen und Plätze Opfern rechter und rassistischer Gewalt zu widmen, machen GegnerInnen geltend, dass dann auch an andere Ermordete im öffentlichen Raum erinnert werden müsste. Dieses Argument bemühte etwa Georg Böhme-Korn um sich gegen eine Würdigung Marwa El-Sherbinis im Dresdner Straßenbild zu wenden. So sei nur kurze Zeit nach deren Tod, eine 18-jährige Frau ebenfalls in der Florian-Geyer-Straße ermordet worden, worüber aber »nicht öffentlich« gesprochen werde.
Mit ähnlichem Wortlaut schaltete sich in Eberswalde eine Bürgerinitiative, mit dem bezeichnenden Namen »5. Gebot« (»Du sollst nicht töten«) in die Diskussion um eine mögliche Umbenennung der Eberswalder Straße in Amadeu-Antonio-Straße ein. Eine derartige Ehrung des ermordeten Angolaners sei abzulehnen, da »auch andere Eberswalder Bürgerinnen und Bürger aus verwerflichen Motiven ermordet wurden« und die »um der Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit willen die gleiche moralische Achtung erfahren sollten. « Beide Verlautbarungen sind insofern zutreffend, dass Morde in der Regel tragische Ereignisse darstellen, durch massive Gewalt gekennzeichnet sind und aus »verwerflichen Motiven« erfolgen. Die von Böhme-Korn und der Bürgerinitiative eingenommene allgemein anthropologisierende, ausschließlich am Leiden des Opfers orientierte Sichtweise, nivelliert jedoch bewusst die gesellschaftlichen und politischen Dimensionen rechter und rassistischer Gewalt. Mar-wa El-Sherbini und Amadeu Antonio wurden nicht zufällig, gewissermaßen aus einer besonderen Laune der Täter heraus ermordet, sondern weil sie in deren rassistischer Weltanschauung als »Feinde« galten. Diese Feststellung gilt im übrigen auch für den Punk Falco Lüdtke der im Mai 2000 an einer Bushaltestelle in Eberswalde von einem Neonazi angegriffen wurde, vor ein vorbeifahrendes Taxi stürzte und wenig später seinen hierbei erlittenen Verletzungen erlag – jedoch sowohl im städtischen Gedächtnis als auch in den antifaschistischen Erinnerungskulturen weitgehend in Vergessenheit geraten ist.
Drittens nehmen die GegnerInnen von Straßenumbenennungen meist mit großem Pathos für sich in Anspruch, eine angebliche Bevölkerungsmehrheit zu repräsentieren, die strikt gegen die angeregten oder geplanten Umwidmungen sei. Belegen lassen sich diese Behauptungen indessen selten. Sein Engagement gegen die Straßenbahnhaltestelle »Halitplatz« begründete CDU-Fraktionschef Norbert Wett mit dem entsprechend diffusen Hinweis auf zahlreiche ablehnende »E-mails und Anrufe« die er erhalten habe. Dieser vermeintlich basisnahe Populismus erfährt oftmals eine weitere Verstärkung durch die Versuche, die jeweiligen AkteurInnen, die sich für die Umbenennung von Straßen und Plätzen stark machen, als »von außen« kommende ideologisch motivierte Eiferer zu diskreditieren. Die Bürgerinitiative »5. Gebot« in Eberswalde will etwa in den Initiativen für eine Amadeu-Antonio-Straße eine »von außen der Stadt aufgedrängte Maßnahme« erkannt haben. Der Schritt zu manifesten Verschwörungstheorien, das zeigen auch die Debatten um die Umbenennung historisch belasteter Straßennamen, ist in dieser Sichtweise nicht mehr weit.
Viertens spiegelt sich in den Positionen von UmbenennungsgegnerInnen nicht selten eine unverhohlene Schlussstrichmentalität, die durch Indifferenz und erkennbares Desinteresse gekennzeichnet ist, das Gedenken an die Opfer rechter und rassistischer Gewalt in die lokalen Erinnerungskulturen zu integrieren. Im Sommer 2012 unterstellte Georg Böhme-Korn den Grünen in Dresden, die Stadt mit einem »Netz der Schande« überziehen zu wollen, mit dem Ziel einer »Umerziehung für eine neue Gedenkkultur«. Hintergrund war deren Antrag, eine Straße der baskischen Stadt Guernica zu widmen, die während des Spanischen Bürgerkriegs im Jahr 1937 durch die deutsche Luftwaffe zerstört worden war. Er bezog sich dabei aber auch auf den im Jahr 2007 eingeweihten Jorge-Gomondai-Platz und die Debatte um die Ehrung von Marwa El-Sherbini im Straßenbild Dresdens. Derartige erinnerungskulturelle Initiativen diskreditierte Böhme-Korn unmissverständlich als »Mea-Culpa-Geschrei«. In Kassel wiederum fasste Norbert Wett seinen Widerstand gegen die Umbenennung Straßenbahnhaltestelle »Mombachstraße« in »Halitplatz« in dem schlichten Satz zusammen: »Nun ist auch mal gut.«
Straßennamen als Bestandteil einer vielstimmigen Gedenkkultur
Nicht nur angesichts des hier an einigen wenigen Beispielen skizzierten Amalgams aus einem nach wie vor herrschaftszentrierten positivistischen Geschichtsverständnis, notorisch entpolitisierender und somit verharmlosender Deutungen der aus menschenfeindlichen Motiven heraus begangenen Morde, der populistischen Abwehr kritischer Denkanstöße sowie einer weitverbreiteten Schlussstrichmentalität erscheint die Diskussion um künftige Formen und Praktiken des Gedenkens an die Opfer rechter und rassistischer Gewalt notwendiger denn je. Deren Würdigung durch die Widmung von Straßen und Plätzen kann ein wichtiger Aspekt für diese in Deutschland noch kaum vorhandene Erinnerungskultur sein.
Straßennamen stellen aufgrund ihrer alltagsspezifischen Orientierungsfunktion ein »einzigartiges erinnerungskulturelles Medium« dar. Sie gehören gleichsam zum »steinernen Gedächtnis der Stadt«. Welche Namen, Geschehnisse und Erzählungen darin gespeichert werden, ist jedoch keineswegs überzeitlich und unveränderbar. »Geschichte« wird nach wie vor »gemacht«.
Diese Feststellung bedeutet zum einen, dass lokale Erinnerungskulturen nach wie vor davon geprägt sind, missliebige Aspekte wie beispielsweise Rassismus und rechte Gewalt weitgehend auszublenden oder zu verharmlosen. Zum anderen haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zahlreiche kritische Geschichtsinitiativen immer wieder scheinbar unhinterfragbare, sich oftmals in Straßennamen spiegelnde hegemoniale lokalhistorische Mythen und Deutungsmuster zur Diskussion gestellt und alternative Perspektiven entwickelt. Für den Kampf um ein würdiges Gedenken an die Opfer von Rassismus und rechter Gewalt in der Bundesrepublik können die Erfahrungen der kritischen Geschichtsinitiativen zweifellos nutzbar gemacht werden.
So ist gerade in den Auseinandersetzungen um die Umbenennung von Straßen und Plätzen ein langer Atem unabdingbar, der sich nicht auf die oftmals kurzatmigen Rhythmen antifaschistischer Kampagnenpolitik beschränken kann. Die erfolgreiche Initiative für die Silvio-Meier-Straße hat zudem deutlich gemacht, dass nicht nur entschlossene Forderungen, sondern auch breite Bündnisse notwendig sind, um bislang randständig gebliebene und verdrängte Ereignisse und Personen im städtischen Gedächtnis zu verankern. Einbezogen werden sollten von Beginne an die Angehörigen der Opfer, um deren Erfahrungen Gehör zu verschaffen und ein paternalistisches, vereinnahmendes Gedenken möglichst zu verhindern. Abschließend ist freilich davor zu warnen, die erinnerungskulturelle Bedeutung von Straßenbenennungen zu überschätzen. Straßennamen sind zwar im Alltag präsent, erklären aber für sich genommen zunächst wenig. Nicht nur im Hinblick auf die Opfer von Rassismus und rechter Gewalt bedarf es also einer lebendigen Gedenkkultur, die durch Vielstimmigkeit ebenso geprägt sein sollte wie durch ein breites und kreatives Spektrum an Aktionsformen.