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»Hate Crimes«

Einleitung

Der Begriff Hate Crime hat noch keine sehr lange Geschichte und ist trotzdem international inzwischen weit verbreitet. Seinen Ursprung in den USA nehmend hat sich das Konzept inzwischen in vielen westlichen Staaten verbreitet und findet – unter jeweilig differenter Ausgestaltung – Anwendung in durchaus problematischen Kontexten.

Bild: attenzione-photo.com

Ein Neonazis bekennt sich zu "Hate" bei einem Neonaziaufmarsch im Februar 2003 in Dresden.

Es gibt keine allgemeingültige Definition für den Begriff von Hate Crimes. Eine prägnante Beschreibung von Coester definiert diese als »strafrechtlich relevante Handlungen, in deren Zuge eine oder mehrere Person(en) oder deren Besitz Viktimisierung durch Ein-schüchterung, Bedrohung, physische oder psychische Gewalt erfährt/erfahren. Der oder die Täter ist/sind dabei teilweise oder gänzlich geleitet durch Vorurteile gegenüber bestimmten Merkmalen (wie Rasse, Abstammung, Nationalität, Religion, sexuelle Orientierung, Alter, Geschlecht, körperliche und/oder geistige Behinderung), welche die gesamte soziale Gruppe der/des Opfer(s) betreffen. Die Schädigung zielt daher nicht nur auf das direkte Opfer ab, sondern besitzt eine einschüchternde Botschaft, welche die Identität der Opfergruppe und damit die Grundfeste einer demokratischen Gesellschaft adressiert. Eine deutsche Übersetzung könnte dies als vorurteilsgeleitete Straftaten oder Vorurteilskriminalität definieren.«

In Deutschland ist der Begriff »rechte Gewalt« präsenter und historisch gewachsener als der internationale Zugang über Hate Crimes. Auf den ersten Blick haben beide Herangehensweisen auch viel gemeinsam. Allerdings ist das us-amerikanische Konzept schon allein aufgrund seiner Entstehungsgeschichte vorurteilsmotiviert und opferfokussiert ausgerichtet, wogegen der deutsche Ansatz nach wie vor auf dem Grundgedanken der politisch motivierten Tat im Sinne einer Extremismusskala und der Täterorientierung fußt. Bei Hate Crimes steht dagegen weder die politische Verortung auf einer Links-Rechts-Achse noch die Herkunft der Täter_innen im Vordergrund, relevant ist das Vorurteilsmotiv gegenüber bestimmten gesellschaftlichen Gruppierungen.

Probleme des Hate-Crime-Konzepts

Weltweit existieren einige, jedoch sehr stark voneinander variierende, Hate Crime Gesetzgebungen. Generell weist die juristische Umsetzung des Konzepts zwei besondere Eigenschaften auf: Es muss erstens ein strafrechtliches Grunddelikt (Körperverletzung, Brandstiftung, etc.) vorliegen und es muss zweitens ein Vorurteilsmotiv (Rassismus, Antisemitismus etc.) der Täter_innen gegenüber dem Opfer oder der Gruppe erkennbar sein.

Hate Crimes scheinen forensisch schwierig, da sie auf die Innenwelt der Täter_innen abstellen. Trotz dieser Herausforderung ist das Geständnis aber nur ein Indikator für den vorurteilsmotivierten Bezug der Handlung. Im Rahmen der Beweiswürdigung können auch externe Indikatoren wie Äußerungen beim Tatgeschehen, Symbolik und Parolen, Zugehörigkeit des Opfers zu einer gefährdeten Gruppe etc. herangezogen werden. Es ist aus den Gesamtumständen der Tat zu ermitteln, ob ein Hate Crime vorliegt oder nicht. Dafür sind spezielle Schulungen innerhalb von Polizei und Justiz angezeigt.

USA

Erstmalig forderten Aktivist_innen der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA die Anerkennung der Spezifika von Hassverbrechen, verbunden mit der Forderung nach härterer Sanktionierung der Täter_innen. Damit handelte es sich um eine emanzipatorische Forderung von (potentiell) Betroffenen, welche 1969 erstmalig in föderales US-Recht umgewandelt wurde.

Die Definition der zu schützenden Opfergruppen ist allerdings abhängig von der gesellschaftspolitischen Durchsetzungsmacht, dem Sozialkapital der jeweiligen Lobbyverbände und politischen Rahmenbedingungen. In den USA erreichte zuletzt die LGBTQ (lesbian, gay, bisexual, queer) Community, über ein Jahrzehnt nach dem homophoben Mord an Matthew Shepard 1998, dass das Federal Hate Crime Law um das Merkmal der sexuellen Orientierung erweitert wurde. Parallel zu solchen emanzipatorischen Bestrebungen gibt es in den USA ebenso ernsthafte Bemühungen, auch Militärangehörigen der US Streitkräfte diesen speziellen Schutz zukommen zu lassen. Der Bundesstaat Oregon erlies unter Androhung einer fünfjährigen Haftstrafe eine Regelung für antikapitalistische und ökologisch motivierte Straftaten. 

Russland

In Russland regelte der Gesetzgeber, dass »politischer, ideologischer, rassischer, nationaler, religiöser oder gegen jegliche soziale Gruppe gerichteter Hass oder Feindschaft« sich als Motiv für eine Tat strafverschärfend auswirkt. Mit der Folge, dass u.a. Polizeiangehörige in einzelnen Fällen durch die Justiz als zu schützende Opfergruppe definiert wurden, womit gesellschaftliche Machtverhältnisse ausgeblendet und unberücksichtigt bleiben. 

Deutschland

In Deutschland existieren keine spezifischen Hate-Crime-Gesetze, dennoch hielt das Konzept im Jahr 2001 Einzug in die Dienststuben der Polizei, im Rahmen der Neudefinierung der Kategorien von »politisch motivierten Straftaten« seitens des Bundes- und der Landeskriminalämter. Dabei wurden us-amerikanische Begriffe adaptiert und Betroffenengruppen übernommen.

Nunmehr zählt neben »extremistischen« Taten als politisch motivierte Straftat auch: »wenn die Umstände der Tat oder die Einstellung des Täters darauf schließen lassen, dass sie sich gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung oder ihres äußeren Erscheinungsbildes bzw. ihres gesellschaftlichen Status richtet.« 

Aber auch diese Formulierung ist nicht nur in Hinblick auf die unreflektierte Verwendung von Begriffen wie »Rasse« oder »Volkszugehörigkeit« problematisch, sondern auch an einigen Stellen bewusst offen formuliert. So beispielsweise das Merkmal des gesellschaftlichen Status, welches – auch unter Bezugnahme historischer Verfolgung im NS – Gewalttaten gegen Wohnungslose und sozial Schwache erfassen soll. Aufgrund seiner Deutungsoffenheit und schwammigen Formulierung werden derzeit aber teilweise auch Straftaten gegen »Reiche« darunter subsumiert.

Weiterhin besteht die Problematik, dass sich die Aufzählung der »Hate Crime« Merkmale unter der Definition für politisch motivierte Straftaten und damit auf einer Links-Rechts-Ausländer Achse befindet. Damit wird an dem Konstrukt der extremistischen Ränder festgehalten, womit das deutsche System zwangsläufig dem Grundgedanken des Hate-Crime-Konzepts widerspricht.

Fazit

Das us-amerikanische Vorbildmodell entstand aus der Emanzipation von Minderheiten und nicht aus dem Aspekt der Bekämpfung systemüberwindender Gefahren. In Deutschland sowie in Russland ist die Debatte um »Hate Crimes« vielmehr aus Staatsperspektive aufgekommen und ist nach wie vor primär täter-anstatt opferfokussiert.

Die simple Adaption des Hate-Crime-Konzepts ohne die Analyse historischer Rahmenbedingungen, gesellschaftlicher und sozialer Problemstellungen in Hinblick auf Diskriminierung und vorurteilsmotivierte Straftaten sowie ohne Einbeziehung gesellschaftlicher Lobbygruppen kann nicht gelingen. Das vorgestellte Hate-Crime-Konzept ist problematisch, weil die Definition der Betroffenengruppen bewusst unscharf gehalten wird und somit dem Extremismusansatz in die Hände spielt anstatt auf die Motive der Unwertigkeitsvorstellungen und notwendigen Opfergruppenschutz abzustellen.