Skip to main content

»Mackenrode-Prozeß« in Göttingen

Einleitung

Der »Mackenrode-Prozeß«, bei dem es um eine Antifademonstration aus dem Jahr 1991 gegen ein Neonazischulungszentrum in Mackenrode ging, wurde am 7. Mai 1998 bereits frühzeitig mit Freisprüchen in allen Anklagepunkten beendet. Im Vorfeld des Prozesses ermittelte eine Sonderkommission der Polizei in der Stadt. Nach §§ 129 bzw. 129a wurden Verfahren gegen die "Autonome Antifa (M)" und einen gegen einen linken Buchladen geführt. Ein dritter Prozeß begann am 15. April 1998 vor dem Göttinger Landgericht (zur Vorgeschichte s. AIB Nr. 43). Allen fünf Angeklagten wurde schwerer Landfriedensbruch, je einem versuchter Totschlag bzw. versuchte Brandstiftung vorgeworfen.

Der frühere FAP-Schatzmeister Glenn Goertz war als Zeuge gegen Antifas in Göttingen geladen

Freispruch

Grundlage der Anklage waren Aussagen der Neonazis Thorsten Heise (ehem. FAP Chef von Niedersachsen), Stefan Koller1 und dem früheren Kroatien-"Söldner" Michael H. ("Holmes"). Als weitere Zeugen waren Klaus G. und der frühere FAP-Schatzmeister Glenn Goertz geladen.

Doch die Anklage ließ sich nicht aufrecht erhalten. Selbst Oberstaatsanwalt Heimgärtner mußte am Ende des Prozesses nach dem Grundsatz »Im Zweifel für den Angeklagten« auf Freispruch plädieren. Im Anschluß an die Plädoyers präsentierte auch noch der Hauptangeklagte sein Alibi: Er war am betreffenden Tag nachweislich nicht in Mackenrode, ja nicht einmal in Göttingen gewesen. So entpuppte sich der Prozeß, wie so viele vor ihm, als Farce.

... nach dubiosen Ermittlungen

Interessant daran ist, wie wenig subtil sich Staatsanwaltschaft, Göttinger Polizei und LKA für ihre Durchleuchtungsinteressen der Schützenhilfe von Neonazi-Zeugen bedienten. So hatte die SoKo 606 »Strafsache Mackenrode«, bestehend aus Beamten des LKA und der Göttinger politischen Polizei, über 60 Fotos aus dem Einwohnermeldeamt zusammengetragen. Aufgrund der politischen Gesinnung der Betroffenen wollte die SoKo - wie ein Beamter zugab - die örtliche Antifa-Szene erfassen. Diese Lichtbildmappe ist eine Art »Feindakte«, in der die Zeugen bei den Ermittlungen vermeintliche Autonome studieren konnten und sich die TäterInnen aussuchen durften.

Schon Jahre vor Beginn des Prozesses trat der Verdacht gezielter Beeinflussungen durch SoKo-Beamte auf. So wurde der Name des Hauptangeklagten schon Ende 1991 in den Akten erwähnt. Erst im Februar 1992 griffen die Neonazizeugen dann diese im Raum schwebende Anschuldigung schließlich auf. An ihren nahezu gleichlautenden Aussagen ließ sich erahnen, wie sich die Neonazis an der Repression beteiligt haben dürften.

Michael H. wurde während eines Haftaufenthaltes von einem LKA-Beamten der SoKo 606 sogar über vier Stunden vernommen. Ergebnis waren allerdings gerade zwei Seiten Protokoll -atypisch für das in anderen Bereichen akribisch arbeitende LKA. Der Verdacht, Michael H. sei hier präpariert worden, drängte sich den einigen ProzeßbeobachterInnen geradezu auf. "Es ist erstaunlich, wie offen diese Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft, Nazis und Polizei eingefädelt worden ist" berichteten diese.

Ermittlungsparagraph 129

Die jahrelange Schnüffelei -zunächst nach § 129a, dann nach § 129- hat dem Staatsschutz sicherlich genug genutzt, so daß seine Niederlage im Mackenrode-Prozeß zweitrangig ist. Razzien, abgehörte Telefonate, Festnahmen, der permanente persönliche Druck auf die Betroffenen und ihr Umfeld erfüllen auch so ihre Funktion. Auch Folgeprozesse sind nicht auszuschließen, die sich aus der vollkommen überzogenen Video- und Fotoüberwachung des Prozesses ergeben könnten. Kaum ist die letzte Lichtbildmappe von einem Gericht als Beweismittel abgelehnt worden, da legt die Polizei schon wieder neue Mappen an - diesmal anscheinend aus dem Material der Prozeß-Observation.

Wieder einmal zeigt sich: die meisten § 129a-Anschuldigungen - fast ausschließlich gegen Linke gerichtet - sind vor Gericht unhaltbar. Die Funktion dieses Paragraphen ist die Durchleuchtung linker Zusammenhänge. Er bietet den juristischen Vorwand, mit dem die politische Polizei ihre Ermittlungen rechtfertigen darf. So werden auch die laufenden Ermittlungen gegen Passauer Antifas nicht zu Verurteilungen nach § 129a führen, dafür aber den Gesinnungsschnüfflern Material bieten und die Linke binden und verunsichern.

  • 1Offenbar ist Stefan Koller in der Neonazi-Szene noch (medial) präsent. Im Neonazi-Heft "Der Weisse Wolf" (5/1997) wurde über einen Beschluss der JVA Hannover berichtet, laut dem Publikationen angehalten wurden, die Stefan Koller an Zandy Wagner geschickt habe