»Provinzpräsis« in Parallelwelten
Nachdem wir im AIB Nr. 61 einen ersten Überblick über das vielschichtige Verhältnis zwischen Neonazis und Rockern veröffentlicht haben, soll nun anhand der »Nordmänner MC« aus Bergen/Dumme an der Grenze zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt aufgezeigt werden, wie undurchschaubar das Geflecht zwischen Rockern und extremen Rechten zuweilen sein kann.
Zunächst schien alles auf einen groß angelegten Schlag gegen die organisierte Kriminalität hin zu deuten, als die Staatsanwaltschaft Stendal am 5. Juni 2003 rund 300 Polizisten in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt in Marsch setzte. Sie durchsuchten zeitgleich 16 Objekte in fünf Orten in Sachsen-Anhalt und sieben Orten in Niedersachsen. In der Regionalpresse wurde schnell deutlich, dass sich die Fahnder vor allem auf Motorradclubs und deren Clubhäuser sowie Bike-Shops in der dünnbesiedelten Region zwischen dem niedersächsischen Wendland und der sachsen-anhaltinischen Altmark konzentrierten. Im Mittelpunkt: Die kleine Ortschaft Bergen/Dumme zwischen Salzwedel und Uelzen sowie der dort ansässige MC Nordmänner und deren Chef Hans Lüthe.
Ein Informant, so hieß es, habe den heißen Tipp gegeben, dass der MC mit Waffen handeln würde. Aber auch in einem Rocker-Treffpunkt in Hitzacker, auf dem Gelände des MC Speedkings in Jeggeleben sowie bei Einzelpersonen u.a. in Dannenberg, Uelzen, Salzwedel und Siedenlangenbeck durchsuchten die Spezialkräfte der Polizei. Das Ergebnis der Razzia laut Presseberichten: Ein Fund von rund 213 Waffen, darunter schwere Maschinengewehre, Maschinenpistolen und Granaten sowie eine Panzerfaust. Die meisten Waffen, darunter auch tausend Schuss Munition sowie die Panzerfaust, seien bei einem über 50Jährigen in Dannenberg gefunden worden. Ersten Pressemeldungen zufolge handelte es sich um einen der größten Waffenfunde in der Bundesrepublik seit 1945. Doch anstelle von weiterführenden Zeitungs- und Fernsehberichten erschienen in den Tagen nach der Razzia in den überregionalen Tageszeitungen lediglich Randmeldungen. Von einem rechten Hintergrund war nirgendwo ein Wort zu lesen.
Während mehrere Hauptverdächtige schon am Tag der Durchsuchung festgenommen wurden, entzog sich Nordmänner-Chef Hans Lüthe dem Zugriff der Polizei durch Untertauchen. Knapp drei Wochen schien der 47jährige, über den es bei der Polizei in Dannenberg heißt er sei »wegen Körperverletzungsdelikten und Kleinkriminalität durchaus schon strafrechtlich in Erscheinung getreten«, wie vom Erdboden verschluckt, dann wurde er von der Polizei ausfindig gemacht und von einem Sondereinsatzkommando überwältigt. Er kam u.a. wegen dem Vorwurf des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz in Untersuchungshaft. Doch schon nach knapp einem Monat setzte ein nachsichtiger Untersuchungsrichter den Haftbefehl außer Vollzug.
Auf den ersten Blick scheint sich Lüthes Wohnhaus an der Durchfahrtstrasse der Ortschaft Bergen/Dumme kaum von den benachbarten Fachwerk- und Bauernhäusern zu unterscheiden. Ein Aufkleber mit dem vor allem in der Ökologie- und Anti-Atomkraft-Bewegung beliebten Sprichwort der Cree-Indianer »Erst wenn ihr den letzten Baum gerodet, den letzten Fisch gefangen und letzten Fluss vergiftet habt...« lässt in dem Hausbewohner eher einen alternden Öko-Freak der Wendlandgeneration als einen regional bekannten Neonazi und Rocker vermuten. Ein kleines weißes Blechschild »Tattoo Deutschland« deutet auf das Gewerbe des Hausherrn hin. In dem eher chaotischen, unaufgeräumten Tattoostudio im hinteren Teil des Hauses gibt sich der hagere Mann mit den langen, ungepflegten grau-schwarzen Haaren und gelblich-braunen Zähnen keine Mühe seine extrem rechte Gesinnung zu verbergen. Neben Fotos von Motorrad-Ausflügen und Kalendern diverser Clubsitzungen, die durchaus eine Einbindung der Nordmänner in die regionale Rockerszene erkennen lassen, hängen Aufkleber mit extrem rechten Parolen; in den unsortierten Mappen für die Beispiele seiner Tätowierkunst zeigen Neonaziskins einschlägige Symbole auf nackter Haut.
In der ganzen Gegend ist der Chef des MC Nordmänner wegen seiner Brutalität gefürchtet. Im Ort selbst möchte niemand über ihn sprechen. Und niemand möchte auch über die Hintergründe des Freitodes eines Nordmänner-Mitglieds am 30. Juli 2003 nachdenken. Der 30jährige aus Bergen/Dumme, der in Lüthe eine Art Ersatzvater gesehen haben soll, erhängte sich nur wenige Stunden bevor Lüthe aus der Untersuchungshaft in Magdeburg nach Bergen/Dumme zurückkehrte, im Clubhaus der Nordmänner wenige hundert Meter von Lüthes Tattoo-Studio entfernt.
Schweigen ist ohnehin die Regel, wenn es um die Aktivitäten der Nordmänner geht. Dieses Schweigen führt dazu, dass auch die tödlichen Rituale bei den Nordmännern scheinbar in Vergessenheit geraten sind. So wie die Sonnenwendfeier am 20. Juni 1996 auf dem Club-Gelände der Nordmännner in Bergen/Dumme, das nur einige hundert Meter von Andreas Lüthes Haus entfernt liegt. Da gehörte es zu den »Spielen« sich gegenseitig aufzuhängen und sich erst im letzten Moment wieder loszubinden. Einer der Betroffenen fand das nicht ganz so spaßig wie die anderen Gäste. Es kam zu einer Messerstecherei, die mit einem Schwerverletzten zu Ende ging. Das Opfer, ein Mitglied eines Motorradclubs aus Gifhorn, starb wenig später im Krankenhaus in Salzwedel.
Lediglich in Bezug auf die Nordmänner-Nachbarn zeigt man sich im Ort etwas gesprächiger. Seit Jahren betreibt die extrem autoritäre, an der »Lehre« Aleister Crowleys orientierte Thelema Society, um ihren vorbestraften Chef Michael D. Eschner dort ihr Zentrum. Von einer Aussteigerin wurde die Sekte im Mitteldeutschen Rundfunk als »einen Ort sexueller Ausbeutung und hemmungsloser Gewalt« beschrieben. Das ganze Dorf sei gegen die Sekte, wird in Bergen/Dumme eifrig versichert, lediglich »die Rocker von gegenüber« würden ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zu diesen pflegen. Ratlosigkeit herrscht in Bergen/Dumme auch in einem anderen Fall: Die 15jährige Katrin Konert aus Waddeweitz bei Lüchow war mit einem der Nordmänner gut befreundet, bevor sie vor mehr als drei Jahren am 1. Januar 2001 spurlos auf dem Weg zwischen Bergen/Dumme und ihrem Elternhaus verschwand. Alle Ermittlungen nach ihrem Aufenthaltsort verliefen bislang ergebnislos.
Die Sicherheitsbehörden wirken, trotz der Razzia, beim Thema »Nordmänner« wenig alarmiert. Fragt man sie nach deren Sonnenwendfeier im Juni 2002, so erhält man die Antwort, dass darüber keine Erkenntnisse vorlägen. Dabei haben an diesem Treffen nach Augenzeugenberichten über 200 Gäste teilgenommen – zwei Drittel von ihnen seien neonazistische Skinheads gewesen, die auffallend diszipliniert aufgetreten seien.
Angesichts des fehlenden öffentlichen Interesses wundert es kaum, dass ein Dreivierteljahr nach der Razzia in dem dünnbesiedelten, konservativen Landstrich, den der Nordmänner MC als sein Territorium reklamiert, längst wieder alles beim Alten scheint. So sind auch die Haftbefehle gegen die anderen drei Hauptverdächtigen neben Lüthe inzwischen längst außer Vollzug gesetzt. Und der MC Nordmänner plant ganz selbstverständlich auch in diesem Jahr wieder eine »Ausfahrt« pünktlich zur Sommersonnenwende. Angekündigt wird das Ereignis für das Wochenende um den 20. Juni. Über das Ergebnis der »Spiele« und die illustre Teilnehmerschaft wird man indes vermutlich erst zu spät erfahren.