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Österreichische Justiz: Zuweilen auf dem rechten Auge blind

Andrea Stangl
Einleitung

"Die Aula", in einer gerne gewählten Selbst­­bezeichnung das „publizistische Flagg­­­schiff des dritten Lagers“, ist — distanzierter betrachtet — trotz formaler Unabhängigkeit das bedeutendste Printorgan der völkischen Burschenschaften in Österreich. Im Eigentum des "Freiheitlichen Akademikerverbands" (FAV), einer inoffiziellen Vorfeldorganisation der (extrem) rechten "Freiheitlichen Partei Österreichs" (FPÖ), erscheint sie seit 1952 und hatte aufgrund ihrer früher unverhohlenen, nunmehr etwas dezenteren Nähe zur nationalsozialistischen Ideologie immer wieder zu Skandalen geführt.

Bild: Faksimile Kongressprotokoll 2010 der GfP/Grabert Tübingen

Der Chefredakteur der „Aula“ Martin Pfeiffer (rechts) und der frühere DVU-Vorsitzende Gerhard Frey.

Im Sommer 2015 brachte der Grüne Nationalratsabgeordnete Harald Walser gegen den als rechtsextrem bekannten Aula-Autor Fred Duswald (eigentlicher Name Manfred Werner Duswald und Alter Herr der aB! Danubia, München) und gegen den Chefredakteur der Aula, Martin Pfeiffer, eine Anzeige nach dem Verbotsgesetz bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Graz ein. Anlass war ein Artikel, in dem Duswald unter dem Titel „Mauthausen-Befreite als Massenmörder“ die im Mai 1945 befreiten Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen diffamierte: „Raubend und plündernd, mordend und schändend plagten die Kriminellen das unter der ‚Befreiung‘ leidende Land. Eine Horde von 3.000 Befreiten wählte den Weg ins Waldviertel im Nordwesten von Niederösterreich und wetteiferte dort mit den sowjetischen ‚Befreiern‘ in der Begehung schwerster Verbrechen.1

Im Dezember 2015 kam es zur Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Graz, was aus juristischer Sicht zumindest umstritten war. Allgemeines Kopfschütteln löste jedoch die Einstellungsbegründung aus, da dort indirekt die NS-Judikatur fortgeschrieben wurde, indem die während der NS-Zeit als sogenannte „Kriminelle“ internierten KZ-Häftlinge nach der „allgemeinen Lebenserfahrung“ — so die zuständige Staatsanwältin — aufgrund ihrer kriminellen Energie Straftaten wohl auch nach der Befreiung verübt hätten. Zudem wird es als „nachvollziehbar“ bezeichnet, dass die befreiten Häftlinge „eine Belästigung für die betroffenen Gebiete Österreichs“ dargestellt hätten.1 2 Es oblag dem Justiz-Rechtsschutzbeauftragten Gottfried Strasser, gegen die Einstellung des Verfahrens und dessen Begründung Einspruch einzulegen, worauf dieser jedoch vrzichtete. Somit war Walser keinerlei rechtliche Handhabe mehr gegeben, gegen die Einstellung des Verfahrens vorzugehen.

Die Einstellungsbegründung, die Duswald von der Staatsanwaltschaft angefordert hatte, bekam Walser auf Umwegen zugespielt, denn es entspricht der gängigen Praxis in der österreichischen Justiz, dass Anzeigende nicht automatisch über den Ausgang eines Verfahrens informiert werden. Walser machte die Einstellungsbegründung publik und stellte zugleich eine Parlamentarische Anfrage an den Justizminister1 , in der eine inhaltliche Analyse des Aula-Artikels samt einer historischen Kontextualisierung vorgenommen und nach dem Zustandekommen der skandalösen Begründung gefragt wurde.

Das Justizministerium positionierte sich nach einer breiten Empörungswelle nicht nur klar gegen den Artikel, sondern — und das überraschte durchaus — auch gegen die Einstellungsbegründung: „’Diese Begründung ist unfassbar und in sich menschenverachtend’, sagte Strafrechtssektionschef Christian Pilnacek zur APA. Die ‚unsägliche Diktion’ des Artikels sei damit nachträglich gerechtfertigt worden. (…) Konsequenzen müsse es jedenfalls geben, so Pilnacek, der eine Verletzung des Vier-Augen-Prinzips vermutet. Er sprach von einer ‚groben Fehlleistung’ und betonte: ‚Die Staatsanwaltschaft, wir alle müssen dafür sorgen, dass solche fehlgeleiteten Begründungen nicht mehr passieren.’2 Dem setzte nun ausgerechnet der 1934 geborene Justiz-Rechtsschutzbeauftragte Gottfried Strasser entgegen, er habe die „Begründung zur Verfahrenseinstellung (…) für unbedenklich gehalten" und "halte sie nach wie vor für unbedenklich". Dass es im KZ auch inhaftierte Rechtsbrecher gegeben habe, sei ein "historisches Faktum" und auch durch Aussagen in Gerichtsverfahren zu Mauthausen bestätigt. Und auch auf Erlebnisse aus seiner Kindheit, die er im Umfeld des KZ Mauthausen verbrachte, verwies er. Großteils seien es zwar russische Kriegsgefangene gewesen, die nach der Befreiung des KZ Mauthausen Hilfe gesucht hätten, so Strasser. Seine Großmutter hätte diese immer wieder mit Suppe zu versorgen versucht, erinnerte er sich. Gleichzeitig habe es aber auch Kriminelle gegeben, die von der SS im Lager als Capos eingesetzt worden seien. Ein Mann habe seinen Vater — einen Polizisten — damals sogar mit einer Pistole bedroht.3 Diese, für einen hochrangigen Juristen doch seltsam anmutenden Worte, führten zu keiner bekannten Konsequenz; das Justizministerium zog es vor zu schweigen und Strasser im Amt zu belassen.

Im Juni 2016 reichten mit Unterstützung der Grünen acht ehemalige Häftlinge des Lagerkomplexes Mauthausen eine zivilrechtliche Klage gegen die Aula ein. Dem schlossen sich ein ehemaliger Häftling des KZ Theresienstadt und die Tochter eines bekannten Mauthausen-Überlebenden an. Möglich ist dies geworden, weil auch in Folgenummern der Aula und in Briefen an deren Abonnenten die Diffamierungskampagne gegen KZ-Häftlinge ihre Fortsetzung fand. Im Juli wurden auch medienrechtliche Anträge eingebracht. Obwohl hier eine Gruppe pauschal beleidigt wurde und es sich daher juristisch um eine Kollektivbeleidigung handle, sieht Anwältin Windhager gute Chancen auf Erfolg. Denn durch die Tatsache, dass leider nur mehr wenige Betroffene leben, sei die Gruppe "überschaubar geworden". 

In Deutschland habe man in ähnlichen Fällen Recht bekommen. "Wir gehen daher bis vor den Europäischen Gerichtshof, wenn es nötig ist", sagt Windhager, die darauf hofft, dass den zehn Klägern eine sogenannte Aktivlegitimation zugestanden wird.“4

Der Klage auf Unterlassung, die sicherstellen soll, dass es zu keiner Wiederholung der Diffamierungen ohne strafrechtliche Konsequenzen kommen kann, wurde bereits mittels einer Einstweiligen Verfügung stattgegeben.5 Das Gericht folgte in der Auslegung des Bedeutungsinhaltes des Artikels von Duswald der Klageschrift in allen Punkten: Der Artikel von Duswald sei als Pauschaldiffamierung ehemaliger KZ-Häftlinge zu werten. Das erste Verfahren zu den medienrechtlichen Anträgen ist für den September 2016 anberaumt, wann das zivil­rechtliche Verfahren beginnen wird, ist noch nicht bekannt.

Auf erinnerungspolitischer Ebene steht eine konsequente Aufarbeitung der österreichischen Justiz im Austrofaschismus, in der NS-Zeit sowie deren Kontinuitäten in der Nachkriegszeit noch aus: „Dass die Auseinandersetzung noch nicht abgeschlossen ist, zeigt sich auch daran, dass — im Gegensatz zu Deutschland — bisher keine systematische wissenschaftliche Aufarbeitung der Karrieren von österreichischen Richtern und Staatsanwälten vor, während und nach dem Nationalsozialismus vorliegt.6 Diese Aufgabe steht nun bevor. Ob sie das Justizministerium tatsächlich zu leisten bereit ist oder ob bloß Ankündigungspolitik dahintersteht, wird sich zeigen. Der Finger ist zweifellos regel­mäßig auf die offenen Wunden der österreichischen Justiz zu legen. Dazu gehört ebenfalls, die letzte noch nicht anerkannte Opfergruppe rechtlich zu rehabilitieren: die von der NS-Justiz als „Kriminelle“ in die Konzentrationslager Deportierten. Der Grüne Walser kündigte an, dazu eine parlamentarische Initiative starten zu wollen. •

(Die Autorin Andrea Stangl ist Historikerin und vergangenheitspolitische Referentin im Grünen Parlamentsklub, Wien)