Skip to main content

„Männerbund“ — Geschichte eines Mythos

Einleitung

Vorstellungen vom „Staat“ als gleichsam überhistorischer Ausdruck einer „männlich“ dominierten, mithin „männerbündischen“, hierarchisch, antiplural und antifeministisch geprägten Ordnung gehörten zum ideologischen Grundinventar der unterschiedlichen Strömungen des antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik. Nicht zuletzt im Spektrum der „Neuen Rechten“ blieben die Bezüge zum männerbündischen Denken erhalten.

Foto: Bundesarchiv Bild 146-1971-091-20/CC BY-SA 3.0 DE

Jubel brandete unter den rund 3.500 TeilnehmerInnen der AfD-Demonstration in Erfurt gegen „Asylchaos und Eurokrise“ am 18. November 2015 auf, als Björn Höcke die Bühne betrat. In seiner Rede bemühte Höcke nahezu alle gängigen Topoi aus dem Setzkasten rechtspopulistischer Rhetorik. Gleich zu Beginn bekannte er, „sein Volk“ zu „lieben“ und wetterte gegen die „Altparteien“, die angesichts von „Islamisierung“ und „Asylchaos“ dafür verantwortlich seien, dass sich Deutschland in der „Phase des Staatszerfalls“ befinde. Um diesen vermeintlich drohenden Niedergang zu stoppen, müsse Deutschland seine „Männlichkeit“ wiedererlangen. Das Land müsse, so proklamierte Höcke, „mannhaft“ und somit „wehrhaft“ werden. Die Verknüpfung zwischen dem beklagten „Staatszerfall“ und einer zum nationalen Charakteristikum erhobenen, jedoch angeblich verloren gegangenen „Mannhaftigkeit“ hatte Höcke nicht zufällig ins Zentrum seiner Rede gerückt. Auch bei dieser Gelegenheit ließ der gegenwärtig beurlaubte Geschichtslehrer seine weltanschauliche Nähe zur Gedankenwelt und den ProtagonistInnen der extremen Rechten der Zwischenkriegszeit erkennen.

Männerbund und Zivilisationskritik

Die Konzeption des „Männerbundes“ als ordnungs- und gemeinschaftsstiftender Gegenentwurf zu einer unübersichtlichen und als krisenhaft wahrgenommenen Gegenwart geht auf den Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Vor allem im Bürgertum des wilhelminischen Kaiserreichs führten die sich rasant vollziehenden gesellschaftlichen Umbrüche zu erheblicher Verunsiche­rung. Ängste und Ressentiments wurden etwa durch die voranschreitende Urbanisierung und die nach der Reichsgründung 1871 massiv einsetzende Indus­trialisierung hervorgerufen. Unter dem Eindruck einer sich immer stärker ausdifferenzierenden Gesellschaft fanden eine mithin aggressiv formulierte Zivilisationskritik sowie kulturpessimistische Haltungen zunehmende Resonanz. Um die Jahrhundertwende formierten sich zahlreiche politische, gesellschaftliche und kulturelle Strömungen, die der als „materialistisch“, „dekadent“ und „geistlos“ denunzierten Gegenwart mit dem Rekurs auf (nicht selten rückwärtsgewandte) Mythen begegneten. Die Lebensreformbewegung ist in diesem Entstehungskontext ebenso zu verorten wie das verästelte Spektrum der völkischen Netzwerke.

Eine besondere Bedeutung kam der Entdeckung der Jugend zu. Arthur Moeller van den Bruck, während der 1920er Jahre einer der prononciertesten Vertreter des „Neuen Nationalismus“, proklamierte bereits im Jahr 1904: „Ein Blutwechsel tut der Nation not, eine Empörung der Söhne gegen die Väter, die Ersetzung des Alters durch die Jugend.“ Mit dieser nationalistisch aufgeladenen Verklärung der Jugend ging auch eine Kritik an der bürgerlichen Familie einher, gegen die nun erstmals das Prinzip des „Männerbundes“ in Stellung gebracht wurde. Als maßgeblicher Stichwortgeber hierfür fungierte Heinrich Schurtz, der in seinem 1902 erschienenen Werk „Altersklassen und Männerbünde“ die Behauptung aufstellte, der „Männerbund“ sei für männliche Wesen die angemessenere Form der Vergemeinschaftung und Sozialisation, da die Familie als Domäne der Frau gelten könne.

Diese männerbündischen Theoreme wur­den von den Vordenkern der um die Jahrhundertwende entstehenden bürgerlichen Jugendbewegung, vor allem im „Wandervogel“, breit rezipiert. Die Gründung gemischtgeschlechtlicher Gruppen war heftig umstritten und stieß überwiegend auf Ablehnung. Besonders vehement vertrat Hans Blüher, erster Chronist und gleichsam einer der Ideologen des „Wandervogels“ das Prinzip des „Männerbundes“. Seiner Auffassung nach sei es in der Gegenwart zu einer abzulehnenden Gleichsetzung von Mann und Frau gekommen. Die Elite des Volkes müsse sich jedoch aus der Gesellungsform des „Männerbundes“ rekrutieren. Nur in diesem Rahmen sei es dem Mann möglich, seine volle Kreativität zu entfalten, die Familie hingegen liefere ihn der „Vorherrschaft des Weibes“ aus.

„Stahlnaturen“ gegen „Flintenweiber“

Durch den Ersten Weltkrieg erfuhr die Ideologie des „Männerbundes“ eine weitere Radi­kalisierung. Die in den Schützengräben geborene und vielfach mythisierte „Frontkameradschaft“ avancierte zur Leitidee anti­pluralistischer und explizit antifeministischer Staats- und Gesellschaftsmodelle. Als Bezugspunkte firmierten Schlüsselbegriffe wie „Kampf“, „Heldentum“, Opfertod“, „Befehl“ und „Gehorsam“, die eine fundamentaloppositionelle Haltung gegenüber der jungen Weimarer Republik manifestieren sollten. Der Weltkrieg habe, proklamierte etwa Ernst Jünger in seinem 1922 erschienenen Essay „Der Kampf als inneres Erlebnis“, „Männer“ hervorgebracht, „wie sie bisher die Welt nie gesehen“ habe: „Es war eine ganz neue Rasse, verkörperte Energie, mit höchster Wucht geladen. […] Sie waren Überwinder, Stahlnaturen, eingestellt auf den Kampf in seiner gräßlichsten Form.“

In diesen derart verklärten und zur kommenden gesellschaftlichen Elite stilisierten Kriegerfiguren personifizierte sich die kompromisslose Feindschaft zum verhassten Parteienstaat und seiner als „dekadent“ denunzierten politischen Kultur, die nicht zuletzt durch eine Effeminisierung des sozialen Lebens gekennzeichnet war. In seiner 1977/78 erschienenen Studie „Männerphantasien“ hat Klaus Theweleit das maskuline Selbstverständnis (ehemaliger) Freikorpsaktivisten analysiert. Demnach gründeten entgrenzte Gewalt und „weißer Terror“ neben antisemitischen und antibolschewistischen Überzeugungen ganz wesentlich auf einem radikalen Antifeminismus. Die mit dem Ende des Ersten Weltkriegs entstandenen neuen Ordnungsmodelle seien durch „Weichheit“ und „Auflösung“ gekennzeichnet — Zuschreibungen, die in der Sichtweise der antidemokratischen Rechten vorwiegend als „weiblich“ konnotiert galten und als eine existentielle Gefahr für das Idealbild des wehrhaften Mannes und somit der Nation insgesamt dargestellt wurden.

Am aggressivsten spitzten sich diese Feinbildkonstruktionen im Topos vom „roten Flintenweib“ zu. In der extrem rechten Propaganda sowie in der auflagenstarken Freikorpsliteratur avancierte die „kommunistische Frau“ zur Projektionsfläche einer Krisendiagnostik, in der sexuelle Zuschreibungen und politische Deutungsmuster miteinander verknüpft wurden. So galten kommunistische Frauen als „schamlos“ und „lüstern“. Ihre angeblich wilde Sexualität musste in dieser Sichtweise daher geradezu zwangsläufig als „zersetzend“ gelten.
Die hasserfüllte Rhetorik richtete sich aber auch gegen „verweiblichte“ Männer. In den Fokus extrem rechter Polemik rückten hier vor allem ganz allgemein der als „verweichlicht“ diskreditierte Bürger sowie demokratische Politiker, Intellektuelle und Künstler, die gleichermaßen als „dekadent“ galten. Auf dieser Klaviatur spielte im Übrigen auch Björn Höcke in seiner eingangs zitierten Erfurter Rede, in der er Bundesjustizminister Heiko Maas als „armes ­Männlein“ bezeichnete.
Ihren manifesten Ausdruck fand das männerbündische Denken in den Lebenswelten der Freikorps und der SA. Die Attraktivität des „Männerbundes“ resultierte dort freilich kaum aus theoretischen und weltanschaulichen Reflexionen als vielmehr aus den sozialen Praktiken ihrer vorwiegend gewaltaffinen Protagonisten. Männerbündische Kameradschaft entstand demnach vor allem an den Theken der SA-Sturmlokale, in denen Straßenschlachten verbal noch einmal geschlagen und die eigenen Gewaltpraktiken verklärt wurden.

Aber auch Teile der aus dem „Wandervogel“ und der Freideutschen Jugend des Kaiserreichs hervorgegangenen „Bündischen Jugend“ fungierten als Ort männerbündischer Vergemeinschaftung. Diese sollten ein aristokratisches, ständisches Gegenmodell zur Republik bilden. Der Männerbund firmierte in dieser Deutung gleichsam als Keimzelle eines „neuen“ Staates, dessen historische Bezugspunkte in der Verklärung germanischer Stammesordnungen, mittelalterlicher Kreuzritterorden und des Landsknechtwesens gesucht wurden.

Männerbundideologie nach 1945

Nach 1945 verschwand die Männerbundideologie keineswegs, verlor jedoch ihre aggressiv-heroische Aufladung. Anders als in Folge des Zusammenbruchs von 1918 formierte sich nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches keine fundamentaloppositionelle, martialisch-männerbündische Bewegung. In den Soldaten- und Veteranenverbänden löste nun, so der Historiker Thomas Kühne, die selbstviktimisierende Deutung einer Leidensgemeinschaft anzugehören, das Leitbild einer kriegerisch-männlichen Kampfgemeinschaft ab. Männerbündische Ideologien konservierten sich in den Studentenverbindungen und prägten weiterhin die Selbstbilder neonazistischer Aktivisten. Auch im Spektrum der „Neuen Rechten“ blieben die Bezüge zum männerbündischen Denken erhalten — was nicht zuletzt die Erfurter Rede von Björn Höcke deutlich gemacht hat.