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„Schließlich waren es zu viele“

Einleitung

Interview mit Jock Palfreeman

Der damals 21-jährige Australier Jock Palfreeman reiste 2007 nach Bulgarien, um dort Urlaub zu machen. Am 28. Dezember wurde er in Sofia Zeuge eines rassistischen Übergriffs. Eine Gruppe rechter Hooligans attackierten einen Roma. Er tat, was leider zu wenige tun: Er griff ein. Bei der anschließenden Auseinandersetzung wurde einer der Angreifer, Andrej Monov, Sohn eines ranghohen Regierungsmitarbeiters und früheren Polizeibeamten, durch einen Messerstich tödlich verletzt. Jock sitzt seitdem in einem bulgarischen Gefängnis, zeitweilig in Isolationshaft, verurteilt zu 20 Jahren wegen Mordes. Er kämpft gegenwärtig für eine Revision und für die Verlegung nach Australien.

Foto: Screenshot youtube.de

Hallo Jock. Wir haben schon mehrfach über deinen Fall berichtet, er ging uns sehr nahe. Erstmal vorweg: Wie geht es dir?

Als erstes möchte ich mich bei den europäischen Antifaschist_innen für ihre kontinuierliche Unterstützung bedanken. Ich selbst bin in Form und bereit für die Auseinandersetzung mit dem bulgarischen Staat für weitere 14 Jahre.

Wie ist dein Alltag hier im Gefängnis? Wie begegnen dir die Insassen und die Wärter? Hast du Probleme mit Neonazis oder Rassisten unter ihnen, die deinen Fall kennen?

Mein Alltag ist relativ einfach. Um 6.30 Uhr und 8.30 Uhr gibt es Anwesenheitskontrollen, die von den Schließer_innen als Möglichkeit zur Provokation genutzt werden. Sie holen uns aus den Betten und lassen uns in einer Reihe aufstellen. Wenn es keine Zwischenfälle gibt, gehe ich um 9 Uhr in den Computerraum, um für mein Geschichts- und Politikstudium zu arbeiten. Der Zugang zum Computer ist sehr wichtig für mich, weil ich unter Dyslexie leide und mir deshalb handschriftliches Arbeiten schwer fällt. Die Zeit im Computerraum bedeutet für mich Freiheit für den Geist, in der meine Finger über die Tastatur tanzen können. Die anderen Gefangenen verstehen sich gut mit mir, sie schätzen meinen Humor und meine Moral. Ich bin bekannt für meinen Gerechtigkeitssinn, weshalb ich auch in die Gefangenenvertretung gewählt wurde. Diese dient in der Regel als Mittel der internen Unterdrückung der Gefangenen und das ist keine Übertreibung. Wenn z.B. ein Häftling in den Hungerstreik tritt, wird die Gefangenenvertretung von den Schließer_innen beauftragt zu intervenieren. Das bedeutet nichts anderes, als den Protestierer einzuschüchtern, entweder durch die Androhung von Gewalt oder das Verstecken von Drogen in seiner Zelle und Alarmieren der Schließer_innen. Beides passiert regelmäßig. Während des Massen-Hungerstreiks von syrischen Refugees im Sommer 2013 hat ein Mitglied der Gefangenenvertretung einen syrischen Refugee (welcher der illegalen Grenzüberschreitung beschuldigt wird) zusammengeschlagen und ihm Stift und Papiere — wichtige Arbeitswerkzeuge, z.B. zum Verfassen von Beschwerden — gestohlen.

Ich versuche, dieser Art von Unterdrückung entgegenzutreten. Da ich für meinen Zellenblock in der Gefangenenvertretung bin, können die Häftlinge fordern, dass ich bei Durchsuchungen anwesend bin. Auch helfe ich ihnen z.B. bei der Abfassung von Zeugenaussagen oder Beschwerden. Einige Schließer_innen versuchen, mich daran zu hindern. Es gibt auch ein paar Neonazis im Gefängnis. Aber wie in Russland werden die Neonazis vom Staat geschützt und in der Regel nicht verurteilt. Die Insassen sind zu 70 Prozent Roma. Ich werde nicht von Rassisten belästigt, obwohl die weiße Mehrheit der Bulgaren äußerst rassistisch ist. Meistens betrachten sie mich mit Mitleid. Sie denken, dass ich naiv war, weil ich mein Leben für einen „dreckigen Zigeuner“ verschwendet habe.

Kannst du für die jüngeren Leser_innen unseres Blattes noch einmal kurz berichten, was am 28. Dezember 2007 passiert ist? Wie ist der aktuelle Stand des Verfahrens?

Am 28. Dezember 2007 sah ich, wie 12 Neonazis des Fußballclubs Levski Ultra einen jungen Roma die Straße entlang jagten und schlugen. Als ich zu seiner Unterstützung hinrannte, griffen die Neonazis mich an. Als Warnung habe ich ein Messer über meinen Kopf gehalten, um sie damit von ihrem Angriff abzuhalten. Dann haben sie Pflastersteine, Zement und Ziegel nach mir geworfen. Ich war komplett eingekreist, sodass ich in Bewegung bleiben musste, um mich zu schützen. Schließlich waren es zu viele. Durch einen Treffer am Kopf wurde ich bewusstlos. Als ich aufwachte, hatte die Polizei mich festgenommen. Sie sagte, dass ein Neonazi angestochen wurde und gestorben war. Er hieß Andrej Monov und war der Sohn von Hristo Monov, einem derzeitigen Abgeordneten der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP).

Mein Verfahren entspricht keinem legalen Vorgang- Nichts geht voran, obwohl meine Familie Druck ausübt, damit ich nach Australien verlegt werde. Aber der leitende Staatsanwalt in Bulgarien wird zu stark von der Regierung kontrolliert, in der Hristo Monov ein führender Politiker ist, und von ihm dahingehend beeinflusst, generell keine Verlegungen nach Australien zu genehmigen.

Die BSP bildet seit Mai 2013 eine Koalition mit der nationalistischen Partei Ataka unter dem Vorsitz von Volen Siderov1 . Seit meiner Verhaftung wurden mehrere Söhne bekannter BSP Politiker wegen Mordes angeklagt. Besonders krass ist der durch den Sohn eines BSP Politikers begangene Mord an zwei Männern, nur weil sie Englisch gesprochen hatten. Der Täter wurde vom Gericht aus dem Gefängnis entlassen, so dass er das Land verlassen konnte. Dieser Vorfall ist ein weiteres Zeichen für den Einfluss der Regierung auf die Justiz.

Die australische Journalistin Belinda Hawkins2  hat ein Buch über deinen Fall, genauer über den Kampf deines Vaters geschrieben. Was bedeutet dir dieses Buch persönlich und inwiefern hat es über deinen Fall hinaus politische Bedeutung?


Das Buch bedeutet mir sehr viel, da es meinen Fall grundlegend darlegt. Dennoch kritisiere ich daran die Entpolitisierung meines Falls und dass es nicht die Verbindung zwischen Neonazis und Fußball erklärt, die für Nicht-Europäer schwer zu verstehen ist. Es gibt viele kulturelle Unterschiede zwischen Bulgarien und Europa, die meiner Meinung nach im Buch nicht ausreichend erklärt werden. Die Neonazi-Ideologie der Angreifer wird gänzlich ignoriert und der ganze Vorfall als Kneipenschlägerei bagatellisiert, anstelle eines kalt kalkulierten, rassistischen Angriffs von Menschen, die einen Genozid dulden.

Du hast den „Bulgarischen Gefangenen Rehabilitations Verbund“ (BPRA) mitgegründet. Was sind die Ziele des BPRA?

Der BPRA setzt sich für Reformen des bulgarischen Gefängnissystems und Strafrechts ein. Solidarität ist ein Ziel des BPRA. Allerdings schränken Rassismus und Drogenkonsum die Einheit der Häftlinge stark ein. Der BPRA nutzt die European Recommended Prison Rules als Satzung3 . Momentan werden in bulgarischen Gefängnissen nicht einmal 1 Prozent der empfohlenen Regeln umgesetzt.

Wie sieht die Unterstützung aus, die du von außerhalb bekommst?

Ich erhalte Geld von meiner Familie. Davon abgesehen bekomme ich wenig Unterstützung. Momentan finde ich nicht einmal jemanden, der meinen Blog ins Bulgarische übersetzt. Bezüglich des BPRA sammeln wir Geld für Rechtsberatungen und richten dafür gerade ein Konto ein. Mit 200 bis 300 Euro im Monat können 6 bis 12 Häftlinge juristisch vertreten werden. Die meisten Gefangenen sind der Willkür der Gefängnisverwaltung ausgesetzt, die häufig illegale Maßnahmen anordnet. Aufgrund fehlender finanzieller Unterstützung müssen diese Maßnahmen widerstandslos hingenommen werden. Ich denke, dass es mit einer weltweiten Unterstützung realistisch ist, 300 Euro im Monat zu sammeln.

Neben der praktischen Hilfe für Gefangene hoffen wir, die Solidarität im Gefängnis zu erhöhen. Wenn wir uns kollektiv verteidigen können, werden Einzelne weniger Angst haben, für ihre Rechte und die von anderen Gefangenen einzustehen. Ohne eine stabile Solidarität unter Gefangenen sehe ich keine Möglichkeit, Reformen im Gefängnis durchzusetzen.

Ende 2011 schriebst du uns in einem Brief: „I’m putting out a call to action to all those opposed to racism both on the street and in it’s institutionalised form of fascism.“ Was möchtest du unseren Leser_innen gerne noch sagen? Und wie können sie dich und deine politische Arbeit unterstützen?

Wir haben die Taktik bezüglich meines Falls geändert. Statt Freiheit fordern wir nur noch die Verlegung nach Australien. Zu Zeiten der CCCP wurden ausländische Gefangene nach vier bis fünf Jahren in ihre Herkunftsländer überstellt. Obwohl Bulgarien jetzt in der EU ist, verweigert es meine Verlegung nach Australien. Es hat sogar zwei Jahre gedauert, bis der leitende Staatsanwalt auf meinen Antrag geantwortet hat.

Schließlich hat Bulgarien das Abkommen zur Verlegung von verurteilten Personen unterzeichnet. Es würde sehr helfen, wenn sich Europäer für die Einhaltung dieses Abkommens einsetzen würden.

Vielen Dank für das Interview! Wir wünschen dir viel Kraft und Solidarität!

Vielen Dank für Euer kontinuierliches Interesse. Ich habe das Gefühl, dass wir in Europa einen harten Weg vor uns haben.