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Alles Germania - »Freie Kameradschaften« in Berlin

Einleitung

Die Berliner Kameradschafts-Szene unterlag in den letzten zwei bis drei Jahren ständigen Veränderungen. Würde man Veröffentlichungen der Neonaziszene oder des Verfassungsschutzes glauben schenken, müsste es rund ein Dutzend aktive Kameradschaften in der Hauptstadt geben. Doch nur wenige sind über Jahre aktiv oder treten kontinuierlich an die Öffentlichkeit. In Berlin gehört momentan lediglich die »Kameradschaft Germania« dazu.

Oliver Schweigert (links) war lange Zeit Vertreter der Berliner Kameradschaften und für das Label "Aktionsbüro Mitteldeutschland" aktiv.

Die meisten Kameradschaften treten nach dem sogenannten »Wohnortprinzip« vor allem in ihren »Kiezen« auf. Dort agieren sie meist aus einem breiten Sympathisantenkreis heraus und fallen als namentliche Organisation kaum auf. Oft reichen schon einschlägige eigene Treffpunkte, in der Regel Kneipen, um solche örtlichen Strukturen zu schaffen. Gemeinsam besucht man Naziaufmärsche, Veranstaltungen oder Fußballspiele und geht gewalttätig gegen Alternative, Obdachlose oder Ausländer im Bezirk vor. Diese Übergriffe werden dann oft genug als unpolitisch eingestuft. So ermordeten in Pankow vier Jugendliche aus dem Kameradschaftsspektrum im Mai 2000 den Obdachlosen Dieter Eich. Polizei und Staatsanwaltschaft vertuschten den politischen Hintergrund, der erst durch Journalisten ermittelt wurde.

Treten in anderen Regionen Konflikte zwischen NPD auf der einen Seite und den »Unabhängigen Kameradschaften« bzw. dem »Blood & Honour« Spektrum auf der anderen Seite auf, werden diese Auseinandersetzungen in Berlin klein gehalten. Demonstrativ trafen sich beispielsweise im Juni 2000 am Kiesee Arkenberge NPD und Kameradschaften, um unter dem Motto »Umweltschutz ist Heimatschutz« gemeinsam Müll einzusammeln. Oft genug kennen sich NPD’ler und Kameradschaftsvertreter aus gemeinsamen Zeiten in anderen faschistischen Gruppen oder arbeiten unabhängig von ihrer jeweiligen Organisierung weiter zusammen.

Lediglich zwischen dem sogenannten »Aktionsbüro Mitteldeutschland« des Kameradschaftsaktivisten Oliver Schweigert und dem Berliner NPD-Kader Thomas Salomon kam es zum offenen Schlagabtausch, als letzterer im NPD-Organ »Zündstoff« die Rolle der Kameradschaften bei einem Aufmarsch am 1. Mai 2000 in Berlin Hellersdorf nicht ausreichend würdigte. Zu Spannungen kam es auch mit der neonazistischen »Wanderjugend Gibor«. Deren Wintersonnenwendfeier im Dezember 1999 hatten Mitglieder der »Kameradschaft Germania« gründlich verdorben, da sie durch betrunkenes Grölen, dem Zerstören von Toiletten und dem Diebstahl von Möbeln der Jugendherberge auffielen.

Kameradschaftsszene im Umbruch

In den letzten Jahren hat die Berliner Kameradschaftsszene stark gelitten. Dafür waren verschiedene Faktoren verantwortlich: Die Inhaftierung mehrerer Protagonisten, die »Selbstauflösung« der »Nationalen e.V.« im November 1997, die Öffnung der NPD für die Kameradschaften und nicht zuletzt auch interne Auseinandersetzungen. Der Verein »Die Nationalen« unter Vorsitz des jetzigen NPD-Kaders Frank Schwerdt hatte zuvor eine starke Koordinierungsfunktion zwischen den verschiedensten Kameradschaften in Berlin und den anderen Bundesländern. Diese brach ein, als Schwerdt die seit Anfang 1998 stattfindende Öffnung der NPD für bekennende Neonazis aktiv unterstützte und in die Partei eintrat.

Den zögerlichen ehemaligen Kameradschaftsaktivisten sollte der Wechsel mit einer eigens gegründeten »Arbeitsgemeinschaft nationaler Sozialisten in und bei der NPD« schmackhaft gemacht werden. In dieser Zeit kamen auch die Aktivitäten der bis dahin größten Berliner »Kameradschaft Treptow« zum Erliegen. Führende Köpfe wie Henryk Wurzel, Tilo K. bzw. Detlef Nolde (zuvor Cholewa) waren aus verschiedenen Gründen stark von polizeilicher Repression betroffen. Ein erfolgreicher Generationswechsel konnte bis heute nicht vollzogen werden. Durch die Inhaftierung Schwerdts bis Ende 1999 zerfiel der von ihm geführte Kameradschaftskreis fast vollständig.

Auch der Versuch des ehemaligen Vorsitzenden der Berliner FAP, Lars Burmeister, eine Handvoll Kameradschaften um sich zu scharen, misslang weitestgehend. Nur wenige Kameradschaften hielten an ihrer Eigenständigkeit fest, konnten aber dem eigenen Anspruch, »selbstständige politische Aktionseinheiten« zu sein, nicht gerecht werden und verkamen zu regelmäßigen »Stammtischrunden«. Kameradschaftsangehörigen, die weiterhin ihre Ideologie öffentlich umsetzen wollten, bot sich vor allem ein Engagement in der NPD an. Hier fanden sich in der Folgezeit etliche Berliner Kameradschaftsangehörige als Funktionsträger wieder,wie zum Beispiel der jetzige stellvertretende Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Berlin/Nord Uwe Brunke.

Andere führende Aktivisten wie Mike Penkert von der ehem. »Kameradschaft Beusselkiez« aus Berlin-Moabit widmeten sich Projekten der Freien Kameradschaftsszene wie dem »Radio Germania« oder dem »Nationalen Infotelefon Preussen«. Die Ende 1998 aufgrund von öffentlichen Protesten und antifaschistischem Widerstand erfolgte Schließung des »Cafe Germania« war ein weiterer Schlag für die Kameradschaftsszene. Damit verlor sie einen erst im Dezember 1997 eröffneten bedeutenden Treffpunkt. Aus den gemeinsamen Treffen im »Cafe Germania« gingen jedoch zwei neue Kameradschaften hervor. Eine davon gehört heute zu den bedeutendsten in Berlin.

Die »Kameradschaft Germania«

Der »Kameradschaft Germania«, die seit zwei Jahren bei bundesweiten Aufmärschen auftritt, werden etwa 15 nationalsozialistisch überzeugte und z.T. langjährigen Berliner Szene-Aktivisten zugerechnet. Als Führungskader sollen innerhalb der Berliner Neonazi-Szene Lutz Giesen, Henryk S. und Olaf Danny G. aufgetreten sein. Bei gemeinsamen Aktionen der gesamten Berliner Kameradschaftsszene, wie z. B. den Mahnwachen am Grab des Berliner SA-Mannes Horst Wessel in Berlin Prenzlauer Berg, fanden sich in der Regel um die 50 Neonazis ein. Um diesen Kreis hat sich zudem ein Umfeld von nicht organisierten Anhängern gebildet. Mittlerweile ist die Szene in der Lage, auch kurzfristig auf aktuelle Ereignisse, wie zuletzt die Bombardierung des Iraks, mit spontanen Kundgebungen zu reagieren.

Für die »Kameradschaft Germania« ist das »Wohnortprinzip« weniger bedeutend als die klare, gemeinsame Interessenslage. Ihre Aktivisten waren vorher in anderen Kameradschaften (z. B. Treptow) aktiv oder engagierten sich bei der NPD, für die heute noch einige aktiv sind. Entscheidend ist vor allem die eigene demonstrative Radikalität, die durch vermummtes und uniformiertes Auftreten in schwarzer Kleidung unterstrichen werden soll.  Im Gegensatz zu den anderen Berliner Kameradschaften beteiligt sich die »Kameradschaft Germania« regelmäßig an bundesweiten Aufmärschen, ist im Internet präsent und geht mit Flugblättern und Plakaten an die Öffentlichkeit. Ein in der Szene weit verbreiteter Redebeitrag von Udo Voigt und Horst Mahler (Erstunterzeichner) unter dem Titel "Den Völkern die Freiheit - Den Globalisten ihr globales Vietnam!" wurde auch von den Berlinern Hendryk Silwar und Dirk Müller für die Kameradschaft Germania namentlich unterzeichnet. Dieser Text soll 2001 auf einer "gemeinsamen Arbeitssitzung" in der NPD-Parteizentrale in Berlin-Köpenick von Vertretern der NPD und weiteren Organisationen und "Persönlichkeiten des Nationalen Widerstandes" einstimmig verabschiedet und unterzeichnet worden sein.

Gelegentlich mobilisiert sie selbst für eigene Aufmärsche. Eine angekündigte Demonstration am 27. Januar 2001, dem Holocaust-Gedenktag, fand jedoch nicht statt. Zuletzt mobilisierte die Kameradschaft zu einem Aufmarsch des »Nationalen Widerstandes« am 10. März in Eberswalde und kündigte einen eigenen, ordnergesicherten Treffpunkt in Berlin an. Inwieweit die »Kameradschaft Germania« weiter ihre übergreifende Aktivitäten und ihren militanten Gestus umsetzen kann, hängt sicherlich auch vom Verhalten der Sicherheitsbehörden ab. Trotz etlicher Verfahren scheinen sich deren Aktivisten nicht sonderlich eingeschränkt zu fühlen und bauen ihren Ruf als einzige wahrnehmbare und verlässliche »unabhängige Kameradschaft« in Berlin aus. Anfang 2001 schlossen sich die fünf Neonazi-Kameradschaften "Germania", "Pankow", "Preußen", "Hohenschönhausen" und "Tor Berlin" kurzzeitig zum "Kameradschaftsbund Germania" zusammen.  Wegen des dominanten Führungsanspruchs der "Kameradschaft Germania"-Vertreter in diesem "Bund" kam es zu Machtkämpfen und der Kameradschaftsbund zerfiel bald wieder.