Aufforderung zu rassistischen Überfällen?
In diesem Artikel berichten wir über Jugendliche aus Mecklenburg, die organisiert ein Flüchtlingsheim überfielen. Solche geplanten rassistischen Überfälle häufen sich. Oft ist nachzuweisen, daß Jugendliche hier durch Neonazis organisiert werden. Thema in diesem Beitrag ist jedoch nicht die Einflußnahme auf Jugendliche durch Neonazigruppen, sondern eine allgemeine Einflußnahme durch Sprache, Politiker-Reden und Medien.
Zum Wort „Asylant“
Das Wort »Asylant« fehlt als Begriff in kaum einer öffentlichen Diskussion über das Recht auf Asyl. Als fester Bestandteil des Wortschatzes von Verfechtern einer Asylrechtsveränderung ist das für AsylbewerberIn eingesetzte Wort »Asylant« ein menschenverachtender Kampfbegriff rassistischer Politik. Das Wort ist noch nicht alt, erst Ende der siebziger Jahre wird es von Politikern verwendet, noch später wird es im Duden erwähnt. Dabei ist es als Begriff nicht klar zu fassen. Es gilt als Synonym für AsylbewerberIn.
Dabei ist es aber kein neutrales Wort: Es dient dazu, zwischen Flüchtlingen zu unterscheiden. »Dissidenten« aus dem Ostblock wurden anders als schwarz- oder braunhäutige Menschen aus Afrika nicht »Asylant« genannt. Weiße Menschen aus Osteuropa haben immer noch eher eine Chance als »Flüchtling« bezeichnet zu werden. Eindeutig negativ werden aber weniger willkommene Fremde mit »Asylantenflut«, »Asylantenansturm«, »Asylantenschnorrer« oder »Asylantenwelle« diskriminiert. Es ist ein Begriff, der negative Emotionen auslöst und Verachtung ausdrückt. Sprachlich steht der Begriff »Asylant« in einer Gruppe von Begriffen mit der Endung -ant, die mit wenigen Ausnahmen eine negative Besetzung beschreibt: Simulant, Querulant, Spekulant oder Intrigant. Einige dieser Begriffe vermitteln einen pseudomedizinischen oder psychiatrischen Beigeschmack. Die Wortwahl allein schafft Entfremdung und wirkt, ob bewußt oder unbewußt eingesetzt, im Unbewußten des Zuhörers oder der LeserIn abwertend.
Durch Verbindung mit den Begriffen -Flut oder -Welle ist nicht mehr von einzelnen Individuen die Rede, sondern von abstrakten Mengen. Flüchtlinge aus anderen Ländern, die politisches Asyl suchen, werden so von Verfechtern von Nationalismus und Rassismus durch die Begriffswahl in der öffentlichen Diskussion entmenschlicht, um nachher leichter unmenschlich mit ihnen umzugehen. Da das Wort eindeutig negativ belegt ist und entsprechende Emotionen auslöst, steht auch eine politische Absicht dahinter, wenn Bundeskanzler Helmut Kohl von »den vielen Asylanten« spricht oder IG-Chemie Chef Hermann Rappe eine »Asylantenproblematik« sieht. In der bundesrepublikanischen Presse wird der Begriff verbreitet. »Der Spiegel« schreibt in einer Titelgeschichte von »Schein-Asylanten«, ebenso der »Stern«, dessen Leitartikel um Ausländerhaß Angriffe auf »Asylantenheime« beschreibt; die Springer-Presse braucht hier nicht zitiert zu werden.
Die Wertung des Begriffes hat sich mitterweile zugespitzt: Flüchtlinge sind tafsächlich gefährdete Menschen, »Asylanten« sind die Massen die das »Asylrecht mißbrauchen«. Der Begriff »Asylant« wird also verwendet, wo es darum geht, den Flüchtlingsstatus in Zweifel zu ziehen. Solche problematischen Worte werden sicher meist nur unkritisch übernommen. Leider kommt auch die Kürze des Wortes den Rassisten recht; es ist einfacher »Asylant« und »Asylantenheim« zu sagen, als von Flüchtlingen und AsylbewerberInnenheim zu reden. Sicher kann nicht allen im Alltag Rassismus vorgeworfen werden, die rechte Sprache gebrauchen. Klar ist, daß nicht nur die Worte, sondern das Verhalten entscheidend ist. Doch scheint uns die sprachliche Genauigkeit wichtig, um nicht im Sumpf von Nationalismus und Rassismus in der BRD rechte Propaganda weiterzutragen.
Rassistische Mobilisierung
Es scheint offensichtlich, daß Jugendliche mit vorhandener Gewaltbereitschaft durch öffentliche Reden etablierter Politiker und die Medien zumindest legitimiert, wenn nicht aufgefordert werden, gegen Flüchtlinge und andere auszugrenzende Personen gewalttätig vorzugehen. Seit einigen Jahren ist in der öffentlichen Diskussion in der BRD eine zu nehmende Verwendung von Sinnbildern wie »Asylantenflut« oder »Asylantenschwemme« auffällig1 .
Mit Verwendung des Wortes »Asylant« wird nicht nur eine Möglichkeit genutzt, den Status des Flüchtlings in Frage zu stellen, zusätzlich wird mit »Asylanten« ein Bild verknüpft, das zu einer »Existenzfrage für die Bundesrepublik« (Björn Engholm, Die Welt 3.8.1991) und zur Beschwörung eines Handlungsbedarfes führt. Wolfgang Schäuble erklärte »Asylantenflut stoppen« (Welt 8.8.1991) und die FAZ titelte »Uferlos geht es nicht« (8.8.1991). Immer wieder wird ein Bild von einer »Flut von Asylanten« entworfen, die uns alle gefährden soll. Es finden sich Bilder von Europa, dem sich tödliche Fluten aus Afrika nähern, die uns ertränken würden. Deutschland wird als Boot dargestellt, welches überflutet wird. Politiker verwenden Sprachbilder, die eine drohende Situation des eigenen Untergangs vermitteln. In weiteren Sprachbildern werden Flüchtlinge und »Asylbewerber« zu einer militärischen Bedrohung, zu einer gefährlichen Armee, die uns alle bedroht: »Flüchtlinge sammeln sich an den Grenzen Westeuropas« (WAZ 8.8.1991), »Soldaten an die Grenzen ... Einsatz von Militär, ... um den Ansturm abzuwehren« (Der Spiegel 9.9.1991).
Solche Bilder legen, ohne es direkt zu sagen, einfache Antworten nahe. Sie lenken von den eigentlichen Ursachen der Flucht und Problemen in der BRD ab, aber sie geben Handlungsanweisungen, die zu einfachen Problemlösungen werden: »Schotten dicht« im Falle von überlaufenden Booten, »Dämme aufbauen« vor drohenden Fluten, oder: »Zurückschießen!« im Falle eines Angriffes. Immer wieder wird so für die BRD, wie für jeden Einzelnen, symbolisch eine existentielle Bedrohung entworfen und eine subjektive Situation geschaffen, in der die Frage des »sich Wehrens« auftaucht. Solche Symbole sind leicht verständlich, erscheinen vielen anschließend sinnvoll und die Vorurteile werden als Wissen aufgenommen. Gleichzeitig sind jedem aus diesen Bildern Lösungsmöglichkeiten bekannt, die wie einzig mögliche Auswege nicht nur in der öffentlichen Diskussion verwendet werden: »Grenzen dicht machen, Einwanderung stoppen, notfalls militärisch gegen Flüchtlinge vorgehen«.
So ist es kaum mehr verwunderlich, wenn sich Jugendliche aufgefordert und legitimiert fühlen, rassistisch zu handeln: sie können sich der öffentlichen Meinung sicher sein. Politiker-Reden und Medien sind sicher nur eine Erklärung für die zahlreichen Angriffe und Morde an Flüchtlingen, Menschen aus dem Ausland und anderen auszugrenzenden Gruppen. Aber es zeigt sich, welche langfristigen Nebenwirkungen die Mechanismen der Tagespolitik der BRD haben, mit denen gesellschaftliche Probleme unsichtbar gemacht werden sollen. Profiteure sind dabei sicher die rechten und neonazistische Gruppen ihre Ideologie rückt durch den Sprachgebrauch der etablierten Parteien und der Medien sehr nahe an das gesellschaftliche Denken in der BRD. Eine allgemeine Zustimmung zu rechter Ideologie wird vereinfacht, Faschisten auf diese Weise der Boden bereitet.
Dragomir Christinel in Saal totgeprügelt
Ein Opfer der rassistischen Grundstimmung wurde auch der 18-jährige Rumäne Dragomir Christinel. Etwa 25 Jugendliche aus Saal, einem kleinen Ort bei Rostock, zogen in der Nacht des 14. zum 15. März 1992 zu einem Flüchtlingsheim außerhalb des Dorfes. Sie brachen mit Knüppeln bewaffnet in eine Baracke ein. Dragomir Christinel wurde von ihnen mit einem Baseballschläger totgeschlagen.
In der Nacht vor dem Totschlag wurden rumänische Jugendliche aus einer nahe gelegenen „Flying Disko“ in Petersdorf geworfen, nachdem sich Deutsche über sie »beschwert« hatten. Vor der Diskothek stellten sich etwa zehn Deutsche zwei Rumänen gegenüber, wobei einer der deutschen Jugendlichen sich in den Fluchtweg stellte und von den Flüchtenden mit einem Messer an der Hüfte verletzt wurde. Er bezeichnete später in einem Fernsehbeitrag den tödlichen Überfall als "Übermut". Die Rumänen wurden bis zum Heim verfolgt, ihnen wurden Rachedrohungen nachgerufen. Soweit ein »ganz normales« Wochenende. Am nächsten Tag werden Freunde, wie auch völlig unbeteiligte Jugendliche aus der Gegend, zusammengerufen und schlossen sich zu einem »Rachefeldzug« zusammen. Innerhalb eines Tages wuchs die Zahl derer, die sich an dem Überfall auf das Flüchtlingsheim beteiligen wollten weiter an. Autos wurden besorgt, später fanden sich darin eine Gaspistole und ein Feuerlöscher. Dragomir Christinel war nur zu Besuch im Heim. Er war einer der ersten, der den Totschlägern in die Hände fiel. Er wurde mit einem Baseballschläger und Schlägen auf den Kopf getötet.
Die Rostocker Behörden versuchten, den geplanten, organisierten und bewaffneten Überfall herunterzuspielen. Polizei und Staatsanwaltschaft informierten erst zwei Tage später die Presse. Das Schweriner Innenministerium verhängte eine Informationssperre. Der Mord an Dragomir wird als »Racheakt« heruntergespielt. Der Jugendliche John Peter G. aus Ribnitz wird schnell als Tatverdächtig ermittelt und verhaftet. Er gesteht Knüppel-Schläge auf Dragomir Christinel ausgeführt zu haben. Im Juni 1992 verurteilt das Bezirksgericht Rostock einen jugendlichen Täter wegen Körperverletzung mit Todesfolge und schwerem Landfriedensbruch zu einer Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren. Zwei weitere Angreifer erhalten Bewährungsstrafen. Rassistische Motive werden offiziell ausgeschlossen.2 Vielleicht ist die Strategie der Behörden, die Jugendlichen einer ganzen Region nicht als Rassisten „abstempeln“ zu wollen, nicht verwunderlich. Sicher ist es aber falsch, den Totschlag herunterzuspielen. Denn die zunehmende Gewaltbereitschaft »normaler« Jugendlicher ist keine unerklärliche Entwicklung ohne gesellschaftliche Ursachen. Vielleicht haben die Täter aus Saal den Mord nicht geplant, offen ist auch, ob organisierte Neonazis eine Rolle spielten, aber offensichtlich gibt es eine zunehmende Bereitschaft zu solchen Aktionen, eine Bereitschaft, die mögliche Todesfälle in Kauf nimmt.
- 1Vgl. U. Gerhard: „Dokumentation zu Rassismus im Mediendiskurs“. (Diskurswerkstatt Bochum eV)
- 2Nachtrag 2013: Mittlerweile wird die Tat nach einer retrograden Überprüfung der in Mecklenburg - Vorpommern seit der Wiedervereinigung begangenen Tötungsdelikte anhand der Kriterien des KPMD – PMK als „politisch motivierte Kriminalität - rechts“ bewertet.