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Die Stille nach dem Mord

Einleitung

Erneut trauern wir um ein Todesopfer rechter Gewalt. Marwa El-Sherbini wurde am 1. Juli 2009 vor den Augen ihres Ehemanns und des gemeinsamen dreijährigen Sohnes erstochen. Die Tat geschah am Dresdner Landgericht während einer Berufungsverhandlung wegen Beleidigung. Marwa El-Sherbini hatte den Täter wegen seiner islamophoben Äußerungen ihr gegenüber angezeigt und sagte als Zeugin im Prozess aus. Die öffentlichen Reaktionen nach dem Mord fielen zunächst verhalten aus. Trotz der Dimension der Tat äußerten sich weder VertreterInnen der Politik noch aus Zivilgesellschaft oder antifaschistischer Bewegung.

Foto: Akubiz

Gedenktafeln für Marwa El-Sherbini.

Es schien eine Berufungsverhandlung zu sein, wie sie nahezu täglich an deutschen Gerichten stattfindet. Die Besonderheit: Es ging um eine rassistische Beleidigung, die sich vor einem Jahr auf einem Spielplatz ereignet hatte. Marwa El-Sherbini hatte den Täter gebeten, dass ihr Sohn die Schaukel, auf der er saß, benutzen könne. Daraufhin wurde sie wüst mit den Worten »Islamistin«, »Schlampe« und »Terroristin« beschimpft. Sie zeigte den Täter an und im November 2008 verurteilte das Amtsgericht Dresden diesen zu 780 Euro Geldstrafe. Während des Prozesses erklärte Alex W.,  »solche Leute« seien nicht beleidigungsfähig, da sie »keine richtigen Menschen« seien.

Am 1. Juli fand, da die Staatsanwaltschaft aufgrund der geringen Strafe Rechtsmittel eingelegt hatte, die Berufungsverhandlung statt. Gerade als Marwa El-Sherbini ihre Aussage beendet hatte, zog Alex W. ein Messer, stürzte sich auf sie und stach innerhalb einer Minute 18 Mal auf sie ein. Ihr Ehemann, der ihr zu Hilfe kommen wollte, wurde ebenfalls durch Messerstiche verletzt. Ein Bundespolizist, der aufgrund des ausgelösten Alarms in den Saal kam, schoss auf den Mann der Getöteten nicht auf den Täter1 . Die schwangere Marwa El-Sherbini erlag ihren schweren Verletzungen vor den Augen ihres Mannes und des Sohnes noch im Gericht.

Obwohl die Dresdner Staatsanwaltschaft zwei Tage nach der Tat erklärte, dass es sich um eine eindeutig »ausländerfeindliche Tat« handelte, blieb die öffentliche Empörung auffallend gering. Die Annahme, dass es sich bei dieser Nichtreaktion um die Auswirkung und das Entsetzen über die grausame Tat handelte, geht aber fehl.

Vielmehr resultierte die Stille wohl daraus, dass es sich bei dem Täter um einen sog. »Russlanddeutschen« handelt, der erst 2003 von Perm nach Deutschland verzogen war. Selbst antifaschistische Gruppen, die richtigerweise Rassismus immer als gesamtgesellschaftliches Problem benannt hatten, blieben stumm. Kein medialer Aufschrei im Kampf gegen Rassismus, keine Spontandemonstration seitens antifaschistisch Engagierter, keine öffentlichen Äußerungen seitens führender Politiker. Vielmehr erklärte der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg (SPD) entgegen der eindeutigen Benennung der Staatsanwaltschaft: »In diesem konkreten Fall haben wir uns mit einer Stellungnahme zurückgehalten, weil die Umstände nicht hinreichend klar gewesen sind, um eine so weitreichende politische Erklärung abzugeben.«2  

Erst als Marwa El-Sherbini am 6. Juli in Ägypten beigesetzt wurde und die ägyptische Öffentlichkeit und arabische Medien das (Nicht-) Verhalten der deutschen Regierung und Öffentlichkeit anprangerten, kam es in Deutschland zu medialen Reaktionen, wobei die Rezeption des Mordes politisch abwegige Richtungen einschlug.

Die Bundesregierung hob maßgeblich darauf ab, dass Deutschland die Tat auf das Schärfste verurteile und kein Platz für Fremden- und Islamfeindlichkeit sei. Die Frage, welches öffentliche Bild von islamischer Religion bzw. Personen mit arabischem Migrationshintergrund nach dem 11. September auch in der deutschen Öffentlichkeit geprägt wurde, ist nur von migrantischen VertreterInnen als (Mit-)Ursache für die Tat angesprochen.

Islamophobie wurde vielmehr nur im Kontext des Migrationshintergrundes des Täters betrachtet. Dabei wurde auf rassistische und islamfeindliche Haltungen in der russischen Mehrheitsgesellschaft insbesondere in Verbindung mit dem Tschetschenienkrieg abgestellt. So schrieb die Süddeutsche Zeitung zwei Wochen nach der Tat: »Ohne Zweifel war der Antiislamismus die treibende Kraft. Doch es war eben kein gebürtiger Deutscher, der den Mord beging, sondern ein Russlanddeutscher [...] der Arbeitslose, der in Russland sozialisiert wurde, wo der Fremdenhass gesellschaftlich längst noch nicht die Ächtung erfahren hat wie im westlichen Europa.«3 Der Vorwurf des Rassismus in Deutschland wurde somit gen Osten weiterdelegiert. Eine Auseinandersetzung mit (Alltags-) Rassismus in Deutschland und weitverbreiteten rechten Einstellungen wurde nahezu vollkommen ausgeblendet. Und das, obwohl zeitnah bekannt war, dass der Täter sich positiv auf die NPD bezog und bekannt hatte NPD-Wähler zu sein. Vielmehr wurde auf das Thema »Kampf der fremden Kulturen«, so auch die Überschrift jenes Feuilletonartikels in der Süddeutschen Zeitung, reduziert. Die Tat mutierte vom rassistischen Mord zum »Nischenkonflikt«, den der multikulturelle Alltag bereithielte.

In Dresden selbst fand auf Initiative regionaler Vereine zehn Tage nach dem Mord schließlich eine öffentliche Trauerfeier statt, zu der sich etwa 1.000 Menschen einfanden. Für eine Stadt von einer halben Million Einwohner bleibt dies, wenn man darüber hinaus berücksichtigt, dass ein Drittel der Teilnehmenden selber potentiellen Betroffenengruppen angehörten, eine verschwindend geringe Zahl. Sowohl die Oberbürgermeisterin der Stadt, die nach dem Mord in den Urlaub gefahren war, als auch der Ministerpräsident des Freistaats Sachsen, beide CDU, blieben der Veranstaltung fern. Weder die Bundesregierung sandte einen Vertreter, noch nahmen außer Franz Müntefering (SPD-Vorsitzender) Bundespolitiker teil. Stattdessen brüskierte der stellvertretende Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) in seiner Rede gleich zweifach. So sprach er lange über den positiven Nutzen ausländischer Wissenschaftler und Künstler für die »weltoffene Stadt Dresden«. Er ließ offen, wie sich die Stadt Dresden zu Menschen verhalten würde, die in einer Nützlichkeitsdebatte keinen Beitrag leisten könnten. Weiterhin erklärte er, dass die Dresdner selbst erlebt hätten, wohin der Rechtsextremismus führen würde. Selbst bei einem Mord, bei dem es sich wenigstens aus Gründen der Pietät verboten hätte, wurden die Dresdner zu Opfern des Nationalsozialismus erklärt. In einer solchen Umkehrung der Historie ist in logischer Konsequenz kein Platz für eine ernsthafte Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit und ein entschlossenes Auftreten gegen Rechts.

Bis heute konzentriert sich die öffentliche Debatte in Dresden auf das Thema Integration von »Ausländern« und nicht die Bekämpfung des Rassismus. Die Stadt selbst, die jahrelange Übung im Verdrängen extrem rechter Einstellungen und Aktionen hat, wie sich eindrucksvoll alljährlich zum größten deutschlandweiten Neonaziaufmarsch im Februar beweist, blieb ihrer Politik auch beim rassistischen Mord treu. Eine Haltung, die inzwischen selbst in bürgerlichen Kreisen auf Widerstand stößt. So intervenierten insbesondere Vertreter der Dresdner Universität gegen die unverhohlene »Vogel-Strauß«-Politik im Freistaat.

Der Professor für Kommunikationswissenschaften Wolfgang Donsbach, besorgt um das städtische Image und den Wissenschafts- und Kulturstandort, veröffentlichte einen offenen Brief unter dem Titel »Dresden – wache auf!«. In diesem hielt er sowohl der Stadtverwaltung als auch den Dresdner Bürgern vor, immer noch nicht begriffen zu haben »... was das Thema für die Stadt bedeutet, welchen Schaden es anrichtet und welche Ursachen es hat. Wir haben einen deutlich erkennbaren Sockel an bekennend ausländerfeindlichen Bürgern, eine Mehrheit, der das Thema gleichgültig ist – wie die Trauerfeier wieder gezeigt hat – und ein paar Aufrechte, die etwas ändern wollen. [...] Die Einsicht in das Problem, dass es nicht nur um verrückte Einzeltäter, sondern um weit verbreitete Haltungen geht, wäre der erste Schritt zur Lösung.«4

Von dieser Lösung ist man in Dresden weit entfernt. Anzeichen der Stadtverwaltung für ein ernsthaftes Engagement gegen Rechts sind nicht in Sicht. Vielmehr wird eine Strategie für eine bessere Integration von Ausländern sowie der Gleichstellung von muslimischen Frauen vorgeschlagen und das Thema rechte Einstellungen, der Neonaziaufmarsch um den 13. Februar und unzählige rassistische Gewalttaten wieder einmal unter den Tisch gekehrt. Eine Politik, die unter einer schwarz-gelben Regierung im Freistaat und Bund sicher Beifall finden wird.

  • 1Nach Medienberichten gibt die Pressestelle der Bundespolizei aufgrund des laufenden Verfahrens keine Auskunft darüber, ob der Polizist auf den Mann schoss, weil er ihn ob der dunkleren Hautfarbe für den Täter hielt.
  • 2zitiert nach Tagesspiegel vom 7. Juli 2009
  • 3Süddeutsche Zeitung, 14. Juli 09
  • 4Offener Brief von Prof. Dr. Wolfgang Donsbach, 12. Juli 09 zu finden unter: www.donsbach.net/blog/wp-content/ uploads/2009/07/dresden-problem.pdf