Bruderschaften als rechte Terrorbasis?
Aktuell steht die Neonazi-Vereinigung "Gruppe Somogyi" wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung vor Gericht. Deren Planungen zielten unter anderem darauf ab, Anschläge auf Moscheen zu begehen und dort Anwesende zu töten oder schwer zu verletzen. Mittlerweile steht fest, das rechte "Bruderschaften" und "Bürgerwehren" in diesem Kontext ein Rekrutierungsfeld für den geplanten Neonazi-Terror waren.
Bruderschaften als Pseudo-Rocker?
Bruderschaften haben meist einen klaren hierarchischen Aufbau, der sich in der Namensgebung und Struktur an „Organized Motorcycle Gangs“ (OMG) orientiert. Man könnte sie umgangssprachlich auch als "Fake-Rocker-Clubs" bezeichnen. Mittlerweile entsteht bei diversen Bruderschaften folgender Eindruck: Eine Gruppe Männer, die sich für besonders wichtig hält, tut sich zusammen und verteilt die wichtigsten Posten (Präsident, Vize-Präsident, Secretary und Sergeant at Arms) unter sich bzw. ihren Ehefrauen. Dazu ein gefährlich klingender Name und ein martialisches Wappen, das als äußeres Erkennungsmerkmal auf Kutten und sonstige Bekleidung gedruckt wird. Anschließend präsentiert man eine Seite bei Facebook und läuft abends manchmal ein paar Runden "Streife" durch ein meist langweiliges Provinz-Örtchen, um das eigene Revier zu markieren. Der Rest der Zeit wird in diversen Gruppen-Chats verbracht, um sich über den Niedergang Deutschlands und die eigene herausragende Bedeutung im Kampf dagegen auszutauschen.
Bruderschaften zwischen Streit und Vernetzung
Das Milieu kann am Beispiel der Gruppierung "Soldiers of Odin" (SoN) dargestellt werden. Bei den "Soldiers of Odin" handelt es sich um eine internationale Gruppierung, die im Oktober 2015 in Finnland von bekennenden Flüchtlingsfeinden gegründet wurde. Gleichnamige Gruppen in Norwegen, Schweden, Estland, Belgien, Frankreich, Deutschland, Tschechien, Malta, Nordirland, Australien, Neuseeland, Kanada und den USA folgten.
Die „Soldiers of Odin Germany“ (SoOG) entstanden 2017 in Bayern. Die SoOG grenzten sich zwar öffentlich nach rechts ab, ließen aber zeitweilig rechte Akteure in der SoOG aktiv werden. Die Führung der SoOG lag (zeitweilig) bei Peter Schulz (Bundesleader) und Daniel Ernst (Vize-Präsident).
Die SoOG waren Ausgangspunkt einer Reihe anderer Gruppierungen. Nach internen Streitereien und Spitzelvorwürfen zerfiel die Gruppe. Im Sommer 2018 gaben einige führende Posten-TrägerInnen der SoOG aus Bayern und Baden-Württemberg bekannt, fortan unter dem Namen "Wodans Erben Germanien" (WEG) aufzutreten. Frank Holl aus München (Sergeant SoOG Bayern), Tommy Lohr (Sergeant SoOG Ba.Wü) und Daniela Kremerius (Secretary SoOG Ba.Wü) galten hierbei als führende AkteurInnen. Als Hintergrund gaben sie u.a. inhaltliche Differenzen mit der internationalen Gruppierung "Soldiers of Odin" an. Auch der Personenkreis „Der neue Rat“ unter der Führung von Werner Matthias Somogyi (Mickhausen) soll aus den SoOG hervorgegangen sein.
Die Gruppierung „Vikings Security Germania“ (VSG) wurde Anfang 2018 von Michael Falzboden ("Falzi") aus Rattenberg (Bayern) als weitere Abspaltung von den SoOG ins Leben gerufen. Falzboden galt als Präsident der VSG. Ihm standen seine Partnerin Nadja Demuth als Vize, Steffen Balder Nienburg (Saale) als Sergeant und Armin Fischer als Secretary in der Gruppen-Führung zur Seite. Regionale Ableger (Divisionen) existier(t)en (zumindest) virtuell in Hessen (um Rinalado Hoffmann), Bayern, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. In Sachsen-Anhalt wurden Per Meier (Führer), Stefan Krause aus Coswig (Vize) und Hagen Görne zur Divisions-Führung ernannt.
Die Aktivitäten all dieser Gruppierungen können mit Chatten, Patrouillengängen und rechtem Demonstrations-Tourismus beschrieben werden. Die AnhängerInnen der Gruppierungen sind oftmals miteinander bekannt und vernetzen sich über ihre Facebook-Gruppen und diverse Messanger-Chat-Gruppen. Im Gegensatz zu anderen rein virtuellen Chat-Gruppierungen resultieren bei diesem Personenkreis jedoch auch gemeinsame (Jahres)Treffen, Fahrten und Verabredungen auf rechten Demonstrationen daraus.
Bruderschaften als Terrorbasis?
Der Personenkreis um diese rechten „Bruderschaften“ und „Bürgerwehren“ stellt offenbar einen geeigneten Personenpool dar, um potentielle Rechtsterroristen zu rekrutieren. Das Beispiel der Angeklagten im "Gruppe S"-Verfahren macht dies deutlich. Über die "Bruderschaften" war womöglich auch ein Zugang zu Waffen realisierbar. Mario Sch. und Andre Mike B. aus dem Kreis der „Soldiers of Odin“ bzw. der VSG konnten als mögliche Waffenbauer bzw. als potentielle Waffenhändler der "Gruppe S" ermittelt werden. Auch eine führende Person der „Wodans Erben Bayern“ war als Waffenkäufer im Gespräch.
SoOG, „Viking Security“ und „Wodans Erben“
Der Hauptbeschuldigte Somogyi kannte die weiteren Angeschuldigten Frank Holl, Steffen Balder, Stefan Krause und Michael Bäuerle (Kirchheim unter Teck) seit mehreren Jahren über die Kreise der SoOG. Balder und Krause kannten sich aus der „Vikings Security Germania". Die Angeschuldigten Holl (Präsident) und Marcel Wiedecke aus Pfaffenhofen an der Ilm (Sergeant) waren gemeinsam bei "Wodans Erben Germanien - Division Bayern" organisiert.
„Freikorps Heimatschutz“, „Bruderschaft Deutschland“ und SS-Freundeskreis
Die Angeklagten Tony Ebel (Wriedel), Thomas Niemann (Minden) und Wolfgang Wittmann (Koblenz) rekrutierten Somogyi vermutlich während eines Treffens der Gruppierung „Freikorps Heimatschutz Division 2016 - Das Original“ (FHO) im Juli 2019 in Sondershausen (Thüringen). Diese rechte Gruppe um Sören B. und Marcel L. wurde im Juli 2017 ins Leben gerufen. Der Angeklagte Markus Krüper (Minden) fand seinen Weg von den „Nationalen Sozialisten Bückeburg" zum "Freikorps Heimatschutz".
Der Angeklagte Paul-Ludwig Ulbrich (Mosbach) war wohl auf Empfehlung des Angeklagten Ebel in die „Bruderschaft Deutschland“ als „Mitglied auf Probe“ aufgenommen worden. Diese rechte Düsseldorfer Gruppe geht auf Kai Valentin K. und Ralf N. zurück. Bei Ebel fand sich ein Kleidungsstück mit dem Aufdruck „Bruderschaft Deutschland“.
Anhänger der FHO und der „Bruderschaft“ standen in Kontakt mit dem Kreis um die "Gruppe S". So zeigte ein bei Facebook veröffentlichtes Gruppenbild die FHO-Vertreter Fred P. und Marcel L. gemeinsam mit Tony Ebel und Ralf N. bei einem Treffen der „Bruderschaft Deutschland - Sektion Süddeutschland“.
Damit stammen fast alle "Gruppe S"-Angeklagten aus dem Kreis rechter „Bruderschaften“. Nur Thorsten Wollschläger aus Hamm hatte eine anderen rechten Backround - er soll Mitglied im „Freundeskreis der Truppenkameradschaft der 3. SS-Panzer-Division Totenkopf e.V.“ gewesen sein.
Gefährliche Mischung
Die Mischung aus rechten Überzeugungen, Rassismus, identitätsstiftender Gruppenzugehörigkeit, dem Gefühl zur Elite zu gehören, einer Affinität zu Gewalt, Selbstermächtigung und dem Anspruch, zu den Härtesten zu gehören, ist ein guter Dünger für rechtsterroristische Planungen. Der Kontext rechte „Bruderschaft“ oder „Bürgerwehr“ dürfte den Weg vom zornigen weißen Rassisten zum rechten Attentäter in politischen Situationen wie dem angeblichen Kontrollverlust in der vermeintlichen „Flüchtlingskrise“ begünstigen.
Im Zuge der europäischen Migrationsbewegungen wollte z.B. der Neonazi Mika Ranta mit Straßenpatrouillen in Finnland „Eindringlinge“ vertreiben und "die Polizei unterstützen". Diese "migrationskritischen" Vigilanten der „Sons of Odin“, die mit Selbstjustiz mindestens kokettieren, waren aber keine neue Erfindung. Vielmehr erinnert das an den „Störkraft“-Song von 1989 "Deutschlands Polizei" mit dem Refrain: „Wir sind Deutschlands rechte Polizei, wir machen die Straßen wirklich frei“. Das Lied einer durch die Fernsehprogramme gereichten "Vorzeige-Skinheadband" aus Andernach wurde in den 1990er Jahren gerne als „wir machen die Straßen türkenfrei" gesungen und durfte auf keiner RechtsRock-Schulhofkassette fehlen.
Dass die zweite "Hymne" auf dem Album: "Ob mit Fäusten, Knüppeln oder Stiefeln, es wird das Blut der Gegner fließen" zum Ohrwurm rassistischer Banden wurde, spürten ihre Gegner_innen in den "Baseballschlägerjahren" hautnah. Diese musikalischen Evergreens der "Generation Terror" der 1990er Jahre-Pogrome brachten die immerwährende Vorstellung einer verhinderten Ordnungs- und Rettungsmacht ziemlich deutlich auf den Punkt.
Diverse "Heimatschutz"-Wortschöpfungen beziehungsweise Selbstverklärungen als Odins Krieger oder Erben ziehen sich nun seit Jahrzehnten durch Gruppennamen, schnulzige Balladenabende und Mode-Accessoires der extremen Rechten.
Eins ist klar: Das Label "Bürgerwehr" versucht hier die Täter zu einer Art "Hilfspolizei" zu verklären. Letztendlich sind es parastaatliche rassistische Gewaltstrukturen im historischen Kontext faschistischer Kampfbünde. Wenn Neonazis und Rassisten ihre Absichten auch wortreich verklären, die (angedrohten) Gewalttaten sind eine Botschaft an eine als Feind_innen markierte Zielgruppe. Genauso hat auch der Terror des NSU funktioniert.