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Das passende Bett

Thomas Willms
Einleitung

Der VVN-BdA zum Begriff »Neofaschismus«

Prokrustes lebte am Rande einer Straße. Vorbeikommenden Reisenden bot er seine Gastfreundschaft an. Insbesondere empfahl er sein Bett, das garantiert jedem passen würde. Die Unglückseligen, die der Einladung folgten, erlebten sodann eine spezielle Methode der Anpassung. Waren sie zu klein, zerrte er sie so lange in die Länge, bis sie passten. Waren sie zu lang, hackte er ihnen die Füße ab. Beendet wurde dieses Treiben durch den Helden Theseus, der Prokrustes auf sein eigenes Bett warf und ihm seine eigene tödliche Prozedur angedeihen ließ.

Die Weisheit dieser alten griechischen Sage ist in den Begriff des »Prokrustesbettes« eingegangen. Wer die Wirklichkeit zu sehr in ein vorgegebenes und starres Bett aus Begriffen zwängt, ist in Gefahr, sie zu verstümmeln und umzubringen. Auf Dauer wird er selber zum Opfer seines eigenen Systems.

Die Warnung sollte sogar noch weiter gehen: Jeder, der mit Begriffen operiert, steht in der Gefahr, die Wirklichkeit mit den Modellen zu verwechseln, die er sich zurechtgelegt hat. Die konkreten Phänomene, also z.B. das »Spektrum rechts von der CDU bis militante Neonazis« scheren sich keinen Deut darum, wie sie von Antifaschisten benannt werden, welche Abgrenzungen und Interpretationen vorgenommen werden. Nimmt man das Bild des »Spektrums« wörtlich, findet man ein kontinuierliches Spektrum mit einzelnen diskreten Linien. Die wichtigste Linie ganz rechts wird in der VVN – BdA zumeist »Neofaschismus« genannt.

Der Streit um Worte sollte durch einen Streit um die Sache abgelöst werden. Begriffe wie »Rechtsextremismus«, »Neonazismus« und »Neofaschismus« werden von vielen, vielleicht sogar den meisten, die sich gegen ihn wenden, synonym verwendet. Die Verwendung unterliegt durchaus Moden, die durch Kampagnen, Ereignisse und Medien, seltener wissenschaftliche Debatten, beeinflusst werden. Zur Zeit ist gerade der kürzeste Begriff »Nazi« en vogue.

Und trotzdem gibt es Begriffe, die richtiger sind als andere, und es gibt einen, der grob falsch ist. »Theorien« sollen es ermöglichen, Beobachtungen zu systematisieren, zu verallgemeinern und auf dieser Grundlage Prognosen und Handlungsempfehlungen zu geben. Gemessen daran führt der Begriff des »Extremismus« zu keiner Theorie. Er beschäftigt sich mit einem Phänomen, »das es nicht gibt« (Wolfgang Wippermann). Die Anhänger dieses Begriffes setzen ein starr gedachtes System – die »freiheitlich demokratische Grundordnung« – voraus und definieren von diesem aus alles andere als »extremistisch«.

Mit der Sache selbst beschäftigen sie sich ausschließlich unter dieser Vorgabe, strecken und hacken, bis »Rechtsextremismus« und »Linksextremismus« sich angeblich »in ihrer Ablehnung der Demokratie einig« seien. Dieses grob unwissenschaftliche Vorgehen kann man sich nur erlauben, indem der demokratische Diskurs durch den Einsatz von Machtmitteln behindert und verhindert wird.

Erfahren muss dies zur Zeit die VVN/BdA mit ihrer Wanderausstellung »Neofaschismus in Deutschland«. Nicht nur, dass sie den »richtigen« Begriff Rechtsextremismus nicht verwendet, wirft man ihr vor, sondern auch, dass sie Zusammenhänge benennt, die es nicht geben darf, über die man nicht reden soll. Sie beschäftigt sich auf wenigen Tafeln auch, aber keineswegs hauptsächlich, mit dem »Spektrum rechts von der Union«, mit historischen Zusammenhängen, ideologischen und organisatorischen Überschneidungen zwischen ausgewiesenen Neofaschisten und anderen Kräften. Vertreter von FDP und CDU werden in ihr mitnichten als »Faschisten« bezeichnet, sondern es wird nur darauf hingewiesen und mit Zitaten belegt, dass sie mit unverantwortlichen Worten organisierten Neofaschisten Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Außerdem fasst sie in einfachen Worten Fakten zusammen, die man Unterrichtungen des Deutschen Bundestages und Berichten der Innenminister entnehmen kann: »Die Hauptfinanzquelle der NPD ist der Staat« ist so ein Satz, den man nicht sagen darf.

Dies steht selbstverständlich sinngemäß in vielen kritischen Veröffentlichungen. Es macht aber offenbar einen Unterschied, ob es in dicken und nicht gar soviel gelesenen wissenschaftlichen Büchern steht oder beispielsweise illustriert im Schweriner Rathaus hängt, wo sie hunderten von »ganz normalen« Bürgern zugänglich ist. Fakt ist leider, dass es relevante Überschneidungen zwischen konservativen und neofaschistischen Kräften gibt, also Ähnlichkeiten bei den Aussagen und bei Wertevorstellungen, nicht aber zwischen neofaschistischen und im weitesten Sinne linken Strömungen – von die Regel bestätigenden Ausnahmen abgesehen.

Aufmerksamkeit gegenüber dieser Frage ist angesichts des historischen Bündnisses zwischen NS-Bewegung und bürgerlichen Eliten aus Militär, Justiz und Wirtschaft angebracht. Die demokratische Verfasstheit und Orientierung des deutschen Konservatismus und ihrer parteiförmigen Formationen CDU/CSU – sei sie auch noch so formal, lieblos, halbherzig und zweideutig – ist eine der wesentlichen Grundfragen der Zukunft der Demokratie. Mit ihr spielt man nicht, auch nicht durch pauschale Diffamierung von CDU und CSU, die deshalb in der Ausstellung auch gar nicht zu finden ist.

In ihr wird durchgängig der Begriff des »Neofaschismus« als Bezeichnung für eine bestimmte politische Bewegung verwendet. Grundlage ist die Analyse, dass es von den 20er bis 40er Jahren einen bestimmten Typus politischer Bewegungen – zunächst in Italien – gegeben hat, die sich in wesentlichen Inhalten und Verhaltensweisen und in ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft ähnelten. Diese gab es von Rumänien bis Irland, von Norwegen bis Italien. In Deutschland und Italien und im Verlauf des Zweiten Weltkrieges noch in weiteren Ländern gelangten sie in den Besitz staatlicher Macht und entfesselten ein umfassendes terroristisches Regime.

Mit dem 8. Mai 1945 erlitten diese Staaten und Bewegungen eine vernichtende Niederlage, was es sinnvoll macht, alle Wiederauferstehungsversuche gesondert zu charakterisieren, also als »neo-faschistisch«. Auch wenn andere Namen und Personen auftauchen, andere Verpackungen und Symbole verwendet werden – an den Werten und Wertehierarchien dieser Strömungen, ihren Zielen und ihren Methoden hat sich nichts Wesentliches geändert. Der Zentralbegriff dieser Ideologie ist die »Volksgemeinschaft«. Er ist sowohl integrierend – er verspricht eine »Gemeinschaft« – wie ausgrenzend.

Nicht geändert haben sich auch die Auswirkungen dieser Bewegungen bereits in der Gegenwart, lange vor einer »Machtergreifung«. Sie werden wirksam in Zeiten des Sozialabbaus, der Ökonomisierung gesellschaftlicher Beziehungen und der zunehmenden Bedeutung von Krieg und Militär: Sie schüchtern ein, sie fangen einen Teil des Protestpotentials auf, sie sind Vorreiter für Themen, sie untergraben die demokratische Orientierung des Konservatismus und sie verstehen sich als Reservearmee für den »Ernstfall«.

Deshalb ist es vernünftig, NPD und Kameradschaften als »neofaschistisch« zu bezeichnen, auch »neonationalsozialistisch« wäre nicht falsch. Dies schließt nicht aus – Prokrustes lässt grüßen – dass es neben ihnen oder aus ihnen erwachsend andere rechte antidemokratische Strömungen und Bewegungen gibt, für die man andere Begriffe verwenden mag wie z.B. »Rechtspopulismus«.

Thomas Willms ist Bundesgeschäftsführer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN – BdA)