Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Extrem-Begriffen werfen
Initiative gegen jeden Extremismusbegriff (Inex)Diskussionsbeitrag der Initiative gegen jeden Extremismusbegriff (Inex) zur Begriffsdebatte. Wir bitten Antifas, Wissenschaftler_innen und Journalist_innen sich mit Beiträgen an dieser Diskussion zu beteiligen, um Alternativen zur Beschreibung des Spektrums »rechts von der CDU bis zur militanten Neonaziszene« zu finden.
Die Kritik an der absurden Extremismusformel und dem zugehörigen Begriffsapparat wurde unzählige Male in verschiedenen Kontexten geäußert. Wenig erscheint derzeit langweiliger, als all die Argumente nochmals aufzuwärmen, entstand doch spätestens mit der Debatte um die Extremismusklausel (AIB 90) der Eindruck, die Kritik würde von vielen geteilt.
Das Begriffskasperltheater aber geht weiter: Rechtsextremismusexpert_innen, Mobile Berater_innen gegen Rechtsextremismus, Mitglieder von Bündnissen gegen Extremismus und Rechtsextremismusbeauftragte von Parteien protestieren seit Monaten ernsthaft gegen die schwarz-gelbe Extremismusklausel. Wissenschaftler_innen erfragen den »Extremismus in der Mitte der Gesellschaft« und einige antifaschistische, potenziell linksextreme Projekte behelfen sich mit der Wortschöpfung »extreme Rechte« weiter. Kritiker_innen, die auf diese und andere Absurditäten verweisen, bekommen immer wieder zu hören, es ginge nicht um den Begriff, sondern um »die Sache«; niemand würde verstehen wovon die Rede ist, wenn man nicht von Rechtsextremisten spräche oder es sei kein adäquater Ersatzbegriff vorhanden.
Diese Begründungen verwundern uns. Denn dass Sprache gleichzeitig gesellschaftliche Machtverhältnisse produziert und widerspiegelt, haben viele Antifaschist_innen aus verschiedenen Wirkungskreisen von DGB bis Antifa Idar-Oberstein verstanden. Es ist mittlerweile Usus bestimmte ideologisch determinierte Begriffe zu vermeiden oder Texte bewusst zu gendern, um diesen Verhältnissen entgegenzuwirken. Und dass Texte und gesprochenes Wort ohne den Begriff »Extremismus« nicht weniger verständlich sind, zeigen zahlreiche Textbeispiele1 und Erfahrungen aus der politischen Bildungsarbeit.
Schlussendlich sollte der Ruf nach dem neuen adäquaten Ersatzbegriff nicht zum zentralen Diskussionspunkt werden. Vielmehr wäre zu fragen ob (oder zu konstatieren dass) es einer solchen Sammelbezeichnung nicht nur nicht bedarf, sondern dass sie möglicherweise einer differenzierten Auseinandersetzung mit den zu beschreibenden Phänomenen im Wege steht.
Das Kind beim Namen nennen
Personen und Gruppen, die unter den allgemein anerkannten Rechtsextremismusbegriff fallen, sollten schlicht als das bezeichnet werden, was sie sind: (Neo)Nazis. NPD, Freien Kräften und Autonomen Nationalisten, der Gemeinschaft Deutscher Frauen und Dorfkameradschaften alter Schule ist gemeinsam, dass sie erstens Ideologien der (»natürlichen«) Ungleichwertigkeit von Menschen vertreten. Hierbei ist anzumerken, dass sich Neonazis von großen Teilen der Restbevölkerung dadurch unterscheiden, dass sie über weitestgehend geschlossene Weltbilder verfügen, sie also gleichzeitig sozialdarwinistische, antisemitische, nationalistische u.a. Einstellungen vertreten.
Zweitens steht die Etablierung einer deutschen Volksgemeinschaft für alle Nazis auf dem Programm, und mit ihr biologischer Rassismus und Blut-und-Boden-Ideologie, die teilweise durch kulturalistische Begrifflichkeiten (Stichwort: Ethnopluralismus) aufgehübscht wird. Zudem wird drittens vom oben genanntem Spektrum fast immer der Ruf nach »nationalem Sozialismus« propagiert, begleitet von verherrlichenden oder verharmlosenden Aussagen zur Zeit des Nationalsozialismus von 1933–1945. Es handelt sich also – keine Frage – um Nationalsozialisten.
Wir haben es heute mit einer Neonaziszene zu tun, in der Organisationen die Ideologien der Nazizeit nicht eins zu eins übernommen haben oder nicht nach außen tragen, die sich in ihren Outfits und Organisationsformen unterscheiden und in der Weltmachtansprüche und Kriegswille marginal vertreten sind oder nicht offen kommuniziert werden. Diese Realität lässt es legitim erscheinen, von Neonazis zu sprechen. Der Präfix »Neo« macht es zudem im Zweifelsfall einfacher in Texten und Diskussionen Handelnde im Nationalsozialismus von zeitgenössischen Protagonist_innen zu unterscheiden.
Die Auseinandersetzung mit Ideologien und Zielen führt also zur Erkenntnis: wir haben es hier mit Nazis zu tun, die sich oftmals selbst so nennen und auch als solche bezeichnet werden sollten. Vor diesem Hintergrund und in Anerkennung, dass in der BRD nach wie vor eine besondere historische Verantwortung vorhanden sein sollte, erscheint es sonderbar, dass innerhalb der Begriffsdiskussion auch davor gewarnt wird, dass der sprachliche Bezug auf den NS stigmatisierenden oder alarmierenden Charakter besäße. Das Gegenteil ist der Fall.
Der verharmlosende Rechtsextremismus-Deutungsrahmen ist nach wie vor gefüllt von sozial benachteiligten, unzivilisierten, männlichen Jugendlichen und durchgeknallten NPD-Partei-Funktionären älteren Semesters. Dem kann auch entgegengewirkt werden, indem man mit einem historisch-inhaltlichen Bezug Zugänge schafft, im Mainstream unterbelichtete Ursachen für das Problem in den Fokus zu rücken: Unzureichende und fehlgeleitete Aufarbeitung des NS – damit in Zusammenhang stehen eine entsprechende Erinnerungskultur, das Überleben völkischer, sozialdarwinistischer, nationalistischer und anderer Ideologien, personalisierende Kapitalismuskritik mit antisemitischen Zügen – und all das andere, was Menschen in dieser Gesellschaft zu Nazis werden lässt und in ihrem Handeln bestärkt.
Der Begriff Neonazismus kann zweifelsohne nicht alle Phänomene beschreiben, die in Alltag und Medien mit der Worthülse »rechtsextrem« verhandelt werden. Auch bei (Neo)Nazismus handelt es sich um einen Sammelbegriff. Und Sammelbegriffe sind gemessen an der Realität der zu benennenden Objekte immer schwammig. Diesem Problem kann nur mit der erneuten Frage nach der tatsächlichen Notwendigkeit für einen Ersatzbegriff begegnet werden. Was ist falsch daran, Pro-Deutschland als völkisch, rassistisch, ethnopluralistisch und antimuslimisch zu bezeichnen? Und Menschen, die diskriminieren oder entsprechende Gewalttaten ausüben, als das zu benennen was sie sind: Rassist_innen, Sexist_innen und Nationalist_innen?
Zugegeben, möchte man Tendenzen oder einzelne Bewegungen international vergleichen, würde das pauschale Sprechen von Neonazis in die Irre führen. Hier erscheint es tatsächlich sinnvoll, den Faschismusbegriff zu diskutieren und an der realen Ausrichtung und Aufstellung von Parteien und Organisationen zu messen. Doch auch in diesem Kontext stellt sich die Frage, ob ein Sammelbegriff der Heterogenität der Szene gerecht werden kann und inwieweit es notwendig ist, einen solchen zu finden.
Wie man auch immer die einzelnen Phänomene beschreibt, eines ist offensichtlich: Die Reproduktion des Begriffs »Rechtsextremismus« und damit des Extremismus verursacht ausschließlich Probleme. Sie ist mitverantwortlich für die Konsequenzen des gesamten Denk- und Handlungsmodells – die Entwicklung erfolgloser Strategien gegen Rechts, die Repression antifaschistischer Aktivitäten oder die Kriminalisierung linker Gesellschaftskritik. Dass sich Wissenschaftler_innen um die konkrete Füllung des Extremismusbegriffs streiten, behindert nicht seine alltägliche Konnotierung als Mitte-Extrem- und Rechts-Links-Schema. Und der Ausweg, fortan von »extremen Rechten« zu sprechen, kann nicht als ernsthafte Alternative betrachtet werden.
Geradezu bizarr mutet in diesem Kontext die Begründung antifaschistischer Zeitschriften an: »1996 wurde der Begriff ›extreme Rechte‹ vorgeschlagen, da somit das Gemeinsame zwischen gemäßigter Rechter und extremer Rechter fokussiert und nicht ›links‹ und ›rechts‹ als Varianten des ›Extremismus‹ akzentuiert werde.« (AIB 89) Die Neuaufladung und Definition der »extremen Rechten« mit »gemäßigten Rechten« mag im Elfenbeinturm Wissenschaft interessieren und verstanden werden, für Tageszeitungslesende ist der Tausch »Rechtsextremist« gegen »extremer Rechter« jedoch ungefähr so bedeutsam wie die Frage, ob der hochdeutsche Begriff Marienkäfer nun durch sächsisch-mundartliches Modschekiebchen ersetzt werden soll oder nicht. Und warum in diesem Modell nicht wie auch im Extremismusmodell den »extremen Rechten« die »extremen Linken« entgegengesetzt werden und damit kriminalisiert werden können, erklärt sich schlicht und einfach nicht.
- 1Beispielhaft: Broschüre des Vereins PoKuBi Sachsen »In guter Gesellschaft? – Neonazis in Sachsen.« 2011 / Endemann, Martin/Dembowski, Gerd (2010): Die wollen doch nur spielen, in: Burschel, Fritz: Stadt-Land-Rechts und diverse Broschüren antifaschistischer Gruppen.