Nicht nur ein Wort - Schlussbeitrag zur Begriffsdebatte
AG Begriffsdebatte im AIBIn der Ausgabe Nr. 89 des Antifaschistischen Infoblatts haben wir zur Diskussion um Begrifflichkeiten aufgerufen, die geeignet sein können das Phänomen extreme Rechte zu beschreiben ohne die Extremismuskonstruktion zu bedienen. Sieben Ausgaben später wollen wir versuchen eine vorläufige Bilanz zu ziehen.
Wir verwenden hier den Begriff der extremen Rechten in dem Sinne, wie bereits Jörn Hüttmann in seinem Debattenbeitrag (siehe AIB Nr. 95) darauf verweist, dass »der Begriff ›extreme Rechte‹ als pragmatischer Versuch gesehen werden [kann], gesellschaftskritische Perspektiven in die Debatte einzubringen. Jedoch bleibt die Alternativbegrifflichkeit tendenziell unzureichend, solange es nicht gelingt die politische Rechte als Ganzes und nicht nur ihre ›extremsten‹ Ausformungen in den Fokus zu stellen.«
Die Debatte selbst machte in ihrer Vielschichtigkeit deutlich, dass die Suche nach einer passenden Begrifflichkeit nicht nur uns beschäftigt. Entsprechend unterschiedlich fallen die möglichen Benennungen und ihre politischen Begründungen aus. An dieser Auseinandersetzung ist erst einmal nichts falsch und sie kann für die theoretische Verortung einer antifaschistischen Linken von großem Nutzen sein. Im Idealfall führt sie dazu, diskreditierte Begriffe aufzugeben und neue diskursiv durchzusetzen. Dennoch zeigen sich hier verschiedene Probleme auf.
Offensichtlich gibt es momentan keinen alternativen Sammelbegriff, der alle Spektren der extremen Rechten umfassen kann und gleichzeitig diskursiv durchsetzbar ist. Oft scheint es geradezu unmöglich neonazistische Kameradschaften und Rechtsrock-Bands mit konservativen ParteipolitikerInnen oder reaktionären ChristInnen unter einem Begriff zu subsumieren. Analytisch wäre es also folgerichtig, die Spektren auszudifferenzieren und beim Namen zu nennen, politisch wäre es allerdings – so denken wir – kontraproduktiv, einen Sammelbegriff aufzugeben. Denn es geht eben gerade darum die Nähe der darunter versammelten jeweiligen Ideologien zueinander darzustellen. Das ist ein politisch strategisches Instrument und es sollte genau nachgedacht werden, bevor diese Möglichkeit in vermeintlicher Abwehr von Extremismuskonstruktionen aufgeben wird.
Andererseits dürfen Sammelbegriffe nicht verhindern, dass sich mit den tatsächlichen Inhalten extrem rechter Ideologien auseinandergesetzt wird. Wenn antifaschistische Politik sich auf die Bemühung beschränkt, Gruppen und Spektren als »extrem rechts« darzustellen, bleibt der Begriff der »extremen Rechten« eine Worthülse, derer sich alle, von der Antifaschist_in über den Verfassungsschützer bis hin zum Innenminister und etlichen SalonrassistInnen wie Sarrazin abgrenzend bedienen können. Denn ohne den Rassismus der letzteren, die dahinterstehenden machtstaatlichen und hierarchischen Konzepte zu benennen sowie deren androzentrische1
, antisemitische und autoritäre Politikentwürfe herauszustellen, in Bezug zu gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen zu setzen und sie einer Kritik zu unterziehen, wird politisch nichts zu gewinnen sein. Wird der Begriff aber besetzt, also inhaltlich bestimmt und diese Bestimmung diskursiv durchgesetzt, würde das die Bemühung umfassen, sich auf breiter Basis mit den Ideologemen der extremen Rechten auseinanderzusetzen, Schnittstellen zu Mainstream-Diskursen herauszuarbeiten und sich von jedweden Extremismuskonstruktionen abzugrenzen.
Es muss sich dabei vor Augen geführt werden, dass rassistische, homophobe, antisemitische und sexistische Aussagen gesellschaftlich wesentlich gefährlicher sind, wenn sie nicht von ProtagonistInnen der extremen Rechten verbalisiert werden. Eine Diskreditierung und Skandalisierung der extremen Rechten als »extreme Rechte« ist wertvoll und unerlässlich, geht es um die Bekämpfung neonazistischer Formierung. Allerdings darf Antifaschismus dort nicht halt machen, sondern muss auch die breite gesellschaftliche Manifestation des Rassismus, Nationalismus usw. erkennen und dem etwas entgegen setzen können. Extremismustheorien sind in der Hinsicht natürlich eine wirkmächtige Gefahr, weil sie immer auch hegemoniale Formen von Ausgrenzung absichern.
Unseres Erachtens nach muss es bei der Zurückweisung der Extremismustheorien auch darum gehen, die Inhalte antifaschistischer Politik zu benennen. Was heißt Antifaschismus? Wie sehen linke Perspektiven aus? Was sind politische Alternativen zu faschistischen und rassistischen Konzeptionen? Wie ernst wird die Kritik am Androzentrismus genommen? Wenn Faschismus benannt werden soll, kommen wir nicht an einer inhaltlichen Bestimmung von Antifaschismus, nicht um eine radikale Autoritäts- und Herrschaftskritik sowie einer Kritik aller Gewaltmonopole herum; insofern ist Antifaschismus – zumindest als »offensives Konzept« – stark an undogmatische linksradikale Politik gekoppelt. So lässt sich die gesellschaftliche Herausbildung neonazistischer Strukturen und Diskurse an der Wurzel packen. Eine Verteidigung des Rechtsstaats, die Verhinderung von Neonazi-Demonstrationen oder die Dokumentation rechter Aktivitäten bleibt letztlich Symptombekämpfung. Diese ist ausgesprochen wichtig, bleibt aber ein Abwehrkampf. Eine deutlichere, offensivere Bestimmung von antifaschistischer Politik würde es Extremismuskonstruktionen zudem weit aus schwerer machen, ihre Fiktion einer Wesensgleichheit von radikal linken und extrem rechten Weltanschauungen durchzusetzen. Extremismuskonstruktionen arbeiten mit Oberflächenphänomenen. Gehen wir tiefer, wird diese abstruse These kaum plausibel klingen. Vielmehr noch: Autoritäre Formationen wie der Verfassungsschutz als Protagonist des starken Staates müssten in dem Sinne selbst als solche in den Fokus antifaschistischer Politik genommen werden.
Wenn wir unsere inhaltlichen Bestimmungen in den Vordergrund rücken, scheint es kaum noch relevant, welche Begriffe genutzt werden. Es geht ja nicht um den Begriff »an sich«, sondern immer darum, wie Begriffe verstanden werden und auf welche Inhalte sie verweisen. Die Ideologien des Verfassungsschutzes und anderer ExtremismustheoretikerInnen werden nicht dekonstruiert, indem wir andere Begriffe nutzen. Begriffe erhalten erst im Kontext Sinn. Und Sinn ist nicht fixiert, sondern permanent umkämpft. Das heißt, es liegt keine inhärente Logik in einem Begriff. Wir müssen uns bemühen den Kontext zu ändern, also die Extremismuskonstruktion als politisches Konzept (und als wissenschaftliche Setzung) zu bekämpfen, ihre Implikationen und Methoden zu kritisieren, sie als Angriff auf linke und linksradikale Politik zurückzuweisen. Dabei müssen wir uns davor hüten, die Spaltungen mitzutragen, die intendiert sind durch den Bekenntniszwang zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Wenn Extremismuskonstruktionen als das gelten, was sie sind, als politisch reaktionäre Konzepte, als wissenschaftlicher Unsinn und als Absicherung von Herrschaftsdiskursen oder besser noch: wenn es keine Extremismuskonstruktionen mehr gibt, verweisen Begriffe auch nicht mehr affirmativ auf deren Inhalte. Darum muss es gehen.
Es bleibt also nicht bei der Debatte um den »richtigen« Begriff. Sinnvoller scheint es zu sein, eine breite, solidarische Diskussion um die Frage nach unserem Umgang mit den Verfassungsschutzbehörden und seinen WissenschaftlerInnen zu führen – im Sinne einer generellen Delegitimation dieser Behörden und ihrer gesellschaftlichen Einflussnahme. Wenn unsere Debatte dies vermitteln konnte, blicken wir motiviert in die kommenden Auseinandersetzungen.
- 1Unter Androzentrismus wird eine Sichtweise verstanden, die Männer als Zentrum, Maßstab und Norm versteht. Androzentrismus kann also als eine gesellschaftliche Fixierung auf den Mann oder das »Männliche« verstanden werden. Ein androzentrisches Weltbild versteht den Mann als die Norm, die Frau als Abweichung von dieser Norm.