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Extreme Rechte - Potentiale und Grenzen einer Begriffsalternative

Jörn Hüttmann (Gastbeitrag)
Einleitung

In Abgrenzung zum »Rechtsextremismus«-Begriff, samt der dahinterstehenden Welt der Extremismustheorie1 ,  sprechen kritische Wissenschaftle­r_innen und linke Gruppen immer häufiger von der »extremen Rechten«. Eine genaue Definition der Alternativbegrifflichkeit bleibt jedoch meist aus. Zudem regt sich Kritik, dass auch der neue Begriff zu nah an der Extremismustheorie sei und darüber hinaus ein breiter Sammelbegriff inhaltlich unnötig ist. Unter welchen Bedingungen ein Blick auf die Alternativbegrifflichkeit lohnen kann und wo seine Grenzen liegen soll im Folgenden angerissen werden. 

  • 1Für die Kritik an der Extremismustheorie siehe u.a. inex.blogsport.de oder Forum für kritische Rechtsextremismusforschung.
Foto: flickr.com;justmakeit/CC BY NC 2.0

Warum ein Sammelbegriff

Wer mit dem Nationalsozialismus hinterher trauernden Kameradschaften konfrontiert ist, für den_die stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit eines Sammelbegriffs in der Regel nicht: Es handelt sich um rechte Gruppen, die als Neonazis auch adäquat bezeichnet sind. Schwerer wird es hingegen bei der Frage, was die Kameradschaft mit Rechtspopulisten, der sogenannten neuen Rechten und der ganz »normal rechts« eingestellten Bevölkerung gemein haben. Unter dem Begriff Neonazi sind sie kaum zusammen zu kriegen. Gleichzeitig ist die dahinterstehende Frage, welche Zusammenhänge zwischen Neonazis und dem vermeintlich unproblematischen Rest der Bevölkerung liegt, die eigentlich wichtige für eine kritische Perspektive auf rassistische und fremdenfeindliche Tendenzen in der Gesellschaft.

Dass in allen Teilen der Gesellschaft rassistische Ausgrenzung und reaktionäre Geschlechterrollenbilder an der Tagesordnung sind, dass nationalistische Argumentationen und die Abwertung von vermeintlich minderwertigen Menschen Alltag sind, kurz, das rechte Einstellungen zum Fundament der Gesellschaft gehören, kommt in der klassischen »Rechtsextremismusforschung« nicht vor. Dabei ist seit Anfang der 1980er Jahre durch die Einstellungsforschung1 die weite Verbreitung von Ungleichheitsideologien eindeutig belegt. Eine überzeugende Gesamtschau, welche die rechten Einstellungen im politischen Raum greifbar macht, liegt jedoch bisher nicht vor. Gerade ein solcher Sammelbegriff ist eine wesentliche Voraussetzung, um die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge zwischen Neonazis und rechten Einstellungen sichtbar zu machen und damit letztlich auch die darin liegenden Hindernisse und Gefahren für eine emanzipatorische gesellschaftliche Entwicklung abschätzen zu können. 

Rechts-Links-Schema

Wer von der extremen Rechten spricht bezieht sich auf die klassische Aufteilung des politischen Raumes in eine Rechte und eine Linke, die ihren Ursprung in der Französischen Revolution hat. Damals wurden die politischen Lager anhand ihrer Positionen zu der Idee der allgemeinen Gleichheit aller Menschen unterschieden: Die Linke war für diese Gleichheit, die Rechte dagegen. In Zeiten der modernen Demokratien halten vor allem Extremismustheoretiker_innen die Unterscheidung für überholt, da rechte und linke Positionen bei den maßgeblichen politischen Strömungen Einzug gehalten hätten: Entscheidender sei das Verhältnis zur Demokratie. Ernst zu nehmender ist der Einwand, dass die Komplexität des politischen Raums nicht allein durch die Ablehnung der Idee der Gleichheit abgebildet werden kann. So wurden zur Konkretisierung des Konzepts weitere Dimensionen vorgeschlagen. Am inte­ressantesten scheint der Entwurf von Noberto Bobbio, der Gleichheit und Freiheit als Dimensionen stark macht.2

Um Bobbios Entwurf des Rechts-Links-Schemas für eine gesellschaftskritische Analyse brauchbar zu machen, ist es wichtig die politische Auseinandersetzung als fortlaufenden und offenen Prozess zu begreifen. Die Analyse des politischen Raumes darf sich nicht allein auf praktische politische Forderungen begrenzen, sondern sollte diese im jeweiligen historischen Kontext betrachten. Wenn ins Zentrum der Rechts-Links-Analyse gestellt wird, dass sich politische Forderungen zwar verändern, sie sich aber  weiterhin an relativen Idealen von Gleichheit und Freiheit orientieren, kann  die Unterscheidung auch heute noch Aussagekraft entfalten. Einen endgültigen Zustand, in dem die Ideale größtmöglicher Gleichheit und Freiheit für alle Menschen eingelöst sind, oder einheitliche Antworten auf die Frage, wie sie zu erreichen wären, gibt es in dieser Perspektive nicht. Die Ideale könnten vielmehr als emanzipatorische Orientierungspunkte im stetigen Prozess der gesellschaftlichen Auseinandersetzung dienen.

Im Bezug auf die Sammelbegriffsdebatte lässt sich die Ablehnung der Ideale von Gleichheit und Freiheit als überhistorischer Kern einer politischen Rechten herausschälen, der es erlaubt die inhaltlichen Überschneidungen von, auf  ersten Blick durchaus grundverschiedenen, Gruppierungen deutlich zu machen: Die rassistischen Bürger_innen und die Neonazis haben demnach gemeinsam, dass sie Menschen in unterschiedliche Kategorien einordnen und damit für ungleichwertig halten. Das zu behandelnde Problem ist demnach nicht mehr nur die Struktur der Neonaziszene, sondern vielmehr müsste sich die Kritik gegen die gesamte politische Rechte richten.

Extreme Rechte – Begriffliches  Glatteis

Um die strukturellen Gemeinsamkeiten und inhaltlichen Parallelen zwischen Neonazis und der Gesellschaft aufzuzeigen, ist eine solche Konzeption der Rechts-Links-Unterscheidung durchaus geeignet. Dennoch tun sich einige Probleme auf: Wer es mit dem Bezug auf die Ideale von Gleichheit und Freiheit ernst meint, muss die Diskussion um das, was links und rechts ist oder eben auch nicht, offensiv führen und inhaltlich füllen, um reaktionären Positionen, die mit den gleichen Begriffen operieren3 , etwas entgegen zu setzten. Zudem fallen in dieser Perspektive mehr Leute in den Bereich der politischen Rechten, die sich selbst nicht dort einsortieren würden. Was zwar  kontroverse, aber lohnenswerte Diskussionen nach sich ziehen würde.

Mit dem Zusatz der »extremen Rechten« wird jedoch wieder eine Gewichtung der rechten Positionen vorgenommen. Rein praktisch ist dieses Dilemma der Problematik geschuldet, dass zwischen militanten Neonazis und rassistisch-nationalistischen oder antisemitischen Bürger_innen aus der »Mitte« der Gesellschaft für die Gefährdung von Menschen im Alltag teilweise gravierende Unterschiede  bestehen, obwohl beide Gruppen in ihren rechten Tendenzen geeint sind. Jedoch ist es von der Skandalisierung des extremsten Teils der Rechten bis zu dem Schluss, dass die – wie auch immer geartete – moderate Rechte legitim wäre, nicht weit, was Anschlussmöglichkeiten für extremismustheoretische Argumentationen bietet. Zudem bleibt das Problem, dass für die notwendige inhaltliche Ausdifferenzierung und Positionierung nur selten genug Raum ist, so werden »Rechtsextremismus« und »extreme Rechte« in Wissenschaft und Praxis häufig synonym gebraucht.

Letztlich kann der Begriff »extreme Rechte« als pragmatischer Versuch gesehen werden, gesellschaftskritische Perspektiven in die Debatte einzubringen. Jedoch bleibt die Alternativbegrifflichkeit tendenziell unzureichend, solange es nicht gelingt die politische Rechte als Ganzes und nicht nur ihre »extremsten« Ausformungen in den Fokus zu stellen. 

  • 1Beispielsweise die Langzeitstudie Deutsche Zustände aus dem Umfeld von Wilhelm Heitmeyer oder die Leipziger Studien »Vom Rand zur Mitte« und »Bewegung in der Mitte«
  • 2Für eine ausführliche Darstellung von Bobbios Überlegungen zu den Kategorien Freiheit und Gleichheit, sowie der  notwendigen Kritik und Weiterführung siehe Hüttmann, Jörn (2011): Extreme Rechte – Tragweite einer Begriffsalternative. In: Forum für kritische Rechtsextremismusforschung (Hg.): Ordnung. Macht.Extremismus. Effekte und Alternativen des Extremismus-Modells. VS-Verlag: Wiesbaden. S. 327-345.
  • 3So hantieren zum Beispiel Joachim Gauck, die Partei die Freiheit und Extremismustheoretiker_innen mit den gleichen Begriffen, füllen sie jedoch anders.