Beyond Rechtsextremismus – Aufruf zur Diskussion
Um den Extremismusbegriff konsequent diskursiv zu bekämpfen, sollten nicht weiter die ihn stützenden Begrifflichkeiten verwendet werden. Doch welche Alternativen zum Begriff des »Rechtsextremismus« sind geeignet? Die Diskussion beginnt mit einem Überblick über Extremismus- und Gegendiskurse – und der Aufforderung, nicht über Begriffe »an sich« zu sprechen.
Entwicklung des Extremismus-Diskurses
In den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik war im Verfassungsschutzbericht von Links- und Rechtsradikalismus die Rede, um mehr oder weniger politisch Missliebiges zu bezeichnen. Mit Hilfe des Extremismuskonstrukts wurden 1973 die Kategorien Links- und Rechtsextremismus eingeführt, um die ›Verfassungsfeindlichkeit‹ der politischen Spektren an den vermeintlichen Rändern der Gesellschaft zu verdeutlichen, vor denen sich die ›wehrhafte Demokratie‹ zu schützen habe. Reihte sich dieser Schritt noch nahtlos in die Totalitarismusdoktrin der sich im Kalten Krieg befindlichen Bundesrepublik ein, erlebte die Extremismuslegende nach dem Untergang der Sowjetunion eine Renaissance. Insbesondere die Wissenschaftler Eckhard Jesse und Uwe Backes waren es, die den Verfassungsschutz und die Logik der Gleichsetzung von Links und Rechts mit ihrer ›Extremismustheorie‹ fütterten (AIB 51 und 83, Lotta 33). Nach dem, von Gerhard Schröder im Oktober 2000 ausgerufenen, ›Aufstand der Anständigen‹ gegen Rechts(extremismus) konzipierte die damalige rot-grüne Regierung die ersten Bundesprogramme gegen ›Rechtsextremismus‹ (Lotta 38).
Mit dem Wiedereinzug der CDU in die Bundesregierung ab 2005 wurde auf bundespolitischer Ebene vermehrt auf die Notwendigkeit der Zurückweisung von ›Linksextremismus‹ hingewiesen. Insbesondere die Diskussionen um den Vergleich der 68er mit den Nazis, die Götz Aly mit seinem Buch ›Unser Kampf‹ mit auslöste, prägten die ›Extremismusdebatte‹ zu Beginn des Jahres 2008. Seitdem steht der ›Extremismus‹ im Fokus von Debatten zur inneren Sicherheit – jedoch mit explizitem Bezug auf ›Islamismus‹ und ›Linksextremismus‹. In Sachsen waren sich der Innenminister Albrecht Buttolo und Jesse darin einig, dass den »Stützpunkten der Linksextremisten« das Geld entzogen werden sollte. Im Herbst plädierte die CDU in Sachsen dafür, die Linkspartei genauso wie die NPD zu behandeln (Lotta 33).
Zur etwa gleichen Zeit verweigerten sich in Hessen vier SPD-Landtagsabgeordnete, einer Tolerierung durch die Linkspartei zuzustimmen. Eine von ihnen, Carmen Everts, wies in Erklärungen mehrmals auf ihre Dissertation hin, in der sie in der Logik der Extremismuslegende die rechte Partei »Die Republikaner« mit der PDS verglich. Doktorvater ihrer Dissertation war Jesse. In Nordrhein-Westfalen wurde u. a. die antifaschistische Zeitschrift Lotta mittels Konstruktion eines ›diskursorientierten Linksextremismus‹ in dem Vorabbericht des Verfassungsschutzes 2008 erwähnt, wogegen erfolgreich geklagt wurde (Lotta 38).
Notwendigkeit der Abgrenzung
Diese Entwicklungen blieben für antifaschistische Strukturen nicht folgenlos. Seit der Übernahme der Bundesregierung durch CDU und FDP im letzten Jahr wächst der Druck auf antifaschistische Initiativen spürbar. Im Koalitionsvertrag wurde festgeschrieben, dass die Aufgabenfelder des ›Fonds für Opfer rechtsextremistischer Gewalt‹ und des ›Bündnisses für Demokratie und Toleranz‹ auf »jede Form extremistischer Gewalt« ausgeweitet werden sollen, da sich die Regierung zur Aufgabe gestellt hat, »Extremisten jeder Art (...) entschlossen entgegenzutreten«.1
Kurze Zeit später stellte die neue (rechte) Familienministerin Kristina Schröder (AIB 85) für das Jahr 2010 zwei Millionen Euro zum Kampf gegen ›Linksextremismus‹ und ›Islamismus‹ zur Verfügung. Für das nächste Jahr sind sogar fünf Millionen Euro vorgesehen. Ein Großteil der Gelder soll in die Forschung gehen.2
Parallel zu dieser Entwicklung wurde auf antifaschistischer Seite schon seit den 1990er Jahren über die Extremismuslegende und dem daraus entsprungenen Begriff ›Rechtsextremismus‹ diskutiert. Insbesondere die Implikationen, dass es sich um ein Phänomen des gesellschaftlichen Randes handele und anstelle des politischen Inhalts das Extreme im Vordergrund stehe, führten zur Suche nach Begriffsalternativen. Es sollte nicht länger die falsche ›Hufeisentheorie‹ von Backes und Jesse reproduziert werden, nach der sich Rechts und Links in den ›Extremen‹ annähern. Bereits 1996 wurde der Begriff ›extreme Rechte‹ vorgeschlagen, da somit das Gemeinsame zwischen gemäßigter und extremer Rechter fokusiert und nicht ›links‹ und ›rechts‹ als Varianten des ›Extremismus‹ akzentuiert werde.3 Das AIB verwendet diesen Begriff seit Jahren anstelle von ›Rechtsextremismus‹. Mit zunehmenden Versuchen der gesellschaftlichen Diskreditierung von linken und antifaschistischen Personen und Strukturen durch die Offensive gegen ›Linksextremismus‹ wuchs auch das Bedürfnis, diese Entwicklung zu analysieren und zu kritisieren.
Das AIB, Der Rechte Rand und die Lotta widmeten sich wie viele andere linke Zeitungen dem Thema mehrmals in den letzten Jahren.4 Zuletzt wurde in diesem Heft gefordert, sich konsequent vom »staatlich verordneten Antiextremismus und seinen Begrifflichkeiten« zu verabschieden (AIB 86). Die Frage bleibt, welcher Begriff stattdessen verwendet werden soll. Die Alternative ›Extreme Rechte‹ erscheint in diesem Zusammenhang vielen eher als Notlösung, da durch das Adjektiv ›extrem‹ die Logik der ›Extremismusforschung‹ auch reproduziert werde.
Mehr als ein Wort
Auf diversen Konferenzen, Treffen und Tagungen wird seit einiger Zeit die Frage nach einer adäquaten Begrifflichkeit intensiv diskutiert. Verschiedene Vorschläge von Bezeichnungen wie (Neo-)Nazismus, (Neo-)Faschismus, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Völkischer Nationalismus bis hin zu Ideologien der Ungleichwertigkeit (um nur einige zu nennen) wurden bisher formuliert. Doch nachdem im Frühjahr die Diskussion in vielen linken Publikationen aufgegriffen wurde, scheint sie langsam wieder ins Stocken zu geraten. Das AIB versteht sich auch als Plattform und möchte an dieser Stelle über Alternativen und deren Notwendigkeit diskutieren.
Damit jedoch eine sinnvolle Diskussion entstehen kann, muss beachtet werden, dass es nicht nur um die Frage nach der Bezeichnung geht. Begriffe sollten nur dann diskursiv in Stellung gebracht werden, wenn Klarheit über das Bezeichnete besteht. Sonst ist die Haltbarkeitsdauer der Bezeichnungen sehr kurz. Voraussetzung für eine Diskussion um Begriffe ›für sich‹ setzt darüber hinaus eine intensive Auseinandersetzung mit Selbstverständnis und Perspektiven antifaschistischer Politik voraus.
Geht es hierbei lediglich um Stigmatisierung, oder darum, in den gesellschaftlichen Deutungskämpfen die inhaltlichen Konzeptionen offenzulegen und zu kritisieren? Geht es nur um Abwehrkämpfe, um Schlimmeres zu verhindern, oder um Alternativen? Und wenn es auch um Alternativen zum Bestehenden geht, wie sähen diese aus? Diese Fragen haben unmittelbar mit der Diskussion um Begriffsalternativen jenseits von Rechtsextremismus oder extreme Rechte zu tun. Lasst uns daher zunächst über die inhaltliche Fülle der Begriffe sprechen, damit die Hülle nicht substanzlos in sich zusammen fällt.
- 1Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP vom 24.10.2009, S. 92. Abrufbar unter: www.faz.net/dynamic/politik/091024-koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf (Zugriff am 1.11.2010).
- 2www,taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/schroeders-extremer-ansatz (Zugriff am 1.11.2010).
- 3Kühnel, Reinhard (1996): Die Entwicklung der extremen Rechten seit 1945. In: Mecklenburg, Jens (Hg., 1996): Handbuch deutscher Rechtsextremismus. Berlin, S. 124–143.
- 4Hier sind insbesondere folgende Ausgaben zur Lektüre zu empfehlen: AIB 51, 83, 86, Lotta 20, 33, 38 und DRR 116.