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Mathias Brodkorbs Antiextremismus der Mitte

Einleitung

»Mein Griechischlehrer [...] hat mir in vielen Stunden mühsamen Argumentierens den Marxismus Stück für Stück ‘ausgetrieben’. Wahrscheinlich ist das eines der wertvollsten Geschenke für mein ganzes Leben und ich empfinde [...] große Dankbarkeit.« 1 Dieses symptomatische Zitat stammt von Mathias Brodkorb, Landtagsabgeordneter der SPD in Mecklenburg-Vorpommern. Brodkorb ist Mitbegründer und profiliertester Schreiber des Projekts Endstation-Rechts. Die Initiative wurde im Jahr 2006 angesichts des drohenden Einzugs der NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern gegründet. Im Laufe der Zeit wurde der Fokus erweitert und das Projekt gewann sein heutiges Profil. Seit 2008 gibt es Endstation- Rechts mit einem Ableger auch in Sachsen.

  • 1Brodkorb im Interview mit Martin J.G. Böcker auf dasgespraech.de
Bild: Faksimile des Weblog »Das Gespräch«

Mathias Brodkorb in rechter Gesellschaft.

Den Dialog mit Rechten gefunden

Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Anti-Rechts-Initiativen ist die problematische Schwerpunktlegung auf zwei inhaltliche Fixpunkte. Die »Extremismustheorie« und die selbst ernannte »Neue Rechte«. Themen und Diskursen der »Neuen Rechten« wird überproportional viel Raum eingeräumt. Mathias Brodkorb berichtet auf Endstation-Rechts allerdings nicht nur sehr intensiv über die »Neue Rechte«, sondern kommentiert diese bisweilen wohlwollend und nimmt an deren inhaltlichen Debatten teil.1 Regelmäßig werden die Bücher des »neu-rechten« Verlags Edition Antaios, aus dem sachsen-anhaltinischen Schnellroda von ihm wohlwollend rezensiert. Darüber hinaus hat er dem rechten Weblog »Das Gespräch« ein Interview gegeben. Endstation-Rechts trägt heute aktiv dazu bei, bestimmte rechte Strömungen und Diskurse zu normalisieren, indem ein Projekt, das dem Anspruch nach »gegen Rechts« auftreten will, »mit Rechts« kommuniziert. Ob Rechte GesprächspartnerInnen oder Gegenstand der Berichterstattung sind, entscheidet hier die »Extremismustheorie«. Die Konsequenz heißt: mit Rechten kann eine Debatte geführt werden, solange sie sich auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung befinden. Doch dieser Linie im Hause Endstation-Rechts liegt ein Zirkelschluss zu Grunde: Demokraten sind Demokraten, weil sie nicht antidemokratisch sind.

Der unermüdliche Extremistenjäger

Brodkorbs Antifaschismus weicht niemals von der begrifflichen Schablone des Verfassungsschutzes ab. Bezogen wird sich immer wieder auf die Arbeiten der beiden Extremismusforscher Uwe Backes und Eckhard Jesse (vgl. AIB Nr. 66: »Der Experte«). Mit letzterem führte Endstation-Rechts ein Interview. Die dort getätigten Begriffsbestimmungen finden sich fast wortwörtlich in allen neueren Äußerungen. So wird Jesses Charakterisierung des »Extremismus« als Gegenbegriff zur Demokratie von Brodkorb übernommen. Beispielhaft soll hierbei auf einen Artikel eingegangen werden, mit dem Brodkorb unter anderem das antifaschistische Projekt npd-blog.info angegriffen hat. Im betreffenden Artikel benennt er vermeintliche Konfliktlinien, an denen sich ein Streit zwischen sogenannten »Vorsichtigen« auf der einen und »Entschlossenen« auf der anderen Seite entzündet. Sehr polemisch wirft Brodkorb einerseits der Gruppe von Menschen, die er in Anspielung an den rechten Terminus »Gutmensch« spöttisch »Bestmenschen« nennt, eine »Tendenz zur Verharmlosung des Linksextremismus«2 vor. Das heißt, Brodkorb kritisiert de facto an linken Gruppen und Initiativen, dass sie sich nicht an seinem selbst gewählten Maßstab, dem der »Extremismustheorie«, orientieren. Andererseits beharrt Brodkorb argumentativ auf der von ihm praktizierten Trennung zwischen rechts und »rechtsextrem«. Antifaschistischen Linken unterstellt er eine mutwillige Verwischung dieser Grenze, die Ausdruck einer spiegelbildlichen Entsprechung zum politischen Duldungspakt zwischen gemäßigten und »extremistischen« Linken sein soll. Brodkorb behauptet also, die Linke hätte eine offene Flanke zum »Extremismus« und würde daher bei Neonazis die begriffliche Unterscheidung von DemokratInnen und »ExtremistInnen« ablehnen. Dieses Argument übernimmt er von Jesse. Jener hatte in einem Interview mit Endstation-Rechts in Bezug auf linke Kritik an seinem Theorem behauptet, dass diese aus einer – wie es dort heißt – »Haltet den Dieb«-Einstellung resultiere.3 Damit rücken Brodkorb wie Jesse die KritikerInnen der Theorie in die Nähe von Kriminalität. In der Vergangenheit hatte Brodkorb beispielsweise ganz konkret die Zeitschrift »Der Rechte Rand« unter Extremismusverdacht gestellt, weil diese einen Schwerpunkt zur Kritik der »Extremismustheorie« veröffentlichte. Brodkorb und mit ihm Endstation-Rechts sagen aber nicht nur in theoretischer Form antifaschistischen Projekten den Kampf an, sondern entsolidarisierten sich auch ganz praktisch mit Opfern rechter Gewalt, wie der Fall Pölchow zeigt. Eine Woche nach dem Überfall von Neonazis auf Linke am Bahnhof Pölchow unkte Brodkorb auf Endstation-Rechts, dass der Überfall wohl für die Opfer »weitaus beeindruckender gewesen zu sein [schien] als die tatsächlich ausgeübte Gewalt«. Des weiteren machte sich Brodkorb in seinem Artikel die Perspektive der beteiligten Neonazis zu eigen. Auch in diesem Fall wurden durch den Filter »Extremismustheorie« von vornherein kriminelle Handlungen der Linken unterstellt, die die weiteren Ereignisse ausgelöst hätten. Das Totschlagargument, Antifaschistinnen und Antifaschisten lehnten die Extremismustheorie ab, weil sie selbst extremistisch seien, steht in einem eigentümlichen Widerspruch zu Brodkorbs vor sich her getragenem Gestus des unerschrockenen Aufklärers.4 Denn mit einer solchen Argumentation bricht Brodkorb die Debatte dogmatisch ab, behauptet aber zugleich, als Erbe der Aufklärung nur an Vernunft, Wahrheit und dem besseren Argument interessiert zu sein.5 Das emphatische Votum für die Aufklärung gerät ganz schnell an ein Ende, wenn die Grenzen der Aufklärung tatsächlich und nicht nur in Bekundungen guten Willens reflektiert werden sollen. Denn Brodkorb lehnt eine umfassende Ideologiekritik ab. Mit Verweis auf die Verfassungstreue, die DemokratInnen per definitionem eigen ist, schränkt er den Kampf gegen Rechts auf Extreme ein. Eine konsequente Kritik menschenverachtender Ideologien auch im demokratischen Lager führt für Endstation-Rechts zu weit, weil sie DemokratInnen unter Verdacht stellen würde.6 Hierin besteht das große Problem an Brodkorbs Antiextremismus der Mitte: Er betreibt aktiv eine Entthematisierung der Verbreitung von Ausgrenzungsideologien in der ganzen Gesellschaft und beschränkt den Kampf gegen Rechts darauf das Extremismus-Label zu verteilen und die entsprechend etikettierten Parteien, Gruppen oder Medien zu verurteilen. Dass dieser Ansatz unsinnig ist und in der Praxis nur scheitern kann, zeigte der Neonaziaufmarsch vom 13. Februar 2010 in Dresden. An diesem nahmen unter anderem die »Neu-Rechten« Götz Kubitschek, Ellen Schenke (Autorin-Name "Ellen Kositza") und Martin Semlitsch (Autorennname "Martin Lichtmesz") teil. Der frühere Junge-Freiheit-Redakteur Kubitschek ist Mitbegründer des rechten Instituts für Staatspolitik und Herausgeber des »neu-rechten« Magazins Sezession. Schenke (Kositza) und Semlitsch (Lichtmesz) veröffentlichten im Anschluss Berichte auf der Homepage der Zeitschrift. Die Aktivitäten des Ehepaars Kubitschek-Schenke sind oft Gegenstand der Berichterstattung von Endstation-Rechts und werden als nicht-extremistisch betrachtet. Geschichtsrevisionismus ist aber ein Phänomen, das sich nicht nur bei sogenannten Extremisten findet. Die weitverbreitete Zustimmung zu im Kern menschenverachtenden Ideologien entgeht Brodkorb durch seinen begrifflichen Rahmen. Das hat absurde Konsequenzen, weil Endstation-Rechts zur Blockade des Neonaziaufmarsches der JLO in Dresden aufrief, aber bestimmten TeilnehmerInnen dieses Neonazi-Events den »Ehrentitel« zugestehen will, nicht extremistisch zu sein.7