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Das Radio Maryja aus Polen

Ein Interview mit Adam Cioch von »Fakty i Mity«
Bild: flickr.com/pimgmx; Pim Stouten/CC BY NC 2.0

Werbung für das "Radio Maryia" in Polen.

Radio Maryja ist der größte katholische Rundfunksender Polens. Wer kontrolliert diese kirchliche Radiostation?

Der Sender befindet sich im Besitz des »Ordens der Redemptoristen«, zu dem auch der Direktor dieser Station, der »Vater« Tadeusz Rydzyk gehört. Laut Aussage des Ordens ist die Radiostation Teil der römisch-katholischen Kirche. De facto genießt Rydzyk eine sehr hohe Autonomie als Direktor, sodass er mit einem Kreis engster Mitarbeiter den Sender sehr selbstständig führen kann. Dank einer fanatisierten und treuen Zuhörerschaft, die in die Millionen geht, verfügt er über eine sehr große Autorität. Rydzyk glaubt, über dem Gesetz zu stehen.

Unterstützt die gesamte römisch-katholische Kirche Rydzyk oder gibt es innerkirchliche Opposition gegen die Linie von Radio Maryja?

Nahezu die gesamte Kirche unterstützt Radio Maryja. Die polnische Kirche ist sehr konservativ. Es gibt nur Reibereien zwischen Radio Maryja und den Bischöfen Tadeusz Pieronek und Józef Miroslaw Zycinski, doch selbst diese beiden Herren kann man nicht als Liberale bezeichnen. Das Radio wird im Umfeld der katholischen Wochenzeitung »Tygodnik Powszechny«, die als »progressiv« gilt, kritisiert und bekämpft. Aber verglichen mit westlichen Standards ist auch diese Wochenzeitung nur wenig konservativer als der Rest der Kirche in Polen. Das Umfeld von »Tygodnik Powszechny« ist auch sehr neoliberal.

Aus welchen weiteren Bestandteilen setzt sich das Medienimperium des Vater Rydzyk zusammen?

Rydzyk gehört auch der Fernsehsender »Trwam«, die Tageszeitung »Nasz Dziennik«, die höhere Medienschule in Torun und ein Unternehmen, das sich mit geothermischen Bohrungen beschäftigt. Trwam sendet seit März 2003 über Satellit, ist aber auch über Kabel zu empfangen. Der Sender hat sehr niedrige Einschaltquoten. Die meisten Zuschauer sind über 50 und in kleinen und mittelgroßen Städten beheimatet. Die Zeitung »Nasz Dziennik«, die seit 1998 herausgegeben wird, erfreut sich hingegen einer gewissen Popularität. Rydzyk selbst nennt eine tägliche Auflage von 150.000 Exemplaren. In der Medienschule hingegen soll neuer Nachwuchs für dieses katholische Medienimperium herangezogen werden.

Viele Aussagen, die beim Radio Maryja getätigt werden, lösen in Polen Kontroversen aus. Ist das noch ein konservativer Radiosender oder muss man hier von einer rechten Station sprechen?

Hierbei handelt es sich mit Sicherheit um eine rechtsextreme Radiostation. Im Radioprogramm kommen immer wieder antisemitische, xenophobe und homophobe Ressentiments zum Ausdruck – insbesondere in den Äußerungen der Radiohörer. Der Radiosender ist auch radikal antikommunistisch. Doch finden sich auch schlicht konservative Meinungen im Programm. Die antisemitischen Ausfälle haben in letzter Zeit nachgelassen, nachdem eine lang anhaltende Kritik von verschiedenen Seiten an dem Sender geübt wurde. Man kann den Sender auch nicht als genuin faschistisch bezeichnen. Doch arbeitet Radio Maryia mit verschiedenen Gruppierungen der katholischen Rechten Polens zusammen. Darunter auch rechtsextreme Parteien und Jugendverbände, wie etwa die faschisierende »Liga Polskich Rodzin« (Liga der Polnischen Familien) und deren ehemalige Jugendorganisation »Mlodziez Wszechpolska« (Allpolnische Jugend).

Können Sie Beispiele für antisemitische Äußerungen im Radio Maryja nennen?

Oft wird den Juden vorgeworfen, nur am Geld interessiert zu sein oder hinter den Kulissen die Fäden der Macht – auch in Polen – zu halten. Rydzyk selbst bezeichnete den jüdischen Glauben als eine »Handelsreligion«. Immer wieder gibt es von den Moderatoren geduldete Ausfälle von Radiohörern, die den Juden vorwerfen, beispielsweise nach dem Zweiten Weltkrieg mit gestohlenem »Gold aus Polen« ausgewandert zu sein oder mit der Sowjetunion »kollaboriert« zu haben. Das antisemitische Pamphlet der »Protokolle der Weisen von Zion« wurde auch schon mal als echt anerkannt, da dies »die Erfahrung« lehre. Ein regelrechter Skandal brach Mitte 2007 aus, als Mitschnitte einer Ansprache Rydzyks vor Schülern seiner Medienakademie veröffentlicht wurden, in denen dieser behauptete, die polnische Regierung sei von der »jüdischen Lobby« unterwandert.

Können Sie uns einen Überblick über die ideologische Ausrichtung des Senders geben, wie beurteilt Radio Maryja den Westen und Deutschland?

Wo sieht Rydzyk weitere Feinde lauern? Der Westen, insbesondere die Europäische Union, ist für Radio Maryja die Zivilisation des Todes, die durch »dämonische« Ideen »jüdischen und freimaurerischen« Ursprungs beherrscht wird. Polen wird in der Propaganda des Radios als ein wunderbares katholisches Paradies dargestellt, das die traditionellen Werte bewahrt, und durch westliche Kräfte des Bösen und der Amoralität angegriffen wird, die das Land gerade durch die EU und ihre Rechtsprechung zerstören. Generell ist die Propaganda des Radios angereichert mit Verschwörungstheorien: die wichtigsten Feinde sind die Juden, die Freimaurer, die Linke und die Homosexuellen. Man spricht dort sehr oft von der »Homosexuellenlobby«, die Polen eine »Homoideologie« aufzwinge. In Bezug auf den deutschen Faschismus vertritt der Sender keine Anschauungen, die von denen der polnischen Öffentlichkeit abweichen würden – das faschistische Deutschland wird klar verurteilt. Das Radio nimmt aber die ideologischen Zusammenhänge zwischen Faschismus und Antisemitismus nicht wahr. Es wird betont, dass die Polen zu den größten Opfern des Krieges gehörten, doch die besondere Situation der Juden wird verschwiegen. Das Verhältnis zum gegenwärtigen Deutschland ist hingegen angereichert mit äußerst verdächtigen noch aus der Nachkriegsefahrung gespeisten Ressentiments, mit einem Unrechtsgefühl und Opfersyndrom.

Wie sieht es mit der Popularität von Radio Maryja aus?

Die Popularität des Radios sinkt beständig, weil die Zuhörerschaft des Radios überwiegend aus älteren Menschen besteht. Die jungen Generationen der Polen haben viel weniger Vertrauen in »Vater« Rydzyk. Überdies sieht die überwiegende Mehrheit der jungen Polen das Radio Maryja als eine beschämende, altmodische und schlicht peinliche Sache an.

Welche Gruppen und Personen in Polen stellen sich dem Radio Maryja entgegen? Welche Rolle spielt hierbei das antiklerikale Magazin »Fakty i Mity«?

Allgemein gesprochen gelten die Leute, die für die rechtskonservative Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) oder die »Liga der polnischen Familien« (LPR) stimmen, als Anhänger des Radios. Die Wähler der rechtsliberalen »Bürgerplattform« (PO) und der Linken gelten als Gegner von Radio Maryja. Die einflussreiche liberale »Gazeta Wyborcza« und der liberale und sehr populäre Fernsehsender »TVN« bekämpfen insbesondere Radio Maryja. »Fakty i Mity«, die Wochenzeitung, in der ich arbeite, kämpft selbstverständlich ebenfalls gegen diesen Sender, weil wir Klerikalismus, Antisemitismus, Homophobie und Konservatismus opponieren. Unsere Wochenzeitung strebt ein laizistisches, gerechtes Polen in Europa an. Wir demaskieren unter anderem die durch die Kirche propagierten Mythen und wir schreiben über moralische Verfehlungen des Klerus, der sich in Polen als über dem Gesetz stehend ansieht. Wir beschäftigen uns auch mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Themen, wobei wir die neoliberale Ideologie und Ausbeutung strikt ablehnen. Unsere Wochenzeitung existiert seit fast 10 Jahren und hat eine Auflage von circa 60.000 Exemplaren.

Wo wir gerade dabei sind: Stellt die katholische Kirche in Polen inzwischen nicht auch eine wirtschaftliche Macht da?

Die katholische Kirche ist eine Wirtschaftsmacht und ein gewaltiger Grundeigentümer. Seit 20 Jahren besteht eine kirchlich-staatliche Vermögenskomission, die mit der »Rückgabe« von Kircheneigentum betraut wird, das durch die Kommunisten – oder sogar den russischen Zaren! – konfisziert wurde. In dieser merkwürdigen Kommission, die eine Art Gericht darstellt, sind die Kirchenvertreter Richter in ihrer eigenen Sache. Das ist doch eine weltweite Einmaligkeit. Kirchliche Hotels, die als »Pilgerhäuser« bezeichnet werden, sind von Steuern befreit, wenn sie nur deklarieren, dass ihre Gewinne kirchlichen Zwecken zufließen werden. Die Geistlichen erhalten Versicherungen auf Kosten des Staatshaushalts und der Religionsunterricht wird ebenfalls durch den Staat finanziert – nicht nur in den Schulen, sondern auch in den Kindergärten. Die römisch-katholische Kirche ist der größte Nutznießer des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruchs nach 1989.