Skip to main content

Das Troll-Forum Kiwi Farms

Veronika Kracher
Einleitung

„Kiwi Farms“ war ein extrem rechtes Trollforum, dessen User*innen mehrere Menschen in den Suizid getrieben haben. Besonders fokussierten sich die Attacken auf vermeintliche oder tatsächliche trans Personen. Mittlerweile wurde das Forum aufgrund von öffentlichem Druck durch den technischen Dienstleister Cloudflare abgestellt. Ein Nachfolger wird wohl nicht lange auf sich warten lassen.

(Der Artikel thematisiert Transfeindlichkeit, als auch Suizid)

kiwi farms
Foto: JoshNull; CC BY-SA 4.0

Joshua Connor-Moon ist der ehemalige Betreiber des mittlerweile geschlossenen Forums „Kiwi Farms“

Die Selbstbezeichnung des Forums als Ort, an dem sich interessierte Menschen über faszinierende Online-Persönlichkeiten austauschen, ist nichts anderes als ein Euphemismus für: „der widerlichste Ort im Internet“. Das Forum war eines der treibenden Kräfte hinter der extrem misogynen GamerGate-Kampagne 2014, die FLINTA*-Personen1 aus der Videospielszene attackierte und zur Folge hatte, dass die Adressen und Details aus dem Privatleben veröffentlicht wurden, sie zahlreiche Mord- und Vergewaltigungsdrohungen erhielten, regelmäßig mit Diffamierungen und Anfeindungen konfrontiert waren und mehrfach den Wohnort wechseln mussten.

Menschen wurden zur Angriffsfläche für Kiwi Farms, wenn ihre öffentliche Präsenz auch nur ansatzweise als „cringe-worthy“ erachtet wurde. Dies betrifft vor allem sichtbare transgeschlechtliche oder neurodiverse Menschen. Das trans- und behindertenfeindliche Forum hat jedoch spezielle Unterforen für alles, was als deviant, also von Normen abweichend, wahrgenommen wird – dicke Menschen, Mitglieder der LGBTQI-Community, Furries (Menschen, die Fans von Cartoon- und Manga-Tieren sind und entsprechende Kostüme tragen). Interessant ist, dass sich das Forum auch an Mitglieder der Alt-Right und extremen Rechten abarbeitet, vor allem an dem Nachwuchs-White Supremacist Nick Fuentes. Dies jedoch nicht, weil sie Fuentes aufgrund seiner Ideologie kritisieren, sondern weil er durch seine peinlichen Online-Auftritte und einem ihm attestierten Fetisch für Catboys (Anime-Jünglinge mit Katzenohren) ein schlechtes Licht auf „seriösere“ Rechtsextreme werfe.

In über 100.000 Threads, die stellenweise mit über 1.000 Seiten aufwarten,arbeiten sich die Nutzer*innen des Forums an ihren Opfern ab. Dies folgt immer wieder dem gleichen Schema: durch das Auffinden von Accounts auf unterschiedlichen Social Media-Plattformen, das Austauschen von Gerüchten und kompromittierendem Material wird eine "Lolcow"2 auf der Plattform vorgestellt. Es wird sich im Thread darin bestärkt, dass es vollkommen legitim sei, sich an dem neuen Opfer abzuarbeiten, da es sich diese oder jene Übertretung der Normen geleistet hätte. Durch das Veröffentlichen von Social Media-Profilen oder Postings werden mehr Mitglieder der Community aufmerksam und steigen mit ein. Hierbei wird oft und gerne mit Halbwahrheiten oder Falschinformationen operiert. Das auf der Seite betriebene Mobbing hat bereits mehrere Menschen in den Suizid getrieben – womit sich das Forum stolz brüstet.3

Die letzte Person, für deren Selbstmord Kiwi Farms verantwortlich ist, war ein populäres Mitglied der Modding-Community – Menschen, die Videospiele umprogrammieren. Near, so das Online-Pseudonym der Person, nahm sich im Juni 2021 nach einer jahrelangen Kampagne das Leben. In einer Reihe von herzzerreißenden Tweets schreibt Near darüber, dass die Angriffe, die von Kiwi Farms ausgingen, nicht mehr zu ertragen seien: „Es steigerte sich von Angriffen gegen mich wegen meines Autismus, zu Angriffen und Doxxing von meinen Freund*innen, und sie zum Suizid anzustacheln, nur um eine Reaktion von mir zu bekommen. Ich habe einen meiner besten Freund*innen deswegen verloren. Ich fühle mich dafür verantwortlich.“ Near war nichtbinär und Angriffe gegen Nears Geschlechtsidentität war der Hauptfokus der Hetze.

Ein weiteres Opfer des Forums ist die transgeschlechtliche Spieleentwicklerin Chloe Sagal, die sich nach einer fünfjährigen transfeindlichen Hasskampagne durch das Forum 2018 selbst verbrannte. Dies führte jedoch mitnichten zu einem Moment der Reflektion bei den User*innen, stattdessen wurde sich über Sagals Art des Selbstmords lustig gemacht – natürlich nicht, ohne sie dabei konsequent weiter zu misgendern.

Lieblingsziel des Forums war die transgeschlechtliche und sozialistische Twitch-Streamerin Clara Sorrentis, die unter dem Namen „keffals“ über das aktuelle Weltgeschehen spricht.

Auch wenn viele Mitglieder des Forums dem Vorwurf, sie seien extrem rechte Menschenfeind*innen, widersprechen würden: die ausgewählten Opfer, die menschenfeindliche Art der Sprache über die Opfer (Hate Speech), und vor allem das Bedürfnis des autoritären Angriffes auf Einzelpersonen macht den Charakter des Forums deutlich. Dies zeigt sich vor allem in dem Betreiber des Forums, Joshua Connor Moon, der unter dem Pseudonym „Null“ agiert. Moon, der selbst den Betreibern des rechtsextremen Imageboards 8chan zu menschenfeindlich – aber auch zu inkompetent – war und von dort gefeuert wurde, legt sehr viele Verhaltensweisen an den Tag, wegen derer seine Plattform Angriffe auf "Lolcows" rechtfertigt. Er lebt bei seiner Mutter und
gibt öffentlich an, Kinderpornographie zu konsumieren, „weil er Kindern gerne beim Leiden zusieht“. Er hat mehrfach Mord-und Vergewaltigungsfantasien geäußert, ist offener White Supremacist und hat den rechtsterroristischen Anschlag auf die antifaschistische Demonstration in Charlottesville 2018 glorifiziert.

Die deutschen Kiwifarmer

Das Forum hatte eine eigene Sektion für "Lolcows" aus dem nicht-englischsprachigen Raum, und demzufolge auch eine ganze Reihe an deutschsprachigen User*innen. Wenig verwunderlich ist die Person, die am häufigsten Stein des Anstoßes ist, der deutsche YouTuber Rainer Winkler („Drachenlord“) – der Thread über ihn hat fast 800 Seiten und wird seit 2018 betrieben. Angesichts der momentanen Angriffe gegen transgeschlechtliche Personen die öffentlich auftreten, ist es leider nicht überraschend, dass diese Menschen ebenfalls besonders beliebtes Ziel der deutschsprachigen Nutzer*innen sind.

Wie auch auf anderen Plattformen sind vor allem trans Frauen mit gesellschaftlichem Einfluss die größten Anfeindungsziele, wie z.B. die Journalistin Georgine Kellermann oder die Politikerin Tessa Ganserer. Auch bleibt die Vorgehensweise die gleiche. Omnipräsent sind Misgendering und das Verwenden von Deadnames (den früheren Namen), Pathologisierung und die Reproduktion von queerfeindlichen Verschwörungsnarrativen wie dem der „Translobby“, die Jugendliche verführen würde.

Die Gamification4 von Hass

Moon und seine Anhänger*innenschaft sind sich über ihr Tun bewusst. Dies zeigt sich bereits in den Forenregeln, in denen neuen Trollen angeraten wird, sich mit einer sonst nicht verwendeten E-Mail-Adresse und einzigartigem Namen anzumelden – damit ihre Beiträge nicht auf die dahinter stehende Person zurückzuführen ist. Unter den Foren-Regeln gibt es eine Rubrik mit dem Titel „Wie ist diese Seite eigentlich legal?“. Die Antwort ist ein selbstzufrieden-hämischer Verweis auf die Lücken des US-amerikanischen Justizsystems: „Kiwi Farms ist in den USA legal. Gemeine Sachen im Internet sagen ist nicht illegal. ‚Doxxing‘ ist nicht illegal. Hier schlechte Kunst oder Bilder hochladen ist nicht illegal. Screenshots von Webseiten machen und hier posten ist auch nicht illegal“. Darauf folgen mehrere Abschnitte, in denen gerechtfertigt wird, wieso eine Plattform, deren User*innenbasis für menschenverachtende, brutale Hasskampagnen, deren Opfer psychisch als auch körperlich attackiert worden sind, keine Verantwortung für diese Taten trägt.

Hierbei wird selbstverständlich verschwiegen, dass Seiten wie Kiwi Farms, auf denen User*innen permanent mit Menschenfeindlichkeit konfrontiert werden und diese gerade zu als Spiel erscheint, offenkundig einen Teil zur emotionalen Verrohung und einer darauf basierenden Radikalisierung beitragen. Sowohl die virtuelle Form als auch das kollektive Moment der Angriffe gegen "Lolcows", die durch das Forum geboten wird, führt zu einer Gamification des Mobbings. Dies bedeutet, dass die Täter*innen von sich abspalten können, was sie anderen Menschen eigentlich antun – die Opfer werden zum "Meme" dehumanisiert, und die Belästigung als Spiel wahrgenommen. Die Plattform bietet auch eine Möglichkeit zur Vernetzung und zur gemeinsamen Suche nach neuen Opfern sowie zum Austausch von Material zur weiteren Radikalisierung.

Das alles hat nichts  mit Meinungsfreiheit zu tun – sondern lediglich mit Zynismus, Sadismus und Hass.

  • 1„FLINTA“ ist das Akronym für „Frauen, Lesben, Inter, Nonbinary, Trans und Agender“
  • 2"Lolcow" bezeichnet eine Person, über die andere lachen (lol – laugh out loud) und der man durch Provokation immer weiter Inhalte zur Belustigung entlocken (melken) kann.
  • 3Kreisen deine Gedanken darum, dir das Leben zu nehmen? Sprich mit anderen darüber. Freund*innen oder Verwandte könnten gute Ansprechpartner*innen sein. Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern lauten: 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 oder über www.telefonseelsorge.de. Es gibt für trans und queere Personen mit oder ohne Migrationsgeschichten viele Beratungsstellen, beispielsweise Les Migras, TRIQ e.V., den LSVD, dgti* oder den Bundesverband Trans*.
  • 4vom engl. game = „Spiel“