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Das Wiener Holocaust Mahnmal

Interview mit Gerhard Milchram (Jüdisches Museum der Stadt Wien)
Bild: flickr.com/littled; David Little/CC BY-NC-SA 2.0

AIB: Im Oktober 2000 wurde in Wien das von der britischen Bildhauerin Rachel Whiteread entworfene Holocaust-Mahnmal eingeweiht, das an die mehr als 65.000 österreichischen Jüdinnen und Juden erinnern soll, die in den Jahren zwischen 1938 und 1945 ermordet wurden. Das Mahnmal auf dem Judenplatz ist Bestandteil eines Gesamtkomplexes zu dem ein kleines Museum und ein unterirdischer Schauraum gehören. Kannst du noch einmal die Entstehungsgeschichte des Wiener Holocaust-Mahnmals skizzieren?

Milchram: 1994 trat Simon Wiesenthal an den Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) mit der Idee heran ein eigenes Mahnmal für die österreichisch-jüdischen Opfer der Schoa am Judenplatz in Wien zu errichten. Diese Idee wurde spontan von Michael Häupl aufgegriffen, und ein internationaler Wettbewerb zur Gestaltung des Mahnmales ausgeschrieben. Da zu diesem Zeitpunkt klar war, dass das Mahnmal über den Resten der mittelalterlichen Synagoge errichtet werden würde, begannen 1995 archäologische Ausgrabungen. Im Jänner 1996 konnten dann die Entwürfe eines Wettbewerbes für das Mahnmal präsentiert werden. wobei Die Jury entschied sich für den Entwurf der britischen Künstlerin Rachel Whiteread. Nach den Gemeinderatswahlen von 1996 erließ der neu eingesetzte Kulturstadtrat Peter Marboe (ÖVP) einen Baustopp, um die Wogen der mittlerweile einsetzenden Diskussion zu glätten, und kündigte eine Überprüfung des Gesamtprojektes an. Schließlich konnte bis März 1998 ein Kompromiss gefunden werden, der sowohl die Errichtung des Mahnmales, als auch die Einrichtung eines Museums zum mittelalterlichen Judentum sowie einen darin enthaltenen Bereich vorsah, wo die Namen aller 65.000 österreichisch-jüdischen Opfer der Schoa abgerufen werden können. Am 26. Oktober 2000 konnte schließlich das Gesamtensemble - Mahnmal mit neu gestalteten Platz sowie das Museum Judenplatz, als eine Außenstelle des Jüdischen Museum Wien eingeweiht werden.

Gab es Widerstände gegen den Bau des Mahnmals? Waren in diesem Zusammenhang antisemitische Argumentationsmuster festzustellen?

Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Wien er Bürgermeisters zur Errichtung des Mahnmales gab es so gut wie keine Diskussion. Erst ab dem Zeitpunkt als das Siegerprojekt des Wettbewerbes bekannt gegeben wurde setzte eine massive Auseinandersetzung ein. Es ging darum, ob der Judenplatz der richtige Ort sei, der Entwurf von Rachel Whiteread dem Thema angemessen und ob die Überreste der mittelalterlichen Synagoge nicht selbst Mahnmal seien. Diese Argumente wurden quer durch alle Parteien und Gruppierungen vorgebracht. All dies machte es jenen leicht, die aus anderen Gründen gegen das Mahnmal waren. So unterstützte zum Beispiel die FPÖ eine Bürgerinitiative von Anrainern gegen den Bau des Mahnmales und die FPÖ Abgeordnete Heidmarie Unterreiner übte Kritik an einer angeblich geplanten Zuschüttung der Ausgrabung.

Auffallend ist, dass trotz aller Widerstände zwischen dem Architekturwettbewerb 1996, der Grundsteinlegung im Herbst 1998 und der Enthüllung des Wiener Holocaust-Mahnmals am 25.10.2000 »nur« fünf Jahre lagen. In Deutschland hingegen wurde über das Berliner Holocaust-Mahnmal knapp 10 Jahre diskutiert. Ist Österreich durch eine vergleichsweise offenere Gedenkkultur geprägt?

Österreich ist sicherlich nicht von einer offeneren Gedenkkultur geprägt - eher im Gegenteil. Die relativ unproblematische Umsetzung des Wiener Schoa Mahnmales verdankt sich der glücklichen Konstellation, dass auf politischer Seite sowohl Bürgermeister Häupl als auch der damalige Kulturstadtrat Peter Marboe (ÖVP) immer voll und ganz hinter diesem Projekt standen. Hier war Wien tatsächlich anders. Ob dasselbe Projekt in einem gesamtösterreichischen Kontext so klaglos umzusetzen gewesen wäre sei dahingestellt.

Das Mahnmal besteht aus einem weißen Kubus, dessen Außenmauern in Beton gegossene Bücher darstellen, deren Rücken nach innen gekehrt sind. Kannst Du etwas zur Symbolik des Mahnmals und dessen Bedeutungsebenen sagen?

Rachel Whiteread verweigert selbst eine Interpretation ihrer Arbeit. Es bleibt also jedem Betrachter offen, selbst Sinn in ihre Arbeit zu interpretieren. Ich denke, dass dieses Mahnmal in Zusammenhang mit den Überresten der mittelalterlichen Synagoge gelesen werden kann. Im 13. Jahrhundert werden im aschkenasischen Judentum Memorbücher als literarische Form des Totengedenkens greifbar, welche in den folgenden Jahrhunderten zu den wichtigsten Quellen der Erinnerung zählen. Diese Bücher stellen unter anderem auch papierene Friedhöfe dar. Gibt es doch auch eine Legende, dass am Ende der Zeiten der Engel Gottes durch die Friedhöfe geht, um die Namen der verstorbenen von den Grabsteinen abzulesen und sie so zur Auferstehung zu rufen. Überträgt man diesen Gedanken auf das Mahnmal mit der nach außen gestülpten Bibliothek, so haben wir es durch die ungeheure Anzahl der Getöteten eben nicht mit einem Memorbuch, sondern einer ganzen Bibliothek von Memorbüchern zu tun. Durch die Ungeheuerlichkeit des Vernichtungswahnes nicht zugänglich, nicht lesbar, am Platz stehend als stummes Zeugnis für die Ermordeten. Hoffnung gibt nur die ins Museum verlegte Möglichkeit, die Namen doch noch zu erfahren, und auf diese Weise wieder in die Erinnerung und zurückzuholen.

Das Holocaust-Mahnmal zusammen mit dem Museum und den unterirdischen Schau- bzw. Gedenkräumen verknüpft zwei Intentionen: Einerseits soll hier ein »Ort der Besinnung« geschaffen werden. Andererseits offeriert die Ausstellung leicht konsumierbare, mit modernster IT-Technik aufbereitete Informationen über die Geschichte der Juden in Wien. Funktioniert diese angestrebte Symbiose aus Gedächtnisort und Infotainment?

Grundsätzlich muss gesagt werden, dass es kein Museum leisten kann eine komplette oder universelle Geschichte eines Themas darbieten zu können. Dies sind Konzepte die in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts versucht wurden und schon damals an ihren eigenen Ansprüchen scheiterten. Museale Arbeit kann nur den Besucher dazu anregen Fragen zu stellen und dazu animieren sich mit einem Thema weiter zu beschäftigen. Ein Museum sollte ein Ort sein an dem mehr Fragen gestellt, als Antworten gegeben werden. Der erhobene Zeigefinger ist ein Relikt bürgerlich-konservativer Erziehungsmuster des 19. Jahrhunderts.
Vier Jahre Museum Judenplatz haben gezeigt, dass das Konzept in vielen Teilen funktioniert. Zum einen funktioniert hier der Erinnerungsort, als Ort an den Menschen zum Zwecke des Erinnerns kommen, zum anderen bietet der Raum viel Platz für Interpretationen entweder für den individuellen Besucher oder aber auch für die hauseigenen Guides die hier den Gruppen verschiedene Themen näher bringen können. Mittlerweile wird dieser Raum auch von einer religiösen Gruppierung zu Chanukka genutzt um dort das Chanukka-Licht zu entzünden. Anders verhält es sich mit der computeranimierten 3D Rekonstruktion von Synagoge und mittelalterlichen jüdischen Viertel. Diese entspricht den modernsten Methoden der Archäologie, gibt aber ein sehr konkretes Bild von imaginierten Orten (wenn auch wissenschaftlich gut fundierten Imaginationen) vor, dass keinen Spielraum mehr für Interpretationen offen lässt. Wiederum anders verhält es sich mit den Themen bezogenen Computerstationen, welche verschiedene Aspekte mittelalterlicher jüdischer Existenz abdecken und verschiedene Themen allgemein verständlich darbieten.
Auf der zweiten themenrelevanten Ebene, nämlich jener, die sich mit der Vernichtung der österreichischen Juden durch das Nationalsozialistische Regime beschäftigt, verhält es sich ähnlich. Einerseits der Gedächtnisort vor den Toren des Museum, nämlich das Mahnmal von Rachel Whiteread, andererseits die computergestützte Abfragemöglichkeit der Namen der 65.000 österreichisch-jüdischen Opfer, somit ein Memorbuch in elektronischer Form plus der Möglichkeit zu tief greifender Information zu den Hintergründen des Genozids in Österreich und an den jüdischen Österreichern, erarbeitet von den Experten des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands.

Welche Rolle spielt die Erinnerung an den Holocaust in der politischen Kultur Österreichs heute? Dominiert im kulturellen Gedächtnis Österreichs immer noch der Mythos »erstes Opfer« nationalsozialistischer Expansionspolitik gewesen zu sein?

Durch die Diskussion über die Kriegsvergangenheit von Kurt Waldheim wurde in den 80er Jahren der Mythos von Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus aufgebrochen. In der Folge wurde tatsächlich sehr viel Aufklärungsarbeit geleistet die durchaus auch zu einer Bewusstseinsänderung führte. Siehe dazu die Erklärung des damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) in Yad VaShem, der erstmals offiziell eine Mitschuld von Österreichern am Nationalsozialismus bekannte. Daraus wurden schlussendlich Konsequenzen gezogen und zum Beispiel das Dokumentationsarchiv beauftragt die Namen sämtlicher österreichisch-jüdischer Opfer der Schoa zu erfassen. Auch in der Frage der Vermögensentschädigungen kam es langsam aber doch dazu gemeinsam mit den Opfern eine Lösung zu finden. Einiges wurde dann schlussendlich von der ÖVP / FPÖ Koalition zu Ende geführt. Zum Beispiel die Entschädigungszahlungen für Zwangsarbeiter oder auch einige Restitutionen von Raubkunst aus Bundesmuseen. Soweit kann man in den letzten zwanzig Jahren durchaus auf positive Entwicklungen zurückblicken. Andererseits muss man seit Beginn der Koalition von ÖVP/FPÖ festhalten, dass von offizieller Seite wieder Rückschritte in Denkmuster gemacht werden, die man eigentlich für aufgebrochen hielt. So behauptete der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel in einem Interview mit der Jerusalem Post vom 9. November 2000, dass »der österreichische Staat das erste Opfer des Nazi-Regimes« und die Österreicher erste Opfer waren. Diese Haltung wurde in einem weiteren Interview von der damaligen Außenministerin Frau Ferrero-Waldner verteidigt. Hier zeigt sich deutlich, dass die Bundesregierung versucht alte Akzente in der Selbstdarstellung des Landes zu setzen, was für die Erinnerungskultur des Landes nichts Gutes verheißt.

Vielen Dank für das Gespräch

Gerhard Milchram ist Historiker und wissenschaftlicher Kurator im Jüdischen Museum der Stadt Wien