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Der »kausale Nexus« des Ernst Nolte

Gerd Wiegel, Politikwissenschaftler und Buchautor aus Marburg (Gastbeitrag)
Einleitung

Keine Laudatio zum 80. Geburtstag des rechten Stichwortgebers

Der Zufall wollte es, dass zwei wichtige konservative Zeithistoriker am zweiten Wochenende des Jahres einen runden Geburtstag feierten und die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) somit die Gelegenheit wahrnahm, beiden einen herzlichen Geburtstagsgruß zukommen zu lassen: Ernst Nolte wurde 80 Jahre alt, Horst Möller erreichte die 60. Möller war es auch gewesen, der entscheidend zur letzten größeren öffentlichen Aufmerksamkeit für Nolte beigetragen hatte: Anlässlich der Verleihung des Adenauer-Preises durch die konservative Deutschland-Stiftung im Jahr 2000 an Ernst Nolte, hatte Möller die Laudatio gehalten.

Bild: attenzione-photo.com

Vor allem dieser Tatbestand führte zu einigem Unmut unter Zeithistorikern, ist Möller doch als Leiter des Instituts für Zeitgeschichte in München ein herausgehobener Vertreter des Fachs. Die Radikalisierung Noltes in den neunziger Jahren – im Gefolge und als Reaktion auf den Historikerstreit – und die Aufnahme antisemitischer Stereotypen in seiner Darstellung führte vorübergehend sogar zum Bruch mit seinem größten öffentlichen Mentor, der FAZ. Trotz dieser, inzwischen offensichtlich überwundenen, Differenzen ist Nolte bis heute ein entscheidender Stichwortgeber sowohl konservativer als auch neurechter Historiker geblieben. Spätestens seit dem Historikerstreit von 1986 stellt er das zentrale Bindeglied zwischen konservativen Sichtweisen auf den Faschismus und einer vor allem in den neunziger Jahren virulenten Geschichtspolitik der »Neuen Rechten« dar.

Vom »Antimarxismus« zum »kausalen Nexus« – Faschismusinterpretationen bei Nolte

Mit dem Buch »Der Faschismus in seiner Epoche« katapultierte sich Nolte im Jahr 1963 ins Zentrum der Faschismusdiskussion. Damals war es vor allem die Linke, die Noltes Thesen aufgriff. Zum einen, weil er mit dem Faschismusbegriff scheinbar die bis dahin vorherrschende Totalitarismusthese überwand und zum anderen, weil Nolte den Antimarxismus, die Feindschaft gegen die Linke, zum bestimmenden Punkt des Faschismus erklärte. Beide Sichtweisen auf Noltes Arbeit trafen zu und waren doch ein Irrtum: Aus der identifizierenden Totalitarismusthese wurde bei Nolte eine »genetische«, die die »totalitären Ideologien« Kommunismus und Faschismus in ein historisches Verhältnis von Reiz und Reaktion brachte; der Antimarxismus wurde zur berechtigten Reaktion auf eine vermeintlich reale Bedrohung durch den Kommunismus, genauer dann den Bolschewismus.

Ausformuliert und zugespitzt wurde diese Sichtweise von Nolte im Historikerstreit, der maßgeblich von seinen Thesen ausgelöst wurde. Der Nationalsozialismus erscheint hier als ein abgeleitetes, nicht originäres Phänomen, hervorgerufen durch die »berechtigte« Angst der Bourgeoisie vor den Schrecken des Bolschewismus. Sämtliche Verbrechen der Nationalsozialisten fänden ihr Vorbild in den Verbrechen der Bolschewisten und seien als eine aus Angst geborene Reaktion hierauf zu verstehen.

Bei Nolte heißt es: »Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine ‘asiatische’ Tat nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer ‘asiatischen’ Tat betrachteten? War nicht der ‘Archipel GULag’ ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ‘Klassenmord’ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ‘Rassenmords’ der Nationalsozialisten?«1 Aus dem unterstellten »kausalen Nexus«2 zwischen Kommunismus und Faschismus folgt, dass der Holocaust von einer originären zu einer abgeleiteten Tat wird. Die von den Nationalsozialisten vorgenommene Gleichsetzung von Kommunismus und Juden wird von Nolte gleich mit übernommen. Die Wurzeln der NS-Verbrechen liegen somit nicht länger in der deutschen Geschichte, sondern im Kampf der feindlichen Ideologiestaaten begründet.

Die Bedeutung des Holocaust für Noltes Faschismusinterpretation

Für Nolte stellen Ideologien das primäre Movens der Geschichte dar, sie liegen realen Konflikten zugrunde und sind das geschichtsbewegende Motiv. Insofern sind Noltes Arbeiten in vielem Ausdruck seiner Zeit, des Kalten Krieges, der scheinbar auch von diesem Gegensatz der Ideologien bestimmt wurde. Im Laufe der achtziger Jahre und insbesondere nach 1989 verliert dieser Zugriff auf den Faschismus an Bedeutung, an seine Stelle tritt die Auseinandersetzung mit dem Völkermord an den europäischen Juden als zentrales Signum des Nationalsozialismus. Auch Nolte muss den Holocaust in seine Interpretation integrieren. Um dem Schema des Kampfes der Ideologien gerecht zu werden, muss bei ihm nun auch das Judentum zu einer Ideologie werden, die von den Nazis als Bedrohung aufgefasst werden kann.

Wie erwähnt gelingt ihm das einerseits durch die umstandslose Identifizierung von Juden und Bolschewisten, zudem werden »die Juden« von ihm zur Kriegspartei erklärt, die Hitler und den Nazis den Krieg erklärt hätten und somit zurecht als Feinde betrachtet worden wären.3  In den Büchern »Der europäische Bürgerkrieg, 1917 – 1945«, »Streitpunkte« und »Historische Existenz. Zwischen Anfang und Ende der Geschichte?« wird diese Sichtweise bis zur offenen Apologie des Antisemitismus fortgeführt. Einerseits geht es Nolte hier um die Relativierung des Holocaust, indem er die Propaganda der radikalen Holocaustleugner zu ernstzunehmenden wissenschaftlichen Beiträgen erklärt. Im Spiegel-Interview von 1994 billigt er sogar dem »Leuchter-Report«4   eine wichtige Rolle zu.

Daneben geht es ihm jetzt um die Übertragung des Reiz-Reaktionsschemas auf den Holocaust. So wie der Faschismus eine »verständliche« Reaktion auf den Angriff durch den Kommunismus gewesen sei, so sei auch der Antisemitismus – und damit alles, was aus ihm folgt – eine Reaktion auf die Rolle der Juden in der Weltgeschichte. Diese werden mit einer »messianischen« und »ewigen Linken« identifiziert, deren Utopismus zu notwendigen Gegenreaktionen geführt habe. Die verbreitete Feindschaft gegenüber den Juden sei eine »unumgängliche Konsequenz« aus der Geschichte und ihre »Stigmatisierung« als »Antisemitismus« nur ein Kampfmittel.5  

Der Stichwortgeber

Diese zentralen Inhalte des Nolteschen Werkes blieben bei den diversen Würdigungen unerwähnt, und dennoch sind sie die logische Konsequenz von Noltes Sicht auf Faschismus und Nationalsozialismus. Im Zuge der Debatte um das »Schwarzbuch des Kommunismus« erlebte Nolte eine partielle Renaissance, seine Bücher wurden in Frankreich und Italien neu diskutiert. Hier ist es die Ableitung des Faschismus aus dem Kommunismus und das »faktische Prius« des Kommunismus bei allen Verbrechen des 20. Jahrhunderts, das auf ein breiteres Interesse stößt.

In Deutschland bedient Nolte vor allem das Bedürfnis, die deutsche Geschichte und damit die historische Verankerung der Nation aus ihrer Verbindung mit dem Nationalsozialismus zu lösen. Darüber hinaus bietet die »Erklärung« des Holocaust, die in letzter Instanz auf eine vermeintlich »eigene Schuld« der Juden zurückgeführt wird, vielfältige Anknüpfungspunkte auch für aktuelle Diskurse. Noltes Rolle im Rahmen konservativer Geschichtspolitik ist somit enorm, ist er doch Stichwortgeber sowohl für den etablierten Konservatismus als auch wichtiger Mentor und Bezugspunkt für neurechte Geschichtspolitiker wie Zitelmann, Weißmann oder Hornung. In diesem Sinne bildet Nolte bis heute den Nexus zwischen diesen Ausrichtung.

  • 1Ernst Nolte, Vergangenheit, die nicht vergehen will, hier zitiert nach: Historikerstreit. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987, S. 45.
  • 2Ausführlich habe ich die Faschismusdarstellung Ernst Noltes in meinem Buch »Die Zukunft der Vergangenheit. Konservativer Geschichtsdiskurs und kulturelle Hegemonie«, Köln 2001, behandelt. Ausführliche Literaturangaben vgl. ebd.
  • 3Nolte greift hier ein Argument des späteren Holocaustleugners David Irving auf, der in der Aussage Chaim Weizmanns von 1939, die Juden würden an der Seite Englands kämpfen, eine Kriegserklärung der Juden an Deutschland sieht. Vgl. hierzu Wiegel, S. 80 ff.
  • 4Fred Leuchter sollte für die Revisionisten Faurisson und Zündel von technischer Seite her »beweisen«, dass keine Menschen in Gaskammern umgebracht worden seien. Aus seinen Aussagen entstand das Machwerk »Leuchter-Report - Das Ende eines Myhtos«
  • 5Vgl. Ernst Nolte: Streitpunkte. Heutige und künftige Kontroversen um den Nationalsozialismus, Frankfurt a.M./Berlin 1993, S. 396.