Der Begriff des Faschismus Teil 2
Alex BuschIm ersten Teil der Auseinandersetzung mit dem Begriff des Faschismus wurde dessen Entstehung erläutert und die Kernelemente faschistischer Ideologie erörtert. Im folgenden, abschließenden Teil wird rückblickend das Verhältnis der Linken zum Aufkommen des Faschismus – erörtert am Nationalismus und Antisemitismus – hinterfragt und ein kritischer Blick auf die hegemoniale Totalitarismus-Doktrin zur herrschaftskonformen Verklärung faschistischer Bewegung geworfen.
Linke und Faschismus
Von bürgerlich-konservativer Seite wurde und wird die prokapitalistische Haltung der Faschisten bestritten. Die Totalitarismustheoretiker der ersten Stunde sahen in den faschistischen Bewegungen eher eine vergleichbare Ausformung des Mobs wie im damals drohenden Bolschewismus. Die pseudosozialistischen Phrasen der Faschisten wurden von konservativen Totalitarismustheoretikern wörtlich genommen und mit der sozialistischen Bedrohung synonym gesetzt. Dort galt und gilt auch heute der Faschismus als »nationaler Sozialismus« und das propagandistische Versprechen der Faschisten eines nationalen und sozialen »Volksstaates« wird dabei für bare Münze genommen. In seiner noch während der Nazi-Herrschaft verfassten Untersuchung des NS-Regimes kam der Marxist Franz Neumann hingegen zu der Einschätzung: »Die Wirtschaft des nationalsozialistischen Deutschland hat zwei umfassende und hervorstechende Kennzeichen. Sie ist eine Monopolwirtschaft – und eine Befehlswirtschaft. Sie ist eine privatwirtschaftliche Ökonomie, die durch einen totalitären Staat reglementiert wird. Als den besten Namen, sie zu beschreiben, schlagen wir ›totalitärer Monopolkapitalismus‹ vor.« Kennzeichnend für die linke Positionierung wurde posthum der berühmte Ausspruch Max Horkheimers: »Wer vom Kapitalismus nicht reden will, (soll) zum Faschismus schweigen«. In jenem, an die Emigranten gerichteten berühmten Ausspruch wandte sich Horkheimer gegen die weit verbreitete Tendenz, den Liberalismus als positiven Gegenentwurf zum Faschismus zu verklären. Er erklärte: »Der Faschismus ist nicht wider die bürgerliche Gesellschaft, sondern unter bestimmten historischen Bedingungen ihre konsequente Form.« Horkheimer als undogmatischer Marxist allerdings zog daraus einen völlig anderen Schluss als das Gros der linken Bewegungen jener Zeit. Dort setzte sich in vulgär-marxistischer Manier die Dimitroff’sche Definition für die Kommunistische Internationale 1935 durch, die besagte: »Der Faschismus an der Macht ist die offen terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.« Faschismus = Kapitalismus also schlicht und zwar der vom ganz bösen Banken- und Finanzkapital, gegen das die Nazis schon die antisemitische Unterscheidung zwischen »raffendem« und »schaffendem« Kapital propagierten. Die Mehrheit der Linken jener Zeit verkannte die ideologische Dynamik des faschistischen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus. Damals war es eine unbeachtete Minderheit kritischer und parteilich ungebundener Intellektueller der Linken wie Horkheimer und Adorno, die hingegen den Antisemitismus als herrschaftsstabilisierendes Projektionsangebot der NS-Propaganda erkannten. »Der bürgerliche Antisemitismus hat einen spezifischen ökonomischen Grund: Die Verkleidung der Herrschaft in Produktion. (...) Die produktive Arbeit des Kapitalisten, ob er seinen Profit mit dem Unternehmerlohn wie im Liberalismus oder dem Direktorengehalt wie heute rechtfertigte, war die Ideologie, die das Wesen des Arbeitsvertrags und die raffende Natur des Wirtschaftssystems überhaupt zudeckte.« Hiermit unterschieden sich die Vertreter der Kritischen Theorie von dem Gros der kommunistischen Bewegung jener Zeit, das jegliche vermeintliche Kritik am Kapitalverhältnis per se als fortschrittlich begriff. So wandte sich etwa der KPD-Theoretiker Werner Hirsch 1932 dagegen, »mit der blauen Brille einer Pseudo-Theorie nach irgendwelchen Unterschieden zwischen Demokratie und Faschismus zu suchen«. Mit der Durchsetzung der sog. »Sozialfaschismus-These« der KPD wurde schon Mitte der Zwanziger Jahre die Sozialdemokratie als Konkurrenzpartei zum eigentlichen Hauptfeind erklärt. »Sozialdemokratie ist Faschismus« wurde ausgerufen. Diese Einschätzung wurde von der KPD erst 1935, also zwei Jahre nach der Machtübertragung an die Nazis, in der Komintern revidiert. Zentrale Elemente der Nazi-Propaganda, Antisemitismus und Nationalismus, wurden fast völlig verkannt. Es gab sogar mehrere Strömungen innerhalb der KPD, die zeitweise einen »national-bolschewistischen« Kurs befürworteten. Ein Beispiel hierzu war der »Scheringer-Kurs« der KPD von 1931-32. Das ehemalige NSDAP-Mitglied Scheringer, zugleich Leutnant der Reichswehr, trat wegen dem »Befreiungsprogramm« der KPD zu den Kommunisten über und forderte nun die »Befreiung Deutschlands« vom Kapitalismus und Versailler Vertrag. Er sah in der Reichswehr den »Kern einer künftigen Befreiungsarmee« und wurde von der KPD zur Werbung bei Nationalrevolutionären, Reichswehr und der SA eingesetzt. In der antisemitischen Propaganda der Nazis gegen das »raffende«, das »Judenkapital« sahen KPD-Aktivisten wie z.B. Ruth Fischer Anknüpfungspunkte für eine linke Kapitalismuskritik. Kritische Marxisten wie Horkheimer und Adorno hingegen erkannten, dass die pseudo-sozialistische Kritik der antisemitisch besetzten Zirkulationssphäre eine herrschaftsstabilisierende Funktion hat: »Im Verhältnis des Lohns zu den Preisen erst drückt sich aus, was den Arbeitern vorenthalten wird. Mit ihrem Lohn nahmen sie zugleich das Prinzip der Entlohnung an. Der Kaufmann präsentiert ihnen den Wechsel, den sie dem Fabrikanten unterschrieben haben. Jener ist der Gerichtsvollzieher fürs ganze System und nimmt das Odium für die andern auf sich. Die Verantwortlichkeit der Zirkulationssphäre für die Ausbeutung ist gesellschaftlich notwendiger Schein.« Die »pathische Projektion«, die verschwörungstheoretische Personifizierung struktureller Macht- und Ausbeutungsverhältnisse auf »den Juden« war das Angebot zur konformen Rebellion mittels Pogrom und Mord unter Beibehaltung der Herrschaft: »Das Hirngespinst von der Verschwörung lüsterner jüdischer Bankiers, die den Bolschewismus finanzieren, steht als Zeichen eingeborener Ohnmacht, das gute Leben als Zeichen von Glück. Dazu gesellt sich das Bild des Intellektuellen; er scheint zu denken, was die anderen sich nicht gönnen, und vergießt nicht den Schweiß von Mühsal und Körperkraft. Der Bankier wie der Intellektuelle, Geld und Geist, die Exponenten der Zirkulation, sind das verleugnete Wunschbild der durch Herrschaft Verstümmelten, dessen die Herrschaft sich zu ihrer eigenen Verewigung bedient.« Die Nazis waren demnach keine bloßen »Kapitalistenknechte«, wie die Komintern sie definierte. Sie versprachen die »Erhebung« durch den völkisch-rassistischen Antisemitismus: »Der Faschismus ist totalitär auch darin, daß er die Rebellion der unterdrückten Natur gegen die Herrschaft unmittelbar der Herrschaft nutzbar zu machen strebt. Dieser Mechanismus bedarf der Juden. (...) Indem der Verwurzelte an seiner Differenz vom Juden die Gleichheit, das Menschliche, gewahrt, wird in ihm das Gefühl des Gegensatzes, der Fremdheit induziert.« Faschismus als Massenbewegung ist demnach weit mehr als bloße Herrschaftsform des Kapitals, denn die faschistische Propaganda beinhaltet ein quasireligiöses Erlösungsversprechen. Der Faschismusforscher George L. Mosse verweist auf die starke Bedeutung eines solchen antirationalen faschistischen Heilsversprechens: »Allen westlichen Formen des Faschismus war die Flucht vor der Wirklichkeit in eine gefühlsmäßige und mystische Ideologie gemeinsam. Diese Art der Revolution bewegte sich von einer Ablehnung der Realität hin zu einer Glorifizierung der Ideologie. So war es möglich, dass die faschistische ›Revolution‹ die bestehenden Gesellschaftsstrukturen, und damit auch das Recht auf Privatbesitz, bestehen lassen konnte.« Historisch wie aktuell zeigt sich für die Linke an solchen Beispielen die Gefahr der Verkennung von materialistischer Kritik und populistischem Ressentiment.
Faschismus, Totalitarismus oder Sonderweg?
Die in der Totalitarismustheorie propagierte angebliche Analogie der »rechten und linken Ränder« für einen »Extremismus« faschistischer wie marxistischer Prägung unter dem gemeinsamen »Banner des Kollektivismus« ist jedoch eher politisch motiviert als empirisch und ideologiekritisch belegbar. Gegen derartige totalitarismustheoretische Zuschreibungen verweist der an der Systemtheorie Max Webers orientierte Soziologe Stefan Breuer auf die ideologische Unvereinbarkeit von Faschismus und Marxismus: »Stellte schon der ›reine Syndikalismus‹ einen Bruch mit zentralen Elementen des marxistischen Sozialismus, allen voran der Werttheorie, dar, so verwischte der nationale Syndikalismus bzw. Sozialismus die Verwandtschaftsbeziehung noch weiter, bis dann der Linksnationalismus auch noch das letzte Band durchschnitt.« Aus kapitalismuskritischer Sicht ist der Begriff des Totalitarismus zur Kennzeichnung des faschistischen Phänomens abzulehnen, weil er eine Gleichsetzung von Links und Rechts impliziert und den prokapitalistischen Charakter des Faschismus verschleiert. Für den marxistischen Staatstheoretiker Nicos Poulantzas stellt der Faschismus die extremste Form eines »kapitalistischen Ausnahmestaats« dar. Im Gegensatz zu reinen Militärdiktaturen und bonapartistischen Regimen weise der Faschismus ein »vielschichtiges Verhältnis« zu den beherrschten Klassen auf: Dieses Verhältnis habe »aus dem Faschismus gerade den notwendigen Vermittler der Restabilisierung der politischen Herrschaft und der Hegemonie« gemacht. Der Historiker Karl Heinz Roth betont die Bedeutung der faschistischen Intervention zur Sicherung der kapitalistischen Ordnung: »Der Faschismus verstand sich in all seinen Varianten als Hüter und Bewahrer des kapitalistischen Eigentums. (...) An die Stelle des Liberalismus klassischer Prägung traten neue staatsinterventionistische und ordnungspolitische Konzepte zur ökonomischen Konsolidierung der ›nationalen Wiedergeburt‹, bei denen ad hoc-Entscheidungen mit mittelfristigen Rüstungsprojekten und langfristigen sozialökonomischen Programmen zur Sicherung und Stabilisierung der neo-imperialistischen Machtstellung Hand in Hand gingen.« Im Gegensatz zum Mainstream der bürgerlichen deutschen Historikerzunft verweisen international anerkannte Historiker wie Ian Kershaw auf die Brauchbarkeit des Faschismusbegriffs: »Mit Hilfe des Faschismusbegriffs lassen sich der Charakter des Nationalsozialismus, die Umstände seines Anwachsens, die Art seiner Herrschaft und seine Einordnung in den europäischen Kontext der Zwischenkriegszeit befriedigender und zutreffender erklären als mit Hilfe des Totalitarismusbegriffs.« In einem solchen gedanklichen Kontext erscheint auch die Herleitung des Nationalsozialismus als bloßes Produkt eines »deutschen Sonderwegs« als problematisch, da sie den strukturellen und gesamteuropäischen Entstehungskontext des Faschismus ausklammert. Deshalb plädieren kritische Historiker wie Geoff Eley dafür, die »Authentizität der deutschen Erfahrung als eines Falles erfolgreicher, aber konfliktbeladener kapitalistischer Modernisierung anzuerkennen.« Eley verweist in diesem Zusammenhang auf die Tatsache, dass das deutsche Kaiserreich nicht als rückständiger Staat betrachtet werden kann. Es wurde von seinen Zeitgenossen vielmehr als »das zwingendste Beispiel eines spezifisch modernen Staates betrachtet, als Modell nationaler Effizienz, gegründet auf die dynamischste kapitalistische Wirtschaft Europas. Unter diesen Voraussetzungen kann man sagen, dass sowohl die inneren Konflikte der deutschen Gesellschaft wie auch ihr ruheloser Expansionismus nach außen nicht Symptome einer Pathologie der Rückständigkeit waren, sondern geradezu Ausdrucksformen ihrer Modernität, die Produkte einer sich modernisierenden Gesellschaft – also einer Gesellschaft, die kapitalistische Industrialisierung erfährt – die sich auf ihre Grenzen zu bewegt und an diese Grenzen stößt.« Nicht nur im Interesse historischer Genauigkeit ist eine komparative Faschismusanalyse von Bedeutung. Die Shoah ist als faschistisches Menschheitsverbrechen singulär, der Entstehungskontext des deutschen Faschismus jedoch nicht. Darauf weist auch der Historiker Fritz Fischer hin: »Doch so singulär die verbrecherisch-unmenschlichen Züge der Hitler-Diktatur waren, es würde eine unzulässige Verkürzung der historischen Wirklichkeit sein, das ›Dritte Reich‹ allein von diesem Geschehen aus zu sehen. Vielmehr ist es nötig, die durchgehenden Strukturen und Ziele des 1866/71 entstandenen und 1945 untergegangenen Preußisch-Deutschen Reichs zu analysieren, sich das Kontinuum im Wandel und seine Wirkungen im internationalen System zu vergegenwärtigen.« Gerade hier besteht die Gefahr einer Herauslösung der NS-Vernichtungspraxis aus ihrem Entstehungskontext durch die vorherrschende Tendenz, die Verbrechen des NS aus der Geschichte der westlichen Welt zu verbannen. Diese Tendenz dient nicht nur der Verklärung der Geschichte, sondern zugleich der Rechtfertigung der vorherrschenden Ordnung als angeblich »antitotalitärem Garant« für Demokratie und Zivilisation. Der Politikwissenschaftler Enzo Traverso fordert deshalb, »die Aufmerksamkeit auf eine tiefe Verankerung des Nationalsozialismus, seiner Gewalt und seiner Massenmorde, in der Geschichte des Okzidents, im Europa das industriellen Kapitalismus, des Kolonialismus, des Imperialismus, des Aufschwungs der modernen Wissenschaften und der Technik, im Europa der Eugenik, des Sozialdarwinismus, kurzum, im Europa des ›langen‹ 19. Jahrhunderts, das auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs zu Ende ging«, zu lenken. Wenn der kategorische Imperativ Adornos, alles zu tun um eine Wiederholung des Grauens von Auschwitz zu verhindern, Gültigkeit haben soll, so ist der strukturelle Entstehungskontext von Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus und Faschismus in Augenschein zu nehmen.
Der Autor ist Referent des Antirassistischen Bildungsforums Rheinland.
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