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Der Flickenteppich franst aus

Einleitung

Die »Autonomen Nationalisten« sind in den letzten Jahren die am stärksten wachsende Strömung im bundesdeutschen Rechtsextremismus. Inzwischen häufen sich jedoch die Anzeichen, dass die Szene zerfasert – schuld daran sind die Auswirkungen der eigenen inhaltlichen Diffusität.

Der »Autonome Nationalist« sieht sich als antibürgerlicher, revolutionärer Fighter für den Nationalsozialismus.

Vor mittlerweile gut fünf Jahren betraten die »Autonomen Nationalisten« (AN) die Bühne des bundesdeutschen Neonazismus. Sie sind optisch eine originalgetreue Kopie von großen Teilen der heutigen autonomen Antifagruppen.1 Inhaltlich stehen die AN einerseits für einen offensiven Nationalsozialismus, transportiert über die ästhetisierte Militanz und Männlichkeit2 im »national socialist black block«. Kulturell und stilistisch ist der Neonazismus somit vollends in der Postmoderne angekommen. Doch andererseits brachte die Offenheit zum Pop ein inhaltliches »anything goes« in die Bewegung. Die AN mit ihrer Parolenassemblage und den von ihnen eingebrachten neuen Freiheiten in der Lebensführung sorgen zwar für personellen Zulauf, stellen aber Grundsätze des Nazismus in Frage.

Ein Blick zurück

Im Januar 2004 demonstrierten in Berlin einige hundert Neonazis gegen die gerade erfolgte Verurteilung der Band »Landser« als »kriminelle Vereinigung«. Mit dabei war ein – sehr überschaubarer – Block von jungen Neonazis rund um die »Kameradschaft Tor«. »Organisiert den Schwarzen Block« und »Fight the system – fuck the law« war auf ihren Transparenten zu lesen. Bereits ein paar Wochen zuvor hatte bei einer anderen Neonazi-Demo ein mit roten Fahnen ausstaffierter Block für Aufsehen gesorgt und bereits seit 2002 experimentierten Neonazis zaghaft im Internet mit dem Label »Autonome Nationalisten« oder trugen vereinzelt Palästinensertücher auf ihren Aufmärschen.

Doch erst die Berliner »Landser«-Demo vor fünf Jahren war die eigentliche Geburtsstunde der »Autonomen Nationalisten«. Von da an ging es schnell weiter: der erste »Black Block« bei einer Neonazidemo (am 1. Mai 2004 in Berlin), heftige Negativreaktionen aus dem Rest der Neonaziszene3 , die Ausweitung des AN-Phänomens in das Ruhrgebiet4 und dann in die gesamte Bundesrepublik. Es folgten das Verbot der »Kameradschaft Tor« 2005, Berichterstattung über die AN bis in die Tagesschau, die hilflosen Abgrenzungsversuche der NPD 20075 und die jüngeren Demo-Highlights der Bewegung wie beim 1. Mai 2008 in Hamburg, den »Antikriegstagen« in Dortmund oder dem Aufmarsch am 6. Dezember 2008 in Berlin mit jeweils etlichen hundert betont gewaltbereit und unkontrollierbar auftretenden »Autonomen Nationalisten«.

Verortung

»Autonome Nationalisten« sind eine Subströmung der etablierteren und länger existenten »Freien Nationalisten«. Nach der Verbotswelle gegen neonazistische Organisationen von 1992 bis 1995 war der bundesdeutsche Neonazismus gezwungen, sich neu zu organisieren. Ziel der neonazistischen Bewegungsarbeiter wie Christian Worch und Thomas Wulff war es, eine Organisationsform zu finden, die auch informell funktioniert und so weitestgehend immun gegen staatliche Verbote sei. Rückblickend nannte Worch ausdrücklich die autonome Linke als Vorbild – »von den Linken zu lernen erschien höchst sinnvoll«6 .

Ab etwa 1996 wird das Konzept »Freie Nationalisten« propagiert7 . Seitdem ist in der Bundesrepublik ein nahezu flächendeckendes Netz lokal oder regional aktiver neonazistischer groupuscules (Kleinstgruppen) entstanden, die miteinander informell verbunden und koordiniert sind. Ihr Verhältnis zur NPD ist zwiespältig. Knackpunkt ist die Frage, ob mit einer Partei, die zuweilen zu einer taktischen Zivilisierung8 bereit ist, effiziente und offene nationalsozialistische Politik zu betreiben sei. Teile der »Freien Nationalisten« arbeiten nur punktuell mit der NPD zusammen, andernorts sind »freie« und »parteigebundene Nationalisten« kaum auseinanderzuhalten.

Vom Völkischen und Skinhead ...

Die »Freien Nationalisten« sind seit Mitte der 1990er Jahre zum Hauptbezugspunkt für beide der seit mindestens 25 Jahren existenten kulturellen Idealtypen von Neonazis geworden. Auf der einen Seite steht der sich als elitär, asketisch und soldatisch empfindende Völkische, den die Sorge um Deutschland umtreibt und dem Volksmusik und Sonnenwendfeier als Volkstumspflege gelten. Entsprechend werden von ihm alle Aspekte der Moderne als wurzellos, volkszerstörend, internationalistisch und dekadent abgelehnt. Auf der anderen Seite steht der Typus des Neonazi-Skinheads, der sich als Straßenkämpfer fühlt, welcher dem gesunden Menschenverstand des kleinen Mannes zur Durchsetzung verhilft.

Der Nazi-Skinhead inszeniert sich selbst als Prolet mit kleinbürgerlichen, reaktionären Werten. Seinen politischen Standpunkt begründet er mit der Notwendigkeit, dem gefährdeten Deutschland beizustehen, um die eigentlich angestrebte Privatidylle bewahren zu können. So wie einst die SA, brauche es heute eine Gruppe von Männern, die für Ordnung sorgen: »Wir sind Deutschlands rechte Polizei, wir machen die Straßen wirklich frei«9 . Was dem Völkischen seine NS-Nostalgia, ist dem subkulturell orientierten Nazi-Skinhead seine Kollektion von RAC-Songs (Rock Against Communism). Dass seine Musik auf Rock & Roll und Blues zurückgeht und somit nichtdeutsche und nichtweiße Wurzeln hat, empfindet er nicht als Widerspruch.10

... zum Autonomen Nationalisten

Mit dem »Autonomen Nationalisten« sind diese beiden Prototypen des zeitgenössischen Neonazismus um eine dritte Variante bereichert worden. Er11 definiert sich in Abgrenzung zur bisherigen Neonaziszene, deren Konventionen er ablehnt. Anstelle »der 30. langweiligen Hinterzimmersitzung«12 sucht der »Autonome Nationalist« Demoaction und fühlt sich bereit für »Blockaden, Besetzungen, Verweigerungen«13 . Der Gestus des »Autonomen Nationalisten« ist antibürgerlich, er fühlt sich als revolutionärer Fighter. Seine Parolen verschleiern nicht das Bekenntnis zum Nationalsozialismus, schöpfen sich aber aus Verdrehungen des Vokabulars der radikalen Linken.

Sein Stil ist leger: Basecap, Kapuzenpullover, Buttons, Carhartt-Hosen, Piercings. Er ist offen für alternative Kultur und das, was er dafür hält. Das ist ein Bekenntnis zum Zeitgeist. Schon vor fünf Jahren hielt die Neonazi-Zeitschrift »Fahnenträger« fest: »Immerhin leben wir im Jahr 2004. Der bestehenden ›Moderne‹ können wir derzeit nur selten widerstehen, da wir Teil des Ganzen sind und auch ein ›Nationaler Widerstand‹ durchweg liberalisiert ist«14 .

Aus den Stilen, die urbane Neonazis wie die der »Kameradschaft Tor« in ihrer Umgebung vorfanden, mixten sie sich einen eigenen, neuen Stil zusammen. Das Konzept der »Freien Nationalisten« hat die Szenerie verbotssicher und sie durch ihren informelleren Charakter auch durchlässiger für Interessierte gemacht. Gleichzeitig bedingt dieses Organisationsmodell, dass das dem Nazismus eigene Führerprinzip (das Dirigieren von oben nach unten) schwerer durchsetzbar geworden ist. Die größere Durchlässigkeit hat den Einstieg in die Bewegung erleichtert. Wegen fehlender Regulierungsmöglichkeiten ist die Bewegung damit auch weniger resistent gegen Einflüsse von Außen geworden. Die Popkultur ist in vielen ihrer Facetten in die Neonaziszene eingeflossen – nicht mehr nur die Skinhead-Subkultur, sondern auch Mainstream-Musik, Hiphop, Metal, Hardcore und Punk sind zugelassen.

Diese kulturelle Dynamik hat den Neonazis Zulauf beschert, sie ist aber auch außer Kontrolle geraten. Im Internetzeitalter betreiben Internet-Kids ihre Neonazipolitik so, wie sie sich auch im Netz bewegen: Mal hier, mal dort, unverbindlich, selbstbewusst, unbekümmert von Fragen nach Theorie und langfristiger Strategie. Es ist kein Zufall, dass aus den Reihen der »Autonomen Nationalisten« neue Medien so intensiv genutzt werden. Ihre zeitgemäß aufgemachten Internet-Videoclips, wie zeitweise etwa von dem Portal Media Pro Patria produziert, waren für die Szene ein durchschlagender Erfolg. »Autonome Nationalisten« gibt es inzwischen auch in zahlreichen ländlichen Milieus, prinzipiell ist das Konzept in seinem Patchwork verschiedener Identitäten urban und hedonistisch. Die neue Beliebigkeit wird nur durch den einen gemeinsamen Nenner überbrückt – die positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus. Dessen »Grundsätze« bejahen die AN radikal, sie weigern sich aber ebenso radikal, persönliche Einschränkungen hinzunehmen, um damit in Einklang zu kommen.

»Der Block«: Stil und Inhalt sind identisch

Die Vergemeinschaftung der »Autonomen Nationalisten« findet bei den Demonstrationen auf der Straße statt. Das selbstmystifizierende Eigenbild ist das eines Mobs, der, wenn nötig, durch seine Militanz Polizeischikanen gewaltsam durchbrechen kann. Vor und nach den Demonstrationen wird in den Seitenstraßen die körperliche Konfrontation mit dem politischen Gegner gesucht15 . Demütigungen der Vergangenheit würden durch die offensiv vorgetragene Gewaltandrohung dem »Nationalen Widerstand« erspart bleiben. Das Argument, man wolle nur die anderen Teilnehmenden schützen, ist allerdings bloßes Vehikel, um die eigene Gewalt zu legitimieren.

Die »Autonomen Nationalisten« sind nämlich in ihrer postmodernen kulturellen Offenheit tendenziell unwillig, sich Autorität zu beugen, der Stechschritt ist ihre Sache nicht. Sind Nazi-Skinheads eher an der proletarischen, aber irgendwie doch disziplinierbaren SA orientiert, entspricht das Lebensgefühl der »Autonomen Nationalisten« eher dem von urbanen Guerilleros, die jederzeit unerkannt und unkontrolliert ausschwärmen können. Nur auf Demos ist ihr Outfit als Uniform zu entziffern. Wenn »Autonome Nationalisten« sonst ihren Tatendrang ausleben, geschieht dies häufig im Schutz der Dunkelheit: Parolen sprühen, im Nachbarort die Scheiben eines alternativen Jugendzentrums einwerfen oder in der Nacht vor Schuljahresbeginn massenhaft Papierschnipsel mit der eigenen Internetadresse auf Schulhöfen abladen.

Daneben sind die »Autonomen Nationalisten« als Kultur von jungen Männern zu verstehen, die in einigen Aspekten Straßengangs nicht unähnlich sind. Ihre Konzentration auf rivalisierende Gruppen, ihr Dominanzgehabe und ihr Bemühen, das eigene Revier durch Aufkleber zu markieren, weisen darauf hin. Ihre – durchaus verzerrte – Vorstellung, wie der linke »Schwarze Block« funktioniert, drängt sich geradezu als Vorbild für die eigene Erscheinung auf: Auch hier sind »Systemfeinde« am Werk, es geht gegen die Polizei, es gibt Adrenalin und Action. Dass bei linken Autonomen auch basisdemokratische Entscheidungsfindung oder der Anspruch, Geschlechterrollen in Frage zu stellen, eine nicht unwesentliche Rolle spielen, wird schlicht nicht wahrgenommen.

Wenn sich »Autonome Nationalisten« über die autonome Linke äußern, kommt zwar der alte Ekel über deren »Dekadenz« und »Feigheit« zur Sprache. Gleichzeitig wird ein unrealistisches, bewunderndes Bild von deren Durchsetzungsfähigkeit gezeichnet. Jedes Mal, wenn man selbst auf die Straße geht, und der imaginierte tausendköpfige, steinewerfende, sturmhaubenvermummte, in engen Ketten zusammenhaltende linke Block nicht sichtbar ist, kann man sich als Sieger des Tages fühlen.

»Der Block« ist das Versprechen von eigener Stärke und Entschlossenheit. Er ist nicht nur Form und Stil der »Autonomen Nationalisten«, er ist auch ihr einziger Inhalt. Die größte Leidenschaft entfalten die »Autonomen Nationalisten«, wenn sie in Internet-Diskussionsforen über sich selbst debattieren. Wenn sie Demonstrationen organisieren, sind Details wie die Aufstellung der Blöcke sorgfältig durchinszeniert, die Transparente sind liebevoll gestaltet und gemalt. Das Halten von Redebeiträgen, also die inhaltliche Ausgestaltung, wird jedoch zumeist den Kadern aus anderen Teilen der Bewegung überlassen. Bei der AN-Demo für ein »nationales Jugendzentrum« Anfang Dezember 2008 in Berlin sprachen unter anderem der JN-Bundeschef, der Berliner NPD-Chef und ein Berliner NPD-Bezirksverordneter – der kleine Beitrag der »autonomen« Demoorganisationsgruppe war eine Kurzansprache des Anmelders.

Bis heute gibt es nicht ein einziges ernst zu nehmendes Strategiepapier der »Autonomen Nationalisten«. Exemplarisch ist eine Schrift des »Aktionsbündnis Mittelhessen«, schon im Jahr 2004 erschienen. Dort wird eingeräumt, dass der neonazistische »schwarze Block« seinem linksradikalen Vorgänger nachempfunden sei. Der Block sei eine bloße Methode, um eigene Demonstrationen besser durchsetzen zu können. Auf den dünn beschriebenen acht Seiten taucht das Schlagwort »Entschlossenheit« gleich 26 Mal auf. Gleichzeitig wird etwas verdruckst um die eigene Gewaltbereitschaft herumgeredet: »Wir distanzieren uns ausdrücklich von der Gewalt und lehnen die einheitliche Kleidung und Vermummung kategorisch ab!«.16 Dass der Block darüberhinaus nicht nur Methode ist, sondern auch Stilmittel und Lifestyle sein würde, erwähnt die Broschüre nicht mit einer Silbe.

Die gern angeführte Wendung, »der Block« ziehe Jugendliche an und sei darum ein strategisches Mittel zum Vorteil der Bewegung ist erst hinterher nachgeliefert worden und scheint darum als vorgeschoben. Andere Neonazis wollen »dem Volk« gefallen und lehnen Krawalle aus diesm Grund eher ab. Im Koordinatensystem der »Autonomen Nationalisten« gibt es vor allem die eigene Bewegung und die Kontrahenten auf Seiten der Polizei und der Linken; andere politische Strömungen tauchen kaum auf und »das Volk« ist allenfalls Teil der Kulisse für die Selbstinszenierung, aber nicht mehr hauptsächliches Objekt der Politik: »Zustimmung und Akzeptanz beim Bürger erreichen? Bei welchem Bürger denn? Beim verblödeten BRD-umerzogenen Mittvierziger? Nein, die Jungen sind unsere Zukunft!«.12

Lifestyle-Basteleien

Keineswegs politische Nähe, sondern die Faszination für die Militanz der Linken ist es dann auch, die dafür sorgt, dass nicht nur ein »Schwarzer Block« gebildet wird, sondern darin auch in Form von Parolen, Phrasen und Outfit – immer vermengt mit popkulturellen Einschlägen und gern sprachlich mit Angliszismen kommuniziert – bei den politischen Kontrahenten Anleihen genommen werden. Von den Demonstrationen aus hat sich diese Offenheit in den Alltag hinein verlängert. Es wird wie selbstverständlich Hardcore gehört, man geht Graffitis sprühen und man kassiert ALG II anstatt auf Maloche zu gehen.

Nicht wenige AN leben in Wohngemeinschaften zusammen. Fast alles darf probiert werden, die AN sind experimentierfreudig. Diese Veralltäglichung belegt auch, dass es den »Autonomen Nationalisten« nicht nur um Provokation geht, denn ihre kulturelle Offenheit ist durchaus authentisch. Ein Aussteiger dazu: »Die AN waren wie eine Befreiung für mich. Vorher gab es in der Naziszene Vorgaben, was Musik, Kleidung, Essen betraf. Danach musstest du dich richten. Und diesen Zwang fanden viele Leute in der Szene scheiße. [Als AN] konnte man freier sein. Du konntest hören was du willst, du konntest Döner essen gehen, du konntest alternative Klamotten tragen. Die Leute machten das ja auch gern. Die haben das nicht nur gemacht, damit sie jemanden ansprechen konnten, sondern weil ihnen das auch selbst gefallen hat.«

Aus den Angeboten, die sie in ihrem Lebensumfeld vorfanden, haben die »Autonomen Nationalisten« diejenigen herausgegriffen, die ihnen attraktiv schienen und sich daraus einen eigenen Stil kreiert. Die Bastelei ist keine politische Strategie, sondern am ehesten mit jugendkulturellen Dynamiken zu erklären.17 Sehr passend ist etwa das Konzept der Bricolage, wie es der Ethnologe Claude Lévi-Strauss beschrieb: Fragmente schon existenter Zeichensysteme werden herausgegriffen und reorganisiert.18

Was als Kulturtechnik funktioniert, ist politisch kaum zu begründen. Beispiel Graffiti: Traditionellen Neonazis ist das illegale »Verschandeln« von Wänden verhasst, zumal es sich um eine aus den USA stammende Kultur handelt. Für »Autonome Nationalisten« ist Graffiti hingegen als Ausdruck eines urbanen, modernen und hippen Lebensstils attraktiv und wird darum auch betrieben. Auf einer neonazistischen Graffiti-Webseite schreiben »Autonome Nationalisten«: »Wir nannten das Ganze ›strassenkunst.info‹, weil wir uns nicht anmaßen wollen, solche Art von Kunst mit wirklich deutscher Kunst zu vergleichen oder gleichzustellen.«19 So einfach geht das: Man macht was man will und um sich gegen Kritik abzusichern, gibt man präventiv und ohne Scham zu, eine Kultur zu leben, die dem eigenen Nationalsozialismus eigentlich entgegensteht. Ihre Rechtfertigung ist kein Argument, sondern eine Feststellung: »Nationale Sozialisten können sich kleiden wie sie möchten und sind in der Gesellschaft verankert wie jeder andere Jugendliche [sic] auch.«20

Genauso funktionierte die Übernahme linker Ikonen und Bilder: Che Guevara als popkulturelles Symbol für eine rebellische Attitüde wurde übernommen und erst hinterher mit abstrusen Thesen zu einem rechten Nationalrevolutionär umgedeutet: »Nicht nur Che wäre heute bei uns«. Das Logo der »Antifaschistischen Aktion« wurde ebenfalls übernommen und steht bei den »Autonomen Nationalisten« für wenig mehr als Kampfbereitschaft und Militanz. Irgendwie lässt sich auch das zurechtdeuten: Das faschistische Italien habe schließlich Nazi-Deutschland verraten – darum sei Antifaschismus ein Zeichen von unverbrüchlicher Treue zum Nationalsozialismus.

Szeneaussteiger berichten, dass sie als »Autonome Nationalisten« gerne zur antideutschen Elektroband Egotronic getanzt hätten. Deren Songtitel »Raven gegen Deutschland« habe man einfach als Stellungnahme gegen den verhassten Staat BRD etikettiert. Bezeichnend ist auch die Verunsicherung in der Szene über die Kleininitiative »Nationale Sozialisten für Israel«. Die »Nasofi«, die ein Bild von Juden als starkes, wehrhaftes und darum vorbildhaftes Volk zeichneten, waren zwar lediglich eine innerszenische Provokation einer querfrontlerischen Splittergruppe, also nicht ernst gemeint. Doch dies war zunächst im Rest der Szene nicht bekannt und so war man sich selbst unschlüssig, ob es wohl »Nazis gegen Antisemitismus« geben könne – Teilen der eigenen Kameraden wurde das offenbar prinzipiell zugetraut.

Selbstzweifel machen sich breit

Die völlige Freizügigkeit, mit der sich querbeet bedient wird, ist inzwischen selbst einigen »Autonomen Nationalisten« unheimlich geworden, auch wenn sie die Kritik aus anderen Teilen der Szene bislang pfleglich ignorierten.21 Die Geister, die gerufen wurden, sind nur schwer im Zaum zu halten. In den letzten Monaten häufen sich Stellungnahmen, die »Fehlentwicklungen« beklagen und die selbst propagierte Beliebigkeit in den eigenen Reihen kritisieren. Bereits 2007 hieß es in einem internen Rundschreiben, dass die »Aktionsform Schwarzer Block« »nicht mehr handlungsfähig sei«, da sie zu einem »nutzlosen Lifestyle« verkommen sei. Dies sei beispielsweise deutlich geworden, weil häufig »junge, unerfahrene oder weibliche Aktivisten an Front- und Seitentransparenten« stünden. Der »Block« soll in dieser Lesart reine Methode sein, jegliche kulturelle Komponente wird verneint.

Und doch lobt das Papier sodann wieder die kulturelle Ausstrahlungskraft des »Blocks«: »Primäres Ziel ist es [...] den Protest für nationalen Sozialismus und gegen dieses System auf die Straße zu tragen und die deutsche Jugend zu erreichen, die sich heutzutage einfach nicht mehr nur durch politische Inhalte überzeugen lässt, sehr wohl aber in Verbindung mit unserem Erscheinungsbild, Ausstrahlung von Stärke, Geschlossenheit, Gruppengefühl und kreative Gestaltung von Transparenten davon begeistern lässt«.22 In der Mobilisierung zur schon erwähnten Jugendzentrumsdemo im Dezember 2008 in Berlin fand sich die Organisationsgruppe vorab genötigt, den eigenen Kameradinnen und Kameraden folgende Auflage zu machen: »Das Unterlassen von jeglicher Symbolik, die mit dem antifaschistischen Widerstand in Verbindung gebracht werden [sic] (Antifafahnen, selbstverständlicherweise Israelfahnen – traurig, das erwähnen zu müssen –, Hammer und Sichel, rote Sterne)«.23

Bei der Demo selbst wurde ein Flugblatt verteilt, das sich »für den einzig wahren nationalen Sozialismus gegen Verfälschungen und kontraproduktive Erneuerungen« aussprach: »Die Akzeptanz äußerer Erscheinungsbilder ist [..] eine Sache, hingegen schlägt es in unfruchtbaren und zerstörerischen Liberalismus um, auch die politischen Grundsätze und Leitsätze unter diesen Veränderungen leiden zu lassen. [...] Wir lehnen jede Form von antiautoritärem Geschwafel ab und teilen nicht das gestörte Weltbild einer antifaschistischen Subkultur.« In die gleiche Kerbe schlägt eine zum Jahreswechsel im Internet weit verbreitete Erklärung. »Leider scheint es fast so, als wäre es ›cool‹ oder ›in‹, sich gegen Faschismus auszusprechen«, wird analysiert und beschworen, dass es nicht anginge, »Zeichen unserer Feinde« zu zeigen, wenn diese doch »jede Woche gegen uns demonstrieren, unsere Arbeitsplätze vernichten und feige Angriffe gegen unsere Familien oder Wohnhäuser verüben«.24

Die Ikone Che Guevara ist bereits seit etwa drei Jahren fast völlig von Neonazidemonstrationen verschwunden. Dabei scheint es sich noch um einen schlichten Wechsel in der Mode gehandelt zu haben. Nun versuchen manche »Autonome Nationalisten« jedoch aktiv und öffentlich, ihr Erscheinungsbild wieder einzuhegen – das Exempel, an dem dies vollzogen wird, ist der positive Bezug auf die Antifa. Manche »Autonomen Nationalisten« beginnen in Ansätzen zu verstehen, dass im politischen Feld Symbole und Parolen eben nicht völlig frei verfügbar sind. Wer umdeutet, übernimmt zwangsläufig gewisse Rückstände der ursprünglichen Bedeutung. Fraglich ist, wieweit die Einhegung gelingen kann. Im Konzept der »Autonomen Nationalisten« ist das Schielen nach Links systematisch eingeschrieben. Der Begriff der »Autonomie« ist in die Bewegung geholt und bei allen Verbiegungen ist sein antiautoritärer Kern nicht wegzureden. »Es gibt genug freie Organisationen, die vom Denken her [..] konservativ und hierarchisch aufgebaut sind und sich trotzdem ›frei‹ nennen«, wurde bereits 2004 gegen jegliche formelle wie inhaltiche Beschränkung gewettert12 – und niemand, der sich »autonom« nennt, kann gegen so etwas glaubhaft Kontra geben.

Wohin es geht

So schnell wird trotz der skizzierten Widersprüche die weiter wachsende und sich inzwischen sogar internationalisierende25 Strömung der »Autonomen Nationalisten« kaum wieder verschwinden. Sie verändert allerdings den Charakter des Neonazismus. Die ersten »Autonomen Nationalisten« entstammten dem traditionellen Neonazismus der »Freien Nationalisten« und kannten dessen Regeln und Stil aus eigener Erfahrung. Nun, fünf Jahre und somit eine Generation politischen Aktivismus später, haben viele ihre politische Sozialisation komplett in Kreisen der »Autonomen Nationalisten« erlebt. In welche Richtung sich diese jungen Neonazis entwickeln werden, ist noch nicht abzusehen. Immerhin gibt es schon erste Aussteiger, die aus der AN-Szene ohne Umwege in die autonome Linke wechseln wollen. Ihr Tenor: Sie hätten bei den »Autonomen Nationalisten« die Attraktivität »linksradikaler« Politik kennengelernt und noch in der Szene dem Umstieg im Wege stehende »Kleinigkeiten« wie Antisemitismus und Rassismus abschütteln können.

Es existieren zudem Anzeichen, dass sich die durchschnittliche Verweildauer in der Szene verkürzt. Dem relativ großen Zustrom von Jugendlichen steht ein verfrühter Abstrom der Älteren gegenüber. Konzepte für ein Älterwerden in der Szene existieren nicht und wo man dank kultureller und inhaltlicher Diffusität unproblematisch mitmachen kann, kann man sich auch einfacher als vorher wieder zurückziehen.

Die AN-Szene zerfasert derzeit nicht nur wegen ihrer fehlenden inhaltlichen Konsistenz, sondern weil sie an die Grenzen ihrer stilistischen Integrationsfähigkeit als rechte Jugendkultur kommt. Die Formenteignung linker Codes und die dadurch veränderte Selbstinszenierung verändert auch den Habitus der Neonazis. An die Stelle von Gehorsam tritt die als Kreativität mißverstandene reaktionäre Vergemeinschaftung auf Demonstrationen.
 

  • 1Viele Aspekte hiervon wurden schon zuvor im Antifaschistsichen Infoblatt beschrieben. Vgl.: Das Label: »Autonome Nationalisten«, AIB 69, Herbst 2005, S. 6-9 und »Zwischen ›Latschdemos‹ und ›Schwarzem Block‹«, AIB 72
  • 2Vgl. »Nur ›radical chic‹? Die ›Autonomen Nationalisten‹ und die Ästhetisierung von Gewalt«, AIB 80.
  • 3Die im Vorfeld des 1. Mai 2004 begonnene Szenediskussion dauert noch immer an. Tradi- tionell orientierte »Freie Kameradschaften« hatten zwischenzeitlich sogar eine regelrechte Kampagne mitsamt Erklärungen, T-Shirts und eigenem Logo unter dem Slogan »Unsere Fahnen sind schwarz – unsere Blöcke nicht« organisiert.
  • 4Maßgeblich gepusht durch die damals populäre Webseite freierwiderstand. net aus Dortmund.
  • 5Vgl. »Nicht sanktionsfähig. Die Ausgrenzung des ›Black Block‹ scheitert«, AIB 78
  • 6Worch, Christian: Über freien und autonomen Nationalismus, veröffentlicht am 25.1.2005.
  • 7Synonym dazu sind »Freier Widerstand« und – etwas gebräuchlicher – »Freie Kameradschaften«.
  • 8Vgl. Klärner, Andreas: Versuch und Scheitern einer taktischen Zivilisierung der extremen Rechten. Der Konflikt zwischen NPD, »Freien Kameradschaften« und »Autonomen Nationalisten«, In: Fritz Bauer Institut Newsletter 33, Herbst 2008, S. 16-21.
  • 9Textzeile aus »Rechte Polizei« der Band Störkraft von 1994.
  • 10Die beiden männlichen Figuren Völkischer und Neonazi-Skinhead haben jeweils auch ein weibliches Pendant – die treusorgende Nationalistin, die im Kampf für Deutschland sogar ihre Mutterpflichten zurückstellt und das Neonazi-Renee. Um den ideologischen Fokus auf Männlichkeit im Rechtsextremismus abbilden zu können, scheint es jedoch angemessen, als Idealtypen die männlichen Varianten anzugeben.
  • 11Auch der Idealtypus eines »Autonomen Nationalisten« ist männlich. Dennoch ist festzuhalten, dass mit der kulturellen Öffnung der Neonaziszene auch der Zugang für Frauen und Mädchen leichter wurde. So gibt es mittlerweile einen etwas höheren Anteil von Frauen auf Demonstrationen als zuvor.
  • 12 a b c User A-N-R im Forum vom »Freien Widerstand« am 4.3.2004, nicht mehr online, Groß- und Kleinschreibung korrigiert.
  • 13Aufruf der »Autonomen Nationalisten« »Für einen nationalrevolutionären Block am 1. Mai«, Januar 2004.
  • 14Laß, Werner: Nationale Zentren erkämpfen! Einige Gedanken zum »Neuen« Aktivismus. In: Fahnenträger 3/2004, S. 20.
  • 15Dies ähnelt durchaus dem Auftreten von Hooligans und manchen Ultra-Gruppen rund um Fußballspiele. Passenderweise hat sich in den letzten Jahren auch deren Kleidungstil gewandelt und entspricht vielfach nunmehr exakt dem der »Autonomen Nationalisten« (beziehungsweise dem autonomer Antifas) und in einigen Städten gibt es personelle Überschneidungen zwischen Hooligans und Ultras auf der einen und der AN-Szene auf der anderen Seite.
  • 16Aktionsbündnis Mittelhessen: Der Schwarze Block. Eine notwendige Klarstellung, Mai 2004.
  • 17Darum sind geschichtliche Vergleiche mit Vorsicht zu genießen. Die »Entwendungen aus der Kommune« (Bloch) der historischen Nazis waren durchaus strategisch durchdacht.
  • 18Vgl. Lévi-Strauss, Claude: Das wilde Denken, Frankfurt/M., 1968, S. 29ff.
  • 19Strassenkunst.info: Warum diese Seite. Interpunktion korrigiert.
  • 20Ebenda.
  • 21Ein jüngeres Beispiel für diese Kritiken: Nagel, Johannes: Die schwarze Herausforderung, Hier&Jetzt 12, Winter 2008.
  • 22Kommentar unter Autorenkollektiv MP5: NPD vs. »schwarzer Block«, Altermedia, 10.2.2009.
  • 23Auflagen für die »Jugend braucht Perspektiven«-Demonstration am 6.12.2008. Interpunktion und Rechtschreibung korrigiert.
  • 24Gedanken zum Jahreswechsel, beispielsweise auf http://mittelsachsen. org/?p=692, 3.2.2009. Teile des Textes wurden bereits im April 2008 veröffentlicht. Vgl. Brahms, Rainer: Mehr als eine Randerscheinung, in: Lotta 31, Sommer 2008, S. 8-11, hier: 10.
  • 25Sich als »Autonome Nationalisten« bezeichnende Neonazis gibt es inzwischen beispielsweise auch in den Niederlanden, in Tschechien und in Russland.