Skip to main content

Der Kampf gegen die VVN-BdA

Thomas Willms
Einleitung

Im November 2019 wurde dem Bundesverband der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN-BdA) die Gemeinnützigkeit entzogen. Am 4. Dezember folgte die Aufforderung einer Steuernachzahlung in fünfstelliger Höhe an das Berliner Fi­n­anzamt. Für einen Verein mit 5.600 Mitgliedern, der nur von deren Beiträgen und Unterstützer*innen lebt, eine zu hohe Summe. Am selben Tag erhielt der saarländische Ehrenvorsitzende des Verbandes Horst Bernard von Bundespräsident Steinmeier in Berlin das Bundesverdienstkreuz für seine aufopferungsvolle Arbeit in der Vermittlung des Wissens um die Verbrechen des NS-Regimes.

Foto: AStA TU Berlin

Personelle Inkarnation dieses Widerspruchs ist der Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Mit der von ihm zu verantwortenden Änderung des Durchführungserlasses zur Abgabenordnung (AO) im Januar 2019 brachte er den Stein ins Rollen, der zum Entzug der Gemeinnützigkeit des Bundesverbandes der VVN-BdA führte. In Paragraph 51, Absatz 3 der AO findet sich folgender zweiter Satz, den das Berliner Finanzamt als treu zu erfüllende Anweisung vor sich herträgt: „Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satzes 11 nicht erfüllt sind.“ Dies trifft im Falle der VVN-BdA in genau einem Fall zu. Nur in Bayern wird der Verband noch öffentlich als „linksextremistisch beeinflusst“ desavouiert. Ein Versuch des bayerischen Landesverbandes dies gerichtlich zu unterbinden, scheiterte. Dazu kommt, dass im Anhang des VS-Berichtes der Verband in einer Liste „extremistischer“ Organisationen aufgeführt wird und dies nach Ansicht des Finanzamtes ausreicht, um die Gemeinnützigkeit nicht zu gewähren. Praktisch für den bayerischen Verfassungsschutz ist, dass er seine Behauptung nicht beweisen muss. Er darf aufgrund seiner eigenen Erkenntnisse „werten“, wobei die angeblich zugrundeliegenden Erkenntnisse wiederum Verschlusssache sind. Auf diese Art und Weise bestimmt nunmehr eine bayerische Geheimbehörde, wer in Berlin gemeinnützig sein darf.

Noch vor der Bundesvereinigung hatte es im Sommer den Landesverband Nordrhein-Westfalen (NRW) und vier seiner ebenfalls rechtlich selbständigen Kreisvereinigungen getroffen. Die Durchführungsverordnung war durch die Oberfinanzdirektionen offenbar an die 300 deutschen Finanzämter verteilt worden, was überwiegend keine, in einigen Fällen aber drastische Folgen hatte. Das Finanzamt Oberhausen hatte nach erfolgtem Einspruch ein Einsehen, sodass das Problem bereits überwunden schien. Am 6. Januar 2020 folgerte das Erfurter Finanzamt, dass der thüringische Landesverband fortan keine Mitgliedsbeiträge mehr an den Bundesverband überweisen dürfe, da dieser nicht mehr gemeinnützig sei. Sonst würde der Thüringer Verband seine eigene Gemeinnützigkeit gefährden, die man ihm rückwirkend wieder zuerkannte und damit die Scheinlogik des Berliner Finanzamtes genauso wie in NRW konterkarierte. Am 16. Januar 2020 legte das Finanzamt Saarbrücken nach. Es interessierte dabei nicht, dass die Bundesvereinigung gegen ihren Bescheid umfassend Einspruch eingelegt hatte, mithin noch völlig unklar ist, ob es für das Erfurter und Saarbrücker Vorgehen überhaupt eine Grundlage gibt, unabhängig davon, ob es denn rechtmäßig ist.

Die steuerrechtlich selbständigen Landesvereinigungen – ob mit oder ohne Finanzamtsschreiben – sind damit ebenfalls gefährdet. Die Prüfung der Gemeinnützigkeit erfolgt nämlich grundsätzlich rückwirkend, in der Regel alle drei Jahre. Sollte es der Bundesvereinigung nicht gelingen, sich frei zu kämpfen – die vorläufige Aussetzung der Zahlungen konnte immerhin erreicht werden - würden die gleichen Belastungen auch auf die Landesvereinigungen zukommen. Unmittelbare Folge davon ist, dass der Verband notgedrungen einen nicht unerheblichen Teil seiner Ressourcen zur eigenen Verteidigung einsetzen muss, um Steuernachforderungen, die nachträgliche Heraufsetzung des Steuersatzes für wirtschaftliche Tätigkeit (Online-Shops und Seminartätigkeit) und die Spenderhaftung zu vermeiden. Ein wichtiges Element der Gemeinnützigkeit besteht darin, dass ein Verein steuersenkend wirksame Spendenbescheinigungen ausstellen darf. Wird dies nachträglich annulliert, will der Staat sein Geld „zurückhaben“, was er aber nicht von den Spender*innen, sondern von der ausstellenden Vereinigung einkassiert. Es handelt sich dabei wohlgemerkt um Mittel, die ausschließlich durch Spenden, Mitgliedsbeiträge und die eigene wirtschaftliche Tätigkeit, jedoch nicht durch staatliche oder sonstige Fördergelder eingenommen wurden.

Die Dauerfolgen bestünden darin, dass der Verband fortan de facto wie eine Firma behandelt würde und wesentlich höhere Steuerbelastungen tragen müsste. Scholz will für all dies nun nicht mehr verantwortlich sein. In diversen Schreiben seines Büros an protestierende NS-Verfolgte äußerte er, er habe sich nicht vorstellen können, dass die VVN-BdA hätte betroffen sein können.

Diese massiven Behördenangriffe reihen sich seit der Gründung des Verbandes im Jahr 1947 in eine lange Liste von Drangsalierungen, Beschlagnahmungen, Berufsverboten und Verbotsversuchen ein. Es liegt in der DNA der von SS- und Gestapomännern gegründeten Verfassungsschutzbehörden, im Antifaschismus den Feind zu sehen. Die Einstufung der VVN-BdA als „extremistisch“ legitimiert damit deren Existenz. Nach und nach wurde jedoch in den Bundesländern die Erwähnung der VVN-BdA in den VS-Berichten gestrichen. Öffentlich argumentierte man mit dem Bedeutungsverlust des Verbandes, von ihm „gingen keine Initiativen mehr aus“. Darin lag zum Teil Wahrheit – Überalterung und teilweiser Verlust der Anschlussfähigkeit an neuere Entwicklungen waren in der Tat erkennbar – zum Teil aber auch behördliche Selbsttäuschung.

Mit der Kampagne „nonpd – NPD-Verbot jetzt!“ meldete sich die VVN-BdA 2007 mit überraschender Handlungsstärke zurück. Ab 2016 folgte das zunehmende Engagement in der Kampagne des Bündnisses „Aufstehen gegen Rassismus“ (AgR), in der sie mittlerweile die Funktion des Trägervereins einnimmt. Man könnte die VVN-BdA damit als das legale Gesicht der Antifa bezeichnen, denn ihre Vertreter*innen sind vereinsrechtlich greifbar und arbeiten auch sonst unter ihren Klarnamen. Die VVN-BdA als organisierte und unabhängige Formation des Antifaschismus ist im Rahmen des allgemeinen Rechtsrucks in den Fokus geraten. Dies betrifft nicht nur den alltäglichen Widerstand bei rechten Aufmärschen, sondern auch das organisierte Wissen darum, wohin Faschismus schon einmal geführt hat. Doch die gegnerischen Akteure haben sich verschätzt. Denn die Solidaritätswelle, unterstützt durch kritische Medienberichte und parlamentarische Initiativen hat gezeigt, dass auch Finanzämter nicht im luftleeren Raum schweben.

Wir leben in Zeiten der gesellschaftlichen Polarisierung. Als Gegenbewegung zur breiten rassistischen und antidemokratischen Grundströmung der AfD steht der Aufbruch einer Art Demokratiebewegung. Während die bisherigen Volksparteien an Vertrauen verlieren und mit allen Mitteln ihre Machtpositionen retten wollen, entstehen gleichzeitig neue Massenbewegungen, z.B. im Bereich des Klimaschutzes, die über schlagkräftige Instrumente verfügen, um ihre Themen in die Öffentlichkeit zu tragen. Sie entwickeln Beteiligungsformate, die ein gewisses Gegengewicht zu denen der extremen Rechten bilden. Es kann kein Zufall sein, dass ausgerechnet diesen Organisationsplattformen wie „attac“, „campact“ und „change.org“ ebenfalls die Gemeinnützigkeit entzogen wurde.

Das Argumentationsmuster ist hier zwar anders, die Folgen aber zum Teil sogar härter. Neben den Angriffen auf diese bekannteren und streitlustigen Verbände werden auch zahlreiche soziokulturelle Zentren und kleine Vereine bedroht, die sich antirassistisch oder antifaschistisch engagieren. Ein Beispiel dafür ist das „DemoZ“2 aus Ludwigsburg, das sogar Förderungen zurückzahlen muss, weil es Neonazis von Veranstaltungen ausschließt und damit nach Ansicht des Finanzamtes nicht mehr „in geistiger Offenheit“ politische Bildung betreibt.

Der Bundesfinanzminister ist dem Bundestag einen Neuentwurf der Abgabenordnung schuldig. Dieser kann die Situation verbessern, aber auch wesentlich verschlechtern. Es ist dringend notwendig, eine breite gesellschaftliche Diskussion darüber zu führen und die beteiligten Parteien und Parlamentarier*innen in die Verantwortung zu nehmen.

  • 1Anm.d.Red.: es dürfen keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen im Sinne des § 4 des BVerfSchG gefördert werden
  • 2Demokratisches Zentrum Verein für politische u. kulturelle Bildung Ludwigsburg e.V.