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Der Sturmvogel

Andrea Röpke
Einleitung

Das Sturmvogel-Treffen im Juni 2014 in der Lüneburger Heide erregte keine Aufmerksamkeit. Ein Ehepaar hatte die Kinder und Jugendlichen und deren BetreuerInnen in ein Dorf im Landkreis Uelzen geladen. Mit Wimpeln und zum Teil in Uniformen zog die Horde von Kindern und Jugendlichen aus dem Dorf. Das Ehepaar zählt zum Kreis von völkischen Aktivisten und Siedlern aus Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, die ihre Kinder zum „Sturmvogel —Deutscher Jugendbund“, schicken.

Foto: Otto Belina

Der "Sturmvogel" bei einem Treffen in Mecklenburg-Vorpommern.

Die Organisation wird vom Verfassungsschutz nicht überwacht. Der brandenburgische Inlandsgeheimdienst „beobachtet“ deren Entwicklung nach eigenem Bekunden allerdings „mit großer Aufmerksamkeit“, um zu prüfen, ob die Grenze zur „verfassungsfeindlichen Bestrebung“  überschritten wird.
Erster Bundesführer des Sturmvogel war der Antiquar Rudi Wittig aus der Nähe von Wismar. Als älterer Herr nahm er 2015 an einer Versammlung der elitär-völkischen  "Idenditären" teil. Die meisten Angehöri­gen des „Sturmvogel“ stammen aus „Sippen“, deren ältere Mitglieder noch die soldatische Erziehung der 1994 verbotenen „Wiking Jugend“ (WJ) mitbekommen haben. Die WJ erzog den Nachwuchs offen militant und im Sinne des Nationalsozialismus, der „Sturmvogel“ wählte einen gemäßigteren Weg, doch die Organisation scheut den Kontakt zu Neonazis nicht. 1987, nach der Abspaltung von der „Wiking-Jugend“ hatte Wittig die Führung des Jugendbundes übernommen.

Die „Sturmvögel“ bezeichneten sich in der Vergangenheit als „volkstreu eingestellte Deutsche“, die die Kameradschaft von Kindern und Jugendlichen im Alter von drei bis 18 Jahren fördern und Eltern bei der Erziehung zur Seite stehen wollten. Wie bei der „Wiking-Jugend“ sind Mädchen- und Jungenarbeit getrennt. Fahrten der Gruppen führen nach „Westpreußen“, „Südtirol“, dem Elsaß oder „Siebenbürgen“. Der Jugendbund war angetreten, um das „große deutsche Kulturerbe“ zu bewahren. Zöglinge lernten z.B. die Runenschrift und gaben den Mona­ten germanische Namen. Gesungen wurden in diesen Kreisen Lieder wie eines von Falko Stegmann mit Zeilen, die lauten: „Es herrscht im Land die kranke Macht, das Wachstum der Geschwüre. So grabet Euch den eigenen Schacht, der Kinder Aug ist Türe. (…) und schmettern die Ketten der Mächte entzwei, der Wille der Tat, der macht uns frei.“ Anders als die neonazistische "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ) sind die „Sturmvögel“ um unauffällige Außenwirkung bemüht. Kinder und Jugendliche sollen sich nebenher beim Roten Kreuz oder in Feuerwehren engagieren, hieß  es  intern.

Das letztjährige Sommerlager des „Deutschen Jugendbundes“ fand in Grabow in  Brandenburg auf dem Gelände einer esoterischen Kommune statt, die der russischen, neuheidnischen Anastasia-Bewegung nahe steht und für Brauchtumsfeiern, Festivals oder Tanzveranstaltungen werben. Kinder rechter Familien aus Koppelow, Lalendorf, Berlin, Bansow, Bautzen, Kassel, dem Ilmkreis, Marburg, der Lüneburger Heide und einigen weiteren Regionen und Orten nehmen an deren geheimen Zusammenkünften wie in Grabow teil. Kleinere Lager und „Heimabende“ finden regional in den Mädel- und Jungengruppen statt, die "Heidelerchen", "Seeschwalben", "Sonnenreiter" oder "Wald"– und "Werwölfe" heißen. Die Organisation ist ebenso wie bei der HDJ  hierarchisch gegliedert. Nicht immer scheint es wirklich kindgerecht zuzugehen. So lieferten Eltern den Nachwuchs erst spät in der Nacht an. Disziplin und Härte scheinen verlangt zu werden. Die Sprache ist mitunter reglementiert, Anglizismen sind unerwünscht, so wird ein Pullover eingedeutscht zum „Überzieher“.

In der Vergangenheit soll es auch schon mal zehn Liegestützen als Strafe für ein „falsches Wort“ gegeben haben. Das Strafmaß hänge demnach vom Ermessen der jeweiligen Lagerleitung ab. ExpertInnen befürchten, das Kinder auch Feindbilder kennenlernen. Die breite Gesellschaft soll in vielen „Sippen“ allgemein als zu modern, tolerant und dekadent verachtet werden. Neben der Einwanderungspolitik fände vor allem auch das Thema Homosexualität in großen Teilen dieser Kreise massive Ablehnung.

Im kleinen Dörfchen Grabow war das Lager gut sichtbar, doch kaum jemand schien sich — wie im niedersächsischen Dorf — daran zu stören. Ein Mann mit einem Demminer Fahrzeug brachte seinen Sohn vorbei. Bernhard Schaub ist bekannt als Revisionist und Holocaust-Leugner. Der Schweizer hat es nicht weit bis ins brandenburgische Grabow, er gehört zu den Neusiedlern in Mecklenburg. Schaub war ehemaliger Vorsitzender des verbotenen „Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“ (VRBHV). Seine Wut scheint sich der „Vordenker“ jüngst in einem Artikel für die  „Stimme des Reiches“1 von der Seele geschrieben zu haben, dort heißt es u.a.: „Dass wir die willigen Sklaven der Bananenrepublik Deutschland in einem Scheineuropa sind, das de facto seit 1945 eine amerikanisch-zionistische Kolonie geworden ist“. Auch echauffiert sich der ehemalige Waldorff-Lehrer über die westliche „Verhausschweinung“. Wer keine ästhetischen Prinzipien habe, bemerke auch die „Entartung der Kunst“ nicht und der fände auch „Popmusik „cool“ und die Überfremdung „okay“, den stören Döner-Buden, Cola-Dosen und schwarze Gesichter eben nicht“.

In Grabow lief auch ein auffälliger Mann im blauen Fischerhemd zwischen den Zelten herum. Frank Klawitter war zuständig für den NPD-Ordnungsdienst „Waterkant“. Auch er lieferte seine Söhne beim "Jugendbund" ab. In den 1990er Jahren galt Klawitter selbst als „Führer von Greifswald“ und wurde mit Wehrsportübungen in Verbindung gebracht. Bis zum Verbot der verfassungsfeindlichen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) bildete er in der „Einheit Mecklenburg und Pommern“ aus.

In der HDJ waren auch die beiden Frauen aktiv, die die „Sturmvogel“-Lagerküche in Grabow versorgten: Petra Müller aus Lalendorf und Gesine St. aus Brandenburg. Petra Müller gehörte 2006 zu den Gründerinnen der NPD-Frauenorganisation „Ring Nationaler Frauen“ und nahm an Treffen der rassistischen „Artgemeinschaft — Germanische Glaubensgemeinschaft“ teil. Zwei ihrer jüngsten Kinder unterrichtet die gebürtige Österreicherin zu Hause. Gesine St. beteiligte sich u.a. 2007 am großen Pfingstlager der HDJ in Eschede, der Ehemann stammt aus der neonazistischen Kameradschaftsszene, die Schwester war eine führende Funktionärin der HDJ.

Mit dabei beim „Sturmvogel“-Lager in Grabow ist in diesem Sommer auch Ingeborg G. aus Hessen. Ihr Ehemann ist führendes Mitglied der dortigen NPD und erschien kürzlich beim Prozess gegen die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck. Sich selbst und ihre Kinder hat Ingeborg G. seit langem in den Jugendbund eingebracht. Eines der ersten Zeltlager fand auf deren Anwesen statt.

Am frühen Morgen wurden die Kinder und Jugendlichen zusammengetrommelt und zum Fahnenappell der Größe nach in einem Kreis aufgestellt. Sie rührten sich kaum. Die weiblichen und männlichen Anführer blickten streng. Die Bundesführerin trug ebenso wie alle Mädchen einen altmodischen, langen  Rock, dazu ein grünes Uniformhemd.
Die Anstrengung ist den Kleineren anzusehen. Die Zeremonie mit Reden und Gesang dauerte an diesem Vormittag annähernd eine Stunde. Manche Kindergesichter sahen müde aus. Als alles vorüber war, sackte ein kleiner Junge in grünem Hemd und Ledersandalen zu Boden. Nach einiger Zeit stand der Junge wieder auf, zwei Anführer legten ihm kameradschaftlich die Arme auf die Schultern.

Ende 2015 warnte die Brandenburgische Landesregierung in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage vor den Aktivitäten des Sturmvogel: „Hinter diesen völkisch-nationalen Jugendlagern verbirgt sich oft eine rechtsextreme Parallelwelt.“  Genau zu dem Zeitpunkt, Ende Dezember 2015, führte der Sturmvogel sein Winterlager im hessischen Immenhausen durch. Angemeldet hatte es der Schweizer Loic Sch. ausgerechnet im Zentrum des antirassistischen "Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder e.V.". Als die von ihren Mietern erfuhren, kündigten sie dem völkischen Jugendbund sofort die Räume. Loic Sch., der in der Lüneburger Heide lebt, hatte seine Gruppe unauffällig als „Wandervögel“ angemeldet.

Die Lüneburger Heide scheint eine der Schwerpunktregionen des "Sturmvogel" zu sein. An einem „Maitanz“ völkischer Familien nahmen diverse „Sturmvögel“-AnhängerInnen teil. Rund 200 Personen, vor allem junge Familien mit ihren Kindern, feierten rechtes Brauchtum bis in die Nacht hinein. Unter ihnen neben dem NPD-Funktionär Stefan Köster und dem AfD-Landtagskandidaten aus MV, Sascha Jung, auch das Ehepaar das den "Sturmvogel" einlud.

  • 1„Stimme des Reiches“ Sonderheft Nr. 5, 2015