Völkische Jugendarbeit sucht »neue« Strukturen
Die Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) verstand sich als nationale Vorzeigetruppe (Vgl. AIB 74 und 83). Bis zu ihrem Verbot im März 2009 durch das Bundesinnenministerium galt die Organisation als wählerisch im Hinblick auf die Auswahl führender Mitglieder. Nicht wenige gehörten parallel dazu auch der NPD oder deren Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) an.
Vorrangiges Ziel der braunen Erziehertruppe war, laut Verbotsverfügung, die »Heranbildung einer neonazistischen Elite« in Form einer »ideologischen Einflussnahme auf Kinder und Jugendliche«. Ersatzorganisationen zu bilden oder die verfassungsfeindliche HDJ in bestehenden Gruppen weiterzuführen ist seither verboten.
Die IG Fahrt und Lager
Auch die 1969 gegründete JN, geriert sich gern als Kaderschmiede. Unabhängig von der Führung um den seit 2007 amtierenden Vorsitzenden Michael Schäfer scheint sich nach dem HDJ-Verbot ein radikaler völkischer Zirkel innerhalb der JN-Strukturen herausgebildet zu haben, dessen Anhänger bundesweit an Einfluss gewinnen. Unter dem Deckmantel der »Interessengemeinschaft (IG) Fahrt und Lager« sind Aktivisten wie das JN-Bundesvorstandsmitglied Sebastian Richter aus Hohen Neuendorf (Oranienburg) oder Stephan B. aus Bad Dürkheim aktiv. Auffällig viele neue Stützpunkte der JN entstanden in den Regionen, wo auch die HDJ sehr präsent war. In der Vergangenheit hatten JN-ler gemeinsam mit HDJ-Anhängern 2006 an einem Wehrsportlager in Niedersachsen teilgenommen, auch eine sogenannte »Rasseschulung« fand Anfang 2007 Zulauf aus beiden Gruppen.
In Oranienburg beteiligten sich unter Richter HDJ- und JN-Anhänger gemeinsam an einem Marsch. Kluft, Rituale, Brauchtum, Morgenappelle, Fanfarenlager, Selbstverteidigung und nicht zuletzt der zelebrierte Frühsport zur körperlichen Ertüchtigung erinnern an die HDJ. Auch führten völkische Sektionierer der JN 2010 – ähnlich wie die Heimattreuen – einen so genannten »Edelweißmarsch« durch die Tiroler Berge durch. Zunächst gab die JN an, die IG Fahrt und Lager sei im Sommer 2008 gegründet worden, im Kalender »Unsere Gemeinschaft 2011« war dann die Rede vom fünfjährigen Bestehen.
Dahinter könnte sich der leidliche Versuch der Verantwortlichen verbergen, nicht allzu sehr mit der HDJ in Verbindung gebracht zu werden und als mögliche Nachfolgeorganisation aufzufallen. Tatsächlich finden sich jedoch in den jüngsten JN-Jahreskalendern fast identische Textstellen zum letzten Kalender der HDJ von 2008.
Ganz in HDJ-Manier greifen die völkischen Lager-Fans auch offen die »Autonomen Nationalisten« an und beschweren sich über den »um sich greifenden Liberalismus« im eigenen Spektrum. »Selbst in unseren eigenen Reihen muss man immer häufiger artfremdes Verhalten beobachten«, klagen sie. Nach Vorstellungen der IG Fahrt und Lager soll die JN »keine Jugendbande« mit englischsprachigen Transparenten sein und man möchte auch nicht, dass ein Anhänger wie »ein amerikanisches Ghettokind« herumrennt, »braungebrannt und mit Metall im Gesicht«. Beinahe scheint es so, als wenn die IG Fahrt und Lager sich zu einer der JN-Bundesführung kontrovers gegenüberstehenden Unterorganisation gestaltet.
Am 21. Dezember 2010 durchsuchten Beamte der Landeskriminalämter in Oranienburg, Ludwigshafen, Bad Dürkheim, Heidelberg und Osnabrück Wohnungen von IG Fahrt und Lager-Mitgliedern. Von den Durchsuchungen sollen laut szeneinternen Informationen Sebastian Richter, Stephan B., Fabian W. (Niedersachsen) und Thorolf N. (BaWü) betroffen gewesen sein. Nach dem Gefahrenabwehrrecht sollte damit das für Ende Dezember 2010 geplante große Winterlager der Gruppe verhindert werden, welches im Vereinsheim des Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten (Vgl. AIB 50) in Altenglan im Landkreis Kusel geplant war. Routiniert – ganz im HDJ-Stil – improvisierten die JN-ler und verlegten das Jahreswechsellager »mit mehreren Kindern« an einen anderen Ort. Das sollte eigentlich verhindert werden, so hatte das LKA Niedersachsen gleich nach der Razzia erklärt, es bestehe die Gefahr, »dass es während des Lagers zu Straftaten unter anderem wegen Volksverhetzung oder Verstöße gegen das Uniformverbot kommen soll«. Die Behörden befürchteten für teilnehmende Kinder und Jugendliche »eine erhebliche Jugendgefährdung«.
Auch die wütenden Reaktionen aus der JN erinnern stark an die Arroganz der HDJ. Auf der Homepage hieß es wütend: »Ihr könnt uns mal«. Nicht besonders einfallsreich. Dieselben Worte wählte die HDJ im »Funkenflug« 2007 in der Überschrift: »HDJ-Verbot? Ihr könnt uns mal!«
Doch innerhalb der JN scheint es zu rumoren. Manchen mißfällt der Einfluss der »IG-Leute«. Verbote stören, denn längst ist der Wahlkampf in Sachsen-Anhalt angelaufen, mit massiver Unterstützung der JN-Führung unter Michael Schäfer.
Werdegänge
Doch auch andere Organisationen bieten früheren HDJ Aktivisten eine politische Heimat. Sebastian Räbiger, rechtskräftig wegen Körperverletzung verurteilter letzter Bundesführer der HDJ, verschwand vorläufig aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Zum Bundesparteitag der DVU im Winter 2010 im thüringischen Kirchheim, bei dem über die Fusion mit der NPD abgestimmt werden sollten, ließ er sich jedoch blicken.
Der bayerische HDJ-Aktivist Ulrich Pätzold sitzt seit kurzem im NPD-Bundesvorstand. Jörg Hähnel, HDJ-Anhänger aus Berlin/Brandenburg, arbeitet in der NPD-Parteizentrale als »Amtsleiter Öffentlichkeitsarbeit«. Die meisten Frauen aus der HDJ-Einheit »Preußen« sind in der Berlin-Brandenburger Sektion der Gemeinschaft Deutscher Frauen (GDF) aktiv. Sie treffen sich regelmäßig mit ihren kleinen Kindern zu politischen Schulungen und Ausflügen und organisieren wie 2009 in Biesenthal ein Sommerlager zum Thema »Überleben in der Krise«. Auch im Raum Ludwigslust sind die HDJ-Anhängerinnen weiterhin völkisch aktiv. Mit den Jüngsten treffen auch sie sich bei bei der GDF und in einer nationalen Mutter-Kind-Gruppe. Im vertrauten Kreise werden Brauchtumsfeste wie das Erntefest im Herbst 2010 in Benz-Briest auf dem Anwesen von Marianne und Udo Pastörs (NPD Fraktionsvorsitzender Mecklenburg Vorpommern) gefeiert.
Ins Visier der Behörden geraten ist mittlerweile die Schlesische Jugend – Landesgruppe Thüringen (SJ). Das Landesamt für Verfassungsschutz in Erfurt registrierte im Dezember 2010 eine Wintersonnenwendfeier mit 40 Teilnehmern. Insider warnen seit längerem davor, dass die SJ von HDJ-lern übernommen worden sei. Tatsächlich zählten die beiden neuen Vorstandsmitglieder Sabine und Thiemo Wolf bis zum Verbot der HDJ 2009 zu deren »Einheit Thüringen«. Ebenso wie Silvia Kirschner und Frank K. Die achtfache Mutter Kirschner fungierte in der Vergangenheit sogar als Regionalbeauftragte der HDJ in Niedersachsen, heute lässt sie sich mit Kindern für das Gruppenbild der Schlesischen Jugend ablichten. Die neue Führungsriege der SJ verlangt von ihren Anhängern mehr Disziplin und Gehorsam. So wolle man sich »in einer Zeit, in der das Schlesiertum und mit ihm das Deutschtum in seiner Existenz bedroht« sei, nicht mehr damit begnügen, »kleine Brötchen« zu backen, heißt es intern. Angeblich habe man inzwischen rund 200 feste Mitglieder innerhalb der Schlesischen Jugend, und über 3000 Leser würde die Vereinszeitschrift erreichen.