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Der Vordenker

Bernard Schmid (Paris)
Einleitung

Die vierzigjährige Geschichte der (ab den späten 1960er Jahren entstandenen, jedoch erstmals ab 1979 so bezeichneten) französischen Nouvelle Droite oder intellektuell geprägten »Neuen Rechten« ist untrennbar mit dem Namen und der Biographie von Alain de Benoist verbunden. Einen wesentlichen Teil der grundlegenden ideologischen Texte dieser Strömung hat er persönlich verfasst.

Bild: Screenshot von alaindebenoist.com

De Benoist wird als Theoretiker der Neuen Rechten beworben.

Die französische Nouvelle Droite gilt es von der meist unspezifischen und oberflächlichen Verwendung, die der Begriff der »Neuen Rechten« seit einigen Jahren in Deutschland erfährt, strikt zu unterscheiden. Seit den frühen 1990er Jahren wurde letzterer Begriff zur Ein- und Zuordnung diverser politischer Phänomene in Deutschland benutzt, die sowohl untereinander als auch mit der französischen Nouvelle Droite nicht viel mehr gemeinsam hatten, als dass ihre Protagonisten eine neue politische Dynamik schaffen wollten, die auf der politischen Rechten anzusiedeln sei. Eher CDU-nahe Nationalkonservative, »Nationalliberale« in der FDP, die rechte Wochenzeitung »Junge Freiheit« und andere, zum Teil eher am rechten Rand des bürgerlichen Lagers angesiedelte Elemente wurden von anderen oder von sich selbst mit diese Etikett versehen. Demgegenüber stellt die französische Nouvelle Droite, etwa in Gestalt ihrer bekanntesten Gruppierung, des 1968/69 gegründeten GRECE (Abkürzung für »Forschungs- und Studiengruppe für die europäische Zivilisation«), eine ideologisch klar abgrenzbare Strömung oder – präziser ausgedrückt – Denkschule dar. Sie entstand im Kontext des Niedergangs jener rechten Aktivistengruppen, die während der französischen Kolonialkriege der 1950er und 1960er Jahre durch gewalttätige Propaganda an der Heimatfront »für den Sieg unserer Armee« über Entkolonialisierungsbewegungen und »gegen den Kommunismus« getrommelt hatten. Dieser Aktivismus verlor ab 1962, dem Jahr der Unabhängigkeit Algeriens nach einem äußerst blutigen Kolonialkrieg, den Frankreich dort unter massivem Einsatz von Folter und Repression geführt hatte, spätestens aber 1965 mit dem Scheitern der rechtsnationalen Präsidentschaftskandidatur von Jean-Louis Tixier-Vignancourt vollständig an Saft und Kraft. Die Nouvelle Droite, die anfänglich vor allem durch Intellektuelle getragen wurde und fast wie ein Geheimbund auftrat, bevor sie ab den 1970er Jahren bürgerlich-konservative Presseapparate, ab den 1980er Jahren den aufsteigenden Front National – mit wechselndem Erfolg – zu beeinflussen versuchte, vollzog den Bruch mit einigen traditionellen Auffassungen der herkömmlichen Rechten. Drei wichtige Neuerungen prägen diese Denkschule: Erstens, der Bruch mit dem Primat des Antikommunismus. Aus Sicht der Nouvelle Droite ist der bürgerliche Liberalismus, vor allem in seinen bürgerrechtlichen Aspekten (in Gestalt der Erklärung der Menschenrechte), der Marxismus und Sozialismus historisch vorausging, die Quelle auch dieser Übel. Deshalb müssten die Grundlagen des bürgerlichen Liberalismus gemeinsam mit dem Marxismus in seinen unterschiedlichen Ausprägungen verworfen werden – zugunsten einer »organischen« Gemeinschaft, in der das Primat des Symbolischen und Heiligen vor jenem der Ökonomie zu gelten hätte. Zum Zweiten verwirft die Nouvelle Droite das Christentum, das bis dahin durch den größten Teil der Rechten zu den nationalen Grundkonstanten gezählt worden war: Nicht nur, weil es vom Judentum abstammt und dadurch geschichtlich einen »Fremdkörper in der europäischen Zivilisation« bilde. Sondern auch, weil der Monotheismus aller Ausprägungen durch das falsche Versprechen der grundsätzlichen Gleichheit aller Menschen – vor einem einzigen Gott – zur Urquell solch schädlicher Erscheinungen wie Egalitarismus, Universalismus der Menschenrechte und Sozialismus geworden sei. Zum Dritten wirft die Nouvelle Droite in ihrer Theorie auch den Rassismus klassischer Ausprägung über Bord: Er beruhe auf der Idee einer Über- und Unterordnung verschiedener Menschenrassen. Hingegen gehe man selbst vom Primat der prinzipiellen Gleichwertigkeit der »unterschiedlichen Rassen und Kulturen« aus. Nur: Damit diese sich »zu voller Blüte entwickeln« können, müssten sie getrennt voneinander existieren. Auch im Interesse der Einwanderer liege es daher, wenn sie in ihre Herkunftsländer zurückgesandt (oder wenn Migranten an deren Verlassen gehindert) werden, da sie dadurch ihre »kulturelle Identität bewahren« dürften. Diesen Ansatz bezeichnet man als »Ethnopluralismus«. Unter federführender intellektueller Mitwirkung von Alain de Benoist hat die Nouvelle Droite ihn später auch als »differenzialistischen Antirassismus« präsentiert. Seit Jahrzehnten prägt nunmehr sein Name wie kaum ein anderer die intellektuelle Landschaft auf der französischen Rechten und macht quasi schon für sich allein das »Markenzeichen« der Nouvelle Droite aus. Zu seinen Spezialitäten zählt es, zu versuchen, die Argumentation seiner politischen Gegner (Linke, Liberale, ...) aufzugreifen und umzudrehen, wie oben auch am Beispiel des »differenzialistischen Antirassismus« vorgeführt. De Benoist schaffte es des öfteren, mit einer vordergründigen Anti-Kriegs-Argumentation, die in Wirklichkeit lediglich auf der geopolitischen Vorstellung voneinander unabhängiger kultureller Blöcke – mit Interventionsverbot für »raumfremde Mächte« – beruht, während größerer internationaler militärischer Konflikte (kurzfristig) auch in pazifistische, grüne oder linke Milieus argumentativ einzudringen. So wurde ein Artikel von ihm, der die damaligen Angriffsvorbereitungen der USA auf den Irak verurteilte, am 13. Dezember 1990 in der Berliner taz abgedruckt. Alain de Benoist argumentiert gerne auf hohem intellektuellem Niveau, meidet die Tagespolitik und baut stets zahllose Schriften aus anderem Kontext – von wissenschaftlichen Arbeiten bis hin zu Texten seiner politischen Gegner – in die eigene Argumentation ein. Dennoch unternimmt er seit kurzem auch einige Schritte in die »Niederungen der Politik«. Dabei ist neuerdings bei ihm wiederholt die Tendenz zu beobachten, sich zu tages-und allgemeinpolitischen Themen zu äußern – und dabei oft auch ziemlich flache Inhalte von sich zu geben. So verfasste de Benoist während der mehrwöchigen heftigen Unruhen in den französischen Banlieues (Trabantenstädten) im November 2005 einen Text, der auf seiner Homepage zugänglich ist. Darin spricht er sehr allgemein von einer »vorrevolutionären Situation« und schwadroniert von einem »zunehmenden Bruch zwischen den politischen Eliten und dem Volk« – ohne auch nur im Ansatz den Kern einer eventuellen Lösung für die Banlieueproblematik benennen zu können. In jüngerer Zeit scheint sich seine Annäherung an die »rot-braun« ausgerichteten Antisemiten Dieudonné M’bala M’bala – bekannt unter seinem Vor- und Künstlernamen – und Alain Soral, die gemeinsam eine (mit 1,3 Prozent im Wahlkreis Paris und Umland ziemlich erfolglose) Kandidatenliste unter dem Titel Liste Antisioniste zu den Europaparlamentswahlen vom 7. Juni 2009 aufstellten, zu beschleunigen. Am 26. Dezember 2008 befand sich Alain de Benoist im Publikum, als der »Softcore«-Auschwitzleugner und Theatermacher Dieudonné im Pariser Konzertsaal ›Le Zénith‹ ein Spektakel veranstaltete und dabei Robert Faurisson, den notorischen Auschwitzleugner und »Papst« der französischen Geschichtsrevisionisten, auf die Bühne lud. Wiederholt lieferte de Benoist seit Herbst 2008 und im Laufe des Jahres 2009 auch Beiträge für die nationalrevolutionär beeinflusste, 14tägig erscheinende Zeitung ›Flash Info Magazine‹, bei der Alain Soral als Sonderberater der Redaktion firmiert.

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