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Die Corana-Krise als Einstieg zum Ausstieg

Volkmar Wölk
Einleitung

Parallelgesellschaften, Gegenwelten und Monarchie: Die Corona-Krise als Schöpfer einer alternativen extremen Rechten nach französischem Vorbild.

Symbolfoto: Paul Hanewacker

Die Corona-Krise vereinigte verschiedene politische Akteure. (Symbolfoto: Paul Hanewacker)

Welche Alternative gibt es unter der neuen Diktatur?“, fragt die „Communauté de la Rose et de l’Épée“ ("Gemeinschaft der Rose und des Schwertes"). Eingeladen wird zur Schaffung „eines Netzwerkes Erweckter, um sich über die Einflüsse des Neuen Zeitalters zu verständigen“. Der Erweckte heißt auf französisch „l’éveillée“. Das Wort kann aber zugleich „aufgewacht“ oder „erleuchtet“ heißen. Es handele sich um „private Treffen“, die „die Basis für eine Alternative zur Welt von heute“ schaffen sollen. Die Stunde sei gekommen für „vertrauliche Netzwerke“. „Organisieren wir uns!“, so endet die Einladung.

Die einladende Gruppe ist seit 2015 in dem Örtchen La Salvetat-sur-Agout in der französischen Region Okzitanien aktiv, steht den „Identitären“ nahe und ist zuerst durch die rein weibliche Gesangsgruppe „Les Brigandes“ bekannt geworden die mehrere CDs veröffentlich hat. Ende 2021 wurde das erfolgreiche Unternehmen plötzlich gestoppt und stattdessen die Zeitschrift „Uranus“ ins Leben gerufen. Ursache für das Ende der Band war wohl die Sperrung ihres Youtube-Kanals. Kopf beider „metapolitischer“ Ansätze ist Joël Labruyère. Seit 2019 wirbt die Gruppe, die in Deutschland in die Kategorie "Völkische Siedler" fallen würde, auch mit Seminaren für sich. Feind ist die „technokratische Tyrannei“, die zu einer „Robotisierung“ der Menschen führe, das „Eiserne Zeitalter“ – gemeint ist die Moderne in all ihren Facetten. Der „heroische Geist“ müsse wiedergefunden werden. Dafür müsse man sich „auf einen Mythos stützen“ und sich „in der Tradition verankern“. „Uranus“, alle zwei Monate erscheinend, soll die Seminarinhalte vertiefen und popularisieren. „Das Zeitalter des Wassermanns ist eine Kaskade aus Säure, die jegliche Verkrustungen auflösen wird. Das Leben der Menschen wird über den Haufen geworfen. Gut so! In jenem immensen geistigen Chaos, das den Westen erschüttert, ist es die Aufgabe eines jeden, in der Tiefe seines Wesens den Sinn des Lebens, des Todes, der Liebe und der Freiheit wiederzufinden.“

Fast zeitgleich mit der Einladung zur Schaffung „vertraulicher Netzwerke“ wird bekannt, dass in Frankreich ein rechter Staatsstreich vereitelt worden sei. Eine Terrorgruppe wollte mithilfe von Verschwörungsanhänger_innen und Impfgegner_innen Parlament, Fernsehen und Elysée-­Palast stürmen. Kopf des Unternehmens soll der Monarchist Rémy Daillet-Wiedemann, ehemaliges Mitglied der liberalen Partei „Modem“, sein. Seine Gruppe bestand aus rund 300 Gefolgsleuten, darunter Polizisten, Militärs, Ärzte und Anwälte, organisiert in regionalen Zellen in einer strengen Hierarchie, geeint in dem finalen Ziel: der „Operation Azur“. Bei dieser sollte in Paris eine militante Demonstration aus Aktivist_innen der extremen Rechten, Verschwörungsgläubigen, Impfgegner_innen, Survivalisten, 5G-Hysteriker_innen, Gelbwesten und Gegener_innen des „pass sani­taire“ – des Gesundheitspasses – organisiert werden, um die Polizeikräfte zu beschäftigen. Die Gruppe selbst wollte in dieser Zeit den Präsidentenpalast, Nationalversammlung und Ministerien stürmen und eine Fernsehstation kapern. Es sollte die Initialzündung für den Umsturz sein. Nur Spinner? Auch wenn Daillet-Wiedemann fest daran glaubt, dass die Eliten pädophil seien und Kinder raubten, muss wohl von einer realen Gefahr ausgegangen werden. Immerhin hatten einzelne Zellen seiner Orga­nisation bereits Sprengstoff beschafft.

Zwei getrennte Vorgänge, unabhängig voneinander? Einmal metapolitisches Agieren, einmal Terror und Staatsstreich? Ja. Und nein. Tatsächlich gibt es zwischen beiden Gruppen keine personellen Überschneidungen und auch keine strategischen Schnittmengen. Diese sind jedoch sehr wohl im Bereich der Ideologie und der zu mobilisierenden und bereits handelnden Zielgruppen vorhanden, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

Bei der „Gemeinschaft der Rose und des Schwertes“ herrscht eine deutlich esoterische Ausrichtung vor, verbunden mit zahlreichen Anleihen beim italienischen traditionalistischen Philosophen Julius Evola und der Ideologie der Nouvelle Droite. Zugleich wird immer wieder an Schlüsselbegriffe des „New Age“ („Zeitalter des Wassermanns“) angeknüpft, Bezug genommen auf Feindbilder des rechten Flügels der Ökologiebewegung („technokratische Tyrannei“) und Anschluss gesucht an Ansätze der verwirrten Überbleibsel der 68er-Bewe­gung (Landkommunen, „alternative" Lebens­weisen, Regionalismus). Die Covid-Krise scheint die Gelegenheit zu bieten, diese Ideologiemelange breiter zu verankern. Sie scheint – wieder einmal – eine Möglichkeit zu sein, die traditionelle Spaltung in links und rechts im Sinne eines „Dritten Weges“ zu überwinden.

Die Gruppe um Rémy Daillet-Wiedemann dagegen muss den Weg in die „Mitte der Gesellschaft“ nicht erst suchen. Soziologisch befindet sie sich dort längst. Sie wird personell gespeist aus den berühmten „Stützen der Gesellschaft“. Der Führer selbst ist ein Beispiel dafür, dass auch in diesem terroristischen Spektrum Verschwörungserzählungen kein Fremdkörper sind. Kein Geringerer als Armin Mohler, Vordenker der Neuen Rechten, hatte bereits 1980 lapidar festgestellt: „Verschwörungstheorien sind in keinem anderen Lager mit solcher Inbrunst durchexerziert worden wie auf der Rechten.“ Sie seien der eigentliche Beitrag der Rechten auf dem Felde der Weltanschauungen.

Und so sind jene aus den Reihen derer, die die „Operation Azur“ durchführen wollten, die 5G für Teufelszeugt halten, natürlich problemlos kompatibel mit jenen aus der „Communauté de la Rose et de l’Épée“, die gegen die „technokratische Tyrannei“ kämpfen wollen. Und wo letztere abstrakt die Links-Rechts-Dichotomie überwinden wollen, integrieren letztere Aktivist_inen einer zerfallenden sozialen Bewegung, der Gelbwesten. Der Widerstand gegen die Regierungsmaßnahmen in der Covid-Krise fügt dem nur eine weitere Facette hinzu.

Mögen auch manche Details der französischen Geschichten nicht übertragbar erscheinen, der Monarchismus Daillet-­Wiedemanns beispielsweise, sollten wir jedoch nicht ignorieren, dass solche diskursiven Verschiebungen inzwischen auch in Deutschland nicht nur als Randerscheinungen möglich sind. So fordert die als Produkt der Covid-Krise entstandene Regionalpartei „Freie Sachsen“ nicht nur den „Säxit“, also den Austritt Sachsens aus der Bundesrepublik, sondern auch die Einbeziehung des „sächsischen Königshauses“ in die Gestaltung des neuen Staates. Und folglich demonstrieren die Anhänger_innen der Partei bei den Montagsdemonstrationen unter den Fahnen der untergegangenen sächsischen Monarchie.

Die „Freien Sachsen“ mögen als Beispiel dafür dienen, dass die äußerst heterogene Bewegung der „Querdenker“ und Corona-­Leugner_innen eben mehr ist als lediglich eine Lebensreformbewegung 3.0. Zwar trifft es zu, dass bereits in der ersten dieser Bewegungen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts nationalistische, völkische, anti-aufklärerische und antisemitische Strömungen überwogen haben. Zwar trifft es ebenso zu, dass diese Erscheinungen in einem geringeren Ausmaß auch in der zweiten dieser Bewegungen, entstanden als Produkt der zerfallen(d)en 68er-Bewegung und stark in der Frühphase der Grünen, vertreten war. Allerdings fehlten in diesen Ausformungen für grundsätzliche Reformen der Lebensweise einige Elemente, die gerade für die „Freien Sachsen“ und andere Strömungen der Bewegung gegen die Anti-Pandemiemaßnahmen prägend sind.

Ich gehe nämlich davon aus, dass die heutige „Querdenker“-Szene gleichzeitig als Organisationsmotor und als Radikalisierungskatalysator dient. Gleichzeitig stellt sie den Einstieg in den Ausstieg aus der bestehenden Gesellschaft dar. Sie schafft den Keim zur Entstehung von Gegenwelten und Parallelgesellschaften. Eben bis zu solchen Skurrilitäten wie den monarchistischen Anwandlungen bei den „Freien Sachsen“.

Bisher war noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik einer dezidierten Regionalpartei der extremen Rechten ein auch nur temporärer Erfolg beschieden. Bei den „Freien Sachsen“ müssen wir feststellen, dass sie unabhängig von ihrer tatsächlichen Größe nach nur wenigen Monaten des Bestehens das Bild der Demonstrationen im Bundesland Sachsen prägen. Zudem sind sie – vor allem mittels ihrer Telegram-­Kanäle – zu einem nicht zu unterschätzenden Mobilisierungsfaktor geworden. Hier orientieren sich jene, die ihre Gedanken in Taten umsetzen wollen.

Es bleibt festzuhalten, dass es der in Sachsen besonders starken AfD trotz allen Versuchen des Andockens an die Bewegung nicht gelungen ist, dort einen solchen Einfluss zu erlangen. Es entstehen also neue Strukturen aus der Bewegung. Gleichzeitig erfolgt zumindest regional eine Wiederbelebung eigentlich durch die Konkurrenz der AfD bereits dahingesiechter Gruppen wie der NPD. Die Partei profiliert sich über einzelne Aktivisten mit lokaler Bekanntheit, die auch Funktionen bei den „Freien Sachsen“ haben. Zugleich wird die Radikalisierung beschleunigt. Was bei PEGIDA noch im Bereich der Ausnahmen lag, ist inzwischen normal geworden: Angriffe auf die Presse, die Polizei, Morddrohungen gegen Politiker_innen. Je länger die Krise andauert, desto stärker und schneller werden sich diese Tendenzen verfestigen. Und die fünfte Welle wird kommen.