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Die Kampagne »Stadt.Land.Fluss.«

Hamburger AntifaschistInnen (Gastbeitrag)
Einleitung

Frank F. verließ gerade die elterliche Wohnung in Hamburg-Harburg, als er 30 AntifaschistInnen mit einem Transparent auf sich zukommen sah; »Stadt.Land.Fluss. Kein Raum den Nazis!« stand auf diesem Transparent und Frank F. hatte die zweifelhafte Ehre, als erster Harburger Neonazi von der antifaschistischen Kampagne geoutet zu werden.

Die Abschlussdemonstration der antifaschistischen Kampagne fand mit 450 TeilnehmerInnen am 22. Oktober 2005 statt.

Die Lage...

Schon seit den 1980er Jahren war Harburg Rekrutierungsfeld und Aktionsraum besonders für neonazistische Skinheads. Als sich 1988 die »Sinstorfer Skins« und die noch immer aktive Rechtsrockband »Oi!Dramz« um Thomas B. und Sascha D. gründeten, begann eine Hochphase neonazistischer Gewalt in Harburg. 1992 kam es zu Angriffen auf das Wohnhaus einer türkischen Familie und einem Brandanschlag auf die Räume des »Harburger Bündnis gegen Rassismus«. Ende der 1990er Jahre wurde es wieder ruhig um den Bezirk, was sowohl auf den Rückzug vieler Neonazis ins Privat- und Familienleben als auch auf das Fehlen »geeigneter Führungspersonen« zurückzuführen ist.

...ändert sich

Seit Anfang 2005 jedoch gab es deutliche Veränderungen: Mit Unterstützung des Neonazikaders Christian Worch versuchte sich der damals 18jährige Alexander Hohensee als neuer Führungskader. Gemeinsam mit einer Gruppe extrem junger Neonazis gelang es ihm, alte Harburger Neonazisstrukturen für regionale Aktivitäten zu reaktivieren. Auch überregionale Kontakte wie zu den Bewohnern des Neonazitreffs »Heisenhof« in Dörverden und zum niedersächsischen NPD-Landesvize Adolf Dammann wurden deutlich. Für eine Reihe regionaler Aktionen und das Stören linker Veranstaltungen ließen sich jeweils zwischen 30 und 90 Neonazis mobilisieren. Parallel zog auch die NPD nach und baute ihre Strukturen unter Leitung des neuen Kreisvorsitzenden Martin Dembowsky und der jetzigen Hamburger NPD-Vorsitzenden Anja Zysk aus. Neben Plakat- und Flugblattaktionen setzte die Neonazipartei vor allem auf interne Veranstaltungen (unter anderem mit dem Holocaustleugner Horst Mahler), an welchen auch die »Freien Nationalisten« um Alexander Hohensee teilnahmen. Während Lokalpolitik und die Harburger Polizei kein »Neonaziproblem« wahrhaben wollten, erkannten Hamburger Antifagruppen in der neuen Dynamik durchaus eine ernstzunehmende Gefahr, welcher es sich anzunehmen galt.

Der Plan

Dazu wurde die Outing-Kampagne »Stadt.Land.Fluss. Kein Raum den Nazis!« konzipiert. Ziel der Kampagne sollte es sein, die Harburger für eine Bedrohung durch Neonazis zu sensibilisieren, um diese leichter gesellschaftlich isolieren zu können. Die geouteten Neonazis sollten konkret in ihrer Handlungsfreiheit und ihrem Sicherheitsgefühl beeinträchtigt werden.  Zur Realisierung wurde sich auf ein zweigleisiges Konzept verständigt. Zum einen musste die Harburger »Zivilgesellschaft« über die Strukturen und Ziele der Neonazis informiert werden, um ein Problembewusstsein zu schaffen. Zusätzlich sollte ein Angebot geschaffen werden, um – in wenigstens symbolischem Maße – selbst gegen Neonazis aktiv zu werden.

Zum anderen sollten Neonazi-Aktivisten stellvertretend aus ihrer scheinbar sicheren Anonymität gerissen werden. Die überaschenden Outings sollten als abschreckendes Signal gerade jüngeren Neonazis verdeutlichen, dass sich durch ihr Handeln unangenehme Konsequenzen auch für die eigene Person ergeben könnten.

Und Action!

Insgesamt umfasste die vier Wochen dauernde Kampagne zwei Infostände, eine Veranstaltung mit dem Autoren und Journalisten Andreas Speit, das Verteilen tausender Flugblätter, vier Outing-Aktionen und eine Abschlussdemonstration. Parallel zur Kampagne erschien eine 20-seitige Broschüre welche eine ausführliche Übersicht über die lokalen Neonazistrukturen sowie zahlreiche Bilder und Adressen aktiver Neonazis enthielt. Mehrere Tausend der kostenlosen Broschüren wurden an Schulen und bei Konzerten verteilt, im Internet wurde sie zum Download bereitgestellt.
Nach dem als »Anti-Antifa«-Fotograf aufgefallenen Frank F. wurde der lokale NPD-Vorsitzende Martin Dembowsky geoutet, gefolgt von Andreas Haye, einem ehemaligen Mitglied der FAP und des »Stahlhelm e.V.«, und zu guter Letzt musste auch Alexander Hohensee einsehen, dass er seinen neuen Wohnort im Bezirk Altona vor der Antifa nicht geheimhalten konnte. Bei allen Outing-Aktionen waren die Reaktionen der AnwohnerInnen positiv, besonders in Hohensees Nachbarschaft zeigte man sich entsetzt von dessen Aktivitäten.

Jede der Aktionen wurde durch eine Pressemitteilung öffentlich gemacht. Im Falle Hayes folgte außerdem ein offener Brief an den Eißendorfer Schützenverein, wo er als Vorstandsmitglied den Schießstand wartete. Die Hamburger Morgenpost empörte sich daraufhin auf zwei Seiten über den rechten »Schießstandboss« und druckte ein Foto ab, welches ihn auf einer Neonazi-Kundgebung zeigte. Auch Hohensee schaffte es kurze Zeit nach seinem Outing in dieselbe Zeitung: Ein Foto zeigte ihn vor wehenden Hakenkreuzfahnen beim Rudolf-Heß-Marsch im dänischen Kolding.
Für beide hatten die Veröffentlichungen handfeste Konsequenzen. Andreas Haye wurde seines Amtes als Standwart enthoben, Alexander Hohensee erhielt von seinem Vermieter die Kündigung und musste im Februar ausziehen.

Leises Echo

Da die Outing-Aktionen durch ihren »Überraschungscharakter« kaum Angriffsfläche boten, war davon auszugehen, dass es bei der öffentlich angekündigten Info-Veranstaltung sowie der Abschlussdemonstration zu »Gegenaktionen« kommen würde. Am 27. September 2005 versuchten 37 Neonazis zur Veranstaltung zu gelangen. Die Polizei hatte zuvor angekündigt, den Neonazis die Teilnahme an der Veranstaltung ermöglichen zu wollen, wovon sie aber dank massiver Präsenz von AntifaschistInnen wieder Abstand nahm. Stattdessen führten die Neonazis unter Polizeischutz einen 20minütigen Spontan-Aufmarsch am Stadtrand durch.

Am 22. Oktober 2005 nahmen über 450 AntifaschistInnen an der Abschlussdemonstration der Kampagne in der Harburger Innenstadt teil. Alexander Hohensee hatte überregional mobilisiert, trotzdem fanden sich nur 100 Neonazis ein, um unter Polizeischutz gegen die erfolgreiche Antifa-Kampagne durch den einsetzenden Regen zu marschieren.

Was bleibt?

Die Erfolge einer Kampagne wie »Stadt.Land.Fluss.« lassen sich natürlich nur schwer konkret beziffern. Die wenigen und eher hilflosen Reaktionen der Neonazis lassen aber den Schluss zu, dass sie von der Aktionsfähigkeit und Professionalität sowohl bei der Recherche als auch der Durchführung der Antifa-Kampagne überrollt wurden. Durch Flugblätter, Plakate und Gespräche bei Infotischen und Veranstaltungen wurden auch »bürgerliche Kreise« erreicht. In den etablierten Hamburger Tageszeitungen und Radiosendern wie dem NDR fand die Kampagne ein überaschend positives Echo und durch die zahlreiche Berichtserstattung wurde zur Schaffung eines Problembewusstseins in der Öffentlichkeit beigetragen.

Zu guter Letzt hatte »Stadt.Land. Fluss.« eine stark motivierende Wirkung auf die Hamburger Antifa-Szene und auch darüber hinaus. Wurde hier doch aufgezeigt, dass Anti-Nazi-Arbeit auch möglich und erfolgreich sein kann, ohne sich an vorgegebenen Aufmarsch-Terminen abzuarbeiten.


Alle Veröffentlichungen zur Kampagne finden sich unter:
www.antifainfo.de/stadtlandfluss.htm