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Die Weltverschwörung der Verschwörungssucher?

Einleitung

Kaum ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung zieht ohne das Entstehen neuer Verschwörungstheorien vorüber. Den letzten, einen weltweiten Boom an derlei Phantasiegebilden auslösenden Anlass boten die Anschläge auf das New Yorker World Trade Center vom 11. September 2001. War »die Wallstreet« schon seit ihrem Bestehen Gegenstand von antisemitisch geprägten Weltverschwörungsphantasmen, so war es ein Anschlag auf das »Herz des Kapitalismus« erst recht.

Bild: Screenshot CNN

Auch auf fiktionaler Ebene stoßen Verschwörungstheorien auf Begeisterung: Mysteryserien wie Akte X – die unheimlichen Fälle des FBI oder Romane, die die Bestsellerlisten anführen wie die Illuminati oder der Da Vinci Code geben ein beredtes Bild davon. Auch im Umfeld der Antiglobalisierungsbewegung können schließlich Versatzstücke von Verschwörungstheorien entdeckt werden. Ebenso wie bei dem Anschlag auf Oklahoma City und der nach wie vor unvermindert starken Verbreitung der Protokolle der Weisen von Zion, seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts besonders in der islamischen Welt (auf persisch und arabisch sind sie häufiger wiederaufgelegt worden als in jeder anderen Sprache), gehören Verschwörungsideen dazu. Immer wieder wird auch der Mossad oder eine Zionistische Okkupationsregierung für diverse Vergehen verantwortlich gemacht.

Zum Phänomen Verschwörung

Was aber vereint nun diese äußerst gegenläufigen und widersprüchlich erscheinenden Phänomene, dass sie unter dem Begriff Verschwörungstheorien im gleichen Atemzug subsumierend genannt werden können?

Auch wenn man meinen könnte, es handele sich hier um Wahrnehmungen paranoider Splittergrüppchen, so gibt es doch eine Vielzahl wissenschaftlicher, differenzierter Definitionsversuche über die verschiedenen Formen von Verschwörungen und eine Vielzahl ernstzunehmender Verschwörungsszenarien. Letztlich befindet man sich bei der Suche nach Verschwörungen oder Verschwörungstheorien immer auf einer Gratwanderung zwischen puren Phantasiegebilden auf der einen Seite und begründbaren Vermutungen über durchaus gefährliche, vor allem aber klandestin operierende Seilschaften andererseits. Ein mögliches Unterscheidungskriterium, um einer tatsächlichen Konspiration auf die Spur zu kommen, ist dabei die Frage nach dem Nutzen der Theorie: wem dient der Glaube an die Existenz eines Komplottes? (Hier – dies nur am Rande –ließen sich zum Beispiel die §129a-Verfahren anführen, die eine angebliche, konspirativ arbeitende Terrorzelle zu enttarnen meinen und dabei letztlich nur die Verstärkung polizeilicher und staatlicher Repression zu legitimieren suchen.)

Die modernen Medien, allen voran das Internet, bieten zwar zum einen die Möglichkeit eines Zugriffs auf viele und möglichst breite und detailreiche Informationen, die simple, auf Verschwörungsmythen fußende Weltbilder zwar widerlegen helfen könnten. Zugleich aber begünstigen genau diese Medien wiederum die weltweite Vernetzung von Verschwörungstheoretikern. Und es ist auch das Internet, in dem sich eine der ersten Ausstellungen zum Thema Verschwörungstheorien selbst finden läßt: Das Kooks Museum1 . Der Diskussionsforen gibt es unzählige, in denen sich die User über verschiedene Theorien austauschen: alt.conspiracy, alt.conspiracy.jfk, alt.freemansonry, alt.society.resistance, aber auch die Seiten, die keinen Hehl aus ihren politischen Ambitionen machen wie die Patriots Against the New World Order.

Typische Kennzeichen

Bei den Versuchen, Entstehung und Struktur von Verschwörungstheorien zu analysieren, werden einige Merkmale als typische Kennzeichen von Verschwörungstheorien ausgemacht: Derlei Theoriegebilde gehen davon aus, dass nichts so ist, wie es scheint. Die Quellen, die die vermeintliche Verschwörung belegen, werden zum einen nicht genannt – aus welchen geheimnisvollen Gründen auch immer – und zum anderen finden sich häufig schriftliche Belege, die nachweislich Fälschungen sind, wie als berühmtestes Dokument die Protokolle der Weisen von Zion. Im Argumentationsgeflecht findet ein ständiger Wechsel von einer Vielzahl von Widersprüchlichkeiten mit zugleich pedantischen Verweisen auf Kleinstdetails statt, die als Nachweis für den Wahrheitsgehalt der Verschwörungshypothese dienen. Es handelt sich um eine vereinfachende Sicht auf die Entstehungsprozesse von politischen Entscheidungen oder historischen Ereignissen. Diese zweigeteilte, manichäische Weltsicht geht davon aus, dass eine Gegenüberstellung von gut und böse existiert – gut sind dabei die Entlarver der Verschwörungstheorie, böse sind die Verschwörer selbst. Natürlich arbeiten die Verschwörer im Geheimen und Verborgenen – was wiederum eine Erklärung dafür anbietet, warum sich meist wenige stichhaltige Beweise für eine Verschwörung anführen lassen.

Das Fehlen der Beweise wiederum kann nämlich geradezu als Beweis FÜR die Existenz einer Verschwörungstheorie herangezogen werden, schließlich – und hier kommen wir zu einem weiteren Element von Verschwörungstheorien – wird den Verschwörern eine enorme Macht unterstellt. Eben auch die Macht, Beweise zu vertuschen, verändern oder unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Die Verschwörer agieren ja nicht nur weltweit, sind allgegenwärtig und mächtig, beherrschen den Lauf der Geschichte und beeinflussen ihn nach ihren Wünschen, sondern zugleich sind sie auch schwach – schließlich wurden sie entdeckt, da man ja über sie spricht und ihnen damit fast schon auf die Schliche gekommen ist. Verschwörungstheorien entstehen meist da, wo die Frage »Why do bad things happen to good people?« nicht hinreichend und vor allem rational nachvollziehbar beantwortet werden kann. Auf der Suche nach einer Erklärung für Unglücksfälle und Katastrophen liegen Verschwörungsvermutungen manchmal nahe. Und weil sie praktisch unwiderlegbar sind, sind sie so beliebt.

Kein neues Phänomen

Einerseits haben Verschwörungsannahmen nämlich den Lauf der Geschichte seit jeher begleitet. Andererseits drohte zumindest bis zum Ende des Mittelalters in Europa der Glaube an die Existenz menschlicher Verschwörungen mit der Idee von der Allgewalt Gottes in Widerspruch zu geraten, wenn nicht gar als Ketzerei verdächtigt zu werden. Schließlich wurde die Ursache für alle unerklärlichen Phänomene – wie Stadtbrände oder ähnliches – in einem tieferen göttlichen Sinn gesucht. Vor allem seit der Französischen Revolution und der Aufklärung ist eine Zunahme von Verschwörungsideen zu beobachten. Nichtsdestotrotz durchzieht die Geschichte eine Spur von groß angelegten Hetzjagden gegen vermeintliche Verschwörer: so wurde der jüdischen Bevölkerung die Kollektivschuld an der Pestseuche des 14. Jahrhunderts gegeben, die kirchenabtrünnigen Ketzer wurden als Verschwörer verfolgt und auch den »Hexen« wurde eine Verschwörung gegen die Kirche, die Obrigkeit und die Gesellschaft unterstellt. Interessanterweise kann man selbst in der Literatur ÜBER die Hexenverfolgung verschwörungstheoretische Ansätze finden. So, wenn zum Beispiel behauptet wird, die Hexenverfolgung habe quasi den Masterplan gehabt, das geheime Wissen der Hebammen auszumerzen.

In der neueren Zeit kam es immer wieder zu groß angelegten Verschwörungsmythen: am Vorabend der Französischen Revolution wurden die radikaldemokratischen Jakobiner in Einheit mit anarchistischen Zirkeln einer Verschwörung bezichtigt. Die Illuminati als 1776 in Bayern gegründeter Orden sollten demnach als Geheimsekte Abgesandte nach Paris gesandt haben, die die Jakobiner für eine illuministische Weltverschwörung gewinnen sollten. Freimaurer und andere sektiererische Vereinigungen waren ebenfalls von jeher als Geheimbünde der Konspiration verdächtig.

Dieser erste große Boom an Verschwörungstheorien in der Neuzeit hatte also eine gegenrevolutionäre Ausrichtung. Der nächste Schritt waren die zahlreichen von monarchischer Regierungsseite ausgemachten »Communisten-Verschwörungen« des 19. Jahrhunderts, die in jeglicher soziale Ungerechtigkeiten kritisierenden Gruppierung Anarchisten, Kommunisten oder Sozialisten wähnte. Es ist nicht zuletzt dieser allgegenwärtige Wahn, auf den die Einleitungssätze im Kommunistischen Manifest des Jahres 1848 anspielen, in denen Karl Marx schrieb: »Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus«.

Ähnlich den Verdächtigungen gegen die Illuminati und die Freimaurer waren und sind auch »die Juden« immer wieder Gegenstand von Verschwörungstheorien. Nach dem Ersten Weltkrieg waren sie es, denen unterstellt wurde, gemeinsam mit den Sozialisten dem deutschen »Volk« in den Rücken gefallen zu sein – was sich in der so genannten »Dolchstoßlegende« bündelte, auf der die antidemokratische Grundhaltung der völkischen Grüppchen in der Weimarer Republik fußte. Diese Grundhaltung wurde von Adolf Hitler in »Mein Kampf« unter Berufung auf die berühmte Fälschung der Protokolle der Weisen von Zion zu einer bolschewistisch-jüdischen Weltverschwörung umgearbeitet. Die Folgen dieser rassistischen Verschwörungsideologie sind bekannt.

Doch mit dem Ende des Nationalsozialismus war keineswegs das Ende von Verschwörungsphantasien eingeläutet. In den USA, einem Paradies für Verschwörungsdenker und -sucher, witterte schon bald die Kommunistenverfolgung unter McCarthy an jeder Straßenecke Verschwörer, die die »freie« Welt des Westens bedrohten. Doch nicht nur die Antikommunisten, auch die Linken seit den sechziger Jahren erlagen häufig verschwörungstheoretischen Versuchungen und Vereinfachungen, wie sie nicht zuletzt in der Stamokap-These zu finden sind, die letztlich »das Böse« in »dem« Monopolkapitalisten ausmacht und damit das doch recht komplexe kapitalistische System zurück auf die schon angesprochene manichäische Weltsicht reduziert.

Eine ähnliche Ambivalenz findet sich einerseits in der Rhetorik von George W. Bush, der nach dem 11. September 2001 den Kampf gegen die »Achse des Bösen« ausrief und andererseits in der islamischen Welt, die sich ähnlich schlicht gegen »den imperialistischen Westen« wendet und diesen Westen als von der jüdischen Weltherrschaft beeinflusst sieht, wofür wiederum die Protokolle der Weisen von Zion als Belege kursieren. Nun sollte jedoch nicht außer acht gelassen werden, dass es selbstverständlich immer wieder Komplotte und Verschwörungen gab und gibt, deren Aufdeckung meist großen Wirbel verursacht. Zu nennen wäre hier zum Beispiel die Enttarnung der rechtsradikalen Geheimloge Propaganda Due (P2) in Italien, zu denen auch Silvio Berlusconi zu zählen ist und von deren Mitgliedern 950 Schlüsselpositionen in Wirtschaft, Medien und Regierung Italiens inne hatten.

Absurd aber real gefährlich

Wenn man nun also denken mag, Verschwörungsglaube sei ins Feld der paranoiden Spinner einzuordnen, so sollte nicht vergessen werden, dass es natürlich konspirative Zirkel gibt. Und dass auch eine erhebliche Gefahr davon ausgehen kann, wenn der Verschwörungsglaube – und sei er noch so absurd – handlungsleitend wird und zum Beispiel die Überzeugung von der »Jüdischen Weltverschwörung« zu antijüdischen Aktionen wie Brandanschlägen oder ähnlichem führt. Nicht zuletzt der schon erwähnte Anschlag von Oklahoma City (vgl. AIB 33) ist auf einen solchen handlungsleitenden Glauben an Verschwörungen zurückzuführen. Und selbst wenn es sich um Psychopathen handeln mag, so stellt eine Gruppe wie die us-amerikanische Montana Militia mit ihrer paramilitärischen Ausbildung und Ausrüstung eine reale Gefahr dar. Und dies, obgleich deren Sprecher Bob Fletcher wirre Dinge als erwiesen ansah, wie die Behauptung, die US-Regierung habe sich verschworen, das Wetter ungünstig zu beeinflussen und würde Gurkha-Söldner ausbilden, die alle Haushalte durchsuchen wollten. Die berüchtigten »Turner-Diaries« sind eine konspirative Schrift, die noch heute in den USA rechtsradikalen Zirkeln als Inspiration dient – wie der Anschlag in Oklahoma City zeigte, aber auch Banküberfälle Mitte der 1990er Jahre durch die Aryan Republican Army und der Mord am jüdischen Talkshow-Master Alan Berg in Denver im Jahr 1984.

Und die Suche nach einer vermeintlichen Verschwörung kann zugleich staatlicherseits als Drohkulisse eingesetzt werden, wonach sich hinter jedem Menschen ein Verschwörer verbergen kann, dem es nur die Maske herunterzureißen gelte – dies sind Phänomene, die unter anderem auch aus der Zeit der stalinistischen Schauprozesse in den 1930er Jahren, der Stasi-Zeit in der DDR und aus den Jahren nach der Wende bekannt sind, aber auch an die »Schläfer«-Hysterie im Anschluss an den 11. September denken lassen. Verschwörungstheorien folgen zwar immer einem analogen Muster, wie es eingangs skizziert wurde. Ihre Motive, ihre Ziele und Zwecke sowie die Kontexte, in denen sie virulent werden, sind jedoch grundverschieden – und so gilt es sehr genau danach zu schauen, wem eine vermeintliche Verschwörung nutzt, um der daraus womöglich erwachsenden Gefahr entgegentreten zu können. Die Suche sollte sich also weniger auf die Verschwörer, als vielmehr auf die Verschwörungssucher selbst richten.

Fazit

Kaum eine Geschichte ist zu bizarr, um nicht in das Muster einer weltweiten Verschwörung zu passen – doch zu schnell sollte Verschwörungsglaube nicht schlicht als Wahnvorstellung phantasieüberfrachteter Paranoiker angesehen werden. Denn ihre Wirkungsmacht kann enorm sein und die ausgewählten knappen Beispiele waren nur ein Mosaikstückchen in einer immer wieder bedeutsam werdenden Auswirkungen von Verschwörungstheorien.