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Die Wiking-Jugend. Spotlights aus einem verbotenen Verein

Einleitung

Antifaschistinnen wiesen bereits zu Beginn der 90er Jahre darauf hin, daß die Wiking Jugend (WJ) das Konzept verfolgt, sich in Schlüsselpositionen der politischen Landschaft einzunisten. Getreu der Arbeitsteilung im rechtsextremen Lager der BRD, sorgte der neonazistische Verein für die Ausbildung junger Nazis, damit diese nach dem Ende ihrer aktiven Mitgliedschaft in anderen Positionen und Strukturen ihre politische Arbeit fortsetzen konnten. 

Wolfram Nahrath (rechts) war bis zu ihrem Verbot 1994 Vorsitzender der Wiking-Jugend.

Diese Analysen und Recherchen wurden nun von einem Buch bestätigt, welches der ehemalige sächsische WJ- Gauleiter, Frank Kaden, 1999 veröffentlichte. Das langjährige Mitglied der Republikaner (REP) Holger Szymanski schreibt im Vorwort, dass es nicht um eine Idealisierung der WJ gehe, die schönen Episoden ihrer Geschichte aber offen dargestellt werden sollten. Limitiert auf 200 Stück wurde das Buch vom Verfasser nur persönlich an Bekannte verkauft. Z umindest für das Bundesland Sachsen beschreibt Frank Kaden aus Sicht der WJ detailliert und kenntnisreich die Geschichte der rechten Szene, ihre Entwicklung und Einbettung in die regionalen und bundesweiten Neonazismus. Auf den 120 Seiten belässt es Kaden nicht nur bei der oberflächlichen Darstellung von Ereignissen, sondern er benennt konkrete Strukturen und Namen der damaligen Zeit. Sein Buch gibt einen subjektiven Einblick in die damalige rechtsextreme Szene, so daß seine Ausführungen nur in einem Gesamtkontext gesehen und mit dem nötigen Abstand übernommen werden können.

Die Zeit vor dem Verbot

»Ende 1992 kam zudem von der Gauführung die Verfügung, daß ihre Mitglieder aktiv in politischen Parteien tätig werden sollen. Das Ziel war die Einflussnahme auf die verschiedensten Aktivitäten der Parteien durch die WJ«. Dieses Zitat ist nicht nur in der Einleitung des Kapitels über die Verbindungen zu anderen Verbänden und Parteien nachzulesen. Er bestätigt auch die politische Brisanz antifaschistischer Recherchen, wonach es eine enge Zusammenarbeit zwischen der WJ und anderen Gruppen gab. Diese erschöpfte sich jedoch nicht nur in einer informellen Zusammenarbeit. Bei der Reanimierung der Dresdner REP im Oktober 1993 wurde etwa der WJler Tobias Kirchner zum Vorsitzenden gewählt. Politisch heikler sind die Verquickungen mit der Deutschen Sozialen Union (DSU), welche Kaden recht ausführlich in seinem Buch darlegt.

Schwarz-braun ist die DSU

Vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an, dem Januar 1990, stellte die nach DSU ein Sprungbrett für Rechtsextremisten in das sogenannte etablierte Parteienspektrum dar. Die nur im Osten vorhandene Partei entfaltete nach der Wende ihr Relevanz aufgrund der Tatsache, dass sie eine, von der DDR unbelastete Neugründung der Wendezeit war.

Ein Beispiel für ihre fehlende Abgrenzung zur extremen Rechten ist die Konstituierung der Dresdner Gruppe der Jungen Union (JU) der DSU als Jugendorganisation der DSU. Unter den zwölf Gründungsmitgliedern im Februar 1993 befanden sich drei Mitglieder der WJ. Später stieß u.a. auch noch Frank Kaden zur Jugendgruppe. »Mit dieser Personaldecke«, schreibt er, »hatte die WJ Mitspracherecht in allen Angelegenheiten der JU«. Das Verhältnis zur DSU beschreibt Kaden als »herzlich«, was darin gipfelte, daß die WJ ab Ende 1992 über einen eigenen Klubraum in den Räumlichkeiten der DSU Dresden-Ost verfügte1 , welchen sie zur Durchführung eigener Veranstaltungen nutzte. Darüber hinaus versandte die JU der DSU Einladungen für Veranstaltungen der WJ. Die Beteiligung der WJ am Ordnungsdienst für eine Wahlkampfveranstaltung mit dem DSU-Oberbürgermeisterkandidaten Reinhard Keller im Mai 1994 stellt einen anderen Höhepunkt des gemeinsamen Wirkens dar. Aufgebaut wurden die Verbindungen zur DSU über Hans-Holger Malcomeß, ab Februar 1990 Mitglied der DSU und mehrmaliger Referent bei der WJ. (vgl. AIB # 43, S.26) Auch ideologisch waren die Unterschiede zwischen den einzelnen Beteiligten marginal.

Nachdem die Dresdner DSU wegen ihrer strukturellen Überschneidungen mit Rechtsextremisten publizistisches Ziel einer lokalen Antifagruppe wurde, entstand eine Anti-Antifa-Sammelstelle. Diese wurde von Mitgliedern aus unabhängigen Kameradschaften, der WJ, den REP und »Freunden der DSU« gegründet. Sie hatte die Aufgabe, »Adressen, Fotos, Funktionen usw. von Antifa-Aktivisten zu speichern«. Inwiefern diese Ideen in die Praxis umgesetzt wurden, ist nicht bekannt. Fakt ist aber, daß vergangenes Jahr aus dem Umfeld ehemaliger JU der DSU- Mitglieder, unterzeichnet mit Antikommunistische Recherchegruppe (ARG), eine längere Abhandlung über linke Strukturen veröffentlicht wurde. Deren Ziel war es, die Vergabe von städtischen Fördergeldern an alternative Vereine zu beeinflussen. Nach dem Verbot der WJ bestanden die politischen und sozialen Verbindungen fort. So veranstalteten der heutige CDU-Landtagsabgeordnete Andreas Grapatin und Malcomeß im Dezember 1996 eine große Geburtstagsparty. Der offiziellen Gästeliste ist zu entnehmen, dass sich (ehemalige) Mitglieder der WJ, der REP oder des Hofgeismarer Kreises ebenso dort tummelten, wie Anhänger der Jugendorganisationen der CDU und DSU. Neben seiner Abgeordnetentätigkeit ist Grapatin gegenwärtig als jugendpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Dresdner Stadtrat mitverantwortlich, daß Fördermitteln an linksorientierte Vereine gekürzt werden. Unter ihnen sind exakt auch jene, welche ARG in ihrem Pamphlet angriff.

Die Stadt Dresden

Das Verhältnis der WJ zur Stadt Dresden war bemerkenswert gut, zumindest wurden die Aktivitäten der WJ von ihr nicht verhindert. Kadens Buch macht deutlich, dass die informellen Verquickungen zwischen beiden Seiten intensiver war, als bisher angenommen. So wird eine Anekdote berichtet, nach der die WJ Ende 1992 einen Tip aus dem Jugendamt Dresden bekam, wonach in einem Park eine rechtsgerichtete Clique Anwohner störe. Diesem Hinweis ging die WJ-Gruppe nach, besuchte diese rechten Jugendlichen und integrierte sie später teilweise in ihre Arbeit. Auch verfügte die Dresdner WJ ab 1994 über einen eigenen Raum im Bautechnischen Gymnasium in Dresden- Mitte, was politisch skandalös ist. Stellt man diese beiden Beispiele in einen Kontext, so erscheint die gemeinsame Reise der Ausländerbeauftragten und Dresdner Neonazis, darunter fünf Mitglieder der WJ, nach Israel im Oktober 1993 in einem völlig anderen Licht. Absicht dieser semioffiziellen Reise war, dass ein Nachdenken über Ausländerfeindlichkeit einsetzen sollte. Die Auswahl der Neonazis erfolgte nach ihrem Einfluss in neonazistische Gruppen, damit sie im Anschluss an die Fahrt als Multiplikatoren wirken könnten. Finanziert wurde das gesamte Spektakel u.a. aus Fördermitteln zur Integration jüdischer Einwanderer aus Russland.

Die grauen Eminenzen

Wichtige Kontakte zur bundesweiten und europäischen Neonazi-Szene dürften über die Altherrenriege der WJ geknüpft worden sein. Mehrmals erwähnt Kaden in seinem Buch Namen wie Sepp Biber oder Axel Schunk, ohne dabei zu vergessen, welche Hilfe beide leisteten. Kadens Buch bestätigt die Aussagen von Antifaschistinnen, wonach der Deutschen Kulturgemeinschaft (DKG) eine enorme Schlüsselrolle in der Herstellung von Kontakten innerhalb des rechtsextremen Lagers zukommt. »Nirgendwoanders konnte man so viele nationale Persönlichkeiten kennenlernen wie bei den Veranstaltungen der DKG. Das Verhältnis zwischen jung und alt war äußerst herzlich, betrachtet die Erlebnisgeneration die dort anwesende Jugend doch als ihre geistigen Nachfolger.« Ergänzend dazu befand Kaden die inhaltliche Qualität der jährlichen Gästewochen als sehr gut, stellten sie doch den höchsten Grad an Schulungen innerhalb des rechten Lagers dar. Seit 1994 finden die jährlichen Gästewochen im sächsischen Altenberg statt und werden vor Ort maßgeblich vom ehemaligen NPD-Mitglied Stefan Giemsa, einem Förderer der WJ (Kaden), getragen. Die sächsischen WJ-Mitglieder lernten die Österreicherin Lisbeth Grolitsch, eine der Schlüsselfiguren der DKG, bei den Neuwahlen zur WJ-Bundesführung im Juli 1991 in Schmalkalden erstmals kennen. Daraus entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die durch die regelmäßige Teilnahme sächsischer WJ-Mitglieder an den Gästewochen dokumentiert ist. Auch bemerkte Kaden in seinen Ausführungen, daß die Dresdner WJ 1994 »die Auslieferung für die zweimonatlich erscheinende Zeitschrift »Huttenbriefe für Volkstum, Kultur, Wahrheit und Recht« an die Bezieher im Inland« organisierte. »Die erste Folge wurde in der Landesgeschäftsstelle der REP in Dresden vorbereitet«.

Kontinuitäten l

Spätestens Ende 1997 wurde die Existenz einer Gruppierung bekannt, welche sich selbst als Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) bezeichnet. Sie verdankt ihr Bestehen dem Engagement der örtlichen NPD im allgemeinen und der Person Uwe Leichsenring im speziellen. Die Anbindung von Jugendlichen an die NPD sollte auf diesem Weg gelingen und auch eine spätere Mitgliedschaft dieser in der NPD war angestrebt. In der Praxis der vergangenen zwei Jahre kann die SSS als schlagender Arm der regionalen NPD bezeichnet werden. Nicht nur dass sie den Saalschutz für Veranstaltungen der NPD übernimmt, sondern auch, weil sie abseits von Veranstaltungen das umsetzt, was die NPD gemeinhin als Kampf um die Straße bezeichnet. Unzählige Angriffe auf andersdenkende Jugendliche und deren Klubs gehen auf ihr Konto. Zur Umsetzung ihrer Aktivitäten verfügt die SSS über eine Beitragsstruktur der Mitglieder, einen HNG-Beauftragten, Presseverantwortliche etc. Daß die örtliche NPD nicht nur (indirekt) auf der Straße erfolgreich ihre rassistischen und nationalistischen Thesen umsetzt, zeigte das vergangene Jahr, als der erwähnte Leichsenring mit mehr als 12% für die NPD in den Stadtrat von Königstein einzog. Gerade im Hinblick auf die früheren Strukturen der WJ ist auffällig, dass eines ihrer ehemaligen Mitglieder heute eine der wichtigsten Personen bei der SSS ist. Thomas Sattelberg schloss sich nach der Wende der WJ an und war an der Herausgabe der sächsischen WJ-Zeitschrift Trotzkopf beteiligt. Auch war er ab 1992 für den Aufbau der WJ im südlichen Sachsen zuständig.

Darüber hinaus, und das ist bemerkenswert, war er 1993 eines der erwähnten Gründungsmitglieder der JU der DSU. Der heutige Sänger der rechtsextremen Gruppe 14 Nothelfer war spätestens ab 1996 Ordnungsdienstleiter des NPD- KV Sächsische Schweiz. Als stellvertretender Vorsitzender saß auch Michael Wiegand im dortigen Kreisvorstand. Wiegand, heutiger NPD-Kreisvorsitzender und ebenfalls Mandatsträger im Königsteiner Stadtrat, übernahm 1993 als Mitglied der WJ den Vorsitz der Kameradschaft Sächsische Schweiz. Das enorme militante Potential einzelner Mitglieder drückte sich in der Vergangenheit u.a. dadurch aus, dass sie im unübersichtlichen Gebiet des Elbsandsteingebirges eine Reihe von Wehrsportübungen abhielt. Diese Art von »politischer Ertüchtigung« ist fester Bestandteil der SSS, wofür sie innerhalb ihrer Struktur sogar einen Beauftragten hat. In der Sächsischen Schweiz fand und findet der Wehrsport jedoch nur unter Nutzung kleinerer Waffen statt. Zum Training an größeren Waffen wich man in der Vergangenheit in die nahe gelegene Tschechische Republik aus, um dort ungestört auf verlassenen Kasernengeländen üben zu können. Bereits vor dem Verbot der WJ experimentierten einzelne ihrer sächsischen Mitglieder mit Sprengstoff. So explodierten im März 1993 in der Nähe von Königstein einige Sprengkörper, die von WJ-Mitgliedern zur Detonation gebracht wurden.2 In diesem Zusammenhang fiel auch der Name Sattelberg.

Kontinuitäten II

Mit Unterstützung der Bundesmädelführerin Susann Gestrich, »die durch ihre unkomplizierte und mütterliche Art zahlreiche Mädchen begeistern konnte«, wurde ab 1994 eine »Mädelgruppe« in Sachsen aufgebaut. Sie veröffentlichte drei Ausgaben des Sächsischen Mädelrundbriefes. »Gemäß ihrer Veranlagung«, so ist im Kapitel Mädelarbeit von Kadens Buch nachzulesen, »unterschieden sich die Themen bei den Gruppenstunden der Mädel grundlegend von denen der Jungs«. Die »Veranlagung« bestand u.a. darin, dass »man sich von der Bundesmädelführung Schnittmuster für die kornblumenblauen Mädelröcke besorgte«. Hinzu kamen Schulungen zu Themen wie Abtreibung und altgermanisches Brauchtum. Eine führende Rolle bei dieser politischen Arbeit hatten Katharina  und Handschuh Susann S. inne, die nach dem Verbot der WJ innerhalb der rechtsextremen Szene aktiv blieben. Beide, Handschuh und Susann S., unterhielten schon zu WJ-Zeiten gute Verbindungen zu anderen führenden Neonazis. Sie waren dabei, als die Polizei im August 1994 eine größere Gruppe von Neonazis festnahm, die vom Dach des Berliner Naziführers Arnulf Priem, JournalistInnen  mit Stahlkugeln beschossen. Im selben Jahr war Katharina Handschuh an der Eröffnung der »Herzog-Heinrich-Buchhandlung« in Dresden beteiligt. Dies war eine Unternehmung von Stephan W., damaliges Mitglied im Deutschem Jugendbildungswerk, der 1993 von München nach Dresden zog. Nach dem Verbot der WJ zog es Handschuh zu den Jungen Nationaldemokraten (JN), wo sie spätestens 1995 aufgenommen wurde. Ihre Erfahrungen aus der »Mädelarbeit« bei der WJ konnte sie anschließend in die JN als Bundesmädelführerin einbringen, einer Position, die innerhalb der JN keine Relevanz hatte. Gemeinsam mit Oliver Händel betreute sie bis Anfang 1998 die Bundesgeschäftsstelle der JN in Dresden.

Auch Susann S. scheint bis zum heutigen Zeitpunkt über beste Kontakte ins neonazistische Lager zu verfügen. So soll sie Ende 1997 gemeinsam mit Andreas T. den inhaftierten Kay Diesner besucht haben, dem die Tötung eines Polizisten und die schwere Verletzung eines linken Buchhändlers eine lebenslange Haft einbrachte. In dem erst kürzlich erschienenem Buch »Alles Große steht im Sturm – 35 Jahre NPD« (Hg. Holger Apfel) beschreibt sie ihren Arbeitsalltag in der Bundesgeschäftsstelle der NPD. Ihre Hochzeit mit einem Unterstützer der Berliner Naziband Landser geriet Ende Juli vergangenen Jahres in die Schlagzeilen, weil die Feier mit über 100 Personen im Klubhaus der Berliner Nazi-Gang Vandalen – Ariogermanische Kampfgemeinschaft von der Polizei gestürmt wurde. Seit ihrer Hochzeit heißt sie Susann B..

Abgesang

Frank Kadens »Erinnerungsbuch« liefert viele Fakten. Gleichwohl auffällig ist, dass diese so gewählt wurden, dass sie für die Gegenwart nur eine begrenzte Relevanz haben. Informationen über heutige Führungskader militanter Nazigruppen und -parteien sind spärlich. Neben Frank Kaden und Sebastian Räbiger, ab September 1994 Vorsitzender der WJ Gau Sachsen, wurde das heutige Mitglied des NPD-Bundesvorstandes Schön im Zuge des Verbotes der WJ am 10. November 1994 mit einer Razzia konfrontiert. Das Bundesministerium des Innern begründete das damalige Verbot u.a. damit, dass die WJ einen »nationalsozialistischen Staat in Deutschland errichten wolle«. Das Vereinsverbot wurde im April 1999 gerichtlich unanfechtbar bestätigt. Interessant sind Kadens Berichte zum Ende der sächsischen WJ. Bereits vor dem Verbot traten etwa 85% ihrer Mitgliederaus. Die Gründe hierfür lagen wohl in den Differenzen mit der Bundesrührung. So sind in dem Buch einige Auszüge aus einem Brief von Jirka B. (Neuwied) abgedruckt, der sich darüber beschwert, daß die WJ keine richtige Relevanz entfaltet hätte. »Tradition ist leider kein Beweis für Qualität. Der Erfolg der WJ erschöpft sich lediglich in der Tatsache, daß sie noch existiert«.

Kaden selbst begründet den Ausstieg der Mehrheit der Mitglieder seines Gaues mit dem Versuch der Trennung von Jugendarbeit und Politik. Durch repressive Maßnahmen der Polizei entstand das Gefühl, »daß eine aktive Jugendarbeit wie wir sie uns vorstellen, unter diesen Bedingungen nicht mehr möglich war. Hinzu kam, daß wir auf dem Tvf [Tag der Volkstreuen Jugend – Anm. d. Red.] das Gefühl bekommen hatten, daß die Bundesführung ihre Mitglieder sinnlos opfert«. Letzteres ist eine Anspielung auf die Tag der volkstreuen Jugend 1994 in Hetendorf. Dort störten AntifaschistInnen das Treiben der Neonazis. »Zum ersten Mal sah man Mitglieder der Wiking Jugend ungeordnet und mit schützender Hand vor dem Gesicht durch die Straße ziehen«. Dieses Dilemma verantwortete, laut Kaden, die Bundesführung, die sich auf Traditionen und Kampfeswillen berufen hätte. Kadens Buch betont dagegen überwiegend den völkischen Geist der WJ und skizziert ein Bild, welches einer heimatverbundenen Pfadfindergruppe mit hohemErlebniswert ähnelt. Über den militanten Charakter der WJ schreibt er demgegenüber nur sehr wenig, vermeidet es absichtlich. Seine Ausführungen darüber wirken vielmehr wie Randnotizen, »1992 nahm die Nordische Jugend aus Sinsheim-Kontakt mit der WJ Leipzig auf. Es wurde ein Wehrsportlager auf sächsischem Gebiet vorgeschlagen. Ob der Kontakt zustande kam, entzieht sich unserer Kenntnis«.

Als Alternative für die Weiterführung der eigenen Arbeit abseits der WJ fasste man verschiedene Pfadfindergruppen ins Auge. Als eine dieser Auswahlmöglichkeiten nannte Kaden den Pfadfinderbund Weltenbummler, was antifaschistischen Recherchen zufolge auch teilweise umgesetzt wurde. Kadens Name selbst verschwand nach dem Verbot der WJ aus der Öffentlichkeit, erst im April 1998 fiel sein Name erneut – diesmal in einem Prozess um den Missbrauch von Minderjährigen. Abschließend sei darauf hingewiesen, daß Kadens Buch weitestgehend die Recherchen und Analysen von AntifaschistInnen bestätigt und sogar noch übertrifft. Auch wenn die WJ seit mehr als fünf Jahren verboten ist, wurde ihr Konzept, die Verbindung von völkischer Weltanschauung mit Militanz, bis in die jüngste Vergangenheit hinein aufgegriffen. Die Ende 1999 aufgelöste Wanderjugend Gibor (WJ Gibor) ähnelte der Wiking-Jugend nicht nur in ihrem Namen.

  • 1Ab 1992 hatte der regionalistische Sachsenbund ebenfalls dort seinen Raum.
  • 2Interessanterweise berichtet das Antifaschistische Autorenkollektiv im »Drahtzieher im braunen Netz« (1996) über ähnliche Aktionen von WJ-Aktivisten im selben Zeitraum. Auf eine scharfe Pistole und Handgranaten stieß die Polizei im März 1993, als sie ein WJ-Übungslager in der Nähe des thüringischen Gotha im Vorfeld aushob. Mit der Umsetzung eines »Ordnungsbefehles der WJ« begründete der damalige WJ-Gauleiter Preußen, Sascha Stein, seinen Versuch, im selben Monat eine gestohlene Maschinenpistole zu verkaufen. Alle drei Fälle eint die zeitliche Nähe.