Ein Neonazi-Attentat und die Ignoranz der Behörden
Am 16. März 1992 wurde der 29-jährige Henrik Christensen im Büro der Internationalen Sozialisten (IS) in der Søllerødgade in Kopenhagen durch eine Bombe getötet. Der Sprengsatz explodierte als Henrik Christensen einen Brief, der an IS adressiert war, öffnete. Die Polizei und der Verfassungsschutz vernachlässigten von Anfang an die Spurensuche in der extremen Rechten und konzentrierten sich stattdessen auf angebliche Konflikte innerhalb der politischen Linken oder privater Verhältnisse des Opfers. Antifaschist_innen waren sich sicher, dass Neonazis hinter dem Mord standen und forderten Aufklärung. Jetzt berichtete die Zeitung »Ekstrabladet«, dass ein früherer schwedischer Neonazi den verstorbenen Führer des damaligen Blood & Honour-Netzwerkes in Dänemark, Marcel Schilf, für das Bombenattentat verantwortlich macht.
Im April 2013 berichtete der ehemalige Neonazi Kim Fredriksson zum ersten Mal öffentlich über seine Kenntnisse zum Mord an Christensen. Diese beziehen sich auf Gespräche bei einem Treffen von skandinavischen Neonazis bei Tor Erik Nilsen (Erik Blücher)1 und Marko Järvinen (genannt »Jäsä«) in Helsingborg im Jahr 2000. Neben den schwedischen Neonazis Pierre Ljunggren,2 Thomas Ölund (Spitzname "Nekro")3 und Kim Fredriksson waren auch die Dänen Flemming Muff Christiansen, Marcel Schilf und der Deutsche Stephan Günther, der in Dänemark wohnt, zugegen. Hier wurde u.a. über militante Aktionen von Antifaschist_innen in Malmö gegenüber Blood & Honour-Aktivisten berichtet. Fredriksson zufolge war die Schlussfolgerung auf diesem Treffen, dass als Antwort nur Gewalt helfen würde. Marcel Schilf wies auf die Bombe in Kopenhagen hin und endete mit den Worten, »das sie sich um die Kommunisten gekümmert hätten.«4 Es wurde darüber gelacht, dass »in Dänemark einer kalt gemacht wurde.« Später kam Fredriksson in Gegenwart von Schilf, Järvinen und Blücher erneut auf das Thema zu sprechen. Schilf erklärte: »Wenn man Probleme mit AFA hat können Bomben eine gute Möglichkeit sein um das Problem so zu beheben. So wie sie es auch in der Søllerødgade gemacht hatten.« Bevor Fredriksson an die Öffentlichkeit ging, versuchte er noch mal seine Kenntnisse zu bekräftigen. Über das Internet nahm er Kontakt zu einer Ex-Freundin von Schilf auf und befragte sie zu dem Mord. Dass es ein Wissen im dänischen Blood & Honour-Netzwerk über Schilfs Rolle gab, bestätigte sie online mit einem Smiley. Marcel Schilf kann dazu nicht mehr befragt werden. Er starb im Jahr 2001 an einer Krankheit. Ein weiterer Umstand, der den Verdacht gegen die Neonaziszene als Verantwortliche verstärkt, ist ein Brandanschlag auf das Freiheitsmuseum, der noch am selben Abend stattfand, als Frederiksson an die dänische Öffentlichkeit ging. Das Freiheitsmuseum ist das Museum des dänischen Widerstandes gegen die Besatzung durch Nazideutschland. Dieser Widerstand nimmt in der Geschichtsauffassung der dänischen Gesellschaft eine außerordentlich wichtige Rolle ein und verleiht dem Anschlag einen hohen Symbolwert. Der Brand war an zwei verschiedenen Stellen gelegt worden und es bestehen wenige Zweifel, dass Neonazis dahinter stecken. Solche Anschläge sind sehr selten in Dänemark. Dennoch war das Museum schon mehrfach neonazistischem Vandalismus ausgesetzt und abgesehen von Neonazis gibt es kaum Menschen in Dänemark, die Hass gegen dieses Museum empfinden. Selbst die RechtspopulistInnen sehen sich in der Tradition des Widerstandes.
Wer war Marcel Schilf?
Marcel Schilf wurde 1972 in Brandenburg an der Havel geboren und zog mit seiner Mutter 1981 nach Dänemark. Bei seinen Besuchen in Brandenburg verkehrte er Anfang der 1990er Jahren in der örtlichen Neonaziszene. In Dänemark engagierte er sich im neonazistischen Netzwerk Blood & Honour und wurde so zum führenden Produzenten von neonazistischer Musik in Europa. Schilf war Hauptverantwortlich für die dänische Videoproduktionsfirma »NS Records« und die Schwesterfirma »NS88 Versand«. Er arbeitete sehr eng mit dem in Schweden wohnenden Norweger Tor Erik Nilsen (Erik Blücher) und seiner Firma »Ragnarok Records« zusammen. Gemeinsam unterhielten sie das Tonstudio »Club Valhalla« in Helsingborg, wo z.B. die Berliner Neonazi-Band Landser 1995 ihre CD »Republik der Strolche« einspielte.5
Schilf spielte bei der Produktion der CD eine erhebliche Rolle. Es liegt auf der Hand, dass Schilf einer der wichtigsten Personen bei der internationalen Produktion von Neonazimusik war und dass er über vielfältige Kontakte zu Neonazis in Deutschland verfügte. Noch nicht aufgeklärt ist, wie gut seine Kontakte zu späteren Mitgliedern des deutschen Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) waren. So gab es eine Gründungsinitiative zu einem »Nationalen Politischen Forum« (NPF). Diese Gründung soll von dem Brandenburger Neonazi Norbert P. aus der JVA Cottbus und anderen (zeitweilig) inhaftierten Neonazis forciert worden sein. Deutschen Sicherheitsbehörden wurden Unterlagen bekannt, nach denen sich neben dem späteren NSU-Mitglied Uwe Mundlos auch eine Reihe bekannter Neonazis im Umfeld dieser Initiative bewegt haben sollen. Aus Deutschland wurden u.a. die Neonazi-Aktivisten Dieter Riefling, Sascha Wagner und Sylvia Endres bekannt. Mit Tom Metzger aus den USA, Karel Duben aus Tschechien und einem »Marcel« aus Dänemark wurden hier auch ausländische Neonazis benannt. Dänische Antifas gehen davon aus, dass es sich hierbei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um Marcel Schilf gehandelt haben dürfte.
Verfassungsschutz versagt – auch in Dänemark
Während für Antifas kein Zweifel bestand, dass Neonazis hinter dem Bombenmord standen, sahen dänische Behörden die Situation anders. Am Tag nach dem Mord nahm die Polizei aus anderen Gründen eine Razzia bei Schilf vor, wo auch Materialien für Sprengstoff und Waffen gefunden wurden. Dieser Spur folgte sie aber nicht weiter: »Wir wissen, dass es Kontakte zwischen deutschen und dänischen Nazis gibt und wir wissen auch, dass es Dokumente mit Anweisung zu Terrorismus gibt. Aber wir können uns keinen Zugang dazu verschaffen, wir haben nicht die Ressourcen. Das ist eine Frage der Priorität« sagte 1993 ein Kriminalinspektor.6
Der Hauptverdacht der Polizei wandte sich vorrangig gegen das Opfer Henrik Christensen selbst. Ihr Verdacht war, dass sich Christensen bei dem Versuch, eine Bombe zu bauen versehentlich selbst in die Luft gesprengt habe. Eine Woche nach dem Mord wurde die Wohnung seiner Witwe in ihrer Abwesenheit durchsucht. Sie berichtete, dass die Polizei auch vermutete, dass es sich um eine Eifersuchtstat gehandelt habe oder dass die Schuldigen in einem internen Streit im antifaschistischen Milieu zu finden seien. »Einmal haben wir direkt gefragt, ob sie die rechte Szene untersuchen. Das haben sie abgewiesen.«, erinnert sie sich.7
Parallelen zu der offentsichtlichen Ignoranz der Behörden im NSU-Kontext in Deutschland drängen sich auf. Besonders skandalös wird es, wenn man sieht, mit welchem Engagement sich der dänische Verfassungsschutz (PET) der radikalen Linken und der antifaschistischen Szene zuwendet. Wegen des Vorwurfes eines Überfalls auf Neonazis und dem »Anlegen eines umfangreichen Personenregisters« wurde die Antifaschistische Aktion (AFA) des Terrorismus und der Spionage angeklagt.8
Nach drei Jahren der Ungewissheit wurde die Anklage still und heimlich auf Hacking, Körperverletzung und Waffenbesitz herabgestuft. Der Prozess soll noch in diesem Jahr beginnen.
- 1Tor Erik Nilsen ist allgemein unter dem Namen Erik Blücher bekannt und publizierte neonazistische Schriften unter dem Namen Max Hammer.
- 2Pierre Ljunggren saß wegen eines rassistischen Mordes in Klippan vier Jahre in Haft.
- 3Thomas Ölund war Sänger der schwedischen RechtsRock-Band "Nothung" und Aktivist von Blood & Honour Stockholm / Info 14 und der Svenskarnas Parti. Im Juni 2005 war Thomas Ölund Redner auf dem "Fest der Völker" in Jena. Dieses war von Ralf Wohlleben organisiert worden, der später als NSU-Unterstützer angeklagt wurde. 2008 registrierte Ölund die deutsche Neonazi-Homepage volksfront-medien.org. Er zählte zu den schwedischen Tatverdächtigen, die am 14. Februar 2009 nach einem brutalen Neonazi-Überfall auf linke Demonstranten auf der Raststätte Teufelstal in Thüringen kontrolliert wurden. Beide Gruppen befanden sich nach einer Neonazi-Veranstaltung in Dresden mit Bussen auf der Heimreise. Mittlerweile lebt Thomas Ölund in Berlin.
- 4Ekstrabladet, 27.04.2013
- 5https://antifainfoblatt.de/artikel/profis-geld-und-subkultur
- 6Jyllandsposten 7.3.1993
- 7Ekstrabladet 28. April 2013
- 8https://antifainfoblatt.de/artikel/mit-terrorgesetzen-gegen-antifa-recherche