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Der NS 88-Versand

Einleitung

Daß sich mit dem Verkauf von Neonazimaterialen gut Geld verdienen lässt, ist spätestens seit dem Auftauchen diverser interner NF-Unterlagen bekannt. In der Kundendatei des Klartext Verlages der NF befanden sich allein Ende 1992 genau 9.724 Datensätze, d.h. rund 7.600 Adressen und Namen. Mittlerweile dürfte der Absatzmarkt allerdings so enorm zugenommen haben, daß die 120.000 Mark Jahresgewinn (laut Gesellschaftsvertrag) des Klartext-Verlages lächerlich erscheinen. Die Bremer Neonaziband Endstufe verkaufte im Laufe ihres Bestehens ca. 100.000 Tonträger, das Neonazi-Rock-Magazin NORDLAND erscheint mit 20.000er Auflage, an Neonazikonzerten nehmen bis zu 1.000 Leuten teil und die rechte Band Ultima Thule erreichte in Schweden Platz Eins der Charts. Mittlerweile dürften also Millionenbeträge bei dem Geschäft mit dem Neonazirock im Spiel sein. Um auch den deutschen Absatzmarkt mit den hier indizierten Produkten versorgen zu können, ist u.a. in Dänemark ein Firmenkomplex aufgebaut worden, welcher die entsprechenden CDs und Musikvideos produziert und verteilt. An dem Schmuggel der Neonaziware sind dänische, schwedische und deutsche Neonazis beteiligt - eine neue »Versorgungslinie Nord«.

Foto: Screenshot aftonbladet.se

V.l.n.r.: Hans Himmler Petersson, Marcel Schilf und Erik Blücher/Erik Nilsen.

Teil einer neuen »Versorgungslinie Nord«

Diesen Firmenkomplex mit dem Namen NS 88 (NS für Nationalsozialismus und 88 für Heil Hitler) wollen wir hier beispielhaft für viele weitere Neonazi-Versände beleuchten. NS 88 wurde im Frühjahr 1994 von einer kleinen Gruppe dänischer Neonazis gegründet und betreibt seitdem ein Postfach in Hillerod nördlich von Kopenhagen. Seit seiner Gründung ist NS 88 enorm angewachsen und unterhält eine Vielzahl von internationalen Kontakten.

Besonders intensiv ist die Zusammenarbeit mit Wasakaren RR / Ragnarock Records aus Schweden/Helsingborg, mit der dänischen DNSB, mit Combat 18 und Blood & Honour (B&H) aus England und mit der National Socialist Alliance (NSA). Aber noch ein anderer intensiver Kontakt ist von Bedeutung: Der Kontakt zu einer Gruppe von sieben Personen um Thomas Derry Nakaba, Michael Volder und Nicky Steensgaard, die im Januar 1997 von der Polizei verhaftet worden sind. Ihnen wird die Teilnahme am internationalem, neonazistischem Terrorismus vorgeworfen. Sie stehen im Verdacht Briefbomben, u.a. an konkurrierende Neonazis, verschickt zu haben (Siehe AIB Nr. 38). Zwei von den Verhafteten sind wieder freigelassen worden, die anderen fünf sitzen noch immer in Untersuchungshaft. In diesem Netzwerk wird offensichtlich eine Arbeitsteilung in legale Organisation/Partei (NSA, DNSB), in Neonazimusik-Szene (NS 88, B&H, RR) und Terrorstruktur (u.a die Verhafteten) praktiziert. Es scheint, daß die Verhafteten mit ihren Briefbomben einem Combat 18-Flügel um Will Browning (England) behilflich sein sollten (siehe AIB Nr. 38).

Die Arbeit von NS 88 dreht sich hauptsächlich um CDs und Musikvideos innerhalb der Neonazirock-Bewegung Europas. Außerdem ist NS 88 zusammen mit Wasakaren RR / Ragnarock Records für die Verteilung der ISD Records Produkte von Combat 18 in Skandinavien verantwortlich. Mittlerweile hat NS 88 über hundert CD-Nummern und genauso viele Musikvideos im Angebot, die sie zu einem Großteil selbst produziert haben. NS-88 Videoteams machen von Neonazikonzerten Aufnahmen (meistens in Schweden), die dann in eigenen Studios redigiert und später verkauft werden. Auch CDs werden selbst aufgenommen und gemixt, dann aber an verschiedene Firmen geschickt, die diese selbst prägen lassen. 1996 gründet NS 88 eine Tochtergesellschaft - die NS Records. Diese unterhält im Kopenhagener Stadtteil Frederiksberg eine Postadresse, wo bis jetzt weder die Staatsanwalt noch das Steueramt aufgetaucht sind. In Schweden dagegen wurde gegen Erik Blücher, Per Ahlberg, Bert-Ove Rasmussen und Hans Himmler Petterson von Wasakaren RR / Ragnarock Records Anklage wegen der Übertretung der Rassismus-Gesetzgebung erhoben. Den aus Norwegen eingereisten Erik Blücher, der sich seit neustem Erik Nilsen nennt, kann man getrost als Schlüsselfigur des schwedischen Neonazirock-Geschäfts bezeichnen. Damit der braune Geldfluß durch die Rassismus-Anklage nicht ins Stocken gerät, sprang vollkommen selbstlos NS 88 ein und übernahm die CDs, die Blücher und Konsorten nun nicht mehr problemlos vertreiben konnten.

Wer hinter dem ganzen NS 88-Komplex und dem dänischen Neonazirock-Geschäft steckt, ist dank antifaschistischer Recherchearbeit schon lange kein Geheimnis mehr. Hauptdrahtzieher ist hierbei der Brandenburger Marcel Schilf. Er wurde zum ersten Mal im März 1992 in der dänischen Öffentlichkeit bekannt, als ein Antifaschist von einer Briefbombe getötet wurde. Schilf wurde damals zum Ziel verschiedener polizeilicher Ermittlungen. Ende 1993 geriet er in Zusammenhang mit den österreichischen Briefbomben erneut ins Suchlicht der Polizeiermittlungen. Als dann dänische Neonazis Anfang 1997 mehrere Briefbomben verschickten, wurde bei ihm sofort die Wohnung durchsucht und u.a. mehrere 10.000 DM beschlagnahmt. Keine der drei Ermittlungen führte jedoch zu einer Anklage. Schilf hat aber nicht nur den Ruf des Bombenbastlers, sondern er gilt innerhalb der internationalen Neonaziszene vor allem als Computer- und Videoexperte. Obendrein scheint er eine wichtige Funktion als Schlüsselperson innerhalb des internationalem Neonazi-Netzwerk zu erfüllen. So versteckt er hin und wieder Neonazis bei sich, die von den Behörden in anderen Ländern gesucht werden. Mit dem Hauptangeklagten der im Januar in Dänemark verhafteten Neonazi-Terroristen, war er persönlich befreundet. Er war es auch, der in Helsingborg das Propagandamaterial der Verhafteten druckte. Seine Konzert-Videoteams werden mitunter in der Anti-Antifa-Arbeit eingesetzt, um diese Aufnahmen in den Redwatch-Abschnitten des NS 88 Video-Magazins Kriegsberichter zu zeigen.

Das Kriegsberichter Video-Magazin ist ein widerlicher Mix aus Nazi-Trickfilm, Konzertberichten und Band-Interviews. In Filmclips werden hier u.a. Fernsehaufnahmen von den Pogromen in Rostock und Filmaufnahmen von rassistischen Hinrichtungen vertont. Doch zurück zu Marcel Schilf. Er wurde 1972 in der ehem. DDR geboren und zog, als er neun war, mit seiner Mutter nach Dänemark. Da er aber häufig seine Großmutter in Brandenburg besuchte, kam er schon zu DDR-Zeiten mit den lokalen rechten Skins in Kontakt. Im Laufe der Jahre entwickelten sich diese zusammen mit Marcel Schilf zu überzeugten Neonazi-Skins. So wundert es auch nicht, daß ab 1991 in Schilfs Wohngegend kontinuierlich Neonazi-Propaganda auftauchte. Seine eigene Wohnung verschandelte er u.a. mit einer großen NF-Fahne. Auf die Frage hin, wo er organisiert sei, antwortet er: Nirgends und überall. Gute Kontakte soll er aber vor allem zur NSDAP-AO gehabt haben. In Dänemark trieb er sich hauptsächlich mit Neonazi-Strassengangs und DNSBlern rum. Seine rechte Skin-Bande in Dänemark bekam zwischen 1992 und 1994 außerdem häufig Besuch von seinen deutschen Neonazi-Skin-Kumpels. Ab 1994 trat Schilf dann schließlich offen in DNSB-Zusammenhängen auf, wo er auch seinen ersten NS 88-Mitstreiter, den DNSBler Jesper Hartmann, fand. Nebenher hatte sich Schilf in der Video- und Hacker-Szene ein zweites Betätigungsfeld gesucht. Er spezialisierte sich auf Computer, engagierte sich im Hacker-Club Crionics und wurde zum Leiter der Crionics Video Division. Im Crionics-Club kopierte er illegal Videos und Programme, bis ihm ein Privatdektiv auf die Spur kam und ihn bei der Polizei anzeigte. Ein Teil der Schwarzkopien tauschte Schilf mit dem Sprengstoff Azetone-Peroxid ein, welcher wiederum mit Waffen, besonders Gaspistolen aus Deutschland, eingetauscht wurde. Nach der tödlichen Bombe von Kopenhagen wurde bei Schilfs ehemaligen Freund und Azetone-Peroxid-Lieferanten eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Funde bei ihm führten zu Schilf, dessen Wohnung die Polizei daraufhin ebenfalls durchsuchte. Beide wurden zwar mehrmals verhaftet und verhört, konnten aber nicht mit der Bombe in Zusammenhang gebracht werden. Sie wurden dann aber beide später wegen anderer Delikte verurteilt. Im Herbst 1994 gründeten NS 88 und Ragnarock Records gemeinsam den Club Valhalla in Helsingborg. Hier waren bis September 1996 ein Club, ein Konzertsaal, Büros, ein Studio und eine Vielzahl von Schlafplätzen untergebracht. Einen zweiten Treffpunkt fanden die Neonazis im Helsingborger Fußball-Fanclub Frontline, der schon immer zahlreiche Neonazis zu seinen Mitgliedern zählte. Nachdem 1996 der amerikanische NS 88-Freund Bart Alsbrock 1 wegen einer Messerstecherei im Frontline angeklagt wurde, verschärfte die Polizei ihr Interesse an dem Club. Dies führte dazu, daß die Neonazis aus Frontline rausflogen und Frontline schließlich dichtmachte. Auch der Vermieter vom Club Valhalla kündigte den Mietvertrag, so daß NS 88 umziehen mußte. Geblieben ist die Ragnarock Records, NS 88-Infrastruktur in Helsingborg und Umgebung: Die Igab el Service von Per Ahlberg im Polymer-Haus in der unmittelbaren Nähe vom ehem. Club Valhalla, der Grafisk Service von Bert-Ove Rasmussen im selben Gebäudekomplex wie der ehem. Club Valhalla, die Räume im Motorvägen und die Werkstatt von Erik Blücher in der Ängelsholmsvägen. Dazu kommen eine Reihe von Firmen, Postfächern und anderen Personen, wie z.B. Hans Himmler Petterson, der Kassierer bei Ragnarock Record und Inhaber eines Postfaches in Stockholm war. Mittlerweile hat sich Ragnarock Records offiziell aufgelöst, der Verkauf geht aber trotzdem über das alte Postfach in Rönneby in Blekinge weiter. Behilflich dabei ist der Verein Wasakaren RR, der jetzt einen neuen Vorsitzenden mit dem Namen H. Asferg bekommen hat. Der 2. Vorsitzende der DNSNB Henrik Christensen hieß früher Henrik Asferg Christensen. Sein Postfach im dänischen Randers nutzte u.a. die deutsche Einblick-Redaktion und die dänische Ausgabe des NSDAP/AO-Blattes NS-Kampfruf. Ob sich Blücher den Namen nun »geliehen« hat, oder ob Henrik Christensen neuer Vorsitzender von Wasakaren RR geworden ist, lässt sich momentan nicht endgültig klären. In H. Asfergs Einleitung zum Januar 1997- Katalog wird auf jeden Fall die Unschuld der vier Rassismus-Angeklagten beteuert. Da die Behörden die eigentlichen Verantwortlichen nicht finden konnten, werden nun einige Randfiguren angeklagt. Auch Blücher behauptete in früheren Verhören, nur die Grafik der CD-Covers geliefert und einige Postfächer geleert zu haben. Marcel Schilf versucht derweil weiterhin krampfhaft »sauber« zu bleiben und seine Geschäfte zu decken. Immerhin steht sein Videomagazin Kriegsberichter Vol. l ebenfalls in Schweden unter Anklage. Seinen Namen lässt er nirgends auftauchen, bei Neonazifreunden heißt er nur Marcel oder M.S., die Registrierung von Zahlungen sind höchst ungenau und er fährt abwechselnd schwedische und deutsche Autos. Die Hausdurchsuchungen bei ihm und seiner Freundin in Verbindung mit den Videobomben haben ihn nervös gemacht. Dazu kommt, daß er sich in Schweden u.a. die Macher des Neonazirock-Magazines Nordland zum Feind gemacht hat. In einem Rundbrief diesbezüglich plauderte NS 88 recht interessante Nordland-Internas aus: Ein George Eric Hawthorne 2 soll der Direktor des Neonazirock-Magazins Resistance sein und ein "Nitton" 3 soll der Gründer und frühere Versandleiter von Nordland sein. Dieser soll sich mittlerweile mit Nordland verstritten haben und nun den größten schwedischen Fußball Supporter Clubs anführen. Auch bei der Neonazi-Band Midgards Söner soll der »fanatische Nationalist« Patrik "Nitton" Asplund mitspielen. Nordland sei außerdem letztes Jahr zu feige gewesen, um an dem von ihm organisierten Rudolf-Heß-Gedenkmarsch in Trollhättän teilzunehmen. Desweiteren unterschlügen sie Spendengelder und seien verantwortlich für den Überfall auf einen Skinhead-Club-Barmann in Göteborg, den Asgard Shop-Besitzer in Stockholm und den 14 Words Info-Herausgeber Roban.

Es scheint, daß der Konkurenzkampf im Neonazirock-Geschäft mit immer rabiateren Mitteln ausgetragen wird. Doch bloß, weil sich die Neonazirock-Neonazis momentan untereinander bekämpfen, dürfen sich Antifas noch lange nicht zurücklehnen. Sie sollten vielmehr ihre internationalen Kontakte ausbauen und vertiefen, um gemeinsam gegen die internationale Neonazirock-Bewegung vorzugehen. Diese kennt beim Geschäft nämlich schon lange keine Grenzen mehr. Dänemark und Schweden sind hierbei natürlich nicht die einzigen Produktions- und Vertriebsorte des deutschen Neonazirocks.

Auch in Tschechien wurden deutsche Neonazirock-CDs hergestellt. Die Herstellung vermittelte Adrian Preißinger, Chef einer Agentur für Kommunikation in Kronach, der 1992 wegen Volksverhetzung verurteilt worden war. Von seinem Büro im slowakischen Banska Bystrica aus managte er die Geschäfte mit dem CD-Preßwerk CDC in Celakovice und mit der Gramofonove Zavody in Lodenice. Nach Veröffentlichungen in der Zeitschrift "Der Spiegel" soll die Zusammenarbeit allerdings beendet worden sein. Auch Marcel Schilf landete indirekt mehrmals in den deutschen Medien.

Im März vorigen Jahres rühmte sich der VS ausführlich damit, sieben Kuriere geschnappt zu haben, die 2000 Landser CDs von Dänemark nach Deutschland geschmuggelt hatten. Und vor kurzem landete pressewirksam eine CD der Zillertaler Türkenjäger auf dem Index, die bei NS 88 produziert worden war. Doch Schilfs Verbindungen nach Deutschland dürften noch sehr viel weiter gehen.

Zu seinen Katalog-Empfängern in Deutschland sollen nach Angaben aus dänischen Antifa-Kreisen u.a. die Anti-Antifa Naumburg, der PHI-Pressedienst aus Berlin, das Freie Forum aus Oberboihingen, der Scheinwerfer aus Rodach, der Asgard Bund e.V.  aus Berlin, die Jugend Rex aus Adendorf, die Unabhängigen Nachrichten aus Bochum, der Bund dt. Unitarier aus Giessen, die Gesellschaft für freie Publizistik im Klosterhaus Lippoldsberg in Wahlsburg, der Gut Versand aus Ennepetal, die Hanse Records aus Bremen, der Sound Check in Köln, DB. Red aus Potsdam und die Nordische Zeitung aus Hamburg gehören. In den vergangenen Monaten mußte NS 88 einige »Pausen« einlegen, da sie mehrmals ihre Büros verloren, ihr CD-Presswerk in Taiwan die Zusammenarbeit einstellte und eine Bombe ihre Druckerei stark beschädigte. Trotzdem geht der Verkauf weiter, ein neuer Rundbrief ist gerade erst erschienen und obendrein kann in der Ausgabe Nr. 3 der »Blood & Honour« (Division Deutschland) nachgelesen werden, daß Marcel von NS 88 und einige Kameraden vor geraumer Zeit Blood & Honour Skandinavien gegründet haben. Also Grund genug den antifaschistischen Widerstand weiter auszubauen und zu verstärken.

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit der dänischen Antifa-Zeitung Demos (Kobenhavn).

  • 1Dieser soll ein früheres Band-Mitglied der amerikanischen RechtsRock Band Bully Boys sein.
  • 2Diesen Namen nutzt auch George Burdi, der zusammen mit Mark Wilson das amerikanische RechtsRock Label Resistance Records gründete
  • 3"Nitton" ist der Spitzname von Patrik  Asplund