Eine Frage der Wahrnehmung
Vergessene Opfer rechter Gewalt
Patrick Thürmer hatte keine Chance. Der schmächtige, 1 Meter 56 große Jugendliche war in der Nacht vom 3./4. Oktober 1999 zusammen mit einem Freund auf dem Nachhauseweg von einem Punkfestival in Hohenstein-Ernstthal (Sachsen), als sie plötzlich einen blauen Kleintransporter bemerkten.
»Da ist einer«, ruft einer der drei Männer, die aus dem Auto herausspringen und sich auf den 17-jährigen Patrick und seinen Freund stürzen. Mit einem Axtstiel, einem Hammer und einem Billardqueue prügeln sie auf die beiden Punks ein. Patrick Thürmer erleidet schwerste Kopfverletzungen; erst gegen 7.30 Uhr morgens finden ihn Passanten blutüberströmt auf dem Boden liegend vor einem Bauernhof. Wenige Stunden später stirbt der Malerlehrling im Krankenhaus.
Während die überregionale Öffentlichkeit und auch auswärtige Antifaschist_innen kaum Notiz von dem tödlichen Angriff auf den Punk nahmen, wurden in der Region die Ereignisse des 3. Oktober breit diskutiert – wobei die Regionalmedien und die Bevölkerung massiv Stimmung gegen Jugendliche aus der Punkszene machten. Schließlich wurde schnell deutlich, dass der Ausgangspunkt für die tödliche Hetzjagd auf Patrick Thürmer ein Angriff von etwa 100 Neonaziskins auf das »2. 99er Punkfestival« im alternativen Jugendhaus »off is« war.
Notrufe von Festivalbesucher_innen und mindestens drei verletzte Punks führten allerdings zu keinerlei polizeilichen Reaktionen. Gegen Mitternacht entschlossen sich dann rund 30 Punks zu einem Besuch der nahe gelegenen Diskothek »la Belle«, wo sie die Angreifer auf ihr Festival vermuteten. In der Diskothek würden »sehr viele Besucher kurze Haare haben«, räumte ein Polizeipressesprecher ein. Polizeieinheiten, die auf die Hilferufe der Punks nicht reagiert hatten, erschienen nun auf einen Notruf des Diskobetreibers hin, doch hatten zuvor schon Türsteher die Punks vertrieben.
Der Prozess
Patrick Thürmer starb »stellvertretend für jene Linken«, die an dem Angriff auf die Diskothek beteiligt gewesen seien, stellt das Landgericht Chemnitz später im Prozess gegen die drei angeklagten Totschläger im Alter von 21 bis 24 Jahren im September 2000 fest. Ein Dutzend Neonazi-Skinheads und rechte Türsteher aus dem Umfeld der Diskothek hatten sich nachts zusammengefunden, um Jagd auf Punks zu machen. Einen neonazistischen Hintergrund erkennt das Gericht dennoch nicht. Der 23-jährige Haupttäter wird wegen Totschlags zu elf Jahren Haft verurteilt – es ist davon auszugehen, dass er gemeinsam mit seinen Mittätern inzwischen wieder auf freiem Fuß ist.
Was bleibt
Wie sehr der Tod von Patrick Thürmer die alternative und nicht-rechte Jugendszene in der Region geprägt hat, wurde am zehnten Todestag im vergangenen Jahr deutlich. Rund 250 Antifaschist_innen und Jugendliche kamen zu einer Gedenkdemo nach Hohenstein-Ernstthal: Ihre Forderungen an Öffentlichkeit, Lokalpolitik und Sicherheitsbehörden war, einen Gedenkstein für Parick Thürmer zu errichten und die tödliche Gefahr der lokalen Neonazi-Szene endlich ernst zu nehmen.
Denn schon vor Patrick Thürmer hatten am 25. Mai 1995 rund 20 Neonaziskinheads an einem Stausee bei Hohenstein-Ernstthal eine Gruppe Pakistanis angegriffen und kurz darauf den 24-jährigen Bundeswehrsoldaten Peter T., der mit Freunden einen Ausflug an den See gemacht hatte, so schwer verletzt, dass dieser neun Tage später starb.
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