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Eine Nachbetrachtung der Silvesterereignisse in Köln

Sebastian Weiermann
Einleitung

In Köln wurden zum diesjährigen Jahreswechsel hunderte junger Menschen in Polizeikessel geführt, kontrolliert und teilweise gar nicht in die Stadt gelassen. Was lag gegen die Menschen vor? Hatten sie sich zu Straftaten verabredet? Nein. Sie entsprachen „optisch“ dem „Tätertyp vom letzten Jahr“, wie ein Polizeisprecher in der Silvesternacht erklärte.

Twitter Meldung der Kölner Polizei zur angeblichen Kontrolle von "Nafris" am Hauptbahnhof.

Rassistische Kontrollen und ein vergifteter Diskurs

Zur Erinnerung: Beim Jahreswechsel 2015/2016 war Silvester in der Kölner Innenstadt außer Kontrolle geraten, rund um Dom und Hauptbahnhof kam es zu massenhaften sexualisierten Übergriffen, Diebstählen und Raubdelikten. Viele der Tatverdächtigen aus dem vergangenen Jahr waren Geflüchtete. Die Kölner Silvesternacht 2015/2016 war mitverantwortlich für einen Stimmungswechsel in der Bundesrepublik. Viele, die sich vorher noch für Geflüchtete eingesetzt hatten, zogen sich zurück, Rechte betrieben unter dem Deckmantel „unsere Frauen“ schützen zu wollen, eine aggressive Stimmungsmache. Islamfeinde sahen einen „Sexdschihad“ gegen Deutschland aufziehen. In der Politik wurde über härtere Strafen und schnellere Abschiebungen diskutiert, in Nordrhein-Westfalen beschäftigte sich ein Untersuchungsausschuss mit der Silvesternacht.

Nach über einem Jahr konnte der Ausschuss nur wenige Dinge feststellen. Die Polizei und das NRW-Innenministerium haben die massenhaften Übergriffe schlecht kommuniziert und es gibt keine Erkenntnisse darüber, dass sich hunderte Männer zu Diebstählen und sexuellen Übergriffen verabredet hatten. Am nachvollziehbarsten scheint noch die Theorie des Kriminalpsychologen Rudolf Egg, der unter Verweis auf die „broken windows“ Theorie, davon ausgeht, dass sich die Situation spontan ergeben habe, weil niemand einschritt und der Raum um den Dom außer Kontrolle geriet.

Nach dem Jahreswechsel 2015/2016 wollte die Kölner Polizei im folgenden Jahr zeigen, dass sie die Situation völlig unter Kontrolle hat. Schon zum Karneval wurden tausende Polizisten in die Stadt gekarrt, Lichtmasten aufgestellt und Betreuungsangebote für Frauen geschaffen. Auch über Köln hinaus sorgte Silvester für einige Absonderlichkeiten. So veröffentlichten zum Beispiel die Veranstalter des Festivals „Bochum Total“ einen Flyer in arabischer Sprache, der Geflüchtete darauf hinweisen sollte, dass Frauen „auch wenn sie nur wenig Kleidung tragen“ nicht „angebaggert oder bedrängt“ werden wollen. Später entschuldigte sich der Veranstalter für die Veröffentlichung.

Die Polizei Köln begann im Dezember mit einer Vielzahl an Angeboten für Medienvertreter, die zeigen sollten, wie gut sie vorbereitet ist. Journalisten durften auf der Partymeile mit auf Streife gehen, neue Überwachungskameras bestaunen, sich Wasserwerfer und Räumpanzer der Bereitschaftspolizei anschauen und den einleitenden Worten des Kölner Polizeipräsidenten bei einer Einsatzbesprechung lauschen. Auch die Stadt gab sich alle Mühe, ein weltoffenes und sicheres Köln zu präsentieren. Ein Lichtkünstler aus Berlin ließ den Dom und sein Umfeld in der Silvesternacht in bunten Farben erstrahlen und neben der Kathedrale sang ein multikultureller Chor Hits wie Michael Jacksons „We are the world“.

Bis etwa 21 Uhr sah es in Köln so aus, als würde die Stadt Silvester zwar unter besonderen Sicherheitsbedingungen feiern aber auch so, als ob diese der Allgemeinheit dienen. Dann änderte sich die Lage. Vor dem Hauptbahnhof bauten sich Bereitschaftspolizisten auf, bildeten Ketten und im Bahnhof wählten Polizisten nun aus, wer die linke und wer die rechte Tür benutzen durfte. Wer nach rechts geschickt wurde, landete in einem Polizeikessel. Ausgewählt wurde dabei nach rassistischen Kriterien. Ein dunkler Hauttyp und schwarze Haare reichten aus. Anfangs landeten auch Frauen im Kessel. Im Laufe der Nacht präzisierte die Polizei ihr Profiling, nur noch Männer wurden in den Kessel geführt, den sie nach Leibesvisitationen und Ausweiskontrollen wieder verlassen durften. Dies dauerte teilweise mehrere Stunden. Via Twitter erklärte die Polizei, sie würde 600 „Nafris“ kontrollieren. Dabei handelt es sich um eine polizeiliche Abkürzung für „Nordafrikanische Intensivstraftäter“. Später entschuldigte sich die Polizei dafür. Der Begriff sei nicht für die Außendarstellung gedacht. In der Silvesternacht und den folgenden Tagen bilanzierte die Polizei einen positiven Einsatz. Alle Maßnahmen seien gut und richtig gewesen. Man habe Gefahren abgewehrt, die hätten entstehen können.

Den Aussagen der Polizei schloss sich eine breite Mehrheit in Politik und Medien an. Vom Kölner Express bis zur Südddeutschen Zeitung war zu lesen, dass die Polizei richtig gehandelt habe. Als die Bundesvorsitzende der Grünen Simone Peter, in einem Interview nur anmerkte, dass es kritisch zu bewerten sei, falls die Polizei Menschen wegen ihrer Herkunft festgehalten habe, erntete Peter massive Kritik. Die Bild-Zeitung warf der Politikerin Realitätsverweigerung vor, auf Twitter und Facebook wünschte ein virtueller Mob Simone Peter Vergewaltigungen. Und auch aus der eigenen Partei erntete Peter Kritik. Nach einem Tag entschuldigte sich die Grünen-Vorsitzende für ihre Kritik.

Mit Konkretisierungen, welche Personen die Polizei in der Nacht kontrolliert hatte und aus welchen Anlässen, tat sie sich in der Folgezeit allerdings schwer. Die Kölner Polizei gründete eine Arbeitsgruppe, die herausfinden sollte, warum so viele Nordafrikaner nach Köln gereist seien und welche Motive diese gehabt hätten. Ein erstes Ergebnis der Arbeitsgruppe überrascht. Bei 674 Personen habe man die Personalien überprüft. Für 425 liege ein Ergebnis vor. Die meisten Menschen, die kontrolliert wurden, stammen mit 99 und 94 Personen aus dem Irak und Syrien. Auch 46 Deutsche wurden kontrolliert. Aus Marokko und Algerien stammten nur 17 und 13 Personen. Ein Polizeisprecher erklärte, man habe da wohl eine „bunte Mischung“ kontrolliert. Die vorher aufgestellte Behauptung von hunderten Nordafrikanern kann die Polizei jedenfalls nicht mehr aufrechterhalten. Auch die Zahlen der Bundespolizei, die 170 Personalien aufgenommen hat, sprechen keine deutlichere Sprache. Die meisten sind deutsche Staatsbürger. Insgesamt kontrollierte die Bundespolizei Menschen aus 23 Staaten.

Die Polizei kann keine konkrete Gefahr nennen, die von den Menschen ausging, die sie in der Silvesternacht kontrolliert hat. Auch zu Verabredungen und Plänen Straftaten zu begehen konnte sie keine Angaben machen. Die Maßnahmen waren also wohl vor allem einer Befürchtung geschuldet, bei den kleinsten Zwischenfällen in Erklärungsnot zu kommen. Hunderte junge Migranten zu kontrollieren, stellte für die Polizei kein großes Risiko dar. Sie haben keine Lobby und auch mit vielen Klagen gegen den Einsatz musste die Polizei nicht rechnen.

Noch bedenklicher als der Polizeieinsatz ist allerdings das gesellschaftliche Klima auf das er gestoßen ist. Einen solchen Einsatz zu hinterfragen oder ihn kritisch zu bewerten, sollte zu den normalsten Dingen in einer Demokratie gehören. Allerdings ist der Diskurs, wenn es um Köln und Silvester geht, vergiftet. Rechte Parteien und Gruppen nutzten auch die diesjährige Silvesternacht für ihre Stimmungsmache. Der AfD-Politiker Marcus Pretzell etwa lobte die BILD-Zeitung für ihre Angriffe gegen Simone Peter und sieht diese als Zeichen für ein Umdenken. Die rechte Partei PRO NRW und neonazistische Kameradschaften, die an den beiden ersten Januarwochenenden in Köln demonstrierten, nahmen die Kontrollen zum Anlass dafür, wieder auf die Gefahr für „deutsche Frauen“ aufmerksam zu machen und Rassismus zu schüren. Für sie sind die Kontrollen der Beweis, dass der Staat die Kontrolle verloren habe und sie nun selbst für „Sicherheit und Ordnung“ sorgen müssten. Auch im anstehenden Landtagswahlkampf wird die AfD die beiden Kölner Silvesternächte dafür nutzen, um mit Rassismus und dem Hirngespinst von einer hilflosen Polizei Stimmung zu machen. Unterstützung bekommen sie dabei von Medien und konservativen Politikern, die Angst vor No-Go-Areas und Migrantenghettos verbreiten.