Sie sollen Dich schützen, und es geschieht das Gegenteil
Tatort Berlin: »Wer Deutscher ist, entscheide ich, du Kanake«
Die Beratungsstelle ReachOut in Berlin vertritt Opfer rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Bedrohungen bzw. Gewalt. Die Opfer, die unseren Rat und Unterstützung suchen, kommen ursprünglich aus unterschiedlichen Ländern Afrikas und Lateinamerikas, sind schwarz oder weiß und Deutsch oder einfach jung und Punks. Sie trifft der Zorn und die Gewalt derjenigen, die dieses Land zur »ausländer- und zeckenfreien«, zur national befreiten Zone machen möchten und dies zu Teilen schon erreicht haben.
Daneben – und abweichend von den Beratungsstellen in den anderen Bundesländern – unterstützt ReachOut auch Menschen, die von Polizisten überfallen und misshandelt wurden. Sie wurden in ihrer eigenen Wohnung oder auf der Straße geschlagen und gedemütigt. Diese Opfer werden nie wieder – egal an welchem Ort in diesem Land – ein Gefühl relativer Sicherheit haben. Denn für diese Tätergruppe gibt es keine Sperrgebiete, keine Räume, in die sich nicht hineintrauen, weil ihnen ein starker Widerstand entgegengesetzt wird oder weil eine »Zivilgesellschaft« oder doch wenigstens ein Gericht ihrem Treiben Grenzen setzt.
Tatort: Berlin-Kreuzberg
»Sie sollen dich schützen und es geschieht das Gegenteil«.
Polizeieinsatz auf einer Party. Wegen Ruhestörung hat jemand die Polizei gerufen. Ein alltäglicher Vorfall. Der normale Verlauf wäre gewesen, dass die Polizisten klingeln, sagen, dass es Beschwerden gegeben hat und androhen, bei ihrem nächsten Erscheinen die Anlage oder die Instrumente mitzunehmen. Nicht so in diesem Fall. Aggressive Polizisten betreten ohne zu klingeln oder zu klopfen die Wohnung. Die Musik wird von den Partygästen sofort abgestellt. Aber die Musik war zu laut bei einem Türken, der auch noch nachfragt, warum diese Polizisten einfach seine Wohnung betreten und ihnen sagt, dass sie dazu kein Recht hätten.
Der Mann zeigt seinen deutschen Personalausweis, möchte eine Dienstnummer bekommen und eine Dienstaufsichtsbeschwerde machen, bietet auch seinen Presseausweis an. Er bekommt sogar eine Dienstnummer ausgehändigt und denkt nichts Schlimmes, als er mit den Polizisten nach unten auf die Straße geht, um im Einsatzwagen ein Protokoll aufnehmen zu lassen. Dort greift ihn unvermittelt einer der Beamten an und windet ihm die Karte mit der Dienstnummer aus der Hand. Es fallen Worte, wie »wer Deutscher ist, entscheide ich, du Kanake«. Das Ende: Ein offener Nasenbruch, ein Schädelhirntrauma, ein blaugeschlagener Körper, Intensivstation, monatelange Arbeitsunfähigkeit, physische und psychische Verletzungen mit lebenslangen Folgen.
Mehr als zwei Jahre nach der Tat ist S. noch immer fast ausschließlich mit den Folgen dieses Angriffs beschäftigt. Er hat immer noch Angstzustände und Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten, leidet unter Schlaflosigkeit und hat seinen Geruchssinn verloren. Vor wenigen Monaten erlitt er einen Herzinfarkt. Ein Attest bestätigt, dass auch dies mit großer Wahrscheinlichkeit eine Folge der permanenten Stresssituation ist, in der er seit dem Angriff lebt.
Andere Folgen des nächtlichen Überfalls sind Anzeigen wegen »Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Körperverletzung« gegen das Opfer und gegen einen Zeugen. Diese Verfahren enden mit Freisprüchen. Die als Zeugen geladenen Polizisten konnten das Gericht ausnahmsweise einmal nicht von ihrer Version überzeugen oder beriefen sich auf ihr Aussageverweigerungsrecht, weil sie sich selbst belasten könnten. Das Verfahren gegen die Polizisten wegen Körperverletzung im Amt ist auch über zwei Jahre nach der Party noch nicht eröffnet. Seit November 2001 existiert zwar eine Anklage-schrift, aber einen Prozesstermin gibt es immer noch nicht. Das ist eine ungewöhnlich lange Zeit für die Eröffnung des Gerichtsverfahrens. Auch diese Verschleppung führt dazu, dass es dem Opfer nicht möglich ist, den Angriff psychisch zu verarbeiten.
Schauplatz: Berlin-Neukölln
»Sie können sich nicht vorstellen, dass ein Schwarzer ein teures Auto fährt«.
In der Nähe seiner Wohnung hat A. sein Auto abgestellt. Irgendetwas stimmt nicht mit den Sicherheitsgurten. Er will das überprüfen und bemerkt, dass ein Polizeiwagen langsam vorbei fährt. Er versucht weiter das Problem mit den Gurten zu lösen und setzt sich dazu auf den Rücksitz. Jetzt bemerkt er das Polizeiauto neben seinem Wagen. Einer der Polizisten leuchtet ihn an. Auf die Frage, was denn los sei, erhält er keine Antwort, sondern die Aufforderung, seinen Pass und den Führerschein zu zeigen. Auf die Frage, gegen welche Verkehrsregel er verstoßen habe, erhält er auch keine Antwort. Die Polizisten bemerken, dass der Schlüssel noch steckt, und einer teilt A. auch mit, dass sie vermuten, er wolle das Auto klauen. Darauf erwidert A.: »Wer klaut denn ein Auto vom Rücksitz?«
A. hat eine schwarze Hautfarbe und bezweifelt, dass die Polizisten einen weißen Deutschen auch auf diese Art kontrollieren würden. Das sagt er den Polizisten auch und steigt aus, um seinen Pass zu holen. In diesem Moment hetzen die Polizisten einen Hund auf A. Ein Beamter sprüht ihm Pfefferspray in die Augen, der andere legt ihm Handschellen an. Mit Gewalt wird er zu Boden geworfen. A. wird mit dem Kopf auf den eisigen Boden gepresst und hat Schwierigkeiten beim Atmen. Er schreit um Hilfe, weil er sich in Lebensgefahr sieht. Zwei junge Männer bieten an, seine Ehefrau aus der nahegelegenen Wohnung zu holen. Dies abzuwarten, fehlt den Polizisten die Zeit. A. wird in den Einsatzwagen verfrachtet, in dem ein weiterer Polizist bei ausgeschalteter Innenbeleuchtung auf ihn einschlägt. Der Polizist droht, ihn zu erschießen und ihn ins Wasser zu werfen. A. sieht sein Ende gekommen.
Schwierige Beweisführung
Genannt wurden hier lediglich zwei Beispiele von Opfern, die sich selbst – unseres Erachtens zu Recht – als Opfer rassistischer Gewalt definieren und ReachOut aufgesucht haben. Wären die Täter keine Polizisten, könnte der Nachweis geführt werden, dass es sich um rassistische Gewalt handelt: durch die Äußerungen und die Tatsache, dass es offensichtlich keinen anderen Grund für diese Eskalation der Gewalt gibt, als die jeweilige Herkunft und damit verknüpfte Bilder. Der Nachweis, dass schon der Anlass für eine Polizeikontrolle einen rassistischen Hintergrund hat, ist jedoch fast unmöglich. »Wie bei der Fremdenfeindlichkeit innerhalb der Polizei und der illegalen Gewaltanwendung durch Polizeiangehörige gibt es keine empirischen Untersuchungen über das Ausmaß derartiger Vorwürfe.
Somit sind sie für die Verantwortlichen nicht bewiesen und alles kann so bleiben, wie es ist«, so Korell und Liebel in ihrem Buch »Polizeiskandal – Skandalpolizei« (2000). Amnesty International spricht im ai-Bericht über Misshandlungen durch Polizeibeamte in Deutschland von einem »unübersehbaren, besorgniserregenden Muster von Menschenrechtsverletzungen«.1 Auf die Problematik »verdachtsunabhängiger Kontrollen« an sogenannten »gefährlichen Orten« wollen wir an dieser Stelle nicht näher eingehen. Aber auch außerhalb dieser bürgerrechtsfreien Gebiete sind die Polizeikontrollen nicht »verdachtsunabhängig«, sondern sie fußen auf einem Generalverdacht gegenüber Minderheitengruppen, bei denen Polizisten eine hohe Trefferrate für ihren Verdacht und eine geringe Beschwerdemacht der Kontrollierten vermuten.
Kampf gegen Windmühlen
Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt sind nicht nur Menschen, die an öffentlichen Orten nachts und zudem im Osten der Republik oder in Ostberlin von marodierenden Rechtsextremen zusammengeschlagen und gedemütigt werden. Unter Umständen sind es auch Opfer von staatlich legitimierten Uniformträgern, die ihre Gesinnung mit Hilfe ihres Jobs gnadenlos, meistens straflos und sehr häufig eben auch in Übereinstimmung mit ihrem Dienstauftrag ausleben können. Mit staatlicher Förderung Beratung für Opfer rechter und rassistischer Gewalt zu leisten und Diskriminierungen entgegenzuwirken, erweist sich mitunter als Kampf gegen Windmühlen.
Die großen Ziele der Projekte »menschenrechtsorientiert« die »Entwicklung örtlicher zivilgesellschaftlicher Initiativen« als »wichtige Elemente zur Stärkung der demokratischen Kultur und im Kampf gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus«2 zu verwirklichen, stehen bisweilen konträr zu den politischen Rahmen-bedingungen, in denen die Projekte agieren müssen. Deshalb muss der Auftrag immer über die unmittelbare Opferberatung und –unterstützung hinausgehen. Die Opfer rassistischer Polizeigewalt vor Augen, muss die Forderung eben auch die Demokratisierung des Polizeiapparates und nicht nur der Zivilgesellschaft beinhalten.
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